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Award / Auszeichnung | 04/2022

Otto-Borst-Preis 2022

Sanierung und Anbau Hölderlinhaus

DE-74348 Lauffen, Nordheimer Straße 5

Anerkennung / Kategorie "Stadtbaustein"

VON M GmbH

Architektur, Szenographie

strebewerk. Architekten GmbH

Architektur

Stadt Lauffen am Neckar

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Museen, Ausstellungsbauten

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2020

Projektbeschreibung

Ein Haus für den Menschen Friedrich Hölderlin
Zum 250. Geburtstag des Lyrikers galt es, das im 18. Jahrhundert errichtete Geburtshaus des wohl bekanntesten Sohns der Stadt zu einem ihm gewidmeten Museum umzugestalten, das zudem Raum für lokale Veranstaltungen bieten sollte. Mit Respekt vor dem Original und Mut zur Weiterentwicklung wur-den das Hölderlinhaus mit der dazugehörigen Hofanlage saniert, um einen Neubau erweitert und ein Konzept für die Ausstellung zur Person Friedrich Hölderlin entwickelt.

Die historische Bauaufnahme sowie die Bearbeitung der Leistungsphasen 1 bis 3 des denkmalgeschützten Bestandes erfolgte durch das Stuttgarter Büro strebewerk.Architekten. Ab Leistungsphase 4 übernahm VON M, wodurch sich die Möglichkeit einer tatsächlich transdisziplinären Arbeit ergab: Die Trias aus Aus-stellungsgestaltung, Sanierung des Bestandshauses und Erweiterung durch einen Neubau ermöglicht in Lauffen am Neckar das ganzheitliche Gestaltungsverständnis des Büros VON M umzusetzen – ein Projekt vom Um- über den Neu- bis hin zu Möbelbau.

Der Innenhof bildet das zentrale Element des Komplexes. Gefasst von Klostermauer sowie den beste-henden und neuen Gebäudeteilen, ist der Blick vom Hof aus auf den hinter dem Grundstück liegenden Weinberg erstmals wieder frei.
Die historischen Räume wurden wiederhergestellt, Bauteile und zahllose Details – von der frühneuzeitli-chen Fachwerkkonstruktion über heterogene Wandbeläge bis hin zu den teils noch barocken Fenstern – aufwändig restauriert und im Schulterschluss mit dem Landesdenkmalamt saniert. Wie Fenster in die bewegte Vergangenheit des Hauses tauchen diese Zeitschichten an verschiedenen Stellen des Gebäudes immer wieder auf.

Um die neu hinzugefügten Bauteile deutlich von der bestehenden Substanz abzugrenzen wurde auf Beton und Stahl zurückgegriffen. Von der Straße aus zeigt schon das kleine Technikgebäude an: ich bin neu. Mit diesem kleinen, aus Beton gegossenen Anbau wird das Haus aktuellen Ansprüchen nach technischer Infrastruktur ebenso gerecht, wie es mit einer zusätzlichen Außentreppe elementarer Teil des notwendi-gen Brandschutzkonzepts ist.

Die Kubatur des neuen, barrierefreien Erschließungsbauwerks schreibt die der barocken Scheune in Rich-tung Hang fort und ordnet sich ihr unter. Gemeinsam mit dem eingeschossigen Wechselausstellungsraum bildet das neue Treppenhaus eine mehrfach verschränkte Gebäudegeometrie. Ihre homogene äußere Schale wird durch die Fassung der Beton-Schaltafeln horizontal gegliedert.

Der Wechselausstellungsraum übernimmt mehrere Funktionen. So kann er gleichermaßen für wechseln-de Ausstellungen wie auch als Bar genutzt werden: An der dem Eingang vom Treppenhaus aus gegen-überliegenden Wand ist – neben einem Stuhllager – auch ein kleiner Verkaufstresen untergebracht. Er ist durch einen Klappmechanismus für die Zeiten des Betriebs zu öffnen und verschwindet ansonsten in der Oberfläche der raumbildenden inneren Schale. Diese innere Raumschale ist von allen störenden Installa-tionen befreit. Die Belüftung wird durch eine seitlich in den Boden eingelassene Quelllüftung gewährleis-tet. Hier, an der Hangseite des Raums, sind auch die elektronischen und technischen Leitungen unterge-bracht, was auch den Boden des Raums frei von Installationsdosen oder anderen technischen Einrichtun-gen hält.

Der Raum öffnet sich zum Hof hin auf der kompletten Länge. Der Hof selbst ist als äußerer Innenraum inszeniert: Eine Linde wurde gepflanzt, Haus wie Klostermauer sind – wie der Baum – von unten beleuch-tet in Szene gesetzt. Ein deutliches Zusammenspiel von Innen und Außen wird möglich: Durch seine fla-che Kubatur gibt der Wechselausstellungsraum den Blick vom Hof aus auf den hinter dem Grundstück liegenden Weinberg erstmals wieder frei. Das in Lauffen am Neckar relevante Thema Wein wird so auch im neuen Hölderlinhaus präsent.

Die Ausstellung als Weg durch das Haus
Das Ensemble ist wahlweise über die Rampen und das neue Treppenhaus oder durch die ehemalige Zu-fahrt und den Innenhof zu betreten. Der Eingang befindet sich in der ehemaligen Scheune. Der vom Bo-den bis zum Dachstuhl reichende Raum wird von zwei Stegen durchquert, die Alt- und Neubau miteinan-der verbinden.
Für den Shop wurde ein Möbelsystem entwickelt, das auf den Maßen 40x60x80 Zentimetern basiert. So wurde ein flexibles Möbel entworfen, das unterschiedlich konfiguriert und ausgestattet werden kann. Die Basis bildet ein Kreuzprofil, das eigens für das Hölderlinhaus gefertigt wurde. Neben den Shop-Möbeln kommt dieses Profil auch in den Wandstelen zum Einsatz, die dienende Funktionen wie Informa-tionsträger und Beleuchtung aufnehmen. Diese Elemente stehen stets in einem respektvollen Abstand zu den historischen Wänden und sorgen durch wandseitige LED-Schienen für eine indirekte Beleuchtung des jeweiligen Raums.

Gemäß der grundlegenden Prämisse, den denkmalgeschützten Gebäudebestand inklusive seiner Wand-oberflächen soweit als möglich unangetastet zu lassen, wurde für die Ausstellung im Altbau eigens ein Leit- und Orientierungssystem in Form pultartiger Aufsteller entwickelt. Deren Oberfläche ist wie ein auf-geschlagenes Buch in der Mitte leicht geknickt.

Vom Eingangsbereich aus kommen die Besucher*innen in Raum 0.06, der mit seiner medialen Bespielung eine Art Schwelle zur eigentlichen Ausstellung bildet. Durch mehrere Projektoren entsteht hier ein im-mersives 360°-Erlebnis, das die Gäste inhaltlich auf die Hauptausstellungsräume vorbereitet. Der Rund-gang durch die Ausstellung führt als Weg durchs Haus vorbei an den Stationen Familie, Persönlichkeit, Hölderlin als Autor, Weltsicht, Hölderlin immersiv und Hölderlin weltweit und endet wiederum in der Scheune.

Raum 1.02 „Familie“
Hier wird die Familie Hölderlin in Szene gesetzt. Eine Mischung aus Bilder- und Fensterrahmen, die auf einem spiegelnden Objekt aufgebracht sind, erlaubt Ein- und Ausblicke.

Raum 1.03 „Persönlichkeit“
Um die Zerrissenheit von Friedrich Hölderlin zu zeigen, wird hier mit Theaterkulissen gearbeitet mit einer idealisierenden Schauseite und einer, die im damaligen Leben eben nicht nach außen gezeigt wurde.

Raum 1.04 „Hölderlin als Autor“
Eine „Schriftenwolke“ wird aus handgeschöpften Papieren gebildet, das jedes für sich auf einem filigran gearbeiteten Holzpult liegt. Jedes Papier trägt eine Wortschöpfung oder ein Zitat Hölderlins.

Raum 1.05 „Die Weltsicht“
Die Weltsicht Friedrich Hölderlins wird durch vier unterschiedliche Globen verdeutlicht.

Raum 1.06 „Hölderlin immersiv“
Dieser Raum bildet den Abschluss des Rundgangs auf dieser Etage. Mehrere Projektoren projizieren von unterschiedlichen Standpunkten aus ein Gedicht in den Raum, das zeitgleich vorgelesen wird.

Raum 2.04
Das ehemalige Sommerzimmer mit einer erhaltenen Stuckdecke wird zum Lesezimmer.

Raum 2.05 „Hölderlin weltweit“
Den Kontrast zum hellen Lesezimmer bildet dieser relativ dunkle Raum, in dem Hölderlins internationale Strahlkraft und Rezeption thematisiert wird.

Zitatenmobile (Luftraum der Scheune)
Der vom Boden bis zum Dachstuhl reichende Raum wird von zwei Stegen durchquert. Von ihnen aus sieht man beim Übergang vom Altbau zum Treppenhaus Beispiele der hölderlintypischen Wortkombinationen.

Mitarbeit: Michael Feeser, Timm Radt, Jan Koppers, Theresa Felber
Wettbewerb: 2016
FLÄCHE BGF: 864 m²
Bauleitung: Alber&Schulze Baumanagement GmbH, Stuttgart
Tragwerksplanung Bestand: ingenieurbürograu Wurst.Wisotzki.GbR, Bietigheim-Bissingen
Tragwerksplanung Neubau: Geiger Ing.-Gesellschaft mbH & Co. KG, Bietigheim-Bissingen
HLS-Planung: ZB Zimmermann und Becker GmbH, Heilbronn
Bauphysik: Kurz + Fischer GmbH, Winnenden
Gebäudetechnik: Ingenieurbüro Werner Schwarz GmbH, Stuttgart
Brandschutz: Ralf Kludt Dipl.-lng. (FH) Sachverständige & Ingenieure für vorbeugenden Brandschutz, Stuttgart

Beurteilung durch das Preisgericht

Als Teil des nördlichen Altstadtrands und der historischen Stadtstruktur von Lauffen am Neckar wurde am Standortbereich des ehemaligen Dominikanerinnenklosters die Hofstelle des Klosterverwalters als Hölderlinmuseum denkmalgerecht saniert. Um unbedingten zeitgenössischen technischen und funktionalen Anforderungen Rechnung zu tragen, wurde die winkelförmige Hausanlage zusammenhängend angebaut und erweitert mit drei untergeordneten Bauteilen. Dabei ging man von der historischen Hofstruktur mit Teilen der Klostermauer aus, basierend auf abgängigen Nebengebäuden. Entstanden ist ein vierseitig umschlossen bebauter Hof als spannungsvolle Komposition aus alten und neuen Bauteilen, der den historischen Raumzustand wiederherstellt und neuinterpretiert.  


Das barocke Hauptgebäude ist ein traufständiges, siebenachsiges, zweigeschossiges Wohnhaus mit Krüppelwalmdach und Mittelrisalit, ein seit dem Barock universeller Typus eines städtischen Wohn- und Wirtschaftsgebäudes. Rückseitig schließt sich ein Wirtschaftsflügel in gleicher Höhe an. Im Erdgeschoss befindet sich eine seitlich in den Baukörper integrierte stattliche Hofdurchfahrt, daneben auf einem Hochkeller erhoben der ehemalige Wohnbereich im Erdgeschoss, der über eine fünfstufige, halbrunde steinerne Freitreppe seinen Straßenzugang hat.  


Die Neubauteile nehmen im Ensemble als eigenständige Randgebäudegruppe infrastrukturell unterstützende Funktionen des Museums auf: Vertikalerschließung, Veranstaltungssaal und Haustechnik. Der mit plastisch kannelierter Betonoberfläche ausgeführte Technikkubus markiert die Grundstücksecke zum öffentlichen Raum als zurückhaltend-moderner „Hingucker“ und schließt das Ensemble so zur Straßenkreuzung hin ab, dass der neue Hauptzugang des Museums nachvollziehbar über die großzügige historische Hofdurchfahrt in den neugestalteten Innenhof und dort über eine Scheunentoröffnung des historischen Nebengebäudes geführt werden kann. Von dort erschließen sich zentral die Haupträume des Museums im Wohnbereich der Familie Hölderlin im Vorderhaus, die neuen Servicebereiche des Museums in den Nebengebäuden und die ehemaligen Wirtschaftsbereiche, die in den Museumsrundgang im Rohbaucharme ihres Bestands spannungsvoll einbezogen werden. Über den neuen Treppenturm mit Aufzug können alle Bereiche und alle Ebenen barrierefrei auf kürzestem Weg erreicht werden. Auch der als Betonrahmen zum Hof offene Saal, der invers bandartig mit großformatigen hellen Holztafeln, die vom Boden in die Wände übergehen, ausgekleidet ist. Der bekleidende Charakter der Ausstattung wird durch den Vorhang verstärkt, der die hangseitige Rückwand verdeckt. Er lockert den Raumeindruck auf und sorgt gegenüber den vielen schallharten Oberflächen für Dämpfung. 


Das ganze Museumsensemble stellt sich als räumlich und funktional eng verzahntes organisches Gebilde dar. Nirgendwo gehen die verschiedenen zeitlichen Schichten auf Distanz zueinander. Das Zusammenspiel der halboffenen alten und neuen Außenräume des Hofs setzt sich im Inneren zwischen den Räumen der dienenden An- und Einbauten und den teilweise dokumentarisch restaurierten historischen Innenräumen fort. Es entsteht ein räumlich überaus vielgestaltiger komplexer Rundgang mit wechselnden Raumcharakteren und Raumgrößen. Die architektonische Komposition arbeitet immer „direkt anschließend“. Die abrupten Übergänge der verschiedenen Räume und ihrer Atmosphären, sowohl außen als auch innen, werden durch räumliche „Spiegeleffekte“ in der perspektivischen Wirkung zwischen zwei Zonen, bzw. von einem Raum in den anderen unterstützt: Durch konsequente „Schnittlinienführung“ in den Raumbildern zwischen den alten und neuen Bauteilen und entsprechende Materialwechsel. Zum Beispiel die Linie zwischen Altbau und Treppenturm, die sich im Hof entlang der Fassade des Saales fortsetzt. Alle neuen Bauteile und Einbauten werden entsprechend einer flächigen Materialästhetik eingesetzt, was sich bis in die Ausstellungsgestaltung fortsetzt, auch hier die Spiegelästhetik bis in die wörtliche Anwendung. Materialfügungen und Raumbeziehungen durchdringen sich so. 


So, wie auch die historische Baugattung „Wohnhaus mit Wirtschaftsteil“ inzwischen obsoleten funktionalen Zusammenhängen gehorchte, werden die Notwendigkeiten der neuen Baugattung „Museum“ im Sinn eines organischen Ganzen, eines organischen Weiterbauens mit dem Bestand zusammengefügt. Die aus abgängigen Vorgängerbauten transformierten Typologien der Servicegebäude (Scheune, Remise, Stall oder Schuppen) gliedern sich dem neuen Organismus als prothetische Architekturen ein wie vormals die heute noch vorhandenen Tore, die Durchfahrt, oder der Kellerabgang. Durch das Fügungsprinzip der „Spiegellinie“ entlang älterer und neuer Elemente entsteht eine Gestalt, die als Vexierbild einerseits die harmonische Einheit der Museumsidee mit allen ihren zeitgenössischen Belangen und andererseits die auratische historische Abstraktion „Hölderlinhaus“ erleben lässt. Ein sehr gelungener Ort, der zu einer gewissen Lieblosigkeit am Stadtrand von Lauffen einen überstrahlenden Gegenpol setzt.