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Nichtoffener, einphasiger Kunstwettbewerb mit vorgeschaltetem international offenem Bewerbungsverfahren | 04/2016

Kunst am Bau | Staatsoper Unter den Linden

2. Preis

realities:united

Kunst

Erläuterungstext

Offensichtlich thematisiert die Arbeit BESUCH das Phänomen der Aneignung von Räumen durch Clubs und den „kreativen Underground“. Die freigelegten Stützen, die mit nur minimalen Mitteln über den Fertigungsgrad des Rohbaus bzw. der Ruine hinaus gestaltet sind, stellen eine erkennbare Stil-Anleihe an den „Club“ dar.
Schon 1955 wurde zur Herstellung des originalen Innenausbaus eine Gestaltung gewählt, durch die eine Bedeutungsaufladung und Aufwertung des vormaligen Kellerraums erzielt werden sollte. Diese externe Referenz, bzw. der Import der damals als „herrschaftlich“ beargwöhnten Motive war für die Architekten und die Gestaltungsverantwortlichen zur Zeit der Herstellung mit einem erheblichen Risiko verbunden. Obwohl Paulick kein Traditionalist war, wählte er diese Lösung. Vermutlich kommt darin ein Verständnis zum Ausdruck, dass die Oper neben ihrer mitunter introvertierten künstlerischen Bestimmung in zweiter Linie ein wichtiger gesellschaftlicher Kommunikationsort ist. Dessen Relevanz steht und fällt mit dem Vermögen vielerlei Bezüge zu ermöglichen, aber jedenfalls auch die (damals latent provokante) Verbindung zwischen kulturellem Erbe und gesellschaftlicher Gegenwart.

An dieser Stelle soll nicht eingegangen werden auf die tatsächliche oder vermutete Beziehung zwischen der musikalischen Hochkultur und der für die Berliner Nachwendezeit legendären „Underground“- oder „Club Kultur“. Die Aufgabe der Installation BESUCH besteht darin, einen Verweis auf die Möglichkeit der „Parallelität“ dieser Welten zu konstruieren. Die Arbeit lässt offen, inwieweit diese Welten sich gegenseitig beeinflussen und durchdringen (sollen) oder ob sie im Sinne eines Gegensatzes vielleicht die größtmögliche Entfernung innerhalb des Spektrums kulturellen bzw. gesellschaftlichen Daseins markieren.
Beide Deutungen sind möglich. Man kann den Kontakt, den „Besuch“ des Clubs an sich als freundliches Zeichen des Interesses deuten und Gemeinsamkeiten und Parallelitäten erkennen. Man kann aber auch – und zwar gerade wegen der ausdrücklichen Betonung der ästhetischen Gegensätze, die die Installation erzeugt, darin ein Bild der Unvereinbarkeit erkennen.
Wir schlagen mit diesem Konzept vor, durch die Konstruktion des „Botschafters“ über einen mehrjährigen Zeitraum einen tatsächlich bilateralen Austausch herbeizuführen. Dabei bekommt „die Oper“ mit dem Umkehrbild der „abgeschälten“ Stützenreihe, also mit der räumlichen Positivform der „Schale“ auch einen Auftritt in der Welt der Clubs. Zu betonen ist, dass dieser Satellit optional ist (siehe entsprechende Darstellung in der Kostenaufstellung). Das liegt einerseits daran, dass sinnvolle Bedingungen für diesen Austausch noch ermittelt werden müssen und eine Festlegung erst auf dieser Basis passieren sollte. Aber es liegt auch daran, dass der Schwerpunkt dieses Konzeptes ganz deutlich im Raum der Konditorei liegt. Nicht zuletzt, weil der künstlerische Effekt des gegenseitigen „Besuchs“ überwiegend hier in der Staatsoper vermutet werden darf, da die Integration und Absorption derartig externer Stimuli im eklektizistische Konzept des Clubs ohnehin programmatischer Bestandteil ist und entsprechend routiniert erfolgt.

Wesentlich ist der zeitliche Aspekt der Installation. Wir schlagen vor, der Installation einen konkreten Zyklus bzw. eine Lebensspanne von 30 Jahren
vorzugeben (von der man als Realist ohnehin ausgehen sollten), die zwar beliebig verlängerbar ist, aber die dadurch den Hinweis auf die Zeitlichkeit des dargestellten kulturellen Bezugs immer auch selbst beinhaltet. Die Ableitung des Zeitintervalls erfolgt in Bezug auf die jüngere Geschichte der Staatsoper. Hier gibt es bisher drei Zeitpunkte großer Veränderungen oder Umbrüche: Wiederaufbau/Entstehung 1955, Wende/Wiedervereinigung 1989/1990 und umfassende Sanierung 2017. Das letzte Zeitintervall, die Zeit zwischen Wende und Gegenwart ist für beide Bereiche maßgeblich, denn dieser Zeitraum bildet für die Entwicklung der Underground Club Kultur den wesentlichen zeitlichen Referenzrahmen in dem alle Phasen der Entstehung, der Blüte und der Abwanderung bzw. Transformation liegen. Mit dieser Feststellung ist auch enthalten, dass aus unserer Perspektive die Praxis der provisorischen Raumaneignung durch die Underground- und Club-Kultur der Nachwendezeit als überwiegend abgeschlossen anzusehen ist, weshalb es nicht erforderlich ist spätere Design-Aktualisierung des Eingriffes in der Konditorei durchzuführen, etwa um einen jeweils aktuellen Bezug zur Club Kultur zu erhalten.

Beurteilung durch das Preisgericht

„Besuch“ Die Arbeit besteht aus einer skulpturalen Geste und einem Dialog zwischen der Oper und Orten der Clubkultur. Vorgesehen ist ein zentrales Architekturelement der „Konditorei“, den Durchgang, in seinem Rohbauzustand zu belassen. Die dort befindlichen Wandscheiben werden mit Spiegeln ausgestattet. Gerade dies erklärt, dass es sich bei der Arbeit nicht um einen Blick in die Historie des Hauses bzw. des Ortes handelt, sondern um eine klare, skulpturale Setzung. Durch die Idee, mit den nicht verbauten Verblendungen bzw. Kopien davon an den Orten der Berliner Clubkultur aufzuscheinen, werden Hoch- und Populärkultur miteinander verschränkt. Zugleich steckt in diesem – als Option angelegten – Dialog die Referenz an die inzwischen fast vergangene Ära der Subkultur, die gerade hier in Berlin Spiegel der Wiedervereinigung war. Positiv an der künstlerischen Arbeit ist, dass mit einem so reduzierten Eingriff ein so weiter Diskurs über Bauen und Architektur und deren Ideologien ausgelöst wird. Unklar bleibt, wie das Aufscheinen von Opern-Elementen im Club und umgekehrt, dargestellt werden soll. Wünschenswert wäre deshalb ein viel deutlicherer Verweis auf den Titel der Arbeit und der damit verbundenen Idee des „Besuchs“. Kritisch zu bewerten ist, dass die Translokation der Verkleidung in einen Club für die angedachte Dauer von 30 Jahren innerhalb des finanziellen Budgets und logistisch nicht abgedeckt ist. Ebenfalls negativ zu bewerten ist, dass die künstlerische Arbeit bei einer sehr aufwändigen Sanierung ausgerechnet den Blick auf Problemzonen der Architektur lenkt und „unfertig“ wirkt. Gerade diese, nur an einer Stelle im Gebäude vorzufindende „Provokation“ könnte jedoch auch sehr anregende Gedanken und Diskurse bei den Gästen und Besuchern freisetzen.