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Studienauftrag | 03/2017

Kramgasse 72 | Rathausgasse 61

Teilnahme

AEBI & VINCENT ARCHITEKTEN SIA AG

Architektur

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser legen eine sorgfältige und umfassende Analyse in Bezug auf Baugeschichte, Gebäudemorphologie und -typologie vor, die mit den historischen Fotos insbesondere für die Situation der Lauben an der Rathausgasse zusätzliche Erkenntnisse bringt und mit den historischen Flugaufnahmen ein gutes Bild der Dachlandschaft vor 1928 aufzeigt.
Darauf aufbauend wird das Stadtpalais Mitte des 18. Jahrhunderts, bzw. dessen moderne Interpretation als Thema für den Entwurf formuliert, mit repräsentativem Vorderhaus zur Kramgasse, einem grosszügigen Hof mit seitlicher Vertikalerschliessung an ihrer ursprünglichen Position in der Mitte und zwei bescheideneren Hinterhäusern an der Kramgasse.
Ein skulptural wirkendes und bis auf Traufhöhe reichendes Raumgitter, welches als Bild für die Einheit des Stadtpalais dient (in der Zwischenpräsentation umfasste es den Hof noch vierseitig), wird mit der historischen Figur des Hofes überlagert und passt sich dieser bezüglich seiner Geometrie an. Das Treppenhaus und das östliche Hinterhaus stossen direkt an den Hof. Auch in der vorgeschlagenen fragmentierten Form wird das Raumgitter als sperrig und dominant beurteilt, gut sichtbar in der visualisierten Dachaufsicht.
Das Volumen des Vorderhauses wird zum Hof hin zusätzlich von zwei schmalen Höfen durchstossen, welche sich im Dach mit den seitlichen Terrassen noch ausweiten. Dieser Vorschlag ist kaum nachvollziehbar und steht im Gegensatz zur Typologie der Berner Altstadt: Der Hof verbindet Hinterhaus und Vorderhaus, welche zusammengewachsen sind. Die aus dem Vorschlag resultierende Dachlandschaft über dem Gebäudevolumen des Vorderhauses steht im Widerspruch zur von den Verfassern für ihr Projekt herangezogenen Luftaufnahme von 1918.
Zur Rathausgasse werden die Lauben entsprechend der Analyse in Struktur und Höhe wieder hergestellt. Darüber werden die beiden östlichen Häuser mit drei Obergeschossen als interpretierte „barocke Häuser“ neu aufgebaut. Das westliche Haus soll mit vier Obergeschossen als interpretiertes „gotisches Haus“ mit der vorgeschlagenen Überhöhung die Rathausgasse orientierend prägen. Seine Firsthöhe wird zwar mittels flacher Dachneigung nach unten gedrückt.
Die Adressierung erfolgt sowohl von der Kramgasse her, über den Zugang anstelle der heutigen östlichen Vitrine in der Art-Déco-Fassade, und von der Rathausgasse über einen an die ehemalige Hofzufahrt anknüpfenden offenen Durchgang. Die Mietflächen für Verkauf oder Gastronomie im Erdgeschoss sind flexibel unterteilbar, wobei die Flächen an Kramgasse und Rathausgasse, mit Ausnahme des östlichen Teils, auch zusammen genutzt werden können. Die Untergeschosse von Hinter- und Vorderhaus bleiben getrennt, je mit Treppen- und Lifterschliessung.
In den drei Obergeschossen und dem Dachgeschoss zur Kramgasse sind je Geschoss zwei grosszügige repräsentative Wohnungen, von der Galerie zum Hof erschlossen, angeordnet. Die aufgereihte Anordnung der Wohnungen je Geschoss steht im Widerspruch zur Symmetrie der barocken Fassade an der Kramgasse. Die bereits typologisch kritisch beurteilten Lichthöfe sind aufgrund ihrer engen Ausmasse auch in Bezug auf Brandschutz nur mit grossem Aufwand und Einschränkungen realisierbar. Zudem besteht aufgrund der Nähe das Problem der Einsicht von Geschoss zu Geschoss.
Die drei Wohnungen je Geschoss an der Rathausgasse sind nach dem Prinzip einer Raum-Enfilade organisiert, mit Nebenräumen in einer mittleren Schicht. Die Schlafräume sind zur Gasse angeordnet, die Wohnräume zum Hof. Die westliche Wohnung verfügt über einen eigene private Galerie. Für die beiden östlichen Wohnungen ist der breite Zugangsbereich über die Galerie gleichzeitig nutzbarer Aussenraum. Eine gemeinsame Dachterrasse wird auf dem 4. Obergeschoss Seite Schlüsselgässchen angeboten.
Auf der Seite Kramgasse bleibt die Art-Deco-Gestaltung der Laubenfassade erhalten, ebenso die barocke Fassade in der heutigen Form mit der Erhöhung der Brüstung des 1. Obergeschosses aufgrund der Deckenhöhe über Erdgeschoss. Die Hoffassaden werden einerseits geprägt durch das in Beton materialisierte Raumgitter, teilweise mit verstellbaren horizontalen Holzlamellen ausgefacht, und andererseits durch die muralen Fassaden von Treppenhaus und östlichem Hinterhaus. Bei den Fassaden zur Rathausgasse wird zu Gunsten der Wohnräume das dahinterliegende Traffelet-Wandbild aufgegeben. Abgeleitet von der Typologie der ursprünglichen Laubenbögen, werden die in geschlemmtem Sandstein konzipierten Fassaden neu aufgebaut. Interpretierte mit Betongewänden gefasste Fensteröffnungen mit Mittelpfosten und unterschiedlicher Fensterteilung gliedern die Fassaden. Die sieben schmalen und hohen Lukarnen auf dem Dach des östlichen Hinterhauses erscheinen zu dominant und stören in dieser Massierung die Dachlandschaft.
Insgesamt gelingt es den Verfassern nicht, die detaillierte und präzise Analyse in ein schlüssiges und selbstverständlich wirkendes Projekt umzusetzen. Die Idee des Raumgitters als eine Art Skulptur kann zu wenig mit den aus der Baugeschichte hergeleiteten Elementen des Stadtpalais zu einem Ganzen stimmig zusammengesetzt werden. Das Einfügen der beiden Höfe im Gebäudevolumen verunklärt das typische Prinzip der Gebäudegliederung der Berner Altstadt.