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Nichtoffener Wettbewerb | 10/2012

Neugestaltung Ernst-Abbe-Platz

Anerkennung

Preisgeld: 8.200 EUR

capattistaubach urbane landschaften

Landschaftsarchitektur

ErlÀuterungstext

Prolog
“But, after all, the aim of art is to create space - space that is not compromised by decoration or illustration, space within which the subjects of painting can live.”
Frank Stella

Der Ernst-Abbe-Platz spielt eine besondere und vielschichtige Rolle innerhalb des StadtgefĂŒges von Jena. Das ihn umfassende, heterogene GebĂ€udeensemble des ehemaligen Carl-Zeiss-Hauptwerkes markiert als ‚Stadt neben der Stadt‘ den Beginn der stĂ€dtebaulichen Erweiterung des industriellen Zeitalters direkt westlich des Altstadtkerns aus dem Mittelalter. Der Platzraum fungiert als campusartiger Kommunikationsraum und stellt das rare Beispiel eines modernen, funktionierenden ‚Binnenplatzes‘ dar - mit geschlossenen Raumkanten und nur ĂŒber DurchgĂ€nge von den StraßenrĂ€umen erreichbar.
Auf der ideellen Ebene reprĂ€sentiert der Ernst-Abbe-Platz prĂ€gende Kapitel in der wechselhaften (Industrie-)Geschichte Jenas - er ist mit Kontroversen und Emotionen aufgeladen. Die Skulpturen Frank Stellas kommentieren die Vielschichtigkeit und Brisanz des Ortes und verweisen ĂŒber Vergangenes hinaus auf zufkĂŒnftige Potentiale. Die Neugestaltung des Platzes muss all diesen Belangen Rechnung tragen und dem Wunsch entsprechen, die AufenthaltsqualitĂ€t des Platzes zu erhöhen, ohne seine funktionale Durchgangs- und Verkehrsfunktion wesentlich zu beeintrĂ€chtigen.

Konzept
Der Kontrast zwischen den Raumcharakteren der Altstadt und der Stadterweiterung des industriellen Zeitalters soll kĂŒnftig durch eine moderne Gestaltung des Freiraums noch besser herausgestellt und erlebbar gemacht werden. Bisher stört trotz einer bereits angelegten rĂ€umlichen GroßzĂŒgigkeit eine Vielzahl von unterschiedlichen Materialien und unvorteilhaft gealterten Ausstattungselementen die Wahrnehmung des Platzes als visuell zusammenhĂ€ngenden, kulturellen Aufenthaltsort. Der Platz soll eine noch eigenstĂ€ndigere, individuelle Rolle als Kommunikationsraum und ‚Marktplatz des Wissens‘ im FreiraumgefĂŒge Jenas spielen.
Durch einfache gestalterische Maßnahmen soll der bisher in TeilflĂ€chen zerfallende Raum (Korridor mit Straßenbahn, Bereich an Mensa) zu einer Gesamtheit zusammengefasst werden. Dies wird vor allem durch die Belegung aller FlĂ€chen mit einem homogenen Bodenbelag aus Gussasphalt und ein ĂŒber die komplette PlatzflĂ€che gelegtes Raster aus bodenintegrierten Glaselementen erreicht. Das Raster als mathematische Struktur zur Beschreibung von Raum und Geometrie verweist auf den Wissenschafts- und Forschungsstandort. Der Platz soll nicht mehr als fragmentierter, lediglich den GebĂ€uden untergeordneter Raum wahrgenommen werden, sondern eine eingene visuelle und inhaltliche Kraft entfalten.
Mit einem neuen Dreiklang an Materialien manifestiert sich die vielschichtige IdentitĂ€t Jenas auf dem Ernst-Abbe-Platz: Asphalt als verkehrsgerechtes Material des Industriezeitalters wird an den Schwerpunkten des Platzes durch Muschelkalkstein aufgebrochen: die uralten geologischen Grundlagen der Region offenbaren sich selbst auf der vom Industriezeitalter geprĂ€gten PlatzflĂ€che. Glas als drittes charakteristisches Material verweist auf die geschichtliche Verbindung des Ortes mit der die Stadt prĂ€genden optischen Industrie. Die neuen Gestaltungselemente sollen nicht allein addiert und auf die FlĂ€che appliziert werden, sondern sich in Form einer integrativen Raumskulptur zu einer schlĂŒssigen urbanen Szenerie verbinden.
Diese raumgreifende Platzgestaltung respektiert die Kunstwerke Frank Stellas, indem sie einen zurĂŒckhaltenden, einheitlichen Hintergrund bildet. Auch die Standorte der Skulpturen sollen mit der neuen Platzgestaltung nicht verĂ€ndert werden. Die zusĂ€tzlich neu gepflanzten hochstĂ€mmigen BĂ€ume mildern die sommerliche Hitze und bereichern die AufenthaltsqualitĂ€t des Platzes. Sie bilden ein Baumdach â€šĂŒber dem Platz‘, liegen oberhalb des menschlichen Sehfelds und beeintrĂ€chitgen somit nicht die Wahrnehmung der Skulpturen. Mit landschaftsarchitektonischen Mitteln wird unterstĂŒtzt, was Frank Stella mit seinen Skulpturen bewirken wollte:

“Das im Grundriss nicht vorhandene Zentrum wird durch den kĂŒnstlerisch gesetzten Blickpunkt geschaffen. Diese Wirkung ist das Ergebnis einer kĂŒnstlerischen Setzung im wörtlichen Sinn: Unter BerĂŒcksichtigung der Dimensionen der Skulptur im VerhĂ€ltnis zum umgebenden Raum legte Stella den Ort fest, an dem Platz und Skulptur symbiotisch zusammenwirken und die Skulptur eine stĂ€dtebauliche Funktion erfĂŒllt. Der in seinen Begrenzungen inkonsistente Raum wird durch seine kĂŒnstlerische - das heißt ideelle und zugleich handfest greifbare - Mitte als in sich geschlossener Platz konstituiert.”
Franz Nagel

Platzbelag
Der Platz erhĂ€lt eine homogene, pflegeleichte OberflĂ€che aus Gussasphalt – einerseits hochwertig und edel wirkend, anderseits einen dezenten Hintergrund fĂŒr Nutzer und Objekte bildend. Ein Punktraster mit den Maßen 240cm x 240cm belegt den Platz mit einer teppichartigen Struktur und nimmt ein vorhandenes Gestaltungselement des Platzes in verĂ€nderter Form auf – ohne wieder ein Netz miteinander verbundener Linien zu schaffen. Die Rasterpunkte bestehen aus in den Asphalt eingelassenen Glaszylindern, die die PlatzflĂ€che durch Brechung des einfallenden Tageslichts mit einem Teppich aus schillernden und glitzernden Punkten beleben.
Nachts wird die Rolle der Sonne von einzelnen Mastleuchten ĂŒbernommen, deren nach verschiedenen Seiten ausgerichtete Strahler die Reflexionen in den Glaszylindern entfachen. UnterstĂŒtzt werden die optischen Streueffekte von energieeffizienten LEDs, die unter den Glaszylindern angebracht sind und die Mehrzahl der Rasterpunkte beleuchten. In spielerischer Weise soll die neue Platzgestaltung auf die Geschichte des Ortes aufmerksam machen, ohne belehrend zu wirken.

Platztopographie
Die AufenthaltsqualitĂ€t des Platzes wird durch weitere Maßnahmen verbessert, die die bisherigen standardisierten Sitzgelegenheiten und PflanzgefĂ€ĂŸe ersetzen und durch eine schlĂŒssige, homogene Gestaltung mit einer aufeinander abgestimmten MaterialitĂ€t ersetzen. An drei Stellen wird die PlatzflĂ€che um bis zu 95cm aufgewölbt, ohne die Verkehrsfunktionen zu beeintrĂ€chtigen. Der homogene Asphaltbelag unterstĂŒtzt die Ausformung einer sanft modellierten OberflĂ€che. Das strukturierte Gitter der Glasintarsien verformt sich in diesen Bereichen entsprechend und bildet die Modellierung auf der PlatzoberflĂ€che geometrisch ab.
Zum zentralen Bewegungsbereich des Platzes hin werden diese topographischen Aufwölbungen von drei langgestreckten winkelförmigen Sitzmauern aus Muschelkalkstein abgefangen, die zum Verweilen und Bespielen einladen. Der Muschelkalk ist in Form von Werksteinblöcken bearbeitet und transformiert ein typisches Naturelement aus der Umgebung Jenas auf die PlatzflĂ€che. Die natĂŒrliches VariabilitĂ€t und Farbigkeit des Kalksteinmaterials schafft einen belebenden Kontrast zum neutral grauen Asphalt. Mit dieser Gestaltung werden die Sitzelemente nicht als aufgesetzte Ausstattungselemente aufgefasst, sondern schĂ€len sich wie eine topographische Verwerfung aus der PlatzflĂ€che heraus. Es entsteht eine Raumskulptur, die Merkzeichen und nutzbares Element zugleich ist. Die urbanen Akteure sind sowohl die vorĂŒber eilenden Passanten als auch die relaxenden Stadtbewohner und Studierenden, die auf den Sitzmauern verweilen.

Platzvegetation
Die topographischen Aufwölbungen des Platzes erlauben mit ihren höheren Substratdicken die Pflanzung von drei lockeren Gruppen aus Robinien. Die Robinie symbolisiert als ‘frĂŒher Neophyt’ und Pioniergehölz die Industrialisierung nicht nur der Stadt, sondern auch der Natur durch den Menschen. Ihr flimmerndes BlĂ€tterdach spendet lichten Schatten und mildert sommerliche Extreme im Mikroklima des Platzes ab. Der spĂ€te Laubaustrieb der Robinien erlaubt es den Verweilenden, in einem kĂŒhlen FrĂŒhjahr noch die volle Sonne zu genießen. Es sollen aufgeastete und hochstĂ€mmige Exemplare der VarietĂ€t Robinia pseudoacacia ‘Semperflorens’ verwendet werden, die das Potential hat, das ganze Jahr ĂŒber zu blĂŒhen. Dabei wird mehrstĂ€mmigen und gekrĂŒmmten Exemplaren der Vorzug gegeben, um ein einprĂ€gendes und lebendiges Gesamtbild zu erhalten. Aufgrund der HochstĂ€mmigkeit der Robinien und ihrer Lage auf den Aufwölbungen des Platzes beeinflusst das ‘Stockwerk der Baumkronen’ die Komposition der Stella-Skulpturen nur wenig, das Sichtfeld der Nutzer wird kaum beeintrĂ€chtigt. Die drei bestehenden BĂ€ume entlang der Straßenbahntrasse werden erhalten und gegebenenfalls durch vitale Exemplare ersetzt.

Weitere Platzelemente
Das charakteristische Material Muschelkalk der Sitzmauern taucht als Bodenplatten in den EingĂ€ngen und DurchgĂ€ngen zum Platz wieder auf. Die Natursteinplatten markieren diese ‘transitorischen RĂ€ume’ als ÜbergĂ€nge zwischen Ă€ußerer, organischer Stadtlandschaft und dem speziellen, industriell geprĂ€gten ‘Innenraum’ des Ernst-Abbe-Platzes. Diese DurchgĂ€nge werden mit einer flĂ€chigen Beleuchtung mittels Lichtlinien versehen und inszenieren die Passagen als Transit- und Übergangstore bei Nacht.
Die geschwungenen HolzbĂ€nke entlang des MensagebĂ€udes werden erhalten, gegebenenfalls ergĂ€nzt und in die neue Platzgestaltung integriert. Wo es die Verkehrsfunktionen des Platzes erlauben, werden FahrradstellplĂ€tze in kompakten Formationen angeordnet, um dem hohen Stellplatzbedarf Rechnung zu tragen. Die vier BehindertenstellplĂ€tze werden im SĂŒden des Platzes angeordnet.
Der homogene und durchgehend barrierefrei angelegte Belag erlaubt eine flexible und mulitfunktionale Besetzung des Ernst-Abbe-Platzes fĂŒr Veranstaltungen und FestivitĂ€ten. Die Einzelhandels- und Gastronomieangebote sowie die Kinderbetreuung können sich bei Bedarf von den PlatzrĂ€ndern aus auf die PlatzflĂ€che ausbreiten. Die EntwĂ€sserung der PlatzflĂ€chen erfolgt in AblĂ€ufe, die einzelne Rasterpunkte besetzen.

Epilog
Die neue Gestaltung des Ernst-Abbe-Platzes soll zusammen mit den Skulpturen der ‚Hudson River Valley-Serie‘ in einer zurĂŒckhaltenden ‚Gesamtkomposition Platz‘ aufgehen, ganz im Sinne der Intention Stellas:
„Die Bildbegrenzung (Rahmen), BildflĂ€che (Leinwand) und Bildbinnenformen 
 ordnen sich nicht wechselseitig unter. Es lĂ€ĂŸt sich von einem Werk Stellas schwerlich sagen, dass etwa die Farbe der Form, die Form der Farbe, der Rahmen dem Format, das Format dem Rahmen diene. Kein Konstituens des Bildes lebt auf Kosten und zu Lasten der andern, weil das Werk nicht durch Malen, sondern durch Aufbauen entsteht
“ Franz-Joachim Verspohl

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Wettbewerbsbeitrag ist auf den Kontrast von Altstadt und industriellem Zeitalter angelegt. Das Konzept besteht aus drei wesentlichen EntwurfsansÀtzen:
1. Die neue, egalisierende PlatzoberflÀche aus Gussasphalt.
2. Die Aufwölbung der PlatzoberflĂ€che gegen Werksteinmauern (Muschelkalk) mit Pflanzsubstrat fĂŒr Baumgruppen.
3. Das Raster aus im Boden eingelassenen Glaszylindern.

Der neue Bodenbelag vereinheitlicht die durch Ein- und Anbauten verunklÀrte Platzsituation. Der Gussasphalt wird dabei konzeptionell aufgewölbt und durch das Raster aus Glaszylindern strukturiert. Das Raster ist dabei raffiniert auf die Wirkung von Reihen und Diagonalen ausgelegt.

Die PlatzzugĂ€nge werden durch große FlĂ€chen aus Kalksteinplatten markiert

Die sogenannten Bruchkanten aus Werkstein funktionieren als SitzbĂ€nke sowie als StĂŒtzwand fĂŒr die AnschĂŒttungen aus Erdreich fĂŒr die Baumgruppen aus hochstĂ€mmigen Robinien, die als Referenz an die „Pioniergehölze der Industrialisierung“ zum Einsatz kommen sollen. HauptsĂ€chlich sind die Bruchkanten als platzgliedernde und raumbildende Kulisse fĂŒr die Skulpturen von Frank Stella gedacht. Die teilweise jedoch die Wege verbauenden Sitzkanten beeindrucken somit durch ihre Mehrfachfunktion:
- Bewegung der Topografie,
- Abgrenzung der Baumgruppen sowie
- Kulisse fĂŒr die Kunst.

Das Raster der im Boden eingelassenen Glaszylinder reagiert auf die Sitzbankwinkel und ist auf die Wechselwirkung mit den Mastleuchten angelegt.

Die dunkle GussasphaltoberflĂ€che verspricht eine starke neue Basis fĂŒr die heterogene Bebauung des Ernst-Abbe-Platzes. Der Nachteil, die stĂ€rkere sommerliche ErwĂ€rmung im Vergleich zu helleren BodenbelĂ€gen, sollte durch die großkronigen Baumgruppen kompensiert werden können.

Die Taillierung des Platzes sollte in Bezug auf die Hauptwegeverbindungen ĂŒberprĂŒft werden. Dies gilt ebenso fĂŒr die Vielseitigkeit der Möglichkeiten zum Bespielen des Platzes.

Die unter anderem von Frank Stella hervorgehobene Arbeit 1008 verspricht eine wesentliche Qualifizierung des Ernst-Abbe-Platzes zum Campusplatz. Mit wenigen raumbildenden Entwurfselementen wird das Maximum an Wirkung erreicht.
Image Ernst-Abbe-Platz SĂŒd

Image Ernst-Abbe-Platz SĂŒd

Lageplan M 1:200

Lageplan M 1:200

Schnitt M 1:200

Schnitt M 1:200

Beleuchtungskonzept

Beleuchtungskonzept