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Nichtoffener Wettbewerb | 03/2018

Revitalisierung Alte Spinnerei in Kulmbach

Anerkennung

Preisgeld: 7.500 EUR

Heide & von Beckerath

Architektur

Justine Miething

Landschafts- / Umweltplanung

Erläuterungstext

Die Kulmbacher Spinnerei ist eine Manifestation der Stadtgeschichte und ihrer Industriekultur. Das ehemalige Hauptgebäude war der Kern einer Entwicklung, durch die Kulmbach zum Zentrum der bayrischen Spinnereiindustrie avancierte. Die Ernennung der Spinnerei zum Denkmal und die geplante Transformation des ehemaligen Hauptgebäudes ist ein wichtiger Schritt zum Erhalt und zur Wertschätzung des kulturellen Erbes der Stadt und der Region und dessen nachhaltiger Weiterentwicklung. Die Transformation umfasst den Umbau der Gebäude zu Wohnen, Arbeiten und Repräsentation sowie die Anlage eines neuen Stadtplatzes, der den ehemaligen Industriestandort am Bahnhof in das Stadtzentrum integriert. Die Präsenz der Bauten im Stadtraum soll erhalten und durch wenige und präzise Eingriffe und weiter verstärkt werden. Neben der vorgesehenen Büro- und Verwaltungsnutzung ist das Wohnen von zentraler Bedeutung für die nachhaltige Aktivierung und Entwicklung des Ortes.

Die Transformation des Hauptgebäudes der ehemaligen Spinnerei steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Konzeption und Gestaltung eines neuen Stadtplatzes. Der Stadtplatz wird zum öffentlich zugänglichen und aktiven Ort zwischen Orten der Infrastruktur und der Mobilität, dem Bankgebäude und dem Einkaufszentrum sowie dem neuen Wohn- und Bürogebäude. Das Stadtzentrum wird über den Stadtplatz in Richtung Bahnhof erweitert und an diesen angeschlossen.

Die Stadtplatz hebt sich über einen einfachen, dunklen Bodenbelag im Stadtraum ab. Der Platz übernimmt das Raster der Spinnereigebäude als Pflanzraster, welches sich an mit unterschiedlichen Angeboten besetzten Stellen weiter verdichtet. Das durchgehende canopée verbindet den Raum und schafft weitläufige Perspektiven und Achsen. Der vorhandene Baumbestand wird teilweise in das Pflanzraster eingebunden. Dabei besteht das Grundgerüst aus immergrünen Bäumen wie Kiefer, Tanne und Steineiche. An den verdichteten Stellen fügen sich sommergrüne Bäume (Bergahorn, Feldahorn und Rotbuche) hinzu. Diese Mischung aus einheimischen Pflanzen sorgt durch eine starke, ganzjährige Präsenz der Vegetation für hohe Aufenthaltsqualitäten. Objekte zum Spielen und Verweilen, darunter ein Kinderspielplatz oder Tischtennisplatten, sind den Bewohnern und Benutzern der Spinnerei und der Stadt zugänglich und schaffen Orte der Begegnung. Dabei folgen die urbanen Möbel einer einfachen Formensprache, welche an die industrielle Vergangenheit des Ortes erinnert.

Die Architektur des Hauptgebäudes besticht durch die Verfeinerung des Industriebaus wie dem Stufengiebel zum Platz, den gedrehten Eckpfeilern und der Verjüngung der Stützen. Die beiden Gebäudeteile sind sich ähnlich, jedoch nicht vollkommen gleich. Im Grundriss verschränken sich die Volumen und sind durch den Treppenturm verbunden, der als eine Art Gelenk fungiert. Der Charakter des Bestehenden setzt sich im Neuen fort. Die Grundrisse der beiden Gebäude funktionieren ähnlich jedoch unabhängig von einander. Die Gebäudeteile sind durch das Erdgeschoss und das Dach mit einander verbunden.

Das Konzept sieht ein Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten vor. Das Wohnen bildet zwei Schichten aus, welche sich zum Hauptplatz und zum Zwischenraum des ehemaligen Spinnereikomplexes orientieren. Beide Nutzungen sind von außen ablesbar und beleben den Stadtplatz zu unterschiedlichen Zeiten. Die Räume für Verwaltung, Kontrollbehörde, Kompetenzzentrum, Softwareunternehmen Wohnen sind vertikal gestapelt und funktionieren autonom.

Die öffentlichen Funktionen befinden sich im Erdgeschoss und stehen im räumlichen Zusammenhang mit dem repräsentativen Empfangsbereich für die ansässigen Firmen und die Verwaltung. Durch die Hauptfassade mit einem neuem großzügigen Eingang führt das Foyer in ein Vestibül mit Ausstellungsfläche. Von hier können der Veranstaltungs- und Vorlesungssaal erschlossen werden. Die Säle sind durch ihre Lage in direkter Verbindung mit dem Außenraum auch extern zu vermietbar. Im Süden schließt eine Cafeteria für die Beschäftigten fließend an den öffentlichen Raum an. Über das offene Erdgeschoss sind beide Gebäudeteile miteinander verbunden. Über den Haupteingang im Osten und den südlichen Nebeneingang gelangt man zu den zwei kompakten vertikalen Kernen, die dem gesamten Gebäude dienen. Die Wohnungen werden linear erschlossen während die Flure der Büros entlang der innenliegenden Höfe zirkulieren. Die östlichen Wohnungen besitzen einen separaten Eingang neben dem Haupteingang. Die südlichen Wohnungen können zusätzlich über das bestehende Treppenhaus direkt vom Platz erschlossen werden, welches auf diese Weise in die Nutzung eingebunden wird.

Die Wohnungen folgen der Wiederbelebung ehemaliger Industriegebäude wie im New York der 1940er Jahre. Als Maisonetten bieten sie offene Wohnformen für unterschiedliche Ansprüche - zum Beispiel für Studierende, Wissenschaftler mit temporären Forschungsaufenthalten und Wohngemeinschaften. Analog zu den Büroeinheiten liegt eine raumhohe Schicht innenseitig vor der Fassade. Es werden zwei Wohntypen angeboten: Hinter der Hauptfassade zum Platz und mit Ausblick auf die Plassenburg befinden sich 41-59 qm große Studios mit einem offenen Grundriss einschließlich eines hohen Wohnraums mit Galerie. In Richtung des Zwischenraums des Spinnereikomplexes liegen die 112qm großen Wohngemeinschaften mit privaten Zimmern im Ober- und Untergeschoss und teilweise gemeinschaftlich genutzten Räumen. Die besondere Unterkunft für Stadtbesucher wird in Erinnerungen und Erzählungen Kulmbach in die Welt tragen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Neben einer gelungenen Disposition für das geforderte Raumprogramm besticht der Entwurf durch eine überzeugende Beschäftigung mit dem Thema Wohnen; hierfür werden relativ umfangreiche Flächen als äußere Schicht nach Osten und Süden angeboten. Die Wohnungstypen bieten interessante Raumwirkungen und Grundrissdispositionen. Gut ist auch die teilweise konsequente Wohnausrichtung nach Süden. Für problematisch wird allerdings der Umstand gesehen, dass fast die gesamte Ostfassade mit Wohnungen belegt wird, was ihrer Bedeutung als Stadtfassade zum Bahnhofsvorfeld und der überwiegenden Nutzung des Hauses als Behörden- und Dienstleistungszentrum nur bedingt gerecht wird.

Der durch die überkommene Fassade geprägte Charakter des Kopfbaus bleibt erhalten und ist bestimmend für die bestandsorientierte Anmutung des Entwurfs. Dieser besticht durch eine klare Ausrichtung der Nutzflächen auf Innenhöfe in ausreichender Größe. Gut bewertet wird die konsequente Nutzung des Erdgeschosses für Versammlungsräume und öffentliche Bereiche, die dem Foyer richtig zugeordnet werden. Die durchgängige Aufteilung der verschiedenen Nutzungsbereiche für die verschiedenen Einrichtungen auf jeweils zwei Ebenen bringt jedoch ggf. funktionale Nachteile mit sich. Die Anzahl der in der TG vorgehalten Stellplätze ist knapp bemessen, die Lage offener Stellplätze an der Heinrich-von-Stephan-Straße ist kritisch bezogen auf deren Bedeutung als Altstadttangente.

Insgesamt zeichnet sich der Entwurf durch ein ausgewogenes Raumkonzept aus, das sich klar zu den Vorgaben des Bestandes bekennt. Gleichzeitig ist es gelungen, eine recht umfangreiche neue Gesamtnutzfläche mit interessanten Raumwirkungen zu generieren.

Sehr positiv wird die grüne Adressbildung durch dichte Baumpflanzungen mit einer hohen Artenvielfalt bewertet, in deren lichten Schatten vielfältige Nutzungsangebote für Spiel, Gastronomie und Aufenthalt eingestreut werden. Die Wahl der immergrünen Baumarten erscheint jedoch dem Standort nicht angemessen. Differenzierte Aussagen zu Materialität und Ausstattungselementen sowie Höhenangaben zur Außenanlagenplanung wären für eine bessere Nachvollziehbarkeit der Freiraumgestaltung wünschenswert gewesen.