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Offener Wettbewerb | 03/2021

Erneuerung Textilmuseum in St.Gallen (CH)

2. Rang / 2. Preis

Preisgeld: 22.000 CHF

jessenvollenweider architektur

Architektur

ZPF Ingenieure AG · ZPF Structure AG

Bauingenieurwesen

Waldhauser + Hermann AG

TGA-Fachplanung

Dr. Peter Suter

Kunst

Roswitha Kötz Architektur + Ausstellung

Szenographie

Beurteilung durch das Preisgericht

Eine eigenwillige skulptural ausgestaltete Grossform wird in das Dach des Palazzo Rosso implantiert. Mit chirurgischer Präzision wird das bestehende Dachgeschoss seziert, unwesentliche oder verunklärende Elemente des Bestandes entfernt und das körperfremde Implantat sorgfältig eingearbeitet. Die Frage nach der Kohärenz des Implantates begründen die Projektverfasser mit vielschichtigen Bezügen. Zum einen beziehen sie sich auf Bau-Ikonen und Stilmerkmale der textil geprägten ostschweizer Baukultur, wie das Bild des Tröckneturmes oder die geschweiften Vordächer der Fabrikantenhäuser im Appenzellerland mit deutlicher barocker Ausprägung. Auf der Ebene der Materialisierung folgt der Verweis auf die bäuerliche Tradition der geschuppten Schindelfassade. Die bauhistorischen Vorbilder dienen als Katalog von leicht verständlichen Referenzen. Letztlich bleibt der Eindruck, dass gemessen an der Zielsetzung für ein erneuertes Textilmuseum keine überzeugende Analogien beigezogen wurden. Der zukunftsgerichtete und urbane Palazzo Rosso tut sich schwer mit dem Implantat auf der Grundlage der traditionellen und vorindustriellen Bauelemente. Städtebaulich gewinnt das Textilmuseum jedoch deutlich an Präsenz. Die über die Gebäudeflucht auskragende neue Silhouette definiert die Wahrnehmung der Dachlandschaften als auch die der Fassade des Textilmuseums aus der Vadianstrasse betrachtet neu. Mit den vorgeschlagenen Tuchbahnen oder Fahnen, welche vom Dach bis weit in das erste Geschoss herunterhängen, gelingt es den Blick der Passanten zum in neuem Selbstbewusstsein erstarkten Textilmuseum zu lenken. Der historische Haupteingang bleibt integral erhalten, lediglich das Hochparterre des Osttraktes wird für das Café auf das heutige Strassenniveau abgesenkt, von wo auch die barrierefreie Erschliessung für Personen mit Handicap nun möglich wird. Das für den Brandschutz erforderliche zusätzliche Treppenhaus und die Liftanlage werden in den Hof geschoben. Eine zusätzliche Erweiterung in den Hof mit einem Wintergarten erfährt das Café. Dieser Wintergarten überzeugt jedoch hinsichtlich der Bemühungen der Projektverfasser um den wesentlichen Erhalt der historischen Bausubstanz kaum. Das neue Depot und Archiv wird unter den Osttrakt geschoben und kann dank der zusammenhängenden, grosszügigen Lagerflächen auf zwei Untergeschosse beschränkt werden. Dies könnte sich positiv auf der Kostenseite auswirken, 34 da das Archiv nicht ins Grundwasser gebaut werden müsste. Ob diese Sammlungsräume im UG mit Warenlift, Lift und Treppe direkt erschlossen werden können oder ob hier ein Vorraum oder eine klima- und sicherheitstechnische Schleuse sinnvoll wäre, müsste vertieft seitens des Museums geprüft werden. Die Anlieferung im Innenhof und die interne Verteilung in alle Funktionsbereiche sind im Wesentlichen gut organisiert. Für den Museumsbesucher bieten sich prinzipiell zwei Wegführungen an: Bottom-up oder Top-down. Je nach Ausstellung, Veranstaltung oder partieller Umbausituation kann der Weg vorgegeben oder abgekürzt werden. Die Austellungsmacher erhalten hier eine grosses Angebot von Möglichkeiten. Im ersten, zweiten und vierten Obergeschoss sind die klassischen Ausstellungsräume untergebracht. Im vierten Obergeschoss findet sich neu ein grossartiger Stadtbalkon, der dem Besucher einen bis anhin ungesehenen Blick über die Altstadt von St.Gallen verschafft. Dies bereichert den Ausstellungsbesuch und ist ein neuer touristischer Anziehungspunkt. Diese urbane Bereicherung ist gleichzeitig auch der Auftakt für den neuen grossen Saal im fünften Obergeschoss unter dem Dach. Dieser wird für Wechselausstellungen und kürzere Veranstaltungen vorgeschlagen, zum Beispiel für eine Modeschau oder einen «Marktplatz». Die von aussen betrachtet eher eigenwillige Formgestalt des implantierten und dennoch mit dem Dach verwobenen Volumen entwickelt sich innenräumlich zu einem attraktiven und gut proportionierten Grossraum. Hinsichtlich dem Ausrichten von Wechelausstellungen stehen ausschliesslich an den beiden Längsseiten vertikale Wandflächen zur Verfügung. Das Ausstellungsgut kann daher im offenen Raum oder mit zusätzlicher Ausstellungsarchitektur präsentiert oder abgehängt werden. Der Ausstellungsraum kann dosierbar mit Tageslicht oder Dunkelheit versorgt werden. Der Idee des grossen Raumes folgend sind die beiden Treppenhäuser peripher angeordnet, was dazu führt, dass das Haupttreppenhaus nicht bis ins 5. Obergeschoss geführt wird und stattessen der letzte Treppenlauf versetzt ist. Das Fluchttreppenhaus und der Lift führen ohne Schleuse oder Brandabschnitt direkt in den Ausstellungsraum, der neue Treppenlauf als Weiterführung des offenen Treppenhauses wird jedoch baulich abgetrennt. Dies erscheint betrieblich und sicherheitstechnisch inkohärent. Die vorgeschlagene Bauweise in Holz ermöglicht eine stützenfreie Konstruktion, bringt vertretbare zusätzliche Lasten und lässt eine eher kostengünstigere Prognose im Vergleich zu einer Massivbauweise erwarten. Insgesamt handelt es sich um einen vielschichtigen und auf allen Ebenen sehr sorgfältig durchgearbeiteten Beitrag, welcher mit charakterstarken Mitteln in die Bausubstanz eingreift und diese gut sichtbar ergänzt. Das Projekt liefert dank der expressiven Aussenwirkung mit dem spektakulären Saalaufbau, der Aussichtsterrasse und der doppelten Lifterschliessung über alle Etagen ein museologisch starkes Leistungsversprechen. Es bleibt ein Vorbehalt hinsichtlich der Bilder und Analogien, welche als Inspiration für diese Aufgabe herangezogen wurden. Positiv zu würdigen ist der Umgang mit dem bestehenden Gebäude. In einem grossen dialektischen Spagat – die Verfasser des Projektes «balance» sprechen von einem Schwebezustand - wird das Textilmuseum zum einen in seine ursprüngliche Form zurückgeführt. So wird beispielsweise das ursprüngliche sichtbare Mauerwerk der Fassade wieder freigelegt. Andererseits wird mit radikalem Gegenwartsbezug, jedoch auf der Basis historischer Referenzbilder, das Historische mit irritierend und faszinierend Neuem ergänzt. Trotz dieser Ambivalenz fügt sich das Resultat städtebaulich gut in den Kontext ein.