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kooperatives Werkstattverfahren | 05/2023

Temporäre Freiflächengestaltung Haus der Statistik / Haus des Reisens in Berlin

1. Rang / Ausgewähltes Präferenzkonzept

robin winogrond landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

studio erde_office for anthropocene landscapes

Landschaftsarchitektur

Violeta Burckhardt

Stadtplanung / Städtebau

BeL Sozietät für Architektur

Architektur

Erläuterungstext

STADT ALS BÜHNE
Der Entwurf stellt sowohl die innere als auch die äußere Welt des Hauses der Statistik und dem Haus des Reisens dar. Er wirkt als neuer identitätsstiftender Ort der Mitte mit einer absichtsvollen Leichtigkeit. Bei näherer Betrachtung entfalten sich bedeutende Schichten der reichhaltigen, spektakulären Geschichte des Ortes. Die gewählten Entwurfselemente sind gleichzeitig in der Lage, für die vielfältigen Akteure und Interessengruppen für ihre eigenen Zwecke angeeignet zu werden. Sie sind Projektionsflächen der Imaginationen, Wünsche und Bedürfnisse allerlei Nutzende. Ihre primären, lustvollen Eigenschaften bieten universelle Qualitäten an, die der Mensch anspricht und aktiviert: Sonne / Schatten, intim / großzügig, hart / weich, abstrakt / konkret, ernst / absurd, sinnlich / reflektieren oder ästhetisch / seltsam. Ihre genaue Ausformulierung wird, je nach Element, von diversen Akteur:innen entwickelt und produziert werden.´

FÜNF THESEN ZUR IDENTITÄT, RAUM UND OBJEKTE DER ENTFALTUNG:

#1 Ein Plädoyer für eine ortsspezifische Erzählung Der Ort besteht aus diversen sichtbaren und unsichtbaren Schichten der Geschichte. Sie prägen der Ort und schenken ihm seine Bedeutung, Dichte und Vielfalt. Das Projekt legt diese Spuren in Schichten frei und stellt sie zueinander in Beziehung. Sie sollen in der Zukunft erlebbar sein und bilden das Fundament, worauf sich der Ort der Zukunft aufbaut.

#2 Erlebbarkeit des Ortes als ein Haufen Schnittstellen Der Ort besitzt lange, breite, tiefe räumliche und zeitliche Beziehungen zum ihn umgebenden Raum. Von dem Bau des Königstor und der ersten St. Georgenkirche im 1780, über die Stadtmauer, Tramlinien, Karl-Marx-Allee bis heute, bildet der Ort eine Schnittstelle in der Stadtkarte Berlins. Der Reiz des Ortes als Vermittler, des Wandels, der Vielfalt, wie auch als Ort mit vielfältigen Dialogen im 360° Raum soll erlebbar sein.

#3 Objekte der Bedeutung, Diversität und Gemeinschaft Im Raum entsteht ein komplexes Gefüge aus Erzählsträngen; auf einem festen Hintergrund stehen partizipative Objekte, die Akteur:innen und Prozesse anregen. Bedeutungsträger sind 15 Entfaltungsobjekte, die sich als starke Charaktere zueinander stellen. Aus diesen Objekten sind sieben bereits am Ort präsent, fünf sind latent vorhanden und drei werden neu hinzugefügt. Sie sind mehrdeutig entworfen, um auf mehreren Ebenen wirksam zu sein, sie werden zum Teil kooperativ entworfen, gebaut und benutzt. Dies gilt auch für die Akteure, die biodivers sind, die Objekte dienen auch der Cohabitation. Der Städtebau der DDR und das Bildprogramm bleiben präsent und werden zu einer Ebene der Narration.

#4 Katalysator der Imagination: Ort und Objekte stiften Entfaltung und Handlung Der Raum und die Objekte dienen, in vielfältigen Wechselwirkungen, als Bühne oder Tribüne der sozialen Entfaltung. Sie sind Projektionsflächen, vielerlei interpretierbar und dienen, je nach Tag oder Anlass, unterschiedlichsten Zwecke. Die Offenheit des Raumes, Objekte, Boden und ihre räumliche Beziehung zueinander werden als Blick- und Spielraum gelesen. Die Fassaden der Hochbauten und Bilderfriese sind sprechender Hintergrund. Die unterschiedlichsten Akteur:innen sollen Teil des Raumes werden, in dem sie sowohl zuschauen, als auch agieren. Die Imagination ist niederschwellig, divers und individuell wie auch gemeinschaftlich - gleiches gilt für die Handlungen, zu denen der Ort und seine Objekte herausfordern.

#5 Alle Ressourcen vor Ort aktivieren Die temporäre Freiraumgestaltung arbeitet mit dem und denen, die da sind. Nicht nur die Zeit- und Bedeutungsebenen werden aus dem Ort heraus gelesen, sondern auch ganz handfest werden Akteur:innen, Materialien und Elemente vor Ort aktiviert. Die Veränderung auf verschiedenen Ebenen findet vor Ort von unterschiedlichen Akteur:innen statt. Die neuen Elemente und Materialien bestehen aus nachwachsenden oder wiederverwendbaren Ressourcen. Der Bau, Instandhaltung, Benutzung und Pflege werden von mannigfaltigen Akteur:innen geleistet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Leitidee „Stadt als Bühne“ überzeugt in ihrem sensiblen Umgang mit dem Ort in seinen vielfältigen Zeitschichten. Der Ort wird in seiner Raumchoreografie inszeniert und schafft dabei unterschiedliche Atmosphären und Aufenthaltsqualitäten und -möglichkeiten. Die 15 identifizierten Katalysator-Elemente werden mit den Entwurfsthesen und den vier Teil-Raumeinheiten schlüssig zu einem tragfähigen Konzept verbunden. Angesichts des additiv-zufälligen Charakters wird jedoch noch eine übergreifende Gestaltungsidee vermisst.

Forum der Zeit
Der Georgenhain und das Spielobjekt (LKW) stellen einen Bezug zur Geschichte her. Die Ausprägung des Hains kann in seiner Funktionalität noch nicht überzeugen und konterkariert zum Teil die vorhandenen Wegverbindungen. Als schattiger Aufenthaltsraum macht er für diesen Ort neue Angebote. Das Überspringen des Georgenhains auf die Verkehrsinsel wirft in der Gestaltungssprache und Umsetzbarkeit Fragen auf. Insbesondere die Pflanzungen bedürfen in der vorgeschlagenen Form ein gut organisiertes Pflege- und Bewässerungsmanagement. Der Bezug zur Georgenkirche ist interessant, die Übersetzung der Grundrissfigur wirkt dagegen zu fragmentarisch und sollte in seiner Funktionalität nochmals hinterfragt werden.

Stadt.Bühne
Die farbliche Inszenierung der historischen Lichtmasten setzt einen positiven Akzent im Stadtraum. Die „Gemeinschaftkuppel“ setzt einen Akzent an der richtigen Stelle. Zweifel bestehen jedoch hinsichtlich der Vereinbarkeit der vorgeschlagenen intensiven Nutzung mit dem Rasen sowie bezüglich der den Zielen des Denkmalschutzes widersprechenden Höhe von 1,70 m. Die multifunktionale Nutzung des Über.Unterführung-Pavillons als Energielieferant und Wasserspeicher (insb. in Zusammenhang mit der Rasenfläche) wird als innovative Idee gewürdigt. Kritisch angemerkt wird allerdings, dass der Standort des Pavillons nicht mit der bestehenden Unterführung übereinstimmt.


Grünes Wohnzimmer
Die Baumfelder des Kollektiv-Hains im grünen Wohnzimmer gliedern die bestehende Achse. Die Art der Baumwahl scheint dem temporären Charakter angemessen. Der Oase-Imbiss bleibt als Treffpunkt bestehen.

Otto Braun Bande Die Otto Braun Bande überzeugen mit den in Streifen angeordneten Vitrinen als Schaufenster der Pioniere und Künstler:innen und können flexibel auf die Bedarfe und auf die Öffnung des Bauzauns reagieren. Die Potentiale der Entsiegelung werden hier genutzt.

Das Betreiber:innenkonzept scheint im Kern schlüssig und verspricht die nötige Unterstützung und Flexibilität in der weiteren Entwicklung. Positiv wird hier die enge Verzahnung von Konzept und Prozess aufgenommen, worin die zahlreichen Akteure eingebunden sind. Der Rückbau und die Wiederverwendung werden als integraler Prozessbaustein (Rückbaufest) in das Gesamtkonzept von Anfang mitgedacht. Offene Fragen verbleiben dagegen bezüglich des Verhältnisses zwischen Trägerverein und Künstler:innen sowie bezüglich der Kuration. Auch die Frage, woher im Umsetzungsprozess die gestaltende Kraft kommt und wer die Weiterentwicklung organisiert und finanziert, bleibt unbeantwortet. Hinsichtlich der Rolle der Beteiligten und der Finanzierung besteht somit weiterer Klärungsbedarf.

Die Arbeit überzeugt insgesamt in ihrer Experimentierfreudigkeit an den einzelnen Orten. Sie schafft Raum der Aneignung und Neuinterpretation mit einer eigenen temporalen Ästhetik. Das Wechselspiel zwischen sensiblem Umgang mit der Geschichte und neuen, experimentellen Objekten schafft einen vielseitig nutzbaren und einzigartigen Begegnungsort.