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Einladungswettbewerb | 10/2013

Gestaltung des Innenraums der Kirche

ein 2. Preis / Zur Überarbeitung aufgefordert

Preisgeld: 9.000 EUR

Osterwold°Schmidt EXP!ANDER Architekten BDA PartGmbB

Architektur

Erläuterungstext

Obschon der Kirchenbrand als einschneidendes Ereignis - für die Gemeinde und Kenner der Kirchenburg Walldorf - und die gravierenden Beschädigungen substanzielle und idelle Verluste für den Ort bedeuten, liegt in der Entscheidung der äußerlichen Rekonstruktion auch eine unverhoffte Chance in der inneren Neuordnung in Fügung mit dem wertvollen Alten.
Noch bevor also die Materialisierung greifbar wurde, stand in diesem Entwurf die Frage der neuen räumlichen Ordnung und proportionalen Teilung im Vordergrund: die Suche nach der optimalen Anordnung für
> den Altar „trotz“ möglicher Bühnennutzung des Chorraumes
> den Taufstein abgeschirmt in der Kapelle (oder) aber für größere Gesellschaft
> die raumgreifende Orgel im Blickpunkt, akustisch guter Platzierung und uneingeschränkter Möblierungsmöglichkeit des Hauptschiffes.
Der Entwurf bestärkt das Gewicht der Längsachse von Chorraum über Kirchenschiff zur Turmkapelle durch die Anordnung von Altar, Taufstein und Orgel.
Die neue Orgel wird dabei so im hohen Spitzbogen platziert, dass sie - in einer filigranen Glaswand schwimmend - raumteilend zwischen Kapelle und Kirchenschiff wirkt und gleichermaßen korrespondierende Raumwirkung und eine allseitige Umlaufbarkeit gewährleistet. Auf diese Weise wird sie für eine gute Schallausbreitung maximal zentral angeordnet; das Orgelgehäuse übernimmt die Funktion des Schallkörpers zum großen Raum und kann in seiner Form rückwandig gleichermaßen Träger des konservierten halbverbrannten Kruzifixes werden. Die Kapelle wird in ihrem introvertierten Charakter als gesondert nutzbarer Bereich gestärkt; sie kann Raum der Andacht, konzentrierter Gruppenarbeit und auch der dauerhaften Ausstellung zur Historie der Kirchburg sein, sie kann abgeschirmt werden oder fließend an das Geschehen im Kirchenraum angebunden werden.
Der Standort für den Taufstein im Schnittpunkt von Längsachse und Haupteingang (im Süden) eröffnet zeremonielle und lithurgische Handlungen mit unterschiedlichen Bezugspunkten im feierlichen Rahmen des Kirchenraums.
Voraussetzung hierfür ist das flexible Mobiliar, das ohne Umschweife differenzierte Ausrichtungen z.B. zum Chorraum oder zum Taufstein ermöglicht: aus einem Würfel von 48cm Kantenlänge wird ein Holzhocker entwickelt, der wandelbar als Sitzelement ist als auch aufgrund seiner Modularität und Stapelbarkeit sich zur Möblierung und Bespielung des Kirchenraumes für eine Vielzahl von weiteren Veranstaltungen wie Gesprächskreise, Konzerte, Kinderkirchentage, Ausstellungen, Lesungen etc. eignet. Etwaig „überschüssige“ Hocker können derweil als Wandpaneel gestapelt werden und erfordern somit kein Stuhllager. Der Hocker wiederum birgt in sich eine Wandelbarkeit: die Sitzfläche kann mit einfacher Drehlagerung als Sitzpolster gewendet werden; zwei Seiten sind als Lehne ausfahrbar, so dass ohne komplettes „Stühlerücken“ eine Ausrichtung gewählt werden kann. Zudem ermöglicht die Addition der Elemente Bankreihen - mit oder ohne Lehne.
Der neue Fußboden der Kirche ist als Träger des Mobiliars ebenfalls in Holz vorgesehen. Vorgeschlagen wird hier ein Eichenholzpflaster, das im Raster von 48x48cm mit Messingleisten geteilt ist. Diese unterstützen die Orientierung zur Aufstellung der Sitzelemente und verleihen dem Boden einen zusätzlich feinen schimmernden Charakter. Mit einer Materialdicke von 3cm wird das Holzpflaster seiner robusten, langlebigen Eigenschaft gerecht und ist gleichzeitig mit der gewünschten Fußbodenheizung kompatibel. In diesem Zusammenhang und unabhängig von der Materialwahl sollte der Einsatz einer Luftheizung (Bodenkonvektoren) überprüft werden, da die technisch bedingte Trägheit einer Fußbodenheizung deren fast dauerhafte Betreibung erfordert, die (und gerade auf Bodenebene) den Feuchtetransport über die Wände stark befördern wird.
Die Kirchenwände werden als raumbestimmende Elemente mit einem geweißten Putz versehen, der so eingestellt ist, dass er neben der Erscheinung die Beschaffenheit (Feuchte, Material etc.) des Untergrundes als auch akkustische Anforderungen berücksichtigt. Denkbar ist hier auch, bauhistorisch relevante Originale erkennbar anzuarbeiten.
Im Vordergund stehen die Fenster, die in ihrem Formenreichtum und ihrer unregelmäßigen Anordnung fast Assoziationen an Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp erwecken. Die tiefen konischen Laibungen mit zarter Pulververgoldung rahmen das marmorierte Glas. Statt einer figürlichen Darstellung wird ein mundgeblasenes Glas eingesetzt, das in den Fenstern des Kirchenschiffes in farblichen Maserungen von Zitronen-, über Gold- bis Bernsteingelb und sanftem Grün spielt, während im Fenster der Kapelle zu den rekonstruierten Nonnenköpfen ein Orangerot hinzukommt und im Altarfenster ein kräftiges Rotorange dominiert. Der bewußte Verzicht auf figürlichen Darstellungen soll den Wunsch nach Reizreduktion und Entschleunigung unterstützen, die Farbigkeit jedoch Wärme vermitteln und die Phantasie des Einzelnen zur innerlichen (bildhaften) Vorstellung anregen.
Den oberen Raumabschluss bildet eine flache Decke über dem alten Gemäuer. Ein „weiches“ Material mit transluzenter Wirkung soll die Decke nicht absolut geschlossen wirken lassen, sondern vielmehr die Assoziationen zum Himmel zulassen und deutlich erkennbar neu eine weitere Zeitschicht in die Kirche fügen. Das dargestellte gülden schimmernde Metallrundgeflecht unterstützt durch seinen feinen Reflexionsgrad diese Wirkung.
Damit einher gehen nun die Möglichkeiten:
> technische Elemente in der Decke zu verstecken und ausfahrbar zu gestalten (z.B. Beamer, Leinwand, partielle Verdunklung, Lautsprecher, Lichtschiene Chorraum),
> akustische Maßnahmen, schallabsorbierende Elemente hinter der Deckenverkleidung anzubringen,
> Pendelleuchten abzuhängen.
Die Anordnung der Glaskugelleuchten unterstützt die differenzierten Raumnutzungen z.B. Umfahrung des konzentrierten Taufbereiches und des gesamten Schiffes; Aufnahme unterschiedlicher Höhen (Portal Chorraum; Reminiszenz an die alte Emporenhöhe); Korrespondenz mit dem Grundraster 48 x 48 cm, das sich in Bodengestaltung und Möblierung wiederfindet. Gruppenschaltungen der Leuchten können die jeweilige Raumnutzung und Fokussierungen der Aufmerksamkeit unterstreichen. Die blendfreien und ästhetischen Lichtpunkte sind wahlweise mit LED‘s oder Glühlampen bestückbar und dimmbar, so dass Einstellungen von Tageslicht bis Kerzenlicht das Erscheinungsbild emotional unterstützen. Zusätzlich werden die Fensterbänke mit illuminierbaren Platten versehen, die die Besonderheit der Fenster und Raumszenarien mit festlichem warmen Licht unterstützen.
Die beschriebenen Materialien vereinen sich in den neuen Ausstattungselementen Sitzelemente, Pult, Orgel, Kanzel, Altar, Kreuz und Taufstein verfeinert in Traubeneiche, Hanftwill, Kalkstein, vergoldetem Tombak und bilden im Zusammenspiel einen warmen natürlichen und greifbaren wie wertvoll würdig und kostbaren Rahmen für das Wesentliche: die Gemeinde als Glaubensgemeinschaft zu Gott.

Beurteilung durch das Preisgericht

Arbeit 1009
Diesem Entwurf ist es gelungen, durch die reduzierte und schlichte Gestaltung und die gewählten Materialien von Wänden und Decke einen erlebbaren sakralen Raum zu schaffen. Durch die „Gülden“ schimmernde Metalldecke, die eine gewisse Durchsichtigkeit erzeugt, wird der Kirchen- raum nicht nach oben vollständig verschlossen, sondern lässt das „Darüber“ verhalten spüren. Die Behandlung der Wände ermöglicht es, wichtige historische Spuren erlebbar zu lassen. Insbesondere die mattgoldene Fassung der Fensterlaibungen und die zartfarbigen Fenster- gläser stärken den sakralen Raum und geben ihm eine unaufgesetzte Feierlichkeit.
Die Anordnung der neuen Kanzel im Kontext mit den beiden Epitaphien fügt sich gut in den Innenraum ein und leitet optisch zu dem um eine Stufe erhöhten Altarraum hin. Die Blickachse nach Osten erhält dadurch und mit dem dahinterstehenden orangeroten Fenster die angemes- sene Bedeutung für einen kirchlichen Raum.
Die Anordnung von Taufstein und Orgel basiert auf dem räumlichen Gestaltungsprinzip von Ruhe und Ordnung. Die Orgel ist zwischen Langhaus und Kapelle angeordnet. Dadurch wirkt sie stark trennend, eine Lösung, die für die gewünschten Nutzungen des Kirchenraumes hinterfragt werden muss. Ebenso erscheint die Größe der Orgel nicht den Erfordernissen zu entsprechen, und bedarf einer Überarbeitung. Wird das erforderliche Raumvolumen der Orgel den funktio- nalen und technischen Anforderungen angepasst, müsste die vorgeschlagene Grundrissposition möglicherweise grundsätzliche in Frage gestellt werden. Dies wäre in einem weiteren Arbeits- schritt zu prüfen.
Der Taufstein als zentraler Punkt im Kirchenraum, um den sich die Gläubigen versammeln können, hat in diesem Entwurf eine besondere Bedeutung erhalten. Bei maximal 15 Taufen im Jahr und unter Berücksichtigung der vielfältigen geplanten Nutzungsvarianten wünscht sich die Gemeinde einen beweglichen Taufstein, der nur zum Tauffest den besonderen Standort einnimmt.
Die Beleuchtung wird dem Kirchenraum und den vielfältigen Nutzungen gerecht. Zudem erzeugt sie durch die differenzierten Höhenpunkte und die ungerichtete Anordnung der zarten Leuchten- körper eine erlebbare Lebendigkeit. Die technischen Erfordernisse an einen multifunktionalen Kirchenraum können dank der dargestellten Einbaumöglichkeiten in der Decke gut gelöst werden. Das entwickelte Mobiliar basiert auf einem räumlichen Raster und bietet vielfältige Möglich-
keiten der Verwandlung und Flexibilität. Es kann jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob sich diese Wandlungen im „Handling“ wirklich bewähren und damit das Mobiliar der erforder- lichen Nachhaltigkeit einer langjährigen Nutzung gerecht werden kann. Dies sollte im Rahmen der weiteren Bearbeitung überprüft und ggf. überdacht werden.