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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2023

Städtebauliche Entwicklung in Jüchen Süd

1. Preis

Preisgeld: 52.000 EUR

Octagon Architekturkollektiv

Stadtplanung / Städtebau

studio erde_office for anthropocene landscapes

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Neujüchen - Ein zirkuläres Zukunftsquartier als anthropozäne Folgelandschaft
Mit der Quartiersentwicklung Jüchen-Süd erfolgt die Neubesiedlung der Tagebaulandschaft Garzweiler. Damit endet die intensive Ausbeutung und Überformung durch Ressourcenabbau in der Region – ein neuer Abschnitt der anthropozänen Transformation steht an. Die Stadt Jüchen kann und sollte die territoriale Neuausrichtung als Chance und Herausforderung betrachten. Es sollte keine beliebige Siedlungserweiterung entstehen, sondern ein Quartier, das Verantwortung für die landschaftliche Ausbeutung der Vergangenheit übernimmt und daraus innovative Impulse schöpft und eine eigenständige neue Identität schöpft. Es kann ein Modellquartier entstehen das Antworten auf ein Miteinander von Mensch und Natur sucht, Synergien stiftet und dadurch beispielgebend für die Transformation von Tagebaulandschaften wird.
Fünf Thesen zu Territorium, Identität, Raum und zirkulärer Entfaltung:
#1 Forest first - territoriale Neuausrichtung durch Vegetationsstrukturen
Zonierung, Parzellierung, Erschließung, Gliederung durch Baumraster. Bäume und Vegetationsstrukturen schaffen die Grundstruktur und stecken Eigentumsverhältnisse und Zuständigkeitsbereiche ab. Durch Vegetation entsteht das Gerüst des Quartiers, Erschließung, Parzellierung, prägende öffentliche Räume. I Ein dynamischer Prozess wird dadurch ausgelöst, der den Boden stabilisiert und den Neubesiedlungsprozess durch Landschaft etappenweise ermöglicht.
#2 Forschende Reallabore - Start-Up Cluster als Inkubatoren
Über gezielte Ausschreibungen werden Unternehmen angesiedelt (Public-Private-Partnerships), die explizit an nachhaltigen Methoden im Bausektor, Energiegewinnung, Agrarwesen, Forstwirtschaft, Digitalisierung, Mobilität etc. forschen und arbeiten. Das neue Quartier wird so zu einem Reallabor und Testfeld. Die Unternehmen erforschen beispielsweise nachhaltige Dämmstoffe, Fabrikationsmethoden für Holzbau, Kreisläufe zur Energiegewinnung. Dadurch entstehen Arbeitsplätze und eine wirtschaftliche Perspektive für die Region, die eng mit der räumlichen Transformation und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen verknüpft ist.
#3 Homo digitalis, Cohabitation und neue Gemeinschaften – wie und wer lebt in Neu-Jüchen?
Vielfältige Typologien und eine starke Verzahnung zu produktiven Landschaftsräumen erzeugen ein Angebot und Miteinander unterschiedlichster Lebensentwürfe, Tagesabläufe und Verhaltensweisen. Der Wandel von Bedürfnissen, Lebensumständen und gesellschaftliche Transformation werden dadurch explizit gefördert. Dadurch werden individuelle Bedürfnisse gestärkt, soziale Vielfalt gefördert und Gemeinschaft gestiftet.
#4 Radikal zirkulär - lokale Wertschöpfung als Quartiersidentität
Im Quartier wird eine landschaftliche und bauliche Vielfalt vorgeschlagen, die vielfältige lokale Produktionen und Kreisläufe erzeugt. Eine leistungsfähige Infrastruktur in Form eines Loops bildet die Grundlage für die Zirkularität. Möglichst viele Nutzungen und Produkte des täglichen Bedarfs sollen im Quartier hergestellt, verbraucht und getauscht werden. Es entsteht eine starke Verbindung zwischen täglichen Bedürfnissen, Ressourcenverbrauch und Lebensumfeld. Energiegewinnung und Speicherung, Lebensmittelanbau, Tierhaltung, Kompostierung, Materialgewinnung und Verarbeitung, Regenwassermanagement etc. werden in einen zirkulären Zusammenhang gesetzt und generieren starke Atmosphären und identifikative Räume.
5# Porös, offen, dynamisch – ein Grid für zukunftsgewandte und flexible Strukturen
Ein territoriales und flexibles Grundraster, Typenbauweise, offene Siedlungstrukturen ermöglichen Veränderung, Wandel und das Erweitern und Andocken von Bebauungs-und Freiraumstrukturen. Veränderung, Wachstum und Schrumpfung sowie sich wandelnde Bedürfnisse sind grundlegende Eigenschaften von Quartieren.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Grundtenor der gestellten Wettbewerbsaufgabe ist in hervorragender Art und Weise durch den Verfasser über eine konzeptionelle Herangehensweise umgesetzt worden. Dies gelingt durch einen konsequenten und in sich logisch orientierten prozessualen Ansatz. Die präzise beschriebenen Entwicklungshorizonte in zeitlicher Dimension und inhaltlich sachbezogenen Themenschwerpunkten lassen ein glaubwürdiges Gesamtbild entstehen, das Innovationskraft, Qualitäten in funktionaler, ökologischer und sozialer Ausgewogenheit nachhaltig darstellen. Diese Herangehensweise lässt städtebauliche Aussagen in Teilen – richtigerweise – als skizzenhafte Chiffren im Plangebietsraum zurück.

Der gliedernde Sukzessionswald (Waldpark) in Nord–Süd Richtung, die fünf daran orientierten Quartiere mit gut verteilten Nutzungsanordnungen, das Hineinziehen des Agroforstes im Westen und die „produktiven Felder“ im Osten verbinden in selbstverständlicher Weise die Microstandorte (Quartiere) mit dem Makrostandort der wiedergewonnenen Landschaft. Das zugrundgelegte Erschließungskonzept, der sog. Innovationsboulevard, lässt eine abschnittsweise Realisierung und Entwicklung zu. Eine zusätzlich geplante Brücke nach Jüchen-Alt als Fußgängerquerung über die Autobahn ist richtig und sinnvoll platziert.

Insgesamt stellt die Arbeit einen mutigen Ansatz dar mit einer ausdrücklich hervorzuhebenden positiven Tonalität. Sie kann insgesamt eine zielorientierte und prägende Entscheidungshilfe auf Fragen des Städtebaus geben; durch ihre Robustheit, Ernsthaftigkeit und zugleich einem hohen Maß an Variabilität (zeitlich und inhaltlich) stellt diese Arbeit eine gute perspektivische Leitlinie für Jüchen–Süd dar.