Viele Architekt*innen und Ingenieur*innen ächzen unter Mehrbelastung, Ausfällen und fehlender Unterstützung durch neue erfahrene Kolleg*innen – und schenkt man den Prognosen Glauben, wird sich die Situation in den kommenden Jahren noch weiter zuspitzen. In einer Umfrage der Bundesarchitektenkammer gaben kürzlich über ein Drittel der Befragten an, dass ihnen die Suche nach neuen Arbeitnehmer*innen Schwierigkeiten bereitet habe, aber letztlich erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Das klingt positiv. Allerdings sieht die andere Seite der Medaille düster aus: Nahezu die Hälfte der offenen Stellen (46 Prozent) blieb unbesetzt. Ähnliche Werte weist auch das Forschungsinstitut Ifo seit Monaten für Architekturbüros aus.

 

Die Frage, die viele Büroinhaber*innen umtreibt, lautet also: Wie hole ich die Talente in mein Büro? „Bei der Personalrekrutierung müssen Unternehmen heute ganz anders denken als noch vor zehn bis 15 Jahren“, sagt der auf die Bau- und Planungsbranche spezialisierte Personalberater Kai Thiele im Gespräch mit competitionline.

Häufig herrschten in den Unternehmen, die Thiele berät, noch veraltete Strukturen. „Klassische Rekrutierungsmaßnahmen stoßen inzwischen aber an ihre Grenzen.“ Früher habe es ausgereicht, eine Jobanzeige in einem Online-Portal zu schalten und „man wurde von geeigneten Kandidaten überlaufen. Das ist jetzt anders. Gerade die zu Beginn des Jahrtausends viel zitierte Architektenschwemme ist in den vergangenen Jahren versiegt.“

Laut Thiele sollte jeder Arbeitgeber ein paar einfache Maßnahmen beherzigen, um für junge Talente interessant zu sein. Elementar sei, dass die Unternehmen die Suche nach neuen Talenten nicht mehr ausschließlich als Aufgabe der Personalabteilung sehen, sondern als „ganzheitlichen Unternehmensprozess“ verstehen: „Von der Geschäftsleitung über die Fachabteilung bis hin zur Personalabteilung müssen alle an einem Strang ziehen – gesteuert von der Chefin oder vom Chef.“

Zunächst gehe es darum, im Unternehmen die Sinne für die Suche nach Fachkräften zu schärfen: „Heute entscheidet nicht mehr nur das Unternehmen, welchen Bewerber es nimmt, sondern der Kandidat kann sich den Arbeitgeber aussuchen.“ Klingt simpel, aber ist laut Thiele noch nicht eine auf allen Unternehmensebenen gelebte Praxis: „Das muss man verstehen.“

Personalberater Kai Thiele: Talentsuche zur Chefsache machen.

Personalberater Kai Thiele: Talentsuche zur Chefsache machen.

Dazu gehöre neben dem Verständnis für potenzielle Mitarbeiter*innen auch, dass man auf deren Bedürfnisse eingehe. „Die ausgefeilten Ausschreibungstexte haben massiv an Relevanz eingebüßt“, konstatiert Thiele. „Heute geht alles schnell und online.“ Die Unternehmen sollten den Bewerbungsprozess soweit wie möglich digitalisieren „und vor allem maximal simpel gestalten – Stichwort Mobile Recruiting. Jeder muss die Möglichkeit haben, sich in der Bahn auf dem Weg von der Arbeit nach Hause mit nur einem Klick auf einen neuen Job bewerben zu können.“ Im Idealfall können Kandidat*innen problemlos Interesse signalisieren, ohne umständlich ihre bisherigen Zeugnisse oder Arbeitsproben zusammensuchen zu müssen.

Einige große Anbieter von Jobanzeigen ermöglichen es den Kandidat*innen bereits, direkt einen aktuellen Lebenslauf zum neuen Arbeitgeber zu schicken. „Das bringt ein deutliches Plus an Mehrarbeit für das ausschreibende Unternehmen mit sich. Denn möglicherweise überfliegt der Bewerber die Ausschreibung nur, sieht also nicht, was im Detail an Anforderungen dabei ist, zeigt aber trotzdem an, dass er den Job will.“ Daher müssten sich die Unternehmen im Klaren darüber sein, dass sie eine „Filterfunktion“ übernehmen. „Die Arbeit, auszusieben und zu überlegen, ob man für einen Job eigentlich geeignet ist, liegt nicht mehr beim Bewerber.“

Active Sourcing und Content Recruiting

Hinzu kommt der Ansatz, dass sich die Akquise neuer Mitarbeiter*innen heute längst nicht mehr nur auf das punktuelle Suchen beschränke. „Wir sprechen hier vom Active Sourcing. Die Unternehmen müssen permanent mit potenziellen Kandidaten im Gespräch sein, wenn sie diese später an sich binden wollen.“ Dazu gehört, dass die Chefs und Chefinnen sehr genau festlegen, wen sie erreichen wollen. „Sprich, wer ist meine Zielgruppe und was kann ich der bieten?“ Für Fachkräfte würden sich heute schnell neue Karriereoptionen eröffnen, „da steche ich als Unternehmen nur mit einer klaren Vision hervor“.

Unterstützt werde das Active Sourcing vom sogenannten Content Recruiting. „Ich muss von meiner Zielgruppe wahrgenommen werden und mich als ansprechendes Unternehmen darstellen, um einen Pool an Interessierten zu erstellen, auf den ich bei Bedarf zurückgreifen kann.“ Dies könnten Unternehmen über eine kontinuierliche Präsenz auf Social-Media-Plattformen, Mitarbeiter-Blogs, E-Books oder ganz analog auf Messen oder in Fachzeitschriften sicherstellen. Dies spiegelt sich auch in einer competitionline-Umfrage unter mehreren Hundert Architekt*innen wieder. Demnach spielt das Renommee eines Büros bei der Wahl des Arbeitgebers eine untergeordnete Rolle – viel ausschlaggebender für das Interesse potenzieller Mitarbeiter*innen sind konkrete, spannende Projekte, die das Büro bearbeitet (hat).

Doch die Devise lautet nicht, einfach drauf los zu publizieren. „Selbst wenn ich alle Tipps befolge, muss ich mir klarmachen, dass ich den Kandidaten auf Augenhöhe begegnen muss“, so Thiele. „Eventuell bin ich aufgrund des sehr engen Bewerbermarkts in einer verzweifelten Lage, weil ich schon lange einen neuen Mitarbeiter suche und nicht finde. Doch ich darf mich nicht selbst komplett verbiegen.“ Vor dem Bewerbungsprozess solle man daher nicht nur die Zielgruppe beziehungsweise die Anforderungen an die neuen Mitarbeiter*innen klar definiert haben, sondern auch wissen, „welche Schmerzgrenze ich als Unternehmer habe und an welchen Punkten ich eine Kröte schlucken kann, also bei einem idealen Kandidaten mit mir verhandeln lasse.“

Lockmittel Zusatzversicherung

Im Rennen um Fachkräfte entdecken immer mehr Arbeitgeber die Gesundheitsvorsorge als Element, mit dem sie bei den Talenten punkten können. Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist der Anteil der Unternehmen, die ihren Beschäftigten eine betriebliche Gesundheitszusatzversicherung anbieten, binnen Jahresfrist um fast ein Drittel gestiegen: Ende 2018 traf dies noch auf 7700 Betriebe zu, Ende 2019 waren es 10.200. Angesichts von etwa 440.000 Betrieben mit mehr als zehn Angestellten und weiteren drei Millionen Unternehmen mit weniger Beschäftigten verschwidend geringe Werte. Aber: Die Zahl der gesetzlich versicherten Beschäftigten, die dadurch von einer zusätzlichen Erstattung beim Zahnersatz, Chefarztbehandlung oder Einzelzimmern im Krankenhaus profitieren, sei in dem Zeitraum von 757.500 auf rund 820.000 gestiegen. Für den Arbeitgeberverband BDA ist die Steigerung „auch Ausdruck für den immer stärker werdenden Wettbewerb um Fachkräfte“. Betriebliche Krankenversicherungen seien für die Arbeitgeber „einfach in der Handhabung und für die Beschäftigten ein Zeichen der Wertschätzung und Fürsorge durch ihren Arbeitgeber“, so der BDA auf Anfrage.

 

 

 

Neue Mitarbeiter*innen finden ist eine Sache, bewährte Kolleg*innen halten und binden aber mindestens genauso wichtig. Dafür braucht es eine durchgängige Kommunikationskultur im Unternehmen, betont Gerold Reker, Präsident der rheinland-pfälzische Architektenkammer und selbst Inhaber eines Planungsbüros, im Gespräch mit competitionline. Der regelmäßige auch informelle Austausch mit den Mitarbeiter*innen sowie flexibles Agieren seien das A und O, damit die jungen Talenten nicht nach wenigen Monaten schon wieder zur Konkurrenz abwandern.

Dabei gehe es darum, dass von Thiele erwähnte Prinzip „Augenhöhe“ auch über den Bewerbungsprozess hinaus fortzuführen und im Unternehmen zu etablieren. „Wir ‚alten Hasen‘ sollten fortlaufend den Dialog mit den jungen Mitarbeitern suchen.“ Ein Zugang zu den Arbeitnehmer*innen sei wichtiger denn je, denn es gelte, zu erfahren, wo sie hinwollen. „Die jungen Leute, die heute kommen, haben viel höhere Ansprüche an die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, als das früher der Fall war“, sagt Reker. „Ich halte diese Entwicklung für grundlegend richtig und wichtig.“

„Ich kann nicht pauschal sagen: Das geht nicht.“

Die Büroleitung sollte nicht mehr pauschal die Arbeitszeit von acht bis 17 Uhr vorgeben. „Ich muss diskussionsfähig sein und meinen Angestellten Freiräume bieten“, betont Reker dieses „neue Miteinander“. Das ende natürlich an dem Punkt, „an dem ich an wirtschaftlicher Produktivität einbüße“. Aber: „Ich kann nicht pauschal sagen: Das geht nicht.“

Dass dies weitaus mehr Engagement des Arbeitgebers als bisher bedeutet, weiß auch Thiele. „Achtsam sein“, schlägt er die Brücke zwischen Mitarbeiterbindung und Recruiting. „Wenn ich als Chef sage, die Entscheidung über einen Bewerber lasse ich mal zwei Wochen liegen, ist der weg.“

Jobanzeige schalten und Talente überzeugen >

Dieser Artikel erschien erstmals am 15. Januar 2020 auf competitionline.com.