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Nichtoffener Wettbewerb | 03/2023

Arealentwicklung Werkhof Hochstrasse Schaffhausen (CH)

Franky

2. Rang

Preisgeld: 30.000 CHF

Julian Wäckerlin

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Tamino Kuny Architekt

Architektur, Stadtplanung / Städtebau

Violeta Burckhardt

Landschaftsarchitektur

studio erde_office for anthropocene landscapes

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Weitermachen mit Weiterbauen
Der Werkhof an der Hochstrasse ist eine Assemblage von Gebäuden, die immer wieder um- und weitergebaut wurden. Die unterschiedlichen Bauetappen machen den Charakter des Areals aus. An den Übergängen vom einen Gebäudeteil zum nächsten warten räumliche Überraschungen, die beim Weiterbauen entstanden sind. Hier setzt das Projekt ein und denkt aus dem Innern der vorgefundenen Strukturen heraus. Der städtebauliche Vorschlag widersteht der Versuchung, die ehemaligen Montagehallen freizulegen oder das eine Gebäude für wichtiger als das andere zu erklären, sondern erhält alle Gebäude. Die Montagehallen (Baujahre 1927-1949), das Werkgebäude (1948), das Bauernhaus (vor 1810), das Wohnhaus Hochstrasse 129 (1924) und das Eckhaus (1909) erzählen die Geschichte des Chrooneguets gemeinsam. Über dem durchlässigen Erdgeschoss werden die Gebäude weiterhin als Wohnungen genutzt oder zu Wohnräumen umgebaut. Die typologische Vielfalt wird weiter ausgebaut und lässt eine heterogene Bewohnerschaft erwarten.Um auf dem Areal die geforderte Anzahl Wohnungen zu erreichen, werden zwei effiziente Zusatzbauten vorgeschlagen: Je ein Laubenganghaus als Aufstockung über dem Teil der Montagehallen ohne Sheddach und als Neubau an der Hochstrasse. Durch das Besetzen dieser beiden Leerstellen bleiben die stadträumlichen Qualitäten des Werkhofs erhalten. Über das flache Garagengebäude fällt die Abendsonne auf den Werkhof, der durch den Zusatzbau zum Wohnhof gefasst wird. Von den Wohngebäuden Finsterwaldstrasse 88 und 90 aus bleibt ein weiter Blick ins Fulachtal bestehen, am zusätzlichen Volumen vorbei. An der Hochstrasse reihen sich die Gebäude im ortstypischen Rhythmus auf und setzen die Geschichte des Weiterbauens fort. Der Städtebau erfolgt ohne den Abbruch noch intakter oder reparaturfähiger Strukturen.

Ein grünes Herz
Das Projekt artikuliert den Freiraum als integralen Bestandteil des Werkhofs im Kontext des Stadt- und Landschaftsraumes von Schaffhausen, indem es dessen Rolle als Verbindungspunkt innerhalb der urbanen Struktur des Quartiers stärkt und gut gestaltete öffentliche, halböffentliche und private Räume für seine (menschlichen und nichtmenschlichen) Bewohnerinnen und die Nachbarinnen des Quartiers schafft. In der Berücksichtigung der geologischen, kulturellen und und industriellen Geschichte des Ortes, im Abwägen zwischen Bewahren und Weiterentwickeln, werden Freiräume entwickelt, die ein spielerisches, flexibles und respektvolles Raumverständnis und eine eine Koexistenz zwischen den diversen Akteuren ermöglichen.

Mobile Orangerie
Die vorherrschende Stellung der Halle innerhalb des Perimeters wird durch ihre Vision als zentrales Herzstück des Projekts unterstrichen. Die Halle wurde von ihrer ursprünglichen Decke befreit und ist nun vollständig verglast, so dass sich ihr Fuss zum Himmel hin öffnet, wie ein Fenster in eine mögliche alternative Zukunft. Diese ikonische Struktur, die erst durch die industrielle Revolution und die materiellen wirtschaftlichen Entwicklungen zur Zeit ihrer Errichtung möglich wurde, verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft, indem sie einen neuen Lebensraum bietet, in dem neue Formen der Gestaltung des öffentlichen Raums stattfinden können. Das neue Mikroklima, das sich aus der Maximierung des Lichts und des Treibhauseffekts ergibt, schafft die perfekten Bedingungen für die Entstehung einer neuen Ökologie. Wie ein grosser Pavillon verbindet die Halle, schützt aber auch und bietet einen offenen/geschlossenen komfortablen grünen Raum, der das ganze Jahr über genutzt und genossen werden kann. Als Neuinterpretation einer Orangerie, einer historischen Gebäudetypologie aus der Gartenkultur des 17. bis 19. Jahrhundert, soll das Exotische wieder im Wohnkontext erlebt werden können. Wärmeliebende Pflanzen, sowohl Nutz- als auch Zierpflanzen, meist aus fremden Kontexten, treten hier in einen Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie versteht sich durch die mobilen Pflanzgefäße als wandernde Orangerie,welche sich je nach den klimatischen Bedingungen und den Bedürfnissen ihrer Nutzer frei zwischen innen und aussen bewegen kann. Dadurch werden die Pflanzen zu aktiven Akteuren bei der kontinuierlichen Umwandlung der Freiräume auf dem gesamten Gelände. Ein intelligentes Wassersystem durchzieht die Halle: von der Glasdecke aufgefangenes Regenwasser wird über eine skulpturale Säule aus Tuffstein aufgefangen und in die große Wasser-Intarsie geleitet, ein tiefer gelegtes Wasserbecken, welches die Halle mit dem öffentlichen Café, sowohl optisch, als auch atmosphärisch, über Trittsteine verbindet. Beide Objekte bilden aquatische Habitate aus und entwickeln sich über die Zeit durch ihre Patina und mikroklimatische Wirkung zu besonderen Anziehungspunkten für die vielfältigen Akteuren des Quartiers.


Werk-Hof
Der neue Werkhof wird als Schwelle zwischen der zentralen Halle und den flankierenden Neubauten entwickelt und fungiert dabei als informeller Treff- und Aktivitätspunkt für die Bewohner und Nachbarn. Mobile Bestuhlung und Bepflanzungen verwandeln den Hof in eine adaptive Raumfigur. Dafür wird die Bestands-Asphaltdecke entfernt und recycelt und ein wassergebundener Belag eingebaut, welcher den Boden wortwörtlich wieder atmen lässt. Durch eine leichte Neigung zur Platz-Mitte wird das anfallende Regenwasser gesammelt und lokal versickert. Grosse Findlinge verwandeln diesen Wasserspiegel in eine Art geologische Spielskulptur für alle Generationen.


Garten-Platz
Südlich des Werkhofes wird aus dem prägenden Robinien-Baumbestand mit punktueller Neupflanzung aus Gledtischen heraus der neue Eingang zum Werkhof im Übergang zur Hochstr. entwickelt. Der Garten-Platz wird als abgesetzte Insel aus Schotter und rahmendender, transparenter Vegetation entwickelt. Er verbindet durch die sanften Puffer der Pflanzflächen die verschiedenen Eingänge des Geländes, bietet jedoch auch Schutz vor dem Lärm der Straße. In der Mitte des Platzes laden feste, aber auch mobile Sitzelemente und ein Trinkbrunnen die Nutzer der Stadt und die Bewohner des neuen Geländes ein, sich in diesem neu geschaffenen ruhigen Raum in einem wachsenden Stadtgebiet zu treffen und sich zu erholen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebauliche Idee
Das Projekt basiert auf einer sorgfältigen Wahrnehmung und Wertschätzung des Vorhandenen, materiell, räumlich und in der Einbettung im Quartier. Kombiniert mit den Prämissen heutiger Kriterien einer gesamtheitlich geforderten Nachhaltigkeit werden sämtliche bestehenden Strukturen erhalten, zum Teil umgedeutet und mit für zukunftsfähig gehaltenen neuen Gebäuden ergänzt. In der Konsequenz dieser Herangehensweise wird der ruhende Verkehr nicht im Untergrund verortet, sondern dezentral auf dem Grundstück angeordnet. Die bestehende Shed-/Werkhalle wird zur Mitte des Areals und beheimatet kollektive Nutzungen wie Café, Gemeinschaftsraum und eine vielleicht zu grosse Fläche für eine Orangerie mit exotischen Pflanzen. Die übrigen Bauten werden zu Wohnzwecken ertüchtigt – recht einfach im Fall der beiden Wohnhäuser – oder umgenutzt, im Fall des Werkhofs, oder fast vollends neu eingebaut im alten «Bauernhaus». Der Bestand wird um zwei fast identische Gebäude ergänzt, im Süden gut platziert, indem der gemeinsam genutzte Werkhof schön gefasst wird, im Norden als Aufstockung eines Teils der Halle und platzbildend nach Norden.

Freiraumgestaltung
Im Projekt finden sich mosaikartige Freiräume, welche durch eine dezente Umgestaltung bestehender Strukturen entstanden sind. Im Kontrast zu den zurückhaltend gestalteten Freiräumen steht die neu entstandene Orangerie, die ein Herzstück des Projekts darstellt. Im neu geschaffenen, tropisch anmutenden Raum ziehen exotische Pflanzen ein, welche im Sommer auch in den Aussenraum geschoben werden können. Die Orangerie wird als Hommage an vergangene Jahrhunderte und gleichzeitig als Blick in die Zukunft verstanden. Durch das Glasdach entsteht ein Wintergarteneffekt. Der üppig begrünte Raum kann ganzjährig als Treffpunkt genutzt werden. Als Besonderheit wird in der Orangerie das Regenwasser genutzt, um über Tuffsteinsäulen ein zentrales, bepflanztes Wasserbecken zu füllen.

Die Freiräume gliedern sich in «Werk-Hof», «Garten-Platz», «GartenSaum» und «Werk-Hain» auf. Eine «Passage» verbindet die Bushaltestelle mit den neuen Gebäuden. Hier sind Spielnischen angedacht. Im «Werk-Hof» befindet sich ein wassergebundener Belag mit einer mittigen Versickerung. Die mit Findlingen und zeitweise stehendem Wasser gestaltete Anlage kann als Spielskulptur genutzt werden. Der «Garten-Platz» liegt, mittig angeordnet, an der Hochstrasse. Er wendet sich bewusst der Öffentlichkeit zu und bindet die Siedlung an das Quartier an. Die bestehenden Robinien werden mit Gleditschien ergänzt, ein Trinkbrunnen sowie Sitzgelegenheiten bieten Bewohnern und Quartieranwohnern einen Treffpunkt. Der Platz wird mit einem Schotterbelag ausgestattet. Der «Garten-Saum» umfasst Privat- und Gemeinschaftsgärten am südliche Siedlungsrand. Der «Werk-Hain» gliedert sich unter die bestehenden Bäume in Nordosten der Siedlung ein.

Die Umgebung wird durch die Verwendung und Integration von Bestehendem geprägt. Ein wichtiges Element des Projekts liegt in seiner mobilen Möblierung, die den Aussenraum in einen stetigen, auch spannenden Wandel versetzt. Mit dem «Werk-Hof» wird ein Raum geschaffen, der durch die Anbindung an das bestehende Werkgebäude und seinen, dem Hof zugewandten, Vorplätzen belebt wird.

Die Orangerie, mit der integrierten, kreativen Nutzung des Regenwassers, wirkt im Kontext zum Gesamtentwurf erfrischend und innovativ. Der Ansatz, ressourcenschonend und zurückhaltend Aussenräume zu gestalten, ist nachhaltig und interessant. Das Potenzial könnte mit mehr Grosszügigkeit in der Begrünung sowie einer differenzierteren Betrachtung der Aufenthaltsqualität noch besser ausgeschöpft werden. Es wirkt etwas, als ob die konsequente Umsetzung des nur zurückhaltenden Eingreifens einer atmosphärischen Gestaltung entgegensteht.

Das Projekt inspiriert in seiner Gesamtheit jedoch durch seine Innovation und eine zukunftsorientierte Denkweise.

Architektur, Nutzungen, Funktionalität
Dem Konzept entsprechend, ergeben sich unterschiedliche Wohnformen und Wohnungszuschnitte. Der umgebaute Werkhof wird mit direkt erschlossenen Townhäusern unterteilt, die wegen den hohen Geschossen eher ungünstig lange Treppen erhalten. Der hangseitige Teil des Hauses wird geschickt für Abstell- und Veloräume genutzt.

Im Erdgeschoss des Bauernhauses soll eine offene Werkstatt entstehen, die zusätzlich zum schon vorhandenen Überhang an öffentlich nutzbaren Räumen hinzukommen soll. Im Obergeschoss und Dach sind es drei Wohnungen, die recht aufwendig erschlossen sind und keine Behindertengängigkeit aufweisen. Der Aufwand für Erhalt und Umnutzung dieser wenig soliden Substanz erscheint in einem ungünstigen Verhältnis zum Ertrag, sowohl nutzungsmässig als auch als Bestandteil der neuen Anlage.

Mit dem Erhalt des nun als Café genutzten Raums bleibt das Areal in zwei Teile geteilt und das Potenzial der Busstation als Ziel und Ankunftsort wird unterbewertet und nicht genutzt.

An den bestehenden Wohnhäusern fallen ein paar merkwürdige Stellen auf, etwa die diagonal geteilten Toilettenräume im Gebäude Hochstrasse 129. Der Küchenanbau am Haus Hochstrasse 131 wird kontrovers diskutiert, einerseits erscheint er unter dem Titel des Weiterbauens als mögliche Qualität des Wohnens zu den Bäumen hin, andererseits ist das Haus mit seiner Einteilung voll funktionsfähig, so dass es wenig zwingende Gründe gibt, dieses zu erweitern.

Die beiden neuen Gebäude erscheinen leicht und abgehoben. Die Erschliessung erfolgt über eine räumlich und klimatisch sehr exponierte Kaskadentreppe auf Laubengänge, über die man die Wohnungen ohne Windfang (Auskühlung der Wohnung im Winter!) direkt in die Küchen betritt, mit jeweils einem bis zwei Individualzimmern am Laubengang. Diese Disposition als Grundtyp wird in der Alltagstauglichkeit kritisch gesehen.

Erschliessung
Die fussläufige Querung des Areals führt angenehm über den öffentlichen Werkplatz. Zum Bus geht es allerdings von dort aus nur über die Hochstrasse, das Areal ist in zwei Teile getrennt. Die oberirdischen Parkplätze werden angenehm dezentral erreicht, die Mehrheit an der Hochstrasse, ein Teil davon gedeckt unter dem Neubau. Ein zweiter Teil wird von der Finsterwaldstrasse kommend angefahren.

Wirtschaftlichkeit, Realisierbarkeit und Nachhaltigkeit
Durch das Halten von fast sämtlichen gebauten Strukturen wird dem Aspekt der Nachhaltigkeit grosse Beachtung geschenkt. Gleichzeitig führt dieser konsequente Erhalt zu aufwendigen Umbauten und teilweise ineffizienter Raumnutzung. Daraus resultiert auch eine rechnerische Übernutzung des Areals. Die Neubauten werden kompakt geplant, wobei die Nasszellen nicht immer gruppiert werden. Der Verzicht auf die Tiefgarage und deren Aushub spart enorm Graue Energie und vermeidet teure und bei Minderbedarf kaum nutzbare unterirdische Räume. Diese Möglichkeit sollte künftig immer wieder geprüft und gesetzlich möglich werden.

Umgang mit denkmalpflegerischen Vorgaben
Aus denkmalpflegerischer Sicht ist der Umgang mit den Bestandesbauten im Projekt Franky sehr zu begrüssen. Das Team versucht, den Bestand zu erhalten und möglichst viele Nutzungen in die bestehenden Räume und in die bereits bestehende Bausubstanz zu integrieren. Dieses Vorgehen ist sehr zu begrüssen, da dadurch auch die Chance entsteht, die Geschichte eines Ortes erlebbar zu machen und gesamtheitlich zu erhalten und weiterzuschreiben. Dieses Vorgehen müsste aber als «organische» Entwicklung angestrebt werden. Das Entwickeln des ganzen Areals unter diesem Vorsatz führt sonst zu sehr vielen Anpassungen an die heutigen Normen und grundlegenden sehr tiefgreifenden Umbauten und Anpassungen im Bestand. Nicht verständlich ist der Umgang mit dem Haus Hochstrasse 131, das einen Anbau erhält, der sich aus dem Gedanken der logischen Weiternutzung des Bestands nicht ganz erklärt. Aus Sicht der Denkmalpflege handelt es sich insgesamt um einen innovativen Ansatz im Umgang mit historischer Substanz, der auch einen respektvollen Umgang mit dem Schutzobjekt zeigt.

Gesamtwürdigung
Das Projekt zeigt eine klare Haltung mit hohen Qualitäten. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit relevanten Themen der CO2- Minimierung, des Weiterverwendens von Bauten und die Suche nach Formen des Zusammenlebens wird geschätzt und ist in der gezeigten Konsequenz beachtlich und hat während der Jurierung viel zur Diskussion und zum Bewusstsein beigetragen. An einigen Stellen zeigen sich jedoch die Grenzen des konsequenten Erhalts, etwa am Bauernhaus: Wie lange könnte die Substanz, wenn auch ertüchtigt, noch überdauern, und was passiert dannzumal mit noch vollwertigen Baubereichen und deren Lebensdauer; was ist die effektive Qualität für die hohe Investition? Im Prinzip erscheint der eingeschlagene Weg, den Gebäuden ein zweites oder drittes Leben zu geben, weiterführend, die Bewertung sollte aber differenzierter erfolgen und kritische Betrachtungen aller Aspekte einbeziehen. Das heisst auch, sich von obsoleten Gebäuden zu verabschieden zugunsten des Weiterdenkens der nächsten Epoche des Areals, wenn weitere Entwicklungen, Verdichtungen oder neue Nutzungen anstehen. Und es wird heissen, beim Planen neuer Bauten bereits an deren zweites Leben zu denken, an Wiederverwendung und Umnutzung. Ob die hier gezeigten Neubauten diese Anforderungen erfüllen, ist nicht ganz sicher.