Nichtoffener Wettbewerb | 06/2022
Entwicklung Energiecampus „Ein Zukunftslabor für die Energiewende“ in Dortmund
©moka studio
Blick aus dem Transfercenter
1. Preis / Zur Realisierung empfohlen
Preisgeld: 28.000 EUR
Stadtplanung / Städtebau
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Verfasser:
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Mitarbeitende:
Hriday Bharaj, Philipp Maué, Jana Melber, Jesús Martínez Zárate
Modellbau
Erläuterungstext
Transfer – Von Montan zu Energie
Das Ruhrgebiet hat in den vergangenen Jahrzenten eindrucksvoll die Chancen des Struktur-wandels ergriffen: Stillgelegte Zechen fungieren als Industriemuseen, Gebläsemaschinenhal-len als Veranstaltungszentren und Hüttenwerke als weitläufige Landschaftsparks. War früher die Montanindustrie der wirtschaftliche Motor der ganzen Region, sind die Städte entlang der Ruhr heute Zentrum für wissensbasierte und innovationsorientierte Technologieunter-nehmen. In Dortmund lässt sich diese Entwicklung im gesamten Stadtgebiet ablesen: Den Aufbruch in ein neues Zeitalter markierte das TechnologieZentrumDortmund als eines der ersten Technologiezentren in Deutschland und findet seine Fortsetzung an Standorten wie Phoenix West, Smart Rhino oder CleanPort. Der Energiecampus mit seinem klug gewählten Standort am nördlichen Ende des Stadtentwicklungskorridors Emscher nordwärts und in di-rekter Nachbarschaft zur Kokerei Hansa sowie den angrenzenden Parkflächen der IGA 2027, soll die Zeitenwende nahtlos fortführen. Der vorliegende Entwurf schafft ideale Vorausset-zungen, dass der Campus ein weiterer Meilenstein im Transformationsprozess der Hanse-stadt wird.
Verknüpfung und Städtebau
Das städtebauliche Gerüst orientiert sich an der ortsbildprägenden Linearität der Kokerei Hansa, die sich in der Freiraumplanung der IGA 2027 fortsetzt. Geradlinig gesetzte Baukörper flankieren eine zentrale Werkstraße, auf der ein lebendiges Nebeneinander von Arbeitsflä-chen, innovativer Mobilität und performativem Freiraum ausreichend Raum findet. Zur Werkstraße hin weisen die Gebäude höhere Geschossigkeiten auf und unterstreichen damit den Charakter eines lebendigen, städtischen Rückgrats. Westlich der Werkstraße schirmen robuste Strukturen das Quartier gegenüber den Lärmemissionen der Emscherallee ab. Öst-lich erlauben breitere Fugen großzügige Platzsituationen, Anknüpfungspunkte in den Land-schaftspark und Blickbeziehungen zur Kokerei.
Als Herzstück des Areals fungiert das Transferzentrum, das als Mischung aus Inkubatorspace, Innovationstürmen, Fertigungshallen, Showkorridor und Freiraumdeck konzipiert ist. Dank hoch flexibler Gebäudestrukturen und erlebbaren Freiräumen vereint es die hohen Ansprü-che an den Campus. So gelingt es ihm sowohl optimale Arbeitsumgebungen für die rund 2.000 Beschäftigen aus Entwicklung und Forschung zu ermöglichen, als auch eine attraktive Stadtergänzung für die Nachbarschaften zu sein. Eine behutsame Erweiterung der Bebau-ungsstruktur am südlichen Ende des Plangebiets schafft neben programmatischen Synergien auch stadträumlich den Bezug zur Kokerei Hansa. Diese Baukörper rahmen zusammen mit einem Hochpunkt und dem Mobilitätszentrum den neuen südlichen Quartierseingang. Der Campus findet den nördlichen Abschluss in einem weiteren Hochpunkt, der den Übergang zur zukünftigen Stadtbahnhaltestelle betont und einer einladenden Platzsituation, der die An-schlüsse zur Wolkenskulptur und dem Nahverkehrsmuseum herstellt.
Nutzungen, Architektur und Nachhaltigkeit
Die Architektursprache des Campus‘ steht ebenfalls im Zeichen der Verknüpfung von Neu und Alt: Klassische Formen und Elemente erleben im Zusammenspiel mit innovativen Materia-lien und Bautypologien eine Renaissance. Die Sockelgeschosse aus recyceltem Ziegel erhal-ten große vertikale Öffnungen im Stile vieler industrieller Baudenkmäler des Ruhrgebiets, durch diese die NutzerInnen an geeigneter Stelle mittels Werktoren ihren Arbeitsplatz in den Außenbereich expandieren können. Die Obergeschosse bestehen zu großen Teilen aus res-sourcenschonenden Materialien wie Holz, Lehm oder Recyclingbeton und verfügen über mechanische Lüftungs- und Kühlungssysteme, die den Energiebedarf des Gebäudes dras-tisch senken. Photovoltaikanlagen, Solarthermiepaneele und begrünte Dächer sind für alle Baukörper vorgeschrieben und erreichen so Plusenergie Standard für den gesamten Cam-pus.
Das typologische Konzept des Entwurfs besticht durch seine Simplizität. Das Sockelgeschoss formen nahezu durchgehend acht Meter hohe Hallen, die aus 1000 Quadratmeter großen Modulen bestehen. Bei Bedarf können diese beliebig kombiniert und erweitert werden. In-nerhalb dieser Hallen sorgen hochflexible Erschließungs- und Wandsysteme für passende Lösungen, um auf kontinuierlich wechselnde Gebäudeanforderungen reagieren zu können: von größeren Räumen für Produktion und Fertigung zu kleineren Einheiten für Start-ups und Werkstätten. Die Raumhöhe erlaubt sowohl die Aufnahme größerer Fertigungsmaschinen als auch das Einziehen von temporären Zwischendecken, um einen kurzfristig erhöhten Flächen-bedarf bedienen zu können. Auf den Sockelgeschossen sitzen 16 Meter tiefe Riegelbauten, die den NutzerInnen als Büroräumlichkeiten, aber auch als weitere Werkstätten und Labore dienen können.
Ein lebendiger Campus benötigt attraktive Erdgeschosszonen, die die öffentlichen Räume bespielen und für eine heterogene Nutzungsmischung sorgen. An stadträumlich bedeuten-den Situationen entlang der Werkstraße, im Transferzentrum und an den öffentlichen Plätzen sorgen deshalb kleinteilige Versorgungsmöglichkeiten, Showrooms, Außenarbeitsflächen, Industrial Art Ausstellungen, Foyers und Gemeinschaftsräume für ein ansprechendes Nutze-rerlebnis. Eine Sonderrolle nimmt das Mobilitätszentrum ein, die den Campus mit verkehrli-chen Einrichtungen, Logistikflächen und Freizeitmöglichkeiten versorgen. Die Kindertagesstätte bietet ausreichend Platz für sechs Gruppen und verfügt dank ihrer Orientierung zum Land-schaftsraum über qualitätsvolle Außenbereiche auf unterschiedlichen Ebenen.
Klima, Grünvernetzung und Freiraum
Zukunftsorientierte Stadtentwicklung muss sowohl die Bedürfnisse ihrer Nutzer als auch die des Freiraums in den Fokus rücken. Neben Fragen zum Umgang mit dem Klimawandel und rückläufiger Artenvielfalt steht die Qualität von Begegnungs- und Erholungsräumen im Vor-dergrund. Der Entwurf entwickelt ein robustes Netz an Grünräumen, das den Campus durch-zieht und diesen mit dem Landschaftspark der IGA 2027 verbindet. Die dabei entstehenden differenzierten Freiräume – grüne Fugen, Quartiersplätze, Wassertreppen, Rigolen, Gartenter-rassen und durchgrünte Dachflächen – bieten den Beschäftigten wie auch den angrenzen-den Nachbarschaften ein vielfältiges Angebot und stärken die Identität des Quartiers. Diese Flächen sorgen für einen geringeren Versiegelungsgrad und eine effiziente blaugrüne Infra-struktur, die einen wichtigen Baustein der klimagerechten Stadtentwicklung darstellt. Ein effizi-enter Umgang mit anfallendem Regenwasser, der den Abfluss in die Kanalisation drastisch reduziert, die Kühlung des Quartiers fördert und Vegetation in Trockenzeiten bewässert, ist unabdingbar. Das Konzept des Regenwassermanagements besteht aus drei wesentlichen Komponenten: Begrünte Dächer halten den Niederschlag für bestimmte Zeit zurück und re-duzieren zudem bei Sonneneinstrahlung die Temperatur der Gebäudehülle. Darüber hinaus ermöglichen Grünflächen, Mulden und Retentionsbecken die Rückhaltung und Verdunstung des Regenwassers im öffentlichen Raum. Dem Nord-Süd-Gefälle des Areals folgend, füllen sich bei Starkregenereignissen zuerst die Rückhalteflächen im Norden, bevor das Wasser schließlich in die südlichen Retentionsbecken und den benachbarte IGA 2027 Wassergarten geleitet wird. Sind diese Kapazitäten erschöpft, leitet ein Überlaufsystem unter dem Wegenetz das Wasser in den Nettebach und stellt so einen abflussneutralen Energiecampus sicher. Zu-dem beinhaltet das Konzept die Nutzung von Grauwasser sowohl innerhalb des Gebäudes, z.B. für die Toilettenspülung, als auch außerhalb des Gebäudes für die Bewässerung des öf-fentlichen Grüns. So können großmaßstäbliche Laubbäume, die einen effizienten Beitrag zur Klimaanpassung im Quartier leisten, langfristig gesichert werden.
Anbindung, Erschließung und Mobilität
Ein innovatives Mobilitätskonzept bildet die Grundvoraussetzung für einen klimaneutralen Energiecampus im Jahr 2035. Wichtiger Bestandteil ist die neue Stadtbahnhaltestelle, die eine Fuß- und Radwegebrücke optimal an den Campus anbindet und kurze Wege zum Transfer-zentrum sicherstellt. Die Werkstraße lebt von intensiver Inanspruchnahme unterschiedlicher Nutzergruppen und MobilitätsteilnehmerInnen, die in einem Shared Space dieselbe Wertigkeit genießen. Da Durchgangsverkehr den Charakter der Werkstraße negativ beeinträchtigen würde, sorgen das Mobilitätszentrum mit Parkmöglichkeiten im Süden und eine Tiefgarage im Norden für einen autoarmen Campus. Designierte Aufstellflächen für Anlieferung ordnen kon-fliktfrei den öffentlichen Raum der Werkstraße. Ein dem Mobilitätszentrum angeschlossenes Logistik- und KEP - Zentrum fängt den Großteil der Warenströme bereits am Quartiersein-gang ab. Hier übernehmen emissionsfreie Transportmittel wie Lastenräder, E-Scooter, Zustell-roboter, E-Kleintransporter oder Drohnen die Waren und Produkte und beliefern die cam-pusansässigen Unternehmen. Neben Parkierungs- und Logistikfunktionen sowie Angeboten des Car- und Bikesharings entsteht in dem Mobilitätszentrum auch die Energiezentrale, die das komplexe campuseigene Smart-Grid-System steuert. Ein integriertes Center für Tausch, Recycling und Reparatur ermöglicht die Rückführung von Waren und Produkten in den Stoff-stromkreislauf.
Bauabschnitte
Das Phasenkonzept des Energiecampus basiert auf einer flexiblen Grundstruktur, die die vor-herrschenden Rahmenbedingungen berücksichtigt und zukünftige Entwicklungen antizipiert. Den Auftakt bilden das Transfer- und das Mobilitätszentrum, um direkt die Funktionsfähigkeit des neuen Quartiers zu gewährleisten und den Stellplatzbedarf der Kokerei abzudecken. Das Transferzentrum mit seinem Inkubatorcharakter weckt den Gründergeist und rückt den Ener-giecampus in das öffentliche Bewusstsein. Nach und nach können sich zwischen den beiden Zentren weitere Unternehmen ansiedeln und von wechselseitigen Synergieeffekten profitie-ren. Sobald die neue Stadtbahnhaltestelle in Betrieb ist, kann der nördliche Bauabschnitt den Energiecampus komplettieren.
Beurteilung durch das Preisgericht
Der Entwurf bildet eine klare städtebauliche Struktur mit lebendigem Campuscharakter entlang einer maßstäblich passenden Mittelachse. Lobend herauszuheben ist, dass er in Ausrichtung, Kleinteiligkeit und Maßstab einen Bezug zur südlich angrenzenden Kokerei herstellt, ihre denkmalgeschützte, industrielle Form neu interpretiert und damit eine sehr eigenständige Identität erzeugt, die in ihrer Körnigkeit dem peripher gelegenen Standort sehr gerecht wird.
Der Entwurf schafft klare Eingangssituationen im Süden und im Norden, die mit städtebaulichen Hochpunkten akzentuiert werden.
Die zentrale Achse dient als Mitte primär der Erschließung für den Fußverkehr und für Radfahrer:innen. Da jedoch auch An- und Ablieferung/Lieferverkehre über die Achse laufen. können Nutzungskonflikte entstehen. Die Stell-plätze werden im Süden in einem Parkhaus und im Norden in einer Tiefgarage untergebracht. Hierdurch gelingt es, die Eingänge frei von flächigen Stellplätzen zu halten, allerdings werden die Stellplatzbedarfe der Kokerei damit nur unzureichend gelöst.
Die Entwässerungsaufgaben sind gut ausgearbeitet. Nach Osten bildet sich ein guter Übergang zum IGA-Gelände mit zentralem Platz – der Campus-Mitte angrenzend zum Transferzentraum – und zwei Wasser-/Klimaplätzen als grüne Öffnungen zwischen Freiraum und Mitte.
Das zentrale Thema der Energie wird mit Maßnahmen zu Windkraft, Photovoltaik und campuseigenem Center für Tausch, Reparatur und Recycling schlüssig aufgegriffen. Dadurch wird behutsam mir Ressourcen umgegangen und Energieaufwändungen für Neuanschaffungen sowie Abfälle am Standort vermieden. Das Konzept zur klima-resilienten Grauwasser wird besonders positiv bewertet.
Die Zweiteilung des Gebäudes des Transferzentraums muss kritisch hinterfragt und es muss geprüft werden, ob die erforderlichen Hallen und großmaßstäblichen Nutzungen in der vorgeschlagenen kleinteiligen Gebäudekubatur untergebracht werden können. Die zentrale Lage des Transferzentrums wird positiv herausgehoben und kann hier eine lebendige Mitte entstehen lassen. Die vorgeschlagene zweite Fußgängerebene wird kritisch betrachtet aufgrund der funktionalen und gestalterischen Ablösung von der Erdgeschosszone. Zudem ist ein barrierefreier Zugang ungeklärt.
Die Arbeit löst durch den Bezug zur Historie und die sehr gute Umsetzung des Leitthemas der Energie die Anforderungen des Wettbewerbs ein und schafft eine funktionale und städtebauliche Brücke zwischen Historie und Zukunft.
©asp Architekten
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