modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffener Wettbewerb | 11/2019

Hochbauliche Entwicklung Hafenstraße in Sassnitz

1. Preis

Preisgeld: 51.200 EUR

blrm

Architektur

Erläuterungstext

MITTEN IM HAFEN
Fischerei und Tourismus im Einklang

Die Fischerei und mit ihr der Stadthafen der Stadt Sassnitz stehen vor einem großen Strukturwandel. Die Bedeutung der Fischerei für das kulturelle Erbe und die wirtschaftliche Entwicklung der Hafenstadt Sassnitz ist unbestritten. Dabei sollte die Fischerei in Zukunft nicht verdrängt und der Hafen keinesfalls zu einem musealen Event-Tourismusort werden, vielmehr sollte die Fischerei als lebendiger Teil des Hafen- und Stadtbildes erlebbar gemacht werden.
Die Haupterwerbsfischerei wird zunehmend unwirtschaftlich - die jüngste Einigung der EU-Fischereiminister auf niedrigere Fangquoten für die Ostsee befeuert diesen Prozess - und die Fischer müssen mit neuen Bewirtschaftungskonzepten gegensteuern. Das Agrarministerium Mecklenburg-Vorpommerns rät zum Ausbau der Direktvermarktung, zur stärkeren Einbindung der Fischgastronomie, zur Schaffung von Ferienunterkünften bei Fischern und zu Gästefahrten; bis zu 49 Prozent Bezuschussung seien möglich. Für Sassnitz bietet sich hier die Chance, als Vorreiter eine zukunftsorientierte und moderne Fischerei zu etablieren.
Der Ideenentwurf „Mitten im Hafen“ schlägt daher eine neue Hafentypologie vor, die diesem Strukturwandel eine räumlich funktionale Gestalt gibt. Die Trennung zwischen Funktions- und Erlebnisbereich im Stadthafen bleibt zwar vorhanden, wird aber mit neuen touristischen Nutzungen niederschwellig in einer gefalteten Landschaft ergänzt. Eine synergetische Beziehung zwischen Fischerei und Tourismus in Form eines Gebäudes als Landmarke entsteht. Wo wenn nicht in Sassnitz sollten Einheimische und Touristen hautnah erleben, wie Fisch angelandet und verarbeitet wird? Die Hafenatmosphäre mit Möwengeschrei und Kuttern, kleinen und großen Jachten, den Fahrgastschiffen, großen Fähren und dem Geruch des Meeres ziehen seit jeher Landratten an.

STÄDTEBAU - NEUE HAFENPROMENADE
Die Lage der Stadt Sassnitz ist besonders: die stufige Hanglandschaft, das Meer, der grüne Gürtel zwischen dieser Ebene und der Oberstadt, die gebirgig ansteigende Stadt, darüber der Buchenwald mit Kreidefelsen. Das Hauptaugenmerk des Entwurfes liegt auf der fußläufigen Fortsetzung der Hafen- und Promenadenebene am südlichen Ufer – die Verbindung der Strandpromenade mit Seebrücke und Molenpark im Osten mit dem westlich gelegenen Yachthafen und dem Glasbahnhofbahnof.
Der Entwurf schlägt daher ein Ensemble aus zwei Baukörpern vor.
Einer der beiden Baukörper, der neue „Hafenspeicher“ nimmt den Fußabdruck der bestehenden Fischhalle auf und formuliert so eine klare Raumkante zur Hafenstraße und Parkhaus. Der zweite Baukörper ist bewusst über dem Wasser positioniert und entwickelt sich aus der pfahlgegründeten, hölzernen Steglandschaft, die die Hafenkante begleitet und entwickelt sich über in einem gerahmten Wasserbecken auf der Begrenzung des alten Kühlhauses in die Höhe und bildet das neue „Haus der Fischerei“. Die Stege vermitteln zwischen den vorhanden unterschiedlichen Höhenniveaus im Uferbereich. Die Stegtopographie mit Treppen und Sitzgelegenheiten schafft neue Plätze sowohl zur Stadt hin mit Möglichkeiten kleiner Hafenkonzerte als auch zum Hafen hin mit Panoramablicken auf die Hafenkulisse.

HAUS DER FISCHEREI UND HAFENSPEICHER – FUNKTIONEN
Das, was sie anlanden, verladen die Fischer heute meist gleich über die Kaikante in Kühltransporter. Die neue Hafenlandschaft bietet Raum für die direkte Vermarktung durch die Fischer und damit zur stärkeren Einbindung der Fischer in die Fischgastronomie.
Der langgezogene „Hafenspeicher“ belässt rückseitig die alte Laderampe und bietet Raum für verschiedene Gewerbeeinheiten, wie Gastronomie, Fahrradverleih, Ferienwohnungsverwaltung etc., oder - je nach Bedarf – Lager- und Verarbeitungseinheiten für die Hafenwirtschaft. In den beiden Obergeschossen befinden sich, als 3-Spänner organisiert, kleine und mittelgroße Wohneinheiten, die sowohl als Ferienwohnungen aber auch als dauerhafter Wohnraum genutzt werden könnten. Jede Wohneinheit wird durch einen Giebel und einen eigenen Farbton innerhalb des Baukörpers ablesbar. Der“ Hafenspeicher“ erinnert so in seiner Anmutung an eine Reihung traditioneller Fischerhütten.
Die Steglandschaft vereint sowohl Hafen- als auch Erlebnisfunktionen und wäre im weiteren Projektverlauf mit den Nutzern näher zu definieren. Vorschläge sind hier z.B. neben Lagerräumen für die und Anlege- und Verladesituationen für die Fischer, Sitzstufen, Hafenschwimmbad, Kanuverleih, Startpunkt für Gästefahrten, Fischaufzucht als Showbecken oder Terrassen für Fischgastronomie.
In den Geschossen darüber wird eine einzigartige Hotelnutzung vorgeschlagen, die in direkter Verbindung mit der Fischerei steht. Letztlich ergibt sich hier sogar die große Möglichkeit durch Förderungen des Landes, die Fischer direkt an der Vermietung von Ferienunterkünften bis hin zur Teilhabe am Hotelbetrieb zu beteiligen.

MATERIALITÄT, ÖKOLOGIE UND NACHHALTIGKEIT
Grundsätzlich liegt ein Augenmerk auf dem energieeffizienten, ressourcenschonenden Bauen; Dauerhaftigkeit der eingesetzten Materialien und Oberflächen ermöglichen lange Gebrauchszeiten. Vielfältige Synergieflächen und Sichtbeziehungen, sowie zahlreiche Begegnungs- und Kommunikationsräume wirken sozial nachhaltig für die Hafen- und Stadtgemeinschaft.
Der nachwachsende Rohstoff Holz kommt in der Stegkonstruktion und möglichst weitreichend auch in der Konstruktion des „Hauses der Fischerei“ zum Einsatz.
Das Erdgeschoss des „Hafenspeichers“ wird als flexibel programmierbare Stahlbetonskelettkonstruktion vorgeschlagen, während die beiden Wohngeschosse in Holztafelbauweise vorgesehen sind.
Es wird eine möglichst umweltschonende und gleichzeitig betriebskostenoptimierte technische Gebäudeausrüstung mit „Low-Tec“- Ansatz angestrebt. Es werden zwar effiziente, aber gleichermaßen robuste und zuverlässige regenerative Energiekomponenten eingesetzt. Photovoltaik- und Solarthermie-Elemente belegen die hochgelegenen Dachflächen und versorgen die Gebäude. Ein ganzheitlicher Ansatz zur Abwasserentsorgung schont die Ressource Trinkwasser und hilft gleichzeitig, das anfallende Abwasser zur Energiegewinnung zu nutzen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Entwurfsverfasser geben - mit dem aufgezeigten Entwurfskonzept - auf den im Hafen von Sassnitz stattfindenden Strukturwandel konsequent städtebaulich, architektonisch und funktionell eine zukunftsorientierte Antwort. Die Grundidee, das Thema der unmittelbaren Nähe zum Wasser, in Verbindung mit einer funktionellen und architektonischen Adaption von Fischerei und Fischwirtschaft baulich neu zu interpretieren, wird überzeugend in Städtebau, Architektur und Funktion umgesetzt.

Hervorzuheben ist, dass der städtebauliche Bereich vom Wettbewerbsgebiet bis zum Glasbahnhof gedacht wird.

Zu dieser Umsetzung gehört dann auch, dass die Bestandsgebäude, Kühlhaus und Fischhalle durch städtebaulich differenzierte Neubauten, mit unterschiedlichem Bezug zum und vom Wasser, ersetzt werden. Insbesondere wird dies durch eine bauliche Landmarke, am Standort der ehemaligen Kühlhalle, umgesetzt. Das als „Haus der Fischerei“ benannte Gebäude schafft dabei einen optischen und funktionalen Bezug von der Hafenstraße zur Wasserfläche des Hafenbeckens. Dieses bauliche Gleiten vom Land zum Wasser wird architektonisch durch eine zeitgemäße Betonebenen-Glasflächen-Architektur umgesetzt, die zurückhaltend eine maritime Assoziation nahelegt.

Durch das zweite Gebäude, den sogenannten „Hafenspeicher“, erfolgt eine konsequente, städtebaulich zurückhaltende Begleitung der neugestalteten Kaikante. Die beiden Neubauten sind dabei so angeordnet, dass zum einen ein angemessener Vorplatz zum „Haus der Fischerei“ entsteht, als dortige definierte Zugangssituation. Dieser Platz leitet gleichfalls gekonnt zur Kaikante vor den „Hafenspeicher“ über. Zum anderen wird durch dieses Gebäude die städtebauliche Wirkung des bestehenden Parkhauses reduziert.

Der städtebauliche Ansatz der Bewegung vom Land zum Wasser wird im „Haus der Fischerei“ baulich nachvollziehbar durch ein aufeinander abgestimmtes System von Rampen, Treppen und Aufzügen fortgeführt. Das Auskragen der Obergeschosse auf die Wasserfläche unterstützt diese bauliche Bewegung zusätzlich. Hier wäre jedoch weitergehend zu überprüfen, inwieweit dies mit der maritimen Hafennutzung vereinbar ist.

Hinsichtlich des aufgezeigten Nutzungskonzeptes wird positiv bewertet, dass das Thema der Fischerei zeitgemäß weitergedacht wird, zum Beispiel mit der Idee von Fischzucht und Vermarktung, mit dem Fischzuchtbecken am „Haus der Fischerei“. Die technische und wirtschaftliche Machbarkeit bleibt jedoch weitergehend zu klären. Die in diesem Haus angedachte multifunktionale Nutzung, von der Fischvermarktung bis hin zur Hotellerie, lässt eine saisonverlängernde Nutzung des Hafenbereichs erwarten. Dies wird durch die Funktionsunterlagerung des „Hafenspeicher“ unterstützt. Inwieweit die aufgezeigte Anzahl von dortigen Ferienwohnungen für den Standort geeignet ist, sollte jedoch vertieft überprüft werden.

Die Architektursprache des „Haus der Fischerei“ wird, sowohl von der bewegten Gebäudekubatur als auch von der Glas-Beton-Materialität und der vorgeschlagenen Farbigkeit, als angemessen bewertet.

Als für die Standortidee nicht überzeugend umgesetzt, ist die Architektursprache des „Hafenspeichers“ anzusehen, insbesondere mit der modernistisch anmutenden Giebelarchitektur und der Farbigkeit.

Die Aussagen des Entwurfsverfassers zum Energiekonzept und zur Nachhaltigkeit sind anhand des Entwurfs nachvollziehbar. Diese Bewertung trifft auch auf die Flächeneffizienz und die Wirtschaftlichkeit zu.

Insgesamt stellt der Entwurf einen sehr guten Beitrag zur Weiterentwicklung des Sassnitzer Hafengebiets dar, das sich zukünftig gekonnt zwischen gläsernem Fährhaus und der neuen architektonischem Landmarke aufspannt.