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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2023

Umgestaltung der Fußgängerzone in Werl

Anerkennung

Preisgeld: 6.500 EUR

scape Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Umgestaltung der Fußgängerzone in Werl
"Entschleunigen, Wohlfühlen, Geschichte neu erleben"


Identität + Stadtgestalt
Die jahrhundertealte Wallfahrtstradition prägt bis heute die Innenstadt der Wallfahrtsstadt Werl. Fußpilger, Radfahrer und Pilgergruppen - insgesamt ca. 100.000 Pilgernde pro Jahr- pilgern in der Zeit von Mai bis November über die bekannten Pilgerwege zur im historischem Stadtkern gelegenen Wallfahrtsbasilika „Mariä Heimsuchung". Städtebaulich ist die Werler Innenstadt von einer kleinteiligen Bebauung mit vielen historischen und identitätsstiftenden Gebäuden geprägt. Das ehemalige Kloster, die alte und neue Wallfahrtskirche und der Klostergarten bilden dabei ein Denkmalensemble von herausragender Bedeutung und überregionaler Strahlkraft.
Das Konzept begreift die vorhandenen Qualitäten als Chance und lässt die Anmutung und Atmosphäre des ehemals räumlich abgeschlossenen Kloster- und Kirchenareals neu in den öffentlichen Raum ausstrahlen.

Pilgern + Entschleunigen
Die Wesensmerkmale des Pilgerns, Abstand zu alltäglichen Abläufen und Gewohnheiten zu gewinnen, sich zu sammeln und neue Kraft zu tanken, ist auch und gerade in der heutigen Zeit von hoher Aktualität.
Ziel ist es, die Innenstadt von Werl nicht nur in ihrer Bedeutung für Einkauf, Gastronomie und Dienstleistung zu stärken. Der Entwurf setzt darüber hinaus darauf, den öffentlichen Raum zu einem sinnlichen und inspirierenden Ort des Verweilens, der Kontemplation und des Entschleunigens weiterzuentwickeln. Die meditative Atmosphäre der Werler Kirchen und das Grün des bisher der Öffentlichkeit verschlossenen Klostergartens wird als Leitmotiv auf die angrenzenden "weltlichen" Straßen- und Platzräume übertragen. Grüne Ruheinseln, Brunnen, kleine Plätze, vielfältige Sitz- und Rastmöglichkeiten, Blütenbäume und Pflanzflächen mit christlichen und weltlichen Symbol- und Heilpflanzen laden zum Verweilen und Entschleunigen jenseits des Alltag für alle Besuchergruppen und Generationen ein. Die für eine Kleinstadt relativ lange Fußgängerzone wird neu rhythmisiert. Ausgestaltung
und Intensität ändern sich fließend vom Zentrum in die Randzone und tragen zur Konzentration der innenstadttypischen Nutzungen wie Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen im historischen Zentrum bei. Neue aufgelockerte Baumreihen überstellen den Straßenraum der Walburgis- und Steinerstraße. Die Länge der Baumbänder und damit die Anzahl der Bäume nimmt dabei von den stärker durch Wohnen geprägten Randzonen hin zur hoch frequentierten Kernzone ab. Auch die gewählten Pflasterbeläge betonen die herausragende Bedeutung des historischen Kerns. Rund um Marktplatz und Klosterensemble ist ein an die Fassaden aus Werler Grünsandstein angelehnter grünlich-grauer Natursteinbelag im römischen Verband vorgesehen. Er wird je weiter man sich vom Zentrum entfernt mit schlichteren beigen Farbtönen durchmischt.
Abhängig vom Budget ist auch ein Betonsteinpflaster mit Natursplittvorsatz vorstellbar. Die Fassaden werden von einem ca. 1 m breiten Läufer aus vorhandenem Kleinsteinpflaster begleitet und geben der Oberflächengestaltung eine klare Kontur.

Wohlfühlen + Geschichte neu erleben
Die Werler Fußgängerzone wird neu mit ihrer Umgebung, dem grünen Wallring und dem Pilger- und Radwegenetz der Stadt verknüpft. Die Verknüpfung erfolgt räumlich über die Schaffung von klaren Entrées und Orientierungspunkten. Im Norden und Süden der Fußgängerzone wird an den Standorten der ehemaligen Stadttore jeweils ein großzügiger Entréeplatz mit Brunnen und Sitzgelegenheiten geschaffen. Der motorisierte Verkehr wird auf das notwendige Mindestmaß beschränkt und beruhigt. Eine mit christlichen Symbolpflanzen bepflanzte grüne Insel und der als kreisförmiger Wassergarten gestaltete Brunnen begrüßen die BesucherInnen.
Das durch die historischen Werler Brunnen inspirierte flache Wasser ist Spielort und Symbol für das Leben zugleich. Im Verlauf der Fußgängerzone werden an den Kreuzungspunkten mit wichtigen querenden Straßen und Gassen kleine Plätze mit jeweils einer Blüteninsel geschaffen, die dem Aufenthalt und der Orientierung dienen.
Auch die vorhandenen Skulpturen werden in die Gestaltung integriert. Die Blüteninseln werden mit artenreichen Staudenmischpflanzungen und jeweils einem mehrstämmigen, schattenspendenden Blütenbaum bepflanzt. Ihre niveaugleichen Baumscheiben dienen der Sammlung des Oberflächenwassers. Es sind verschiedene, kleinkronige Baumarten mit Bezug zur christlichen Symbolik vorgesehen, wie z.B. Judasbaum (Cercis siliquastrum), Mispel (Mespilus sp.), Apfelbaum (Zierapfel Malus ´Rudolph´) etc. Sie bieten durch ihre Blütenflor, ihr Laub und eine intensive Herbstfärbung attraktive jahreszeitliche Aspekte.
Die Blüteninseln werden von Rundbänken flankiert, die zum Ausruhen und Aufenthalt im Schatten der Bäume einladen und gleichzeitig die Vegetationsflächen vor dem Betreten schützen. Die Bestandsbäume und die weiteren, in Reihe gepflanzten Bäume sind mit offenen Baumscheiben aus wassergebundener Wegedecke vorgesehen. Über die gesamte Länge der Fußgängerzone werden Sitzgelegenheiten und punktuell thematische Spielstandorte (z.B. Thema Tiere oder Klänge) verteilt. Alle Einbauten gewährleisten die notwendige Durchfahrtsbreite von 4 m und sind demontierbar. Die Anordnung der Ausstattungsgegenstände und Bäume in
Reihen ermöglicht trotz des schmalen Straßenquerschnitts ausreichend Platz für Gastronomieangebote. Auch die vorhandenen Brunnen wie der Salinenbrunnen und der Stadtbrunnen werden in die Planung integriert. Ein neues Leit- und Informationssystem unterstützt durch eine GeschichtsApp, beschreibt die Denkmäler und die besondere Geschichte der Stadt auf innovative Weise. Die klare Abfolge aus linearen Flanierzonen und mit Blütenbäumen überstellten Ruheinseln schafft eine spannende Raumfolge und rhythmisiert den historischen Straßenverlauf der Walburgis- und Steinerstraße.

Neuer Pilgerplatz + Apothekergarten

Es entstehen neue Orte des Aufenthalts neben dem sich in der Fußgängerzone abspielenden Alltagsgeschehens mit Bezug zur Historie. Ein neuer zentraler Versammlungsort und Treffpunkt bildet sich amam neuen Pilgerplatz vor der Wallfahrtsbasilika aus. Dieser ist in der Achse der Basilika, rund um den vorhandenen prägenden Einzelbaum in direkter Sichtbeziehung zur Wallfahrtskirche angeordnet. Eine große Pilgerbank als Zeichen der Gemeinschaft bildet das Hauptelement aus. Der Platz dient als Ausgangs-, Zielpunkt und Versammlungsort für Wallfahrten, Kirchenbesuche, Stadtführungen etc. Vor der alten Apotheke wird durch die Schaffung einer großzügigen grüner Ruheinsel ein Sitz- und Verweilangebot ermöglicht. Holzauflagen ermöglichen ein bequemes
Verweilen. Für die Bepflanzung sind christliche Symbolpflanzen und Heilpflanzen vorgesehen, es entsteht ein Apothekergarten. Die Artenauswahl der Geophythen fällt auf weißblühende Arten. Die Farbe weiß wird gewählt, da diese als Friedenssymbol und Symbol der Vollkommenheit angesehen wird. Die Gestaltung des Klosterentrées greift die des Klostergartens auf und zeichnet sich u.a. durch einen Kräutergarten aus. Ein lebendiger Ort des Treffens für die Werler BürgerInnen und die Pilgernden bildet sich heraus.

Alter + Neuer Markt
Das vorhandene hochwertige Natursteinpflaster im Zentrum des Marktplatzes bleibt erhalten. die teilweise schadhaften Randbereiche werden mit dem in der Fußgängerzone vorgesehenen Pflastermaterial neu gepflastert. Um den Platz optisch hervorzuheben, erhält dieser eine Einfassung aus einem hellen Natursteinplattenband. Die Rahmung nimmt die Fluchten der angrenzenden Gebäudekanten auf. Die vorhandene nördliche Baumreihe wird erhalten und mit Bänken an der nördlichen Kante des Alten Marktes ergänzt. Das Wasserspiel „Werler Stadtquellen“ an der Ostseite des Marktplatzes wurde ebenfalls im Entwurf berücksichtigt. Die regelmäßigen Veranstaltungen wie der Wochenmarkt, Weihnachtsmarkt und die Kirmes wurden in der Gestaltung berücksichtigt und können ohne Einschränkungen stattfinden. Die sich an der südlich angrenzenden Marktstraße befindende Bushaltestellen bleibt als wichtiger Ankunftspunkt der Innenstadt für Pilgernde und BesucherInnen bestehen. In unmittelbarer Nähe, nordöstlich des Alten Markts wird ein neuer Anziehungspunkt und Aufenthaltsort, der Neue Markt geschaffen. Zwei Hochbeete mit Holzauflagen, üppiger Bepflanzung und Silberlinden transformieren diesen Ort zu einer kleiner Oase für Entspannung suchende
Familien. Ein Klang- und Spielgarten bildet das zentrale Element. Das Klangspiel nimmt Bezug auf den melodische Klang von Kirchenglocken, so wird NutzerInnen / Kindern die Möglichkeit geboten dieses spielerisch zu erleben. Durch den Zugang des Parkhauses sind die beiden Plätze gut erreichbar.

Verkehrskonzept
Der Neue Markt ist nur über den Alten Markt erreichbar, daher wird im Übergangsbereich eine Mindestfahrbreite von 4m gewährleistet. Diese Fahrgasse ist sowohl für die Andienung durch die Feuerwehr, also auch für den Lieferverkehr nutzbar. Die Barrierefreiheit wird durch kontrastierende Bänder im Bodenbelag in der Hauptlaufrichtung und zu den wichtigsten Zielpunkten, wie z.B. öffentlichen Gebäuden gewährleistet. Das gesamte Planungsgebiet wird barrierefrei ausgebildet, dafür wird u.a. am Neuen Markt (Durchgang Richtung Fuzo) eine Rampenanlage geschaffen und die bestehende Treppenanlage erneuert. Die Fahrspur der Marktstraße, sowie auch der Radweg werden durch Markierung auf dem Belag zoniert. Wo nötig werden Poller platziert. Am Alten Markt sind 10 PKW Stellplätze, sowie zwei Behindertenstellplätze und zwei Taxiplätze neu organisiert. Die Bushaltestellen bleiben an ihren jetzigen Positionen erhalten. Fahrradstellplätze werden entlang der Fußgängerzone und an den Plätzen in ausreichender Anzahl platziert. Die im Bestand vorhandene Fahrradabstellanlage an der zukünftigen Stadtinformation wird in die Planung integriert. Zudem wird die Möglichkeit ein Fahrradsharing-System und E-Ladesäulen zu nutzen am Alten Markt unter Baumneupflanzungen
geschaffen.

Klima + Nachhaltigkeit
Für das Stadtklima ist es von großer Relevanz, dass die Vegetation mit ausreichend Wasser versorgt wird und diese durch Verdunstung zur Kühlung des urbanen Raumes beitragen kann. Sämtliches Oberflächenwasser wird gesammelt und den grünen Inseln und Baumstandorten zugeführt, wo es in ausreichend dimensionierten Baumrigolen gespeichert wird und den Pflanzen in Trockenzeiten zur Verfügung steht. Auch die Brunnen tragen zur sommerlichen Kühlung und Verbesserung des Stadtklimas bei. Schattenverträgliche Staudenflächen und Zwiebelpflanzen setzen Farbakzente, dienen als Insektenweide und erhöhen so gleichzeitig die Biodiversität.

Ausstattung + Beleuchtung
Die Ausleuchtung der Fußgängerzone erfolgt durch schlichte Pendelleuchten, die an Seilsystemen abgespannt werden und in ihrer Position auf die geplanten Baumstandorte reagieren. Die Brunnen, Denkmäler und die prägenden Einzelbäume werden durch Licht akzentuiert und markieren auch in den Nacht- und Abendstunden den Auftakt in die Fußgängerzone. Mastleuchten in der Formensprache des restlichen Mobiliars werden in Reihen auf dem alten und dem neuen Markt platziert. Es entsteht eine angenehme Aufenthaltsatmosphäre, die das historische Zentrum von Werl auch außerhalb der Geschäftszeiten attraktiviert. In gleicher, schlichter
Formsprache der Leuchtelemente wurden die Bushaltestellen und Bankelemente entwickelt. Das Konzept besinnt sich auf die Stärken Werls, indem es das Erleben von Ruhe, Kontemplation und der Historie in der Stadtgestalt wahrnehmbar macht. Entschleunigen, Wohlfühlen, Geschichte neu erleben werden zum Leitgedanken der neugestalteten Innenstadt, die von BewohnerInnen, Pilgernden und Gäste belebt wird.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Arbeit weist ein klares Raumkonzept auf, das den langen Straßenraum gut gliedert und auch die Eingänge einladend markiert. Auch der Marktplatz ist räumlich überzeugend strukturiert mit der Teppichintarsie des bestehenden Belags und der Baumrahmung an drei Raumkanten. Diese umfängt die historische Alte Apotheke und nimmt so die Wallfahrtskirche mit in den Fokus.

Die grüne Verdichtung der Baumsetzungen zu den Eingängen der Fußgängerzone hin unterstützt den Ansatz, an den äußeren Enden dieses linearen Raumes künftig mehr Wohnen zuzulassen. Leider werden jedoch keine weiteren Puffer für die mögliche EG-Nutzung mit Wohnen vorgeschlagen. Auch die differenzierte Materialverwendung und der sich im Straßenverlauf zu den Eingängen im Süden und Norden hin zu einem anderen Material ändernde Bodenbelag ist ein guter Ansatz, die unterschiedlichen Funktionen der Räume zu verdeutlichen.

Die Gliederung der Fußgängerzone durch besondere Baumarten an den Kreuzungs- und Einganspunkten mit Blüh- bzw. Farbaspekt wird positiv gesehen. Dagegen erscheinen dem Preisgericht die kreisrunden Aufenthaltsinseln zur Akzentuierung besonderer Räume als zu raumgreifend und zu wenig flexibel im Hinblick auf die jeweiligen Stadträume. Auch der Vorschlag des Bodenbelags aus »Anröchter Dolomit« (im Plan als graugrüner Naturstein benannt), also aus dem gleichen Material, aus dem die Wallfahrtskirche und viele Gebäude bzw. Mauern in der Stadt gebaut sind, kann genauso wenig überzeugen, wie der Ansatz, das Kontemplative des Klostergartens in die gewünschte Aktivitätszone zu holen