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Award / Auszeichnung | 03/2014

4. Award für Marketing + Architektur

stadtlounge St. Gallen

CH-9000 St. Gallen, Schreinerstrasse

Gesamtsieger

Carlos Martinez Architekten

Architektur

Pipilotti Rist

Kunst

lichtgestaltende ingenieure vogtpartner

Lichtplanung

Rietmann Raum- & Projektentwicklung

Verfahrensbetreuung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2004
    Fertigstellung: 01/2010

Projektbeschreibung

Betritt man das Viertel zwischen Vadianstrasse, Schreinerstrasse, Gartenstrasse und Kornhausstrasse, offenbart sich bereits vor dem ersten Schritt in das neu gestaltete Raiffeisen-Quartiers eine Hauptabsicht des Entwurfskonzepts: ein feuerroter, ungewöhnlich weicher Bodenbelag aus Gummigranulat zieht selbstbewusst die Aufmerksamkeit auf sich, und verkörpert damit als einladende Geste die Absicht, den introvertierten, heterogenen Charakter des Quartiers aufzubrechen. Die Wahrnehmung des Raiffeisen-Viertels als ehemals zerklüftetes Konglomerat von Restflächen und Verkehrsfunktionen hat sich somit nachhaltig verändert, da der heutige Bodenbelag alle Plätze und Resträume zu einem homogenen Ganzen zusammenfasst, das sich einladend bis in die Fussgängerzone ausdehnt.
Besonders in seiner Eigenschaft als haptisch angenehmer, wohnlicher Teppich schafft der Bodenbelag als identitätsstiftendes Merkmal dabei die Grundlage für eine einladende Atmosphäre.
Die Idee einer öffentlich betretbaren „Lounge“ bildet somit das eigentliche Leitthema, um einen harmonischen und einheitlichen Charakter, aber auch die dem innenstadtnahen Ort gebührende Aufenthaltsqualität innerhalb des Quartiers zu schaffen. Möblierungselemente wie Sitzgelegenheiten, Bänke und Tische entwickeln sich als freie Formen aus dem Teppichbelag. Die einheitliche Oberfläche des Bodens scheint sich dabei wie ein Tuch über alle Möbel gelegt zu haben, das trotz seiner Strapazierfähigkeit jeder Berührung schmeichelt.
Der amorphe Formenkanon der Möbel mit seiner weichen, angenehmen Materialhaptik tritt dabei bewusst in Kontrast zur harten Präzision der gebauten Umgebung.
Der Teppich verkörpert dabei die Idee der Lounge und trägt diese atmosphärisch bis an die Fassaden der Gebäude heran. Das Verhältnis von Innen und Aussenraum scheint sich dabei wie umzukehren, da die Aussenfassaden der Gebäude ebenso als Innenfassaden - als Tapeten der Lounge interpretierbar werden. Spätestens hier bricht der Entwurf mit gewohnten Sehbildern von öffentlichem Raum, die sich zumeist auf die ablesbaren Kategorien von Strasse, Platz und Park beschränken, und nunmehr durch den homogenen Belag verwischt werden.
Die Veredelung und der simulierte Eindruck , die fest verankerte Beschilderungen sei provisorisch aufgestellt ironisieren somit den bestehenden Schilderwald - machen diesen aber zugleich salonfähig.
Die reduzierte Bepflanzung mit vier grossen Ginko-Bäumen wurde aus philosophie Überlegungen und wegen der klaren Farbe der Blätter dieses Baumes gewählt. Im Sommer sind sie einheitlich und wunderschön Grün und im Herbst werden sie beinahe schlagartig knall Gelb und fallen praktisch alle zusammen ab.
Übergroße, amorph geformte Leuchtkörper erzeugen sowohl das notwendige, wie auch das szenische Licht innerhalb des Quartiers. An Stahlseilen in den Strassenraum gespannt scheinen sie wie große Lichtskulpturen zu schweben, die den Raum nach oben fassen. Die innerhalb des Viertels kontinuierlich wiederkehrenden Körper bilden eine Art Gegenebene zum einheitlichen Bodenbelag.
Weithin über die Blick- und Straßenachsen des Quartiers taucht die Stadtlounge so in ein szenisches, ungewohntes Licht. Dabei sind verschiedene Lichtszenen einstellbar, die jeweils an Jahres- und Tageszeiten, aber auch Events oder Belebungssituationen des Quartiers angepasst werden. Die Bubbles strahlen im Farbspektrum des Himmels. Grün kommt in der Farbpalette nicht vor.

Stadtlounge als Szenographie
In Anlehnung an die verschiedenen Nutzungsbereichen einer Lounge, präsentiert sich das Quartier als Folge von Zonen die jeweils übergeordneten Themen und Funktionen wie Garderobe, Empfang, Business Lounge, Foyer etc. gewidmet sind. Trotz des übergeordneten Maßnahmenkatalogs zur einheitlichen Umgestaltung des Quartiers wurden dabei vorhandene Merkmale von Teilräumen (z.B. Widmung von Aussenräumen zu angrenzenden Gebäuden, vorhandene Bäume, Zufahrten, Kunstwerke etc.) in der Realisierung berücksichtigt. Die optische Unschärfe der Grenzen zwischen Aufenthalts- und Fahrbereichen und die Wertigkeit des Bodenbelages wirken dabei zugleich als psychologische Bremse für die Autofahrer, da die Aufmerksamkeit gegenüber den Fußgängern und das Bewusstsein für die eigene Geschwindigkeit verstärkt werden.
Die Verlangsamung der Bewegungsströme durch die Sensibilisierung der Autofahrer ist dabei wiederum wesentliche Grundlage, die Aufenthaltsqualität im Aussenraum des Quartiers zu steigern. Die Belebung des Stadtraumes durch das Angebot von Aufenthaltsqualität bewirkt dabei eine Verzahnung mit benachbarten Vierteln. Das Raiffeisen Quartier öffnet sich nunmehr nach Aussen, indem es die Stadtöffentlichkeit nach Innen in ein städtisches Wohnzimmer einlädt, worin der Mensch, und nicht länger der Verkehr, im Vordergrund steht.

Subversion als gedankliches Konstruktionsprinzip
Das Entwurfskonzept sieht keine Trennung zwischen künstlerischer Intervention und Stadtraumgestaltung vor. So verkörpert die Idee der Lounge die übergeordnete künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Stadtraum und Öffentlichkeit, aber auch mit den spezifischen Merkmalen des Ortes. Nicht zuletzt durch das dosierte Stilmittel der Ironie will sich das Konzept dabei stellenweise selbst in Frage stellen.
Eines der wesentlichsten Entwurfsprinzipien der Stadtlounge ist es demnach, mit gewohnten Sehgewohnheiten zu brechen. Diese Form der “Subversion” soll dabei als künstlerisches Prinzip verstanden werden, vertraute Assoziationen wachzurufen, diese aber gleichsam zu verfremden, um neue Bilder bei den Besuchern und Benutzern zu evozieren. So stellt sich beispielsweise beim Betreten des roten Gummigranulatbodens der Stadtlounge unwillkürlich das Bild eines Sportplatzes ein, welches allerdings durch das angrenzende innerstädtische Umfeld und die Überformung des Stadtmobiliars gleichsam Erinnerungen an einen feierlichen roten Teppich wachruft. Beide Empfindungen bewirken in Ihrer Kombination ein neues, ungewohntes Raumempfinden.
Die Mehrdeutigkeit dieser Empfindungen und Erinnerungen entspringt dabei dem Kalkül, jeden Besucher bewusst und unterbewusst dazu anzuregen, sich den Ort durch möglichst vielfältige, individuelle Interpretationen seiner Gestaltung selbst gedanklich anzueignen. Fern von jeder didaktischen oder programmatischen Ideologie ist es Ziel des Konzepts, eine monistische oder gar „richtige“ Interpretation zu untergraben. Die veredelten, und damit verfremdeten Strassenbeschilderungen fügen sich ebenso nahtlos in das Konzept der Subversion ein, wie das mit Gummigranulat überzogene Auto, da es einen Parkplatz „unbrauchbar“ macht, indem es Ihn dauerhaft besetzt. So wird der Raum hier plakativ umgedeutet, da die Karosserie auch zum verweilen, Sitzen und Liegen einladen soll. Das ehemals bewegliche Objekt wurde zum unbeweglichen Möbel, indem das sonst im Stadtraum dominante Auto an diesem Ort wie „unter den Teppich gekehrt wird “. Zudem ist der Wiedererkennungswert der Form des Autos von Wichtigkeit, um einmal mehr durch die Verwendung eines Luxusgegenstandes Mehrdeutigkeit zu evozieren.