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Nichtoffener Wettbewerb | 11/2019

Rathauserweiterung der Hansestadt Osterburg

Außenperspektive

Außenperspektive

2. Preis

Chestnutt_Niess Architekten

Architektur

Erläuterungstext

Entwurfskonzept

Für die Erweiterung des historischen Rathauses in Osterburg besteht die Leitlinie unseres Entwurfs in der Anwendung der Typologie eines „Stadthauses“ wie zum Beispiel von Ludwig Hoffmann in Berlin bekannt. Hauptelement dieses Typus ist ein zentral gelegener Lichthof oder „Saal“, um den alle Bereiche der Verwaltung gruppiert sind. Dieser Typus vermittelt einerseits einen starken die Identität prägenden Raum als Zentrum für die Bürger und schafft zugleich kurze Wege aller Funktionsbereiche was die Kommunikation fördert. In diesem Fall verbindet der neue Hof in sinnvoller- und ästhetischer Weise die verschiedenen Bauepochen des gewachsenen Rathauses, von der Keimzelle bis in die Jetztzeit, und interpretiert diesen Ort als neues Zentrum.

Die neue Erweiterung fügt sich einerseits städtebaulich in den vorhandenen denkmalgeschützten Bereich des baulichen Ensembles behutsam ein, anderseits sucht der Entwurf als neue Bausubstanz auch einen spürbaren Dialog mit dem vergangenen Städtebau sowie mit der nicht mehr vorhandenen Bausubstanz am Großen Markt und in der Burgstraße.
So wird der Seitenflügel des Rathauses am Großen Markt nicht abgerissen, sondern erhalten, baulich angepasst und in Anlehnung an den Zustand um 1914 mit einem neuen baulichen Schenkel, interpretierend fortgeführt. Es geht hier nicht um eine Rekonstruktion eines früheren Gebäudes, sondern um eine historische Herkunft der städtebaulichen Fassung, Kontinuität und Präsenz zum Großen Markt.
Eine „interpretierende Haltung“ in der Schließung der Baulücke in der Burgstraße, die durch den Abriss der beiden Fachwerkhäusern 13 und 14 hinterlassen wurde, spiegelt ebenfalls unsere entwurfliche Leitlinie wieder. Hier standen bis vor kurzem zwei Fachwerkhäuser unterschiedlichen Alters, die mehr als anderthalb Jahrhunderte bis in die Jetztzeit das Stadt- und Straßenbild geprägt haben. Schließlich mussten die beiden Häuser wegen extrem maroder Bausubstanz abgerissen werden. Aus diesem Grund fassen wir unser Vorgehen als eine „kritische Rekonstruktion“ auf. Es entsteht ein neues Bauwerk, das sich als sichtbarer Teil der neuen Rathauserweiterung versteht und sich als solches architektonisch ausdrückt. Gleichzeitig erhält die neue Fassade einen plastischen Abdruck oder Relief der ehemaligen Straßenfassaden der beiden Fachwerkhäuser.
Die Architektur des erweiterten Rathauses schafft ein neues wahrnehmbares Ensemble bestehend aus Bauteilen unterschiedlicher Epochen, die sich architektonisch zusammenfügen. Eine Struktur dessen Ganzheit stärker ist als die einzelnen Teile, ohne jedoch die Qualität dieser im Einzelnen zu mindern.
Neben Wandhöhe, Materialität und Gliederung bildet ein wichtiges städtebauliches Element in der Ensemblebildung die Dachform, als Einheit bestehend aus Bestand und Erweiterung. Alle Bauteile, alt und neu, haben oder erhalten ein geneigtes Dach, das mit Dachziegeln bedeckt wird - ohne störende Dachflächenfenster oder Gauben. Die Dachflächen fließen ohne Brüche in einer gesamtheitlichen Dachlandschaft zusammen. Beim Seitenflügel des historischen Rathauses wird die Traufe und der First übernommen und in die neue Erweiterung fortgeführt. Sie bilden zusammen eine Einheit aus zwei Teilen.
Die Höhe der neuen Erweiterung in der Burgstraße vermittelt die vorhandenen Firsthöhen der Nachbarn. Die Traufe wird zwischen dem Rathaus und dem Nachbar in der Burgstraße 15 leicht angehoben. Der Abdruck der ehemaligen Fachwerkfassaden vermittelt die Wahrnehmung dieser Proportionen.
Während die Zufahrt zum Nachbarflurstück 335 am Großen Markt erhalten bleibt, wird der Lichthoftypus um einen vierten Riegel ergänzt, der den zentralen Saal vierseitig umschließt. Dadurch entsteht nach Norden hin ein begrünter Hof, der die Abstandsflächen erfüllt und die beiden benötigten Parkplätze aufnimmt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebau
Die Arbeit entwickelt als Leitidee auf der Grundlage der Typologie „Stadthaus“ ein zusammenhängendes gut strukturiertes Gebäude um den zentralen Innenhof. Dieser wird durch die Überdachung zu einem neu nutzbaren Raum für verschiedenste Formen der Kommunikation: Feste, Empfänge, Auszeichnungen usw. sind hier vorstellbar. Unter Einbeziehung aller Bauteile des historischen Rathauses gelingt es dem Entwurfsverfasser in maßstäblicher Ergänzung den Neubauteil entlang der historischen Straßenfluchten zu platzieren. An den zweigeschossigen Altbau schließt ein dreigeschossiger Neubau an, der sich jedoch in seiner räumlichen Erscheinung und Dachausformung wohltuend in den historischen Kontext einfügt. In der Konsequenz ergibt sich daraus ein funktional klar ablesbarer Baukörper.

Organisation und Erschließung
Der Haupteingang erfolgt wie bisher vom Kleinen Markt und ist klar ablesbar. Durch die Aufglasung der Verbindung zum überdachten Innenhof wird eine gute Orientierung für Besucher und Mitarbeiter geschaffen. Die Barrierefreiheit ist über einen zweiten Eingang mit separatem Treppenhaus und Aufzug von der Ostseite gegeben. Innerhalb des Gebäudes sind die Erschließungsflure konsequent am Innenhof angelegt und geben dadurch leichte Orientierung durch vielseitige Sichtverbindungen. Zu prüfen wäre jedoch, ob die geplante Begrünung des hinteren Hofes realisierbar ist, wenn gleichzeitig hier 2 STPL untergebracht werden sollen. Zufahrtsbreite und Wendemöglichkeiten bedürfen einer Überarbeitung.

Funktionalität
Alle Ämter sind übersichtlich strukturiert und vollständig untergebracht. Sämtliche Nutzungen sind ausreichend belichtet, selbst die WC-Anlagen verfügen mehrheitlich über natürlich Belüftung. Die Anordnung der Flure um den zentralen Lichthof führt auch hier trotz des kompakten Baukörpers zu einer guten Ausleuchtung.

Konstruktion und Energie
Die Ausformung der Fassaden folgt in der Abwicklung einem klaren Prinzip ohne sich dabei vorhersehbar oder gar banal darzustellen. In einer durchgehend zeitgemäßen Formensprache gliedern sich die Bauteile spannungsvoll und geben einen wohlproportionierten Gesamteindruck. Der Rückgriff auf die Materialität des Bestandsbaukörpers als primäres Oberflächenmaterial Putz wird im Hinblick auf die Wertigkeit als wünschenswert begrüßt. Die gewollte „Suggestion“ der alten Fachwerkstruktur, die an der Fassade zur Burgstrasse wiederkehren soll, wird als spannende Idee betrachtet, die es jedoch gilt, qualitätvoll in die spätere Umsetzung zu führen. Die Notwendigkeit der angedeuteten Öffnungen im Drempelgeschoss der Burgstrasse erschließen sich nicht. Öffnungen in der Giebelwand der Durchfahrt gilt es bauordnungsrechtlich zu prüfen.
Die ruhigen geneigten Dachflächen fließen selbstverständlich zusammen und lassen den Baukörper als einheitliches Ganzes erscheinen. Die Verwendung von Biberschwanzziegeln fügt sich in die vorhandene Dachlandschaft der Stadt Osterburg ein.

Insgesamt stellt die Arbeit einen sehr guten Beitrag zu Lösung einer schwierigen Bauaufgabe dar und ihre Realisierung wäre eine Bereicherung für dieses sensible Grundstück.
Ansicht Burgstraße

Ansicht Burgstraße

Grundriss

Grundriss

Querschnitt

Querschnitt

Längsschnitt

Längsschnitt