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2. Rang 3 / 3

kooperatives Werkstattverfahren | 05/2023

Temporäre Freiflächengestaltung Haus der Statistik / Haus des Reisens in Berlin

Blick auf die Vorfelder

Blick auf die Vorfelder

3. Rang

NUWELA Büro für Städtebau und Landschaftsarchitektur

Stadtplanung / Städtebau, Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Context matters! // DEN ORT VERSTEHEN LERNEN
Der vorgeschlagenen Gestaltung, Nutzung und Bespielung des Planungsgebiets geht eine intensive Analysearbeit voran. Analyse heißt dabei sowohl das Auswerten und Interpretieren verschiedenster Dokumente – seien es Planmaterialien, Texte, etwaige Darstellungen oder anderweitig produzierte Werke – als auch das intensive Erleben des Ortes. Wir hielten uns zu unterschiedlichen Tageszeiten im Planungsgebiet auf, nahmen dabei sowohl die Rolle des Vorbeigehenden als auch die des verweilenden Menschen ein. Ganz natürlich gliedert sich der Raum in Bahnen des fließenden Lagsamverkehrs einer¬seits und Orten des potentiellen Aufenthalts andererseits. Diese subtilen Schnittstellen der Raumnutzung sind es, die wir zum räumlichen Thema unseres Entwurfsansatzes machen wollen.
Darüber hinaus ist der Ort geprägt von den großen Verkehrsachsen. Es ist laut, es ist belebt, mitunter hektisch, es riecht nach Verkehr, Leute sind von A nach B unterwegs. Es ist ein hochöffentlicher, urbaner Ort, den jede:r Berliner:in kennt, aber wohl die wenigsten bewusst wahrnehmen.
Vorfeld Haus des Reisens
Das Haus des Reisens ist durch seine derzeitigen Einzelhandelsnutzungen eine oft aufgesuchte Adres¬se. Eine rege Interaktion „Innen-Außen“ herrscht im Bereich der Erdgeschosse. Über die vorhandene Grünfläche hinweg weisen Trampelpfade auf informelle Wegeverbindungen hin und geben Aufschluss über etwaige Bewegungsmuster.
Eine Schnittstelle der Raumwahrnehmung entsteht zwischen dem schnelllebigen, öffentlichen Raum des "Vorbeigehens" entlang der Alexanderstraße/Otto-Braun-Straße und dem Vorbereich des HdR, der das Potential für einen kurzen Aufenthalt birgt. Die vorhandene Grünfläche samt Bestandsbäumen gliedert diese Bereiche.
Vom Alexanderplatz kommend besitzt der Bau eine gute Sichtbarkeit und Adresse. Der Ort ist geschicht¬lich aufgeladen und war zur Zeit des Mauerfalls und der Wiedervereinigung ein zentraler Ort, der von Protestierenden angeeignet wurde. Hier zeigt sich der hohe Öffentlichkeitsgrad des Ortes. Eine demo¬kratische Gesellschaft braucht den öffentlichen Raum als Ort der Kommunikation, um über Themen von gesamtgesellschaftlichem Interesse verhandeln, debattieren und sprechen zu können.
Verkehrsinsel Otto-Braun-Straße
Die Verkehrsinsel ist ein Ort des kurzen Verweilens. Während einer Ampelphase hält man hier inne.
Der ausgesetzte Charakter und der rundum donnernde Verkehr haben etwas unwirtliches und offenbaren dadurch gerade einen rauen „Reiz der Urbanität“. Das während einer Ampelphase aufkommende Gefühl des Gefangenseins erzeugt eine kurzzeitige Nervosität. Schnell hat man den Transitraum alsbald wieder verlassen. Der Aufenthalt geschieht dabei lediglich im südlichen, vorderen Bereich der Insel. Der nördliche Bereich ist versiegelt, dient dabei aber keinem Nutzen.
Vorfeld Haus der Statistik
Am Vorbereich des HdS schließen während der Bauphase keine Erdgeschosse an. Der Ort muss demnach "aus sich heraus" entstehen und funktionieren. Die großflächige unversiegelte Fläche ist ein Potential im ansonsten weitgehend versiegelten Stadtraum.
Eine Schnittstelle der Raumwahrnehmung entsteht zwischen dem schnelllebigen, öffentlichen Raum des "Vorbeigehens" entlang der Karl-Marx-Allee/Otto-Braun-Straße und der - unmittelbar ruhiger und introvertierter wirkenden - Räumlichkeit in die Tiefe des Planungsgebiets entlang des Hauses der Gesundheit in Richtung Berolinastraße. Der Imbissstand markiert dabei den (sozial-)räumlichen Übergang zwischen dem „hinten“ und dem „vorne“. Die charakteristische Frontalansicht des HdS als temporärer Ort für Statements und Kunst ist mittlerweile weit bekannt und prägt den Ort.
Strip entlang der Otto-Braun-Straße
Der langgezogene Freiraum entlang der Otto-Braun-Straße ist vom Eindruck und der Tatsache geprägt, sich zwischen Baustelle und Straße zu befinden. Die Baumreihe gliedert den Streifen. Mit dem Bauzaun als Pendant entsteht eine Art Tunnelsituation. Auf Augenhöhe sowie am Boden wirkt der Raum derzeit stark der Straße ausgesetzt. Die Pionier:innennutzungen bespielen den nördlichen Teilbereich des Bereichs.
Baulicher Eingriff // ENTSIEGELN, GLIEDERN, RÄUME BILDEN // KLIMAGERECHTER STADTUMBAU
Wir schlagen ein starkes Arbeiten mit dem Kontext vor und zielen auf einen minimalinvasiven aber wirkungsvollen baulichen Eingriff ab, der – dem hochöffentlichen Ort gerecht werdend – das Thema des klimagerechten Umbaus unserer Städte verhandeln will. Dieser dringend notwendige Umbau hin zu nachhaltigeren Systemen kann nur gelingen, sofern wir auch Konzepte für die dichten, stark versiegelten Orte in den Kernzonen der Großstädte erfinden. Zum Erfinden braucht es Versuchsanordnungen, Testläufe und ein Erproben der Ideen. Hier setzt unser Vorschlag an.
Der bauliche Eingriff in den Bestand verfolgt in erster Linie das Entsiegeln gewisser Orte und das Nutz-barmachen der derzeit bereits entsiegelten Orte. So entstehen sowohl vor dem Haus des Reisens, der Verkehrsinsel sowie dem Haus der Statistik grüne Intarsien mit unterschiedlichen Standortvoraussetzungen, Raumqualitäten und Aneignungspotentialen. Die in der Analyse herausgearbeiteten Teilorte des Entwurfsgebiets verlangen spezifische planerische Ansätze um eine Vielfalt an Räumen zu erhalten, die vielfältigen Nutzungsansprüchen gerecht werden können.
Baumhain am Haus des Reisens
Der Teilbereich vor dem Haus des Reisens präsentiert sich im Entwurf als raumbildendes grünes Volumen, das den schnelllebigen Ort des „Vorbeigehens“ entlang der Alexanderstraße und den Vorbereich des Hauses des Reisens gliedert. Die baumbestandene grüne Intarsie wird vergrößert und über eine umlaufende Einfassung präzise gefasst und formuliert. Die Vegetationsfläche wird zu einem schattigen, baum-bestandenen und strukturreichen Standort entwickelt. Wie ein „grünes Polster“ gedeihen die Staudenflächen und schaffen ökologische wie ästhetische Mehrwerte. Potentiell rückhaltbares Oberflächenwasser kann mikroklimatische Positiveffekte erzeugen. Sämtliche neu verteilten Bäume bleiben im Container und sind dadurch leicht rückbaubar. Stege über die Fläche garantieren die im Bestand wahrnehmbaren und nachgefragten kurzen Wege von den Straßenübergängen zum Eingangsbereich des Hauses des Reisens. Bewusst angeordnete Sitzkanten laden zum Verweilen und Sich-Verabreden ein und schenken der Adresse eine neue Aufenthaltsqualität. Der Baumhain am Haus des Reisens kann der Nutzung des Ortes gerecht werden und schafft eine neue Räumlichkeit die aus der Funktionalität der Bestandsfunktion heraus entwickelt wurde.
Island in the sun
Die sonnenbeschienene untertunnelte Verkehrsfläche wird im ungenutzten nördlichen Teilbereich entsiegelt. Ein kiesiger Magerstandort entsteht, der zu einem trockenresistenten Biotoptyp (z.B. wildblühende Trockenwiese) entwickelt und extensiv gepflegt wird. Neben der ökologischen Qualität steht freilich auch ein Funktionieren des Ortes hinsichtlich Aufenthalts, Bewegung, und räumlicher Qualität im Fokus. Der vordere im Bestand belassene Bereich wird über eine Aufkantung von der Grünfläche getrennt. Ein kurzes Innhalten ist möglich, bevor man den Ort des „kurzen Verweilens“ alsdann auch wieder verlässt.
Der exponierten Lage gerecht werdend, schlagen wir darüber hinaus die Situierung eines Kunstwerks innerhalb der Magerwiese vor. Hierfür kann ein Kunstwettbewerb für junge Kunstschaffende kurzfristig ausgelobt werden um ein dem Ort gerecht werdendes skulpturales Werk zu erhalten.
Grüne Stadtbühne am Haus der Statistik
Der öffentliche Raum ist der Ort, wo wir uns treffen und einander begegnen, wo wir miteinander diskutieren, streiten, verhandeln, uns versöhnen und uns verlieben. Für das Selbstverständnis und das Bestehen einer offenen Gesellschaft ist der Wert dieser Räume kaum zu überschätzen. Die öffentlichen Plätze als lebendige Knotenpunkte nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Unmittelbar vor dem Haus der Statistik identifizieren wir einen solchen Knotenpunkt.
Die bestehende unversiegelte Fläche wird aufgenommen und in Richtung Otto-Braun-Straße vergrößert. Topgraphisch leicht überformt (max. 0,75m) entsteht eine bewegte Rasenfläche die zum Durchschreiten, Sonnenbaden, Treffen und Diskutieren einlädt: die ‚grüne Stadtbühne am Haus der Statistik‘. Die von den Pionier:innen kuratierte Bühne bietet Raum für verschiedene Veranstaltungen und ist Plattform für diverse gesellschaftliche Verhandlungsprozesse. Eine entsprechende infrastrukturelle Ertüchtigung des Standorts über einen Unterflurverteiler mit Strom- und Wasseranschluss garantiert das Funktionieren, auch im Veranstaltungsfall. Vorhandene, den Ort prägende Elemente wie die charakteristische Beleuchtung und die Uhr werden Bestandteil der neuen Gestaltung.
Der ehemalige Verlauf der Landsberger Straße markiert den Übergang des ‚Bühnenraums‘ zu einem weiteren Teilbereich des Gesamtentwurfs der die Schnittstelle zum Quartier thematisiert.
Quartierstreff Oase
Im Eindruck der Wechselwirkung zwischen dem zum Quartier gewandten Raum vor dem Haus der Gesundheit und dem öffentlicheren, zur Karl-Marx-Allee gerichteten Bereich am Imbiss “Oase“ spannt sich ein neuer Raum auf. Als Vermittler zwischen „hinten“ und „vorne“ entsteht ein Quartierstreff, der konsum-freien Aufenthalt ermöglicht. Das „placemaking“ geschieht durch zwei einfache Mittel: Einerseits wird der Raum durch eine Markierung im Bodenbelag definiert. Das Bekleben mit Asphaltaufklebern wird als gemeinsame Aktion im Rahmen der ‚kokreativen Baustelle‘ stattfinden. Ebenso das Verteilen der mehr-stämmigen, eingetopften Bäume, die dem Ort eine neue Räumlichkeit verleihen und im heißen Sommer Schatten spenden und einer Überhitzung des Standorts entgegenwirken. Teilweise werden bestehende Beläge aufgebrochen und als Kiesfläche ausgebildet. Diese ist einerseits robust genug um aktiv bespielt zu werden und andererseits – bei geringer Nutzungsintensität - ökologisch als gedeihender Magerstandort wertvoll. Am Quartierstreff lädt flexibles Freiraummobiliar wie Tische Stühle, Bänke und Hocker zur individuellen Aneignung sowie zum Verweilen ein.
Connector
Der lineare Raum entlang der Otto-Braun-Straße bleibt nach wie vor ein Ort, der verschiedene Aufenthaltsräume miteinander verbindet, selbst jedoch weniger als Ort zum Verweilen und Treffen geeignet ist. Auch dieses Anforderungsprofil verlangt nach einer gewissen räumlichen Qualität. Östlich des Interventionsraums wird im Zuge der Baumaßnahmen am Haus der Statistik ein hochwertiger Freiraum im direkten Anschluss entstehen, der zur Otto-Braun-Straße hin einen räumlichen Abschluss benötigt: Die bestehende Baumreihe bleibt erhalten und wird ergänzt. Versiegelte Bereiche unter den Bäumen werden rückgebaut und mit einem zwischen Straßenraum und Geh-/Radweg gliedernden Staudensaum bepflanzt.
Schnittstelle(n) gestalten! // ANEIGNUNG UND VERÄNDERBARKEIT DES ORTES
Die Stadt lebt von Kontrasten, von räumlicher Vielfalt, die uns zu unterschiedlicher Adaption unserer unmittelbaren Umgebung einlädt. Vielfalt an Räumen bedeutet Vielfalt an Übergängen, Vielfalt an Schnitt-stellen. Wie in der Analysearbeit festgehalten, entdecken wir an den Vorfeldern des Hauses der Statistik sowie des Hauses des Reisens mehrere dieser ‚Transitzonen‘, Raumnutzungen und -wahrnehmungen: Eine Eigenart die wir als urban begreifen und erhalten wollen. Die ‚Versuchsfelder des klimagerechten Stadt-umbaus‘ gliedern die Orte. Nun gilt es, Voraussetzungen und Möglichkeiten der flexiblen Nutzbarkeit zu schaffen, bzw. zu begünstigen.
Wir wollen dabei nicht einen Raum schaffen der für alle Ansprüche funktioniert, sondern mehrere erlebbare Raumqualitäten nebeneinander erzeugen, die im positiven Sinne miteinander und umeinander buhlen. Dabei entsteht ein atmendes (Versuchs-)System. Die Schnittstelle kann und soll verschieb- und wandelbar bleiben. Dafür steht die ‚Bühne‘, sowie bewusst gesetzte Einbauten wie Mobiliar, Skulptur, Bauzaun, Stege etc. Sämtliche Einbauten sollen im Sinne des zirkulären Bauens aus recycelten Materialien hergestellt werden.
Hochfrequentierte Orte müssen funktional sein, um über sie hinweg von A nach B kommen zu können. Das muss im Planungsgebiet sicher gestellt bleiben. Gleichzeitig bietet gerade der hohe Grad an Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich auszudrücken, gesehen zu werden. Ein Wechselspiel zwischen Anonymität und Flüchtigkeit sowie Aufmerksamkeit und großer Geste entsteht.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das OGG bewertet das Thema Flächenentsieglung positiv und begrüßt die Entsiegelung zusätzlicher Teilflächen. Die Grundidee, eine Experimentierfläche zum Thema Stadtklima zu schaffen, wird als modellhaft wahrgenommen, kann aber hinsichtlich der konkreten Umsetzungsvorschläge nicht überzeugen. Die Nutzung und Gestaltung der Teilflächen wurde seit dem Zwischenkolloquium überarbeitet und konkretisiert. Nicht nachvollziehbar ist hier, dass die Fläche vor dem Haus des Reisens allein der Durchwegung dient, nicht aber dem Aufenthalt. Im Gegensatz dazu ist ein Großteil der Fläche vor dem Haus der Statistik baumlos und bietet wenig Schattenplätze und wenig Aufenthaltsqualität. Es werden Zweifel geäußert, ob die Vegetation der grünen Stadtbühne der Belastung durch die Nutzer:innen standhalten kann. Es wird begrüßt, dass ein großer Teil des Budgets für Begrünung eingeplant wurde, wobei allerdings fraglich bleibt, ob die Bepflanzung wie vorgeschlagen umgesetzt werden kann. Es wird die Verhältnismäßigkeit des Rückbaus des Baumbestandes in Frage gestellt. Aus Perspektive des Denkmalschutzes werden Sichtachsen durch Baumpflanzungen, wie sie im Konzept vorgesehen sind, verstellt und sind deshalb kritisch zu beurteilen. Das Kunstwerk und sein Standort erklären sich nicht aus dem Gesamtzusammenhang. Die Bühne kann e hinsichtlich Lage und Wegeführung nicht überzeugen.
Das Betriebskonzept bleibt lückenhaft und ist in sich nicht geschlossen. Es fehlt die Einbindung der Akteur:innen und Nachbar:innen.
Gleichzeitig wird die Auswahl der Pflanzen sowie die Nachhaltigkeit des Materials nicht ausreichend dargestellt. Überlegungen zum Thema Materialkreisläufe müssten näher erläutert werden.
Die in der Ausschreibung geforderte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes ist nicht erkennbar. Zusammenfassend würdigt die Jury, dass der Klimawandel in der Idee konkret thematisiert wurde, eine in sich schlüssigere Übersetzung der Entwurfsidee wurde jedoch nicht geliefert.

Treasure Map / den Ort verstehen lernen

Treasure Map / den Ort verstehen lernen

Einordnung in den städtischen Kontext

Einordnung in den städtischen Kontext

Entwurfsplan

Entwurfsplan

Themen

Themen

Quartierstreff Oase

Quartierstreff Oase

Vorfeld Haus des Reisens

Vorfeld Haus des Reisens

Entwicklungsprozess

Entwicklungsprozess

Betreiber:innenkonzept zur grünen Stadtbühne am Haus der Statistik

Betreiber:innenkonzept zur grünen Stadtbühne am Haus der Statistik

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