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Offener Programmwettbewerb | 05/2018

Wiedererrichtung der Bauakademie Berlin als Nationale Bauakademie

Preisgruppe

Preisgeld: 54.000 EUR

merz merz

Architektur, Sachverständigenwesen, Szenographie

Erläuterungstext

NEUE BAUAKADEMIE: Das Alte im Neuen – das Neue im Alten

Ausgangspunkt des Programmvorschlags von merz merz für die NEUE BAUAKADEMIE ist der Aufbruch zu etwas Neuem. Mit der Bauakademie hat Schinkel vor 180 Jahren ein revolutionäres Zeichen gesetzt – nicht nur für das preußische Berlin, sondern auch für die Ausbildung der Architektenschaft. Ausgangspunkt des Programmvorschlags von mm+ ist auch die Geschichte des Orts mit seinen Zerstörungen, Überschreibungen und Rekonstruktionen. Zwischen dem Alten im Neuen und dem Neuen im Alten entsteht die Vision für das Programm der Bauakademie. Die Hülle der Bauakademie, das Gebäude, die „eigentliche“ Architektur steht am Schluss, nachdem Vision und Mission dieser neuen alten Institution deutlich sind.

Wie viel Schinkel ist mĂśglich?
Das Fundament jeder konzeptionellen und programmatischen Vision für die Bauakademie sind Werk und Ideale Karl Friedrich Schinkels. Seine Bauten und sein Denken zeichnet einen ganzheitlichen Ansatz aus, der die verschiedenen Interessen von Kunst, Staat, Stadt und Gesellschaft auszubalancieren versteht. Mit seinem innovativen Pragmatismus führt er ästhetische, politische und soziale Zielvorgaben zusammen. Viel Schinkel heißt also,
• die Grenzen des Möglichen auszureizen,
• die öffentliche Wahrnehmung herauszufordern,
• das Verständnis für Architektur in der Gesellschaft zu stärken,
• das Verständnis für gesellschaftliche Belange in der Architektenschaft zu stärken,
• die beste Umgebung für ArchitektInnen-Ausbildung zu schaffen (learning not education)
• viele Stimmen zuzulassen.
Viel Schinkel heißt, programmatische Veränderung und die Integration unterschiedlicher Interessen in die DNA der neuen Bauakademie aufzunehmen.

Elastische Struktur
Die größte Stärke der Architektur, ihre potentielle Dauer, ihre Zeichenhaftigkeit und Monumentalität ist auch ihre größte Herausforderung – ihre unbewegliches Fortbestehen, ihr festgefrorenes Gleichbleiben, ihre Lautstärke. Eine sich anpassende Architektur, die auf unterschiedliche Programme reagieren und gesellschaftliche Diskurse begleiten kann, eine Architektur, die ihre Nutzer dazu herausfordert, mit ihr umzugehen und über sie nachzudenken, die elastisch genug ist, neue Gedanken in sich aufzunehmen und alte zu erneuern, käme den Idealen der NEUEN BAUAKADEMIE nahe.

Die Parameter
Die NEUE BAUAKADEMIE muss eine stadträumliche Klarheit schaffen und die Besucherströme an diesem besonderen Ort Berlins lenken. Dementsprechend nutzt die NEUE BAUAKADEMIE den inhaltlichen Bezug zum Umfeld und stärkt die vorhandenen Blickachsen. Schinkels struktureller, innovativer Ansatz wird weitergeführt. Das ist die Grundlage, um Programmvielfalt zu fordern und zu fördern. Leitgebendes Parameter ist die „adaptable architecture": Arbeits- und Freizeitverhalten ändern sich. Dafür einen Rahmen zu schaffen ist Aufgabe der Architektur.

Die Schultern der Riesen
Schinkel plante die Bauakademie nicht so sehr im als am Geiste seiner Zeit. Seit Schinkel gab es immer wieder Bauwerke und architektonische Entwßrfe, die den Geist ihrer Zeit beeinflussten. So radikal innovativ wie Schinkels Bauakademie waren aber nur wenige. Die NEUE BAUAKADEMIE steht auch auf den Schultern und im Austausch mit anderen visionären Raumauffassungen der Architekturgeschichte in den letzten 200 Jahren.

Der Ort
Ohne die Geschichte des Orts zu respektieren, kann es keine neue Bauakademie geben. Eine Negierung der DDR-Baugeschichte an diesem Ort wäre Geschichtsklitterung. Der Abdruck des dort abgerissenen DDR-Außenministeriums und die Kubatur der Bauakademie verbinden zeitgemäße Funktion und Traditionsbewusstsein. Die NEUE BAUAKADEMIE setzt zwischen Schloss, Friedrichwerderscher Kirche, Staatsrat und Altem Museum einen neuen Maßstab im Umgang mit (Bau-)Geschichte. Leitgedanke ist dabei, dass der imaginäre Ort den Bau-Grund darstellt, nicht der reale.

Das Haus
Die Kubatur der alten Bauakademie ist der Geburtshelfer des Neuen. Alle nicht statisch notwendigen Elemente sind modular und dynamisch. Die programmatische Bespielung bestimmt das Gebäude, nicht das Gebäude – oder gar die Fassade – die Programme.

Das Raumprogramm
Feste, kleinteilige Raumprogramme sind zu vermeiden. Vielmehr müssen sich die Räume jederzeit dem Programm anpassen können. Wenn man gesellschaftliche und architektonische Prozesse mitgestalten möchte, muss man sich daran anpassende Strukturen schaffen. Das heißt: zuerst das Programm, dann der Raum. Die Architektur der NEUEN BAUAKADEMIE muss neue Diskurse und neue Formate herausfordern. Die Statik der Architektur muss mit der Dynamik des Lebens überwunden werden. Flächen in wachsenden Städten sind knapp. Gebauter Raum darf nicht leer stehen, sondern muss maximal effizient im Wechsel ausgelastet sein.

Die Organisation
• Akademie, Ereignis, Vernetzung sind die drei Programmbereiche der NEUEN BAUAKADEMIE.
• Dreierspitze als Intendanz für die drei Programmbereiche mit interdisziplinären international
vernetztem Team.
• Alle drei Programmbereiche entwickeln gemeinsam Projekte mit internationaler Strahlkraft.
• Besetzung und Kontrolle der Leitung durch einen Beirat.
• Integration von „top down“ und „bottom up“ Prozessen.
• Zielgruppen und Interessenvertreter zusammenbringen.
• Statt Lobbyismus oder Vereinsmeierei Partizipation und Party.

Das Programm
• Funktionelle Aufteilung in die drei Programmbereiche Akademie, Ereignisse und Vernetzung.
• Mit internationalen Kooperationen neue Formate erfinden.
• Die Welt in die NEUE BAUAKADEMIE holen und die Bauakademie in die Welt tragen.
• Bauherrn, Nutzer, Öffentlichkeit einbeziehen.
• Sinn für Architektur schärfen.
• Die Architektur als permanentes Festival.

Akademie
• Die Ausstellungen: Zusammen mit lokalen und internationalen Partnerinstitutionen (TU Berlin, SPK, HKW, CCA, etc.) entwickelt der Programmbereich „Akademie“ wechselnde einschlägige Ausstellungsformate.
• Der Inkubator: ein frisch gegründetes Architekturbüro darf einen Monat in der NEUEN
BAUAKADEMIE arbeiten, ihre EntwĂźrfe vorstellen und eigene Programme entwickeln.
• Die Zeitkapseln: ein großes Hochregallager (ggfs. auf der Innenseite der Fassade) dokumentiert in Warhol’schen Zeitkapseln Arbeitsprozesse der NEUEN BAUAKADEMIE (z.B. Skizzen Architect-in-Resident, Modelle aus Incubator, Entwürfe von ArchitektInnen der Co-Working-Spaces). DieZeitkapseln sind der Echolot der Bauakademie.
• Das Netzradio: Architektur auf’s Ohr – Podcasts mit architektonischen Themen für eine junge urbane Zielgruppe.
• Die Slum Factory: ein Drittel der Weltbevölkerung lebt 2015 in Slums. Die Slum Factory zeigt mit Forschungsgruppen, Studierendenprojekten und Ausstellungsformaten die Bedeutung von Slums für die soziale, ästhetische und kulturelle Gestaltung von Lebenswelten.
• Das Forum „Schutz und Schund“: schafft Verständnis für Anliegen und Sinn des
Denkmalschutzes. 2x jährlich Vorschläge fßr zu schßtzende Bauwerke aus der Bßrgerschaft, die von einem Expertengremium bewertet werden.
• Die Mediathek: ist die zentrale Anlaufstelle und der Treffpunkt für ForscherInnen, Studierende und Interessierte, um Fachbücher auszuleihen, mit Spezialsoftware zu arbeiten, usw.

Ereignisse
• Die Gastronomie: Die vier Säulen Bistro (tagsüber), Restaurant (mittags und abends), Bar (abends bis morgens), Brauerei (ab nachmittags) werden von alle drei Monate wechselnden Barriste, Chefs, Barkeeper und BrauerInnen (ggfs. unter architektonischem Patronat) bestimmt. Dazu Koch- und Braukurse für jedermann.
• Die Läden: Statt eines festen Ladens wechselnde Pop-Up-Stores. Design, Architekturbedarf, ein Klamotten-Schwarzmarkt für ArchitektInnen, Kooperationen mit Berliner Musiklabels etc. machen die NEUE BAUAKADEMIE zu einem saisonal wandelnden Anziehungspunkt.
• Die Festivals: Hohe Lufträume, Podien und Treppensituationen laden zu disziplinenübergreifenden Festivals (Film, Theater, Performance, Musik etc.) ein. Das neue Gebäude öffnet sich dem Grundgedanken der Architektur als „Mutter aller Künste“.

Vernetzung
• Die Nomaden: Die NEUE BAUAKADEMIE geht auf die Straßen der Welt. Sie nistet sich in andere Institutionen ein, baut Pavillons auf Brachflächen in anderen Städten, übernimmt Lehrveranstaltungen an anderen Unis.
• Die „Wild Card“: Herausragende KünstlerInnen und ArchitektInnen können jeweils für ein Jahr in der NEUEN BAUAKADEMIE arbeiten und eigene Projekte entwickeln.
• Die Konferenzen: Neben der jährlich stattfindenden Internationalen Architekturkonferenz (ähnlich der Architekturbiennale in Venedig) finden regelmäßig kleinere Spezialkonferenzen zu regionalen Themen statt. Die NEUE BAUAKADEMIE wird so zum Zentrum des Berliner Architekturdiskurses.
• Die institutionellen Kooperationen: Das DAI, Goethe Institut, AA und andere Institutionen sind wichtige Partner für die NEUE BAUAKADEMIE. Der Programmbereich „Vernetzung“ ist für die Verstetigung dieser Kooperationen zuständig und entwickelt gemeinsame Projekte.
• Die Preisverleihungen: Ein Preis für talentierte Nachwuchsarchitekten der UdK und TU wird jedes Jahr mit einer großen Party vergeben.
• Die Scholarships: dreimonatige Scholarships richten sich an Promovierende und Post-Docs, die Architekturforschung betreiben.
• Die Co-Working-Spaces: stehen allen offen, die ihr Tätigkeitsfeld in ihrer Bewerbung sinnvoll mit den Aktivitäten der NEUEN BAUAKADEMIE in Verbindung setzen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit folgt konsequent der Zielsetzung des Wettbewerbs, zunächst Programm, Nutzung und Betrieb in den Fokus zu nehmen, bevor die Umsetzung in die Baulich-architektonische Gestalt ansteht: „Die Hülle der Bauakademie, das Gebäude, die eigentliche Architektur steht am Schluss.“ Das diesbezügliche, dynamische‘ Angebot setzt auf drei Schwerpunkte – Akademie, Ereignisse, Vernetzung- mit vielfältigen Impulsen, die auf Schinkel Bezug nehmen und eine große Bandbreite abdecken. Sie sind z. T. allgemein, z. T. konkret und nicht in jeder Facette überzeugend. So z. B. der Inkubator; in dem das neu gegründete Architekturbüro einen Monat in der Bauakademie arbeitet und dann seine Entwürfe vorstellt.

Interessant ist der Ansatz der verschiedenen Ebenen – vom Lokalen zum Internationalen, der sich auch im Betriebskonzept findet. So gibt es den Vorschlag einer zeitlich befristeten Intendanz in Gestalt international und –disziplinär besetzten Teams sowie eines Beirats als Auswahlgremium.

Auch wenn die konkrete Entwurfsidee bewusst ausgeklammert ist, findet eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort und seiner Geschichte statt. Eine Zugangsrampe – z. B. – soll als „historischer Stempel“ den Fußabdruck des DDR-Außenministeriums nachzeichnen. Dieser Vorschlag wird kritisch gesehen, greift er doch allzu radikal in den Schinkelplatz ein. Erdgeschossige Öffentlichkeitsbezogene Nutzungsangebote und Öffnungen versprechen Belebung des Stadtraumes.

Auch wenn das Gebäude erst am Schluss stehen soll. Bleibt die Arbeit nicht die Antwort schuldig, dass sich die vorgeschlagene „elastische Struktur“ mit ihren modularen Elementen in den Kubus wird einfügen lassen und ihn auszunutzen weiß.

Insgesamt bietet das vorgestellte Konzept ein Fßllhorn an Ideen und Kreativität, das sich auch in der Darstellung inspirierend wiederfindet.