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Nichtoffener Wettbewerb | 04/2016

Entwicklung Bahnhofsareal Liestal

Max

2. Rang

Morger Partner Architekten AG

Architektur

ErlÀuterungstext

Kaum ein Bauherr prĂ€gt das einheimische Landschaftsbild Ă€hnlich stark wie die Schweizerischen Bundesbahnen. Max Vogt hat als Mitbegründer einer legendĂ€ren SBB Baukultur, die zwischen 1957 und 1989 viele Bauten von ausgezeichneter architektonischer QualitĂ€t hervorbrachten, dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Unser Entwurf für den neuen Bahnhof in Liestal ist eine Hommage an diesen verdienstvollen Architekten, der versucht trotz grösstmöglicher formaler Reduktion und funktionaler bautechnischer Perfektion, sinnliche RaumqualitĂ€ten zu schaffen.
Das ganze Bahnhofsgebiet wird sich in den nĂ€chsten Jahren vollumfĂ€nglich verĂ€ndern. Der Ort erhĂ€lt eine neue IdentitĂ€t. Übrig bleibt einzig das ehemalige PostgebĂ€ude, 1892 im palazzoartigen Neorenaissancestil entworfen, als ein wichtiges Dokument aus der Gründerzeit von Post und Bahn.
Das AufnahmegebĂ€ude und das Bürohaus sind über einen Quartierplan in ihrer Position wie auch in ihrer Volumetrie stĂ€dterĂ€umlich weitestgehend definiert. Interpretatorische Ideen stehen deshalb im Vordergrund. Weitere EinschrĂ€nkungen engen den Spielraum stark ein. Das AufnahmegebĂ€ude beansprucht das maximal mögliche Volumen.
Das Erdgeschoss, gemĂ€ss den Vorgaben allseitig unterschiedlich tief zurückversetzt, beherbergt die SBB eigenen Nutzungen für den Personenverkehr, einen Kiosk und ein CafĂ©. Die zentral positionierte Rampe und Treppe erschliessen aus der Mitte heraus die bestehende Unterführung. Im Untergeschoss sind neben den gemeinsamen Infrastrukturnutzungen die geforderten RetailflĂ€chen untergebracht.
In Reminiszenz an bewĂ€hrte Wohn-Bauten entlang der Bahn erachten wir den Laubengang als einzigen probaten Typus, um den spezifischen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Der Entwurf unternimmt eine zeitgemĂ€sse Auslegung. Die Erschliessung der Wohnungen erfolgt über zwei TreppenhĂ€user und einem im Süden der vier Geschosse angeordneten Laubengang. Ein wohlproportionerter Luftraum schafft eine rĂ€umliche Distanz zu den InnenrĂ€umen und wird zum eigentlichen Nukleus der Wohnung. Die Ess-, Küchen- und Eingangsbereiche bilden zusammen mit dem Luftraum ein rĂ€umliches Ensemble. Eine begrünte transluzent wirkende Wand schafft vom Luftraum zum Laubengang hin die notwendige Privatheit. Das Sonnenlicht durchdringt den grünen Filter und schafft in den InnenrĂ€umen eine spezifische atmosphĂ€rische Dichte. Alle Schlafzimmer sind lĂ€rmabgewandt nach Norden hin orientiert.
Das BürogebĂ€ude, aufgrund der Vorgaben ein schlanker, langgezogener, hoher Baukörper, zeichnet sich durch seine lapidare Typologie aus. Um die geforderte flexible Umnutzung zu sinnvollen Wohnungen zu garantieren sind ein kompatibles Struktur- und Fassadenraster sowie zwei vertikale Erschliessungen notwendig. Die RetailflĂ€chen im Erdgeschoss sind frei ein- und unterteilbar. Die beiden ZugĂ€nge zu den BürorĂ€umlichkeiten, die sich in den fünf Obergeschossen befinden, werden gut auffindbar vom Emma Herwegh Platz aus erreicht. Ein Geschoss kann bis maximal in vier Einheiten unterteilt werden und erlaubt flexible Einteilungen.
Die Fassaden beider GebĂ€ude übersetzen die innere Struktur in rhythmischer Form nach aussen hin ab. Sie verschaffen ihr durch ein System aus nicht bündig zueinander positionierten Stützen, Deckenstirnen und Brüstungen eine Reliefwirkung. Licht und Schatten steigern die plastische Wirkung.
Im Gegensatz zu den monolithischen Sichtbetonbauten von Max Vogt, die ohne jegliche Dilatationsfugen ausgeführt wurden, besteht die Konstruktionsprinzip der beiden Bauten aus vorfabrizierten Beton-Sandwichelementen. Um die SpezifitĂ€t der beiden GebĂ€ude besser zum Ausdruck zu bringen, werden die Module leicht variiert. Die Struktur ist reduziert, die Erscheinungsform differenziert.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt schlĂ€gt das AufnahmegebĂ€ude und das BürogebĂ€ude als separate Volumen vor, die durch eine eingeschossige Überdachung verbunden sind, die im Erdgeschoss durchlĂ€ssig zum Gleis bleibt. Die soliden, monolithischen Bauten wirken als gelungene Komposition und schaffen eine angemessene Eingliederung der Nachbarbebauung und des neuen Hochhauses im Baubereich C. Die stĂ€dtebaulich feine Staffelung der GebĂ€udekörper führt zur Bildung schöner Raumsequenzen und PlatzrĂ€ume. Die Volumen selber, die eine sehr gute VertrĂ€glichkeit am Ort aufweisen, überzeugen als robuste, homogene Betonbauten und nehmen auf geschickte Art und Weise Bezug auf die Bahnhofarchitektur der 60er-Jahre.
Die Aussenhaut der massiven Stahlbetonkonstruktion wird von einer tragenden Fassadenschicht aus vorgefertigten Sichtbetonelementen gebildet, die gut proportioniert und als interessantes Relief aus nicht bündig gesetzten Stützen, Deckenstirnen und Brüstungen gestaltet ist. Zwischen AufnahmegebĂ€ude und BürogebĂ€ude erfolgt eine feine Nuancierung.
Das AufnahmegebĂ€ude überschreitet mit seinen fünf Geschossen die gemĂ€ss Quartierplan zulĂ€ssige BGF und Höhe deutlich, was insbesondere in Anbetracht der sehr nahen Anordnung zum Palazzo als kritisch erachtet wird. Die geringe Geschosshöhe in den Obergeschossen erlaubt keine FlexibilitĂ€t bezüglich einer Büronutzung und lĂ€sst nur den minimalen Wohnungsstandard zu.
Das Erdgeschoss des kompakten Volumens ist als umlaufend zurückspringendes Sockelgeschoss ausgebildet und weist mittig einen Durchgang zum Perron auf. Gleisseitig erfolgt zentral eine grosszügige Verbindung über Treppe und Rampe zu den RetailflĂ€chen im Untergeschoss und zur PU Oristal. Diese Verbindung weist eine hohe rĂ€umliche QualitĂ€t und Kundenfreundlichkeit auf, konsumiert jedoch zu viel wertvolle NutzflĂ€che auf Platzebene. Zudem ist die Anordnung der RetailflĂ€chen im Untergeschoss nicht optimal. Die im Grundriss suggerierte Offenheit im Erdgeschoss wird in der Materialisierung nicht umgesetzt. Diese Zone wirkt sehr massiv und zu geschlossen im Sinne der dort untergebrachten öffentlichen Nutzungen.
Die Erschliessung der vier Wohngeschosse erfolgt flexibel über gleisseitig angeordnete LaubengĂ€nge. Entlang der LaubengĂ€nge sind mehrgeschossige Höfe mit vertikaler Begrünung angeordnet, welche die notwendige Distanz zwischen ErschliessungsflĂ€che und PrivatsphĂ€re schaffen und als wertvoller Beitrag zum Thema Wohnen an der Bahn betrachtet werden. Auf Grund ihrer geringen Breite sind sie jedoch nicht als Aussenraum nutzbar. Die Wohnungsgrundrisse sind von hoher QualitĂ€t.
Die Anlieferung für das AufnahmegebĂ€ude erfolgt kostenintensiv über den Strassentunnel Oristalstrasse und einen Trottoirlift im Bereich des Busbahnhofs, was eine gute FlexibilitĂ€t, aber eine ungünstige Verflechtung der Personen-/ Verkehrsströme zur Folge hat. Das BürogebĂ€ude ist mit zwei Erschliessungskernen wirtschaftlich nicht optimiert, weist jedoch eine hohe FlexibilitĂ€t für die Realisierung von Wohnnutzungen bei grosszügigen Raumhöhen auf.
Die Velostation wird separat mit eigener Rampe unter dem Emma-Herwegh-Platz realisiert, was eine positive Entflechtung der Verkehrsströme zur Folge hat, jedoch sehr kostenintensiv ist. Insgesamt weist das Projekt im Vergleich zu den restlichen fünf Projekteingaben hohe Erstellungskosten auf.
Die Aussenraumgestaltung erzeugt differenzierte AussenrÀume und platziert das Café in vorteilhafter Lage am Palazzo. Die Velo-AbstellplÀtze sind nicht optimal positioniert.
Die ökologischen QualitĂ€ten wurden durch den Experten im Vorfeld speziell mit Bezug zur ArbeitsplatzqualitĂ€t positiv bewertet und durch das Preisgericht bestĂ€tigt. Negativ beurteilt wird der hohe Betonanteil, dessen Einsatz viele Ressourcen bindet und für einen hohen Anteil an PrimĂ€renergie bzw. CO2-Ausstoss verantwortlich ist.
Das Projekt besticht durch seine stÀdtebauliche Setzung und die, in Anlehnung an die Bahnhofsarchitektur der spÀten Moderne in der Schweiz, differenzierte und dennoch robuste Betonarchitektur. Fraglich bleiben der besondere Bezug zu Liestal und eine zur Adressbildung beitragende Unverwechselbarkeit.