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Offener Ideenwettbewerb (auch für Studenten) | 02/2015

AIV-Schinkel-Wettbewerb 2015 | Neuland Lichtenberg

Intervention - Objekt

Sonderpreis Architektur

Preisgeld: 2.500 EUR

Marc Timo Berg

Architektur

Yvonne Corinna Paul

Architektur

Erläuterungstext

HOW TO USE THIS PLACE / HOW TO USE THIS SPACE

Dieses Projekt versteht sich zwischen den Sparten „Objekt und Intervention“ und „Kunst“.
Verlassen, ungeliebt und nur als Transitraum genutzt, verfällt das Gebiet um das alte Kraftwerk Rummelsburg in einen immer tieferen Ohnmachtszustand. Abwesend und mit starren Blicken durchqueren die Passanten das Gebiet - schnell, rastlos und teilnahmslos. Um jene Isolation zu lösen, muss die Attraktivität einzelner und besonderer Orte hervorgehoben und den Passanten näher gebracht werden. Passive Passanten, sollen zu aktiven Nutzern werden.
Durch eine schrittweise und einfühlsame Vernetzung, die es ermöglicht bereits vorhandene Potentiale aufblühen zu lassen, sollen die beiden Quartiere an den Eingängen als Entwicklungshilfe dienen. Das Ensemble um das reaktivierte Flussbad im Norden und das kleinteilige Wohngebiet namens Prinzenviertel rahmen den Weg, der sich durch die Köpeniker Landstraße zieht. Alleine durch die infrastrukturelle Verknüpfung der beiden Quartiere soll das Gebiet dazwischen revitalisiert und mit Hilfe deren Potentiale gestärkt werden. Durch die Annäherung an die beiden Randbereiche kann der Weg Schritt für Schritt wiederbelebt werden. Die daraus resultierenden sozialen Angebote, fördern ebenfalls die soziale Aufwertung der Randquartiere. Dies hat einen weitreichenden Einfluss auf den gesamten Bezirk. Weg und Quartier treten in eine positive Symbiose. Im Vordergrund steht die Stärkung der sozialen Struktur und die Identifikation der Lichtenberger mit dem Ort, sowie die Zugänglichkeit der öffentlichen Freiflächen an der Spree und der Spree selbst. Die gewählten Programme für die Eingriffe sind vielseitig und umfangreich. Sie bieten vielen Bewohnern des Quartiers verschiedene Möglichkeiten, ohne dabei andere Anwohner auszuschließen. Es soll ein Ort geschaffen werden, der den existierenden Durchgangsverkehr zur Verlangsamung, zum Anhalten, Verweilen und Teilnehmen animiert. Der Transitraum soll thematisch, programmatisch, kontextuell und räumlich an die Quartiere angeschlossen werden und sie stärker miteinander verknüpfen. Mit minimal-intensiven Eingriffen in potentiellen Zwischenräumen des bereits gebauten Umfeldes soll das gesamte Transitareal als Ort erlebbar gemacht werden.

Anfang- und Endort
Die Schnittstelle zur Stadt bildet der Füßgänger- und Radfahrweg mit seinen Interaktionsräumen. Dieser Weg zieht sich, aus analytisch hervorgehenden Faktoren, vom Ensemble des Flussbades und der Hafenküche an den Industriebauten vorbei, durch das Gemeindezentrum, zur Wohnsiedlung. Die Öffnung des Innenhofes des Gemeinzentrums ermöglicht den Nutzern das Erleben der Spree.

Street Cafe
Mit nur wenigen baulichen Eingriffen ist es an diesem Ort möglich ihn durch den Aufbau eines Tresens und vielleicht einer Kaffeemaschine zu beleben. Einen regengeschützten Ort bietet die alte überdachte Durchfahrt, die durch diesen kleinen Eingriff einen neunen Nutzwert erhält und als Eingangssituation zu einer Gesamtveränderung beiträgt.

Street Cinema
Durch die Klinkerfassade des Kraftwerkes Klingenberg ist es kaum möglich einen Blick in das Innere zu bekommen. Diese kulissenartige Atmosphäre gibt dem Eingriff ihren Rahmen. An diesem Ort wird diese Kulisse zu einer weiteren Kulisse - zu einer Kinoleinwand.
Der Eingriff scheint den Bestand kaum zu berühren, dennoch verändert er den Ort. Er verleiht ihm wieder Leben und Kraft. Leben durch die Passanten, die anhalten und durch die Kinobesucher, die statt dem üblichen Ticket eine Sitzschale lösen, um sich eigenständig auf der Tribüne in selbst gewählten Abständen zu positionieren. Kraft bekommt der Ort durch die Projektion, die sich in Form eines Leuchtkegels über die vierspurige Straße zieht. Das Street Cinema ermöglicht dem Ort sich eine neue Identität zu schaffen, die sich durch die Öffnung und Integration der Lichtenberger auszeichnet.

Brückenschlag - Blick hinter die Kulissen
An einem Ort der sich wie ein Kulisse verhält, zieht einen die Versuchung, einen Blick dahinter zu werfen, magisch an. Der geplante Eingriff, ein Auf- und Durchbrechen der Kulisse, eröffnet die Möglichkeit die sonst sehr strenge Axialität zu verlassen und ermöglicht den Besuchern die Atmosphäre in verschiedenen Dimensionen zu erleben. Diese Stellen bieten den Nutzern die Möglichkeit durch die kulissenartige Atmosphäre durchzubrechen. Es soll ein Ort geschaffen werden, der den existierenden Durchgangsverkehr zur Verlangsamung, zum Anhalten, Verweilen und Teilnehmen animiert. An dieser Stelle wird die Spree erlebbar gemacht. Dieser Ort bietet viel Potential, denn er kann nicht nur eine Aussichtsplattform sein, sondern genauso Catwalk oder Theaterbühne.

Gemeindezentrum Rummelsburg
Im Zuge der Umgestaltung des Transitraumes zum Stadtraum soll das Gebiet um das alte Kraftwerk Rummelsburg als städtebauliches Gelenk und das Kraftwerk selber zu einem Gemeinschaftszentrum umgestaltet werden. Als neuer Mittelpunkt des Quartiers soll es die Kommunikationsstätte der Nachbarschaft, des Kiezes und des Bezirks darstellen, unabhängig von Familienstand, Herkunft oder Alter. Programmatisch bietet die Umnutzung viele neue Möglichkeiten. Neben dem kulturellen Angebot mit einer kleinen Galerie für Künstler aus der Nachbarschaft, einem Theater, das im Sommer über eine Freiluftbühne verfügt, existieren Möglichkeiten zu Weiterbildung in den Gebieten von Handwerk und sozialem Umgang, sowie sportlichen Betätigungen.
Das alte Kraftwerk Rummelsburg vereint wilhelminische Strukturen mit Bauhaus-Elementen. Es besticht durch seine kathedralenartige Industriearchitektur und einen morbiden Charme des Zerfalls. Heute steht das Gebäude, bis auf wenige Sonderveranstaltungen, leer. Als Folge dessen wird das Gebiet von den Bewohnern Lichtenbergs weder wahrgenommen, noch genutzt. Im Sinne einer quartiersübergreifenden Annäherung soll das alte Kraftwerk das Gemeindezentrum beherbergen und wird städtebaulich als umleitendes und vermittelndes Gelenk genutzt. Der neu gestaltete Fußgänger- und Radfahrerweg, welcher auf der Wegstrecke über verschiedene Interaktionspunkte verfügt, führt die Benutzer in den umstrukturierten Innenhof des Kraftwerks, der momentan nur eine partiell ungenutzte Brachfläche ist. Die Gestaltungsprinzipien des Innenhofes folgen wiederum den Gestaltungsprinzipien des Weges, um hier eine klare Einheit lesen zu können. Besonderen Charme hat der Innenhof durch seine Bestandsbebauung, die teilweise bereits abgetragen worden ist und nun auf neuem Wege wieder zu Leben erweckt wird. Ein Anschluss an die bereits bestehende und gerade am expandierende Reederei Riedel soll durch die bauliche Integration der neuen Anlegestelle sichergestellt werden. Eine weitere Entwicklung in Richtung des Funkhauses soll mit dieser Maßnahme ebenfalls vorbereitet werden, ist aber im ersten Planungsabschnitt nicht als ausformuliert vorgesehen. Diese Maßnahme wird nach Bedarf durchgeführt.
Neben einem neu entstehenden Gemeindezentrum mit einem hohen sozialen Wert, steigern der Innenhof / Park und der dazugehörige Fußgänger- und Radfahrerweg die Qualität der öffentlichen Räume im Quartier. Durch die Besetzung der Zwischenräume wird eine Brücke durch / über industriell genutzte Streckenabschnitte geschlagen.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass eine weitere großzügige Wohnbebauung im Bezirk Lichtenberg nicht von Nöten ist, da in den umliegenden Quartieren genug Wohnungsbau vorhanden ist, welcher zum Teil vertraglich entleert wird. Diese Maßnahme sollte allerdings als höchst kritisch angesehen werden und wird somit in der Planung rückgängig gemacht
Durch die Mischung der verschiedenen Angebote wird das Gebiet für jeden erlebbar. Der jetzigen vorherrschenden Monotonie wird entgegengewirkt und eine Heterogenität erzielt, die eine Variation an Möglichkeiten für einen quartiersbeeinflussenden Ort bietet, um die nötige Belebbarkeit und dadurch auch die Sicherheit zu gewähren.

Diese kulturellen, thematisch angliedernden Eingriffe schaffen Anreize zur weiteren Beplanung weiterer Brachen, sowie zur Umnutzung und Reaktivierung bestehender Bauten.

Es sind nicht nur die gestalterischen Elemente, die eine Stadt oder einen Stadtteil formen. Genauso wichtig für den Wiedererkennungswert eines Stadtteils ist die Komposition der einzelnen Gestaltungselemente. Dinge, die einem Passanten auffallen und ihn Orte wieder erkennen lässt sind Wege, Begrenzungen, Bereiche, Kreuzungen und Hochpunkte. Erkennt ein Passant all die Zeichen, ist er in der Lage sich zu orientieren, was wiederum das Gefühl von Sicherheit im Passanten weckt. Dabei ist es wichtig, dass bei den Eingriffen diese Elemente und ihre Bedeutung nicht zerstört werden, sondern auf sie hingewiesen und ihre Bedeutung verstärkt wird.
Wege zeichnen sich durch ihre gewohnheitsmäßige, gelegentliche oder mögliche Benutzung aus. Der Nutzer bewegt sich durch das Netz, dass sie bilden hindurch, im Gegensatz zu Begrenzungen, die linear zwischen Bereichen verlaufen. Diese zweidimensionalen Elemente mit individuellem Charakter dienen der Gliederung der Stadt. Kreuzungen zeichnen sich oft als Ziel und Ausgangspunkt von Wegen in der Stadt aus. Optische Bezugspunkte für die Orientierung bilden wiederum die Hochpunkte der Stadt. Sie sind von verschiedenen Standorten zu sehen und bieten den Passanten dadurch eine Sicherheit, indem sie wachend über die Stadt schauen. Da alle diese Elemente ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen, sind die essenziell für das funktionierende Bild einer Stadt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit zeichnet uns einen Weg auf, mit den "Eingängen" Rummelburger Bucht und Oberschöneweide. Dieser Weg ist im Wesentlichen die Köpenicker Chaussee und in Verlängerung die Rummelburger Landstraße, ein "Transitraum" durch einen "trostlosen Ohnmachtszustand". "Abwesend und mit starrem Blick durchqueren die Passanten das Gebiet - schnell, rastlos und teilnahmslos." Die Arbeit will diesen Transitverkehr mit gezielten Eingriffen (Interventionen) entschleunigen, Rastplätze, Aus- und Einblicke hinter Kulissen schaffen, bisher nicht öffentliche Freiflächen an der Spree und in der Spree erschließen, um so zum Verweilen, zum Teilnehmen zu animieren.

Mit "minimalem" Aufwand und einer Kaffeemaschine wird aus einer Durchfahrt ein Street-Cafe, mit einer Projektion auf die Klinkerfassade des Kraftwerk Klingenberg wird der Berufspendler aus seiner geregelten Verkehr "geworfen", vielleicht hält er an und löst sich statt eines Tickets eine bequeme Sitzschale für einen Abend auf der Tribüne. Der "Brückenschlag hinter die Kulissen" wird wohl zuerst nur von den wenigen Fußgängern und aufmerksamen Radfahrern entdeckt und entführt diese in die Spree, mit neuen Perspektiven, "arm aber se-xy" mit Spreehorizont Unterkante Oberlippe. Es werden noch weitere Eingriffe beschrieben, der Durchbruch in den Innenhof eines Gemeindezentrums, der Umbau des ehemaligen Kraftwerks zum Gelenkknoten und neuen Mittelpunkt des neuen Quartiers. Detailliert ausgearbeitet wird der „Brückenschlag - hinter die Kulissen“ im Rummelburger Stichkanal und die „Einhang-Tribüne“ zwischen zwei Treppentürmen am Heizkraftwerk Klingenberg.
"Der Eingriff scheint den Bestand kaum zu berühren, dennoch verändert er den Ort", so wird es im Erläuterungsbericht formuliert.

Man erkennt, dass aufmerksame Stadtwanderer sehr genau Situationen aufgenommen und gezielt Interventionen gesetzt haben, wie in der Aufgabenstellung intendiert und gefordert.

"How to use this place" - klar als Strasse, als Hauptschlagader, zur Erschließung, zur Anlieferung, mit dem PKW und den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Interventionen, die mit dem Bestand arbeiten, ihn so verändern, dass Passanten anhalten und diesen überhaupt zum ersten mal wahrnehmen, Qualitäten erkennen, vielleicht auf’s Rad umsteigen oder zu Fuß weitersuchen, können einen (lebendigen) Stadtraum (er)schaffen.

Anspruchsvolle preiswürdige Architektur schafft man nicht mit viel Baumasse, viel Beton, viel Konstruktion, vor allem nicht im globalen Kontext. Steigende Weltbevölkerung und steigende Anforderungen, steigern den Ressourceneinsatz. Konstruktiv können die Architekten und Ingenieure nur durch effektivere, sparsamere und nachhaltige Konstruktionen einen sinnvollen Beitrag leisten.

Ein bekannter Architekt har es schon einmal treffend formuliert: "less is more".