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Mehrfachbeauftragung | 09/2009

Gutachterverfahren Saporisha-Platz

1. Rang

Förder Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

2674 km far from Saporoshje

Von der Alleen- zur Park-Stadt

Die städtebaulichen Strukturen Ludwig Freitags für den innerstädtischen Teilbereich um den Saporoshje-Platz weiter zu denken und zu entwickeln ist für die Entfaltung von Alt-Oberhausen von wesentlicher Bedeutung. Das Leitbild Ludwig Freitags einer Parkstadt mit einem spannungsreichen Verbund von Parks und Grünzügen war Motivation und Grundgedanke aller konzeptionellen und planerischen Überlegungen.
Dies war im Besonderen das Bestreben, die Stadt durch Grünzüge zu strukturieren und damit der Stadt zur Genese zu verhelfen. Die Stadt sollte atmen können, durch Verbindung von Gebautem und Gewachsenem, durch neue Parkideen und intensive Baumpflanzungen, durch Anlage von Sport- und Freizeitstätten. Ein Konzept dem (Alt-)Oberhausen bis heute eine aufgelockerte, überraschend grüne Innenstadt verdankt. Ludwig Freitag entwickelte in den 20er Jahren das Konzept weiter, indem er die Stadt als Ganzes zum Park machen wollte. Freitag fügt dabei Park und Gebäude zu einer Einheit zusammen.
Die Quintessenz, das lineare Verbinden und Vernetzen solitärer Bauten (u.a. des Backsteinexpressionismus) wird zum Grundmuster - auch unseres - Entwurfansatzes.

Städtebauliche Struktur und Leitmotive zur Vernetzung

Die dichte und faszinierende Backstein-Architektur (Rathaus, Ruhrwachthaus; heute Bert-Brecht-Haus, Reichsbank (1923), das Polizeipräsidium (1924/26), das Arbeitsamt (1929/30)) des frühen 20. Jahrhunderts bildet mit ihrer Metaphorik viele facettenartige „Trittsteine“ im Durchwandern der Stadtlandschaft. Die stadträumliche Sequenz der Innenstadt mit Saporoshje-Platz – Friedensplatz usw. soll in einem Wegführungskonzept wieder an Bedeutung gewinnen. Im Sinne einer vitalen und belebten Innenstadt spielt daher Platzfolge, die Raumsequenz mit einer differenzierten Materialisierung der Stadträume eine immense Rolle.
Städtebauliches Massenkonzept – Dualität der Türme
In diagonalem Bezug entwickeln zwei Gebäude an den Köpfen des Platzes einen städtebaulichen Rahmen. Ein neues Gebäude als Südende des Platzes fungiert als räumlicher Abschluss und ist zugleich Bindeglied einer Wegeverbindung zum Bahnhof (Siehe Luftbildperspekive). Die beiden Baumassenakzente des Areals treten somit in einen spannungsreichen Dialog miteinander, wobei ein skulpturales Moment des Neubaus auch einen Bezug zur expressiven Architektursprache des Bert-Brechthaus aufnehmen kann.

Freiräume

Die Freiraumplanung greift die historische Platzkomposition behutsam auf und interpretiert sie selbstbewußt neu. So werden die verbleibenden Platanen zu einem Patzboulevard und bilden eine herausragende Fassung und Kulisse für den neuen Quartiersplatz mit Kunstmeile. Die Allee als gestalterisches Leitmotiv der Parkstadt zum flanieren, verweilen und spielen wieder neu zu entdecken ist hier die zentrale Entwurfsidee. In Anlehnung an das historische Rondell ensteht eine kreisrund erhabene Bühne, die gleichermaßen Auftakt der Platzfläche und erweiterter Außenraum des Bert-Brecht Hauses ist.
Mit seiner einheitlich gebänderten Belagsstruktur umfließt der Platz das Bert Brecht Haus und dehnt seine Platzkanten bis an die vorhandenen Gebäudefassaden aus. Er bildet damit einen ruhigen, großzügigen Rahmen für das langgestreckte Platanendach. Der Platzbelag orientiert sich mit seiner Bänderung aus veredelten Betonsteinpflasterplatten an der langgetreckten Platzstruktur und nimmt vielfältige Funktionen auf:

- Im Süden ist Raum für die Bühne die leicht erhaben und zum Bert-Brecht-Haus geneigt über dem Platz schwebt. Diese im Durchmesser 14 m große Fläche dient der Kommunikation. Sitzen auf der Kante, Liegen auf der schrägen hinterleuchteten Ebene, Aufführungen der Kulturinstitute oder auch einfach nur Spielen dominiert diesen neu geschaffenen Platz.
- Der neu platzierte Kiosk übernimmt die bisherigen Funktionen (Zeitschriften, Lotto, Rauchwaren) und erhält in der Analogie zur expressionistischen Architektur des Bert-Brecht-Hauses eine kubische Form mit gefalteter Aussenhaut. Die Öffnung seiner Verkaufsflächen erfolgt an dieser umsatzstarken Position über Glasfassaden zum Platz hin.
- Entlang der östlichen Gebäudefassaden bietet der Platz Freiraum für eine weitläufige Außengastronomie.
- Im Norden und Westen wird der Platz zur Verkehrsfläche mit Parkplätzen und Fahrspuren. Die Kennzeichnung der Verkehrsführung und Stellplätze erfolgt durch die Belagsbänderung.
- Das langgestreckte Platanendach der Platzmitte wird durch einen Belagsteppich aus wassergebundener Wegedecke nachgezeichnet. Vorhandene und neue Kunstobjekte finden hier ihren Platz. Schlanke, bis zu 6 m hohe, skulptural anmutende Spielstelen aus farbig beschichtetem Stahl laden zum klettern, schaukeln und rutschen ein. Die „Lange Bank“ mit ihrer monolithisch scharfkantigen Formgebung bietet Raum zum Sitzen, liegen und spielen. Die Großform der anthrazitfarbenen Betonelemente und der transparenten Sitzelemente bildet eine expressive Linienführung, die der Größe des Platzes entspricht. Sie wird aus zwei Grundelementen gebildet die durch unterschiedliche Anordnung und Verdrehung eine prägnante Gesamtform ergeben. Die Querbezüge werden unter dem Platanendach über die „Buchstabenmeander“ hergestellt. Diese begehbaren Plattenreliefs nehmen in ihrer Ausrichtung Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Platzes (Saporoshje; Ludwig Freitag, Grillo, Peter Behrens...) und können vom Besucher über im Boden eingelassene Druckwasserpumpen mit einem Wasserfilm benetzt werden. So wird der Quartiersplatz unter den Platanen zur Kunstmeile. Ein besonderes Raumerlebnis vermittelt das lineare Wegeband aus großformatigen Betonsteinplatten auf welchem man den Platz zwischen den Platanenstämmen von Nord nach Süd in seiner ganzen Länge durchschreiten kann. Am nördlichen Ende des Platanendaches entsteht umrahmt von einem Heckenband eine Parkierungsfläche aus Gussasphalt mit eingewalztem Natursteinsplitt der in seiner Farbe und Oberfläche der wassergebundenen Wegedecke der angrenzenden Platzmitte ähnelt.

Lichtwege und Lichtspuren

Tagsüber bildet die Platanenallee ein schatten spendendes Dach. In der Nacht ist die Platzachse durch einen Lichthimmel (auch unter Sicherheitsaspekten) akzentuiert. Eine besondere Akzentuierung der historischen Architekturkulisse gehört ebenso zur Lichtkonzeption wie eine funktionale Illumination der Parkierungsflächen. Das Lichtkonzept umfasst ebenso eine Leitfunktion hinsichtlich der städtebaulichen Vernetzung zum Hauptbahnhof.

Verkehrskonzept, Erschließung und ruhender Verkehr

Mit der verkehrlichen Entlastung der Paul-Reusch-Straße wird ein wesentlicher Baustein zur Aufwertung des Saporoshje-Platzes und seines Umfeldes geschaffen. Die einheitliche Belagsstruktur unterstützt das Anliegen das Areal von Durchfahrtsverkehr freizuhalten und lediglich Raum für Anlieger und Parkplatzsuchende zu schaffen. Belagsbänderungen geben dabei die Verkehrsführung und Stellplatzmarkierung vor. So entsteht eine Mischverkehrsfläche, auf der Fußgänger und Radfahrer Vorrrang haben, ohne den Parkverkehr aus dem Quartier zu verdrängen. Zur Entlastung der Langemarckstraße ist es optional denkbar die Zufahrt in die Friedrich-Karl-Straße zu unterbinden damit Langemarckstraße und Paul-Reusch Str. nicht als Durchfahrt Richtung Hauptbahnhof genutzt werden können.
Durch die Neuordnung des Quartiers entfallen ca. 80 Stellplätze, davon im 1.BA 53 St. und im 2. BA 27 St. Demgegenüber steht die Neuanlage mit insgesamt 70 Stellplätzen, davon im 1. BA 43 St, im 2. BA 21 St. und im 3. BA 6 St. Damit kann die Stellplatztbilanz weitgegehend ausgeglichen werden. Drei Behindertenstellplätze werden an der Langemarckstraße vor dem Haupteingang des Bert-Brecht-Hauses ausgewiesen.
Fahrradstellplätze befinden sich in ausreichender Anzahl entlang des Platanendaches auf den ehemaligen Verkehrsflächen der Paul-Reusch-Straße und können bei Bedarf beliebig erweitert werden.

Phasierung
Die Umsetzung des vorliegenden Konzeptes ist in 3 in sich abgeschlossenen Realisierungsabschnitten angedacht. Im 1. BA werden die hausnahen Bereiche des Bert Brecht Hauses sowie der langgestreckte Platanenplatz mit seinen Aufenthalts- und Parkierungsflächen realisiert. Im 2. BA werden die den Platz umgebenden Verkehrs- und Parkierungsflächen erneuert. Der 3. BA umfaßt die Freiflächen der geplanten städtebaulichen Arrondierung des nördlichen Platzendes.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit nimmt die Parkstadt-Idee als lineares Thema auf und gestaltet sie konsequent weiter. Das Bert-Brecht-Haus wird als ein Teil der stadträumlichen Gesamtsituation aufgefasst und findet in einem neu platzierten Gebäude im Norden einen städtebaulichen Gegenpol.
In diesem Spannungsbogen wird der Platz als einheitlicher Raum zwischen den angrenzenden Fassaden entwickelt. Die Platanen werden freigestellt und durch eine äußerst zurückhaltende Freiraumgestaltung in ihrer Wirkung gewürdigt. Der Parkplatz wird als Teil des Gesamtraums interpretiert und gestalterisch eingebunden: Der vorgeschlagene Belag (Gussasphalt mit eingewalztem Natursteinsplitt) setzt die wassergebundene Fläche im zentralen Verweilbereich des Platzes fort. Eine Hecke begleitet den Platz entlang der Goebenstraße über seine gesamte Länge.
Insgesamt überzeugt die dargestellte Lösung durch ihre Klarheit und Transparenz. Sie wirkt wenig modisch und accessoirebehaftet. Der Platz wird auf seine wesentliche Elemente zurückgeführt: Angrenzende Fassaden und die Platanenreihen bestimmten die räumliche Qualität in äußerst angemessener Weise.
Positiv wird der behutsame Umgang mit dem vorhandenen Baumbestand beurteilt. Besonders die Erhaltung der Bäume an der Helmholtzstraße wirkt angemessen, da hiermit ein räumlicher Abschluss des Teilraums vor dem Bert-Brecht-Haus geschaffen werden kann. Die Südfassade wird freigestellt.
Die Jury begrüßt die Verlagerung des Kiosk auf den Platz. Der vorgeschlagene Standort ist stadträumlich gut gewählt und kann zu einer Bereicherung des Platzes beitragen. Kritisch wird der Vorschlag der Ausbaustufen beurteilt. Die Realisierung der nördlichen Paul-Reusch-Straße in einer zweiten Bauphase schwächt die Überzeugungskraft eines einheitlichen, großzügigen Stadtplatzes. Der anliegende Einzelhandel kann mit dieser zeitlichen Lösung erst verzögert an der Neugestaltung des Platzes teilhaben. Hier wäre ein zeitlich gebündelter Bauablauf wünschenswert.