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Sonstiges Vergabeverfahren | 06/2014

„this is modern“ Deutsche Werkbund Ausstellung Venedig 2014

Teilnahme

UWE SCHRÖDER ARCHITEKT

Architektur

Erläuterungstext

Die Moderne ist Geschichte


Allmählich erst scheint sich die Auffassung zu behaupten, dass die Moderne die Geschichte der Architektur nicht ablöste. Gab es vormals noch die konzeptualisierende Vorstellung von einer Opposition zwischen Moderne und Geschichte, so scheint doch mehr und mehr zur Gewissheit zu werden, dass die Moderne lediglich als eine Fortschreibung der Architekturgeschichte anzusehen ist.
Es gibt im Betreff der Architektur von daher in gleicher Weise wohl kaum ein vernünftiges Argument, dass jenen Recht gäbe, die allein auf eine von der Geschichte abgehobene Moderne setzen, noch denen, die allein an das der Moderne historisch Vorausgegangene anknüpfen wollen: Die Moderne ist Geschichte. Und die Architektur – noch immer hätte sie ihre vorausgegangene Geschichte zu spiegeln, ihre ganze aber, ihre fortgesetzte Geschichte. Mit Ihrem alleinigen und anfänglich radikalen Anspruch auf Zukunft scheint uns die Moderne aber bisweilen noch gegenwärtig in dem Glauben zu halten, auch wir könnten noch Teil dieser sich scheinbar weiter zerdehnenden Stunde Null eines vermeintlichen Neuanfangs sein. Im Inneren dieser Schleife existieren allerdings weder Weg noch Ziel, schon gar nicht das, einer immer erst noch einzulösenden Zukunft. Schon allein dieses Wort Zukunft lässt ein Unbehagen aufkommen und wir vermeiden seinen Gebrauch, wo immer wir können. Welche Zukunft wäre denn auch gemeint? Gibt es überhaupt eine Zukunft, falls wir dem Begriff noch eine kollektive Konnotation unterstellen wollten? Hat „die“ Architektur Zukunft? Irgendwann in der Vergangenheit scheinen die versprochene Zukunft und mit ihr „die“ Architektur verlorengegangen zu sein und haben statt ihrer eine ansteckende Verunsicherung zurückgelassen. Die Zukunft der Architektur ist ungewiss geworden.




Quid pro quo


Der Pavillon in seiner heutigen Figur kommt über den Zeitpunkt seiner vormaligen Neugestaltung nicht hinaus. In Anmutung und Ausdruck konserviert er lediglich einige Voraussetzungen seines Zustandekommens – nicht mehr, nichts Generelles, nichts Verallgemeinerbares, nichts Zeitloses. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, verwiese der Bau allein auf sich selbst, auf seine Architektur. Doch der sinnliche Eindruck führt unmittelbar zu einem intellektuellen Dialog: Die Wahrnehmung der Form leitet zur Konfrontation mit ihrer Geschichte, löst Assoziationen und Imaginationen in einer Dichte aus, die das Bauwerk hinter Vorstellungen und Assoziationen verschwinden lassen. Erfüllt er damit bereits einen Zweck? Nicht nur Kuratoren und Aussteller sind von dieser assoziativen Wirkung betroffen, auch Besucher der jeweiligen Ausstellung im Pavillon zeigen sich mehr oder weniger eingenommen oder gar herausgefordert. Im Deutschen Pavillon hat der Veranstalter zweifelsohne mit einer „Einstimmung“ seiner Gäste zu rechnen. Kann der Bau unter dieser reflexiven Bindung seinen eigentlichen Zweck erfüllen? Oder ist erst diese Bindung das, was den Pavillon als angemessenen Ausstellungsort auszeichnet?

Dialektischer Entwurf
Mit Bau und Bindung lässt sich der Entwurf auf einen imaginären Dialog ein. Dabei gilt der gegenwärtige Ort als Voraussetzung, während die auszumachenden Gegensätze die Methode des Entwerfens veranlassen. Unter den Begriffen Topos und Typus lassen sich die Elemente und bestimmte Eigenschaften des bestehenden Gebäudes bestimmen und in Frage stellen. Bei der induktiven Herangehensweise des Entwurfs spielt weder das verallgemeinerbare Ideal eines Pavillons an sich eine Rolle noch soll der Diskurs des Alten mit dem Neuen in ein allzu eindeutiges Zusammenfügen münden. Der Entwurf antwortet auf den vorausgesetzten Ort komplementär und schlägt infolgedessen einen bewahrenden Umbau vor. Er setzt auf Widerspruch. Er wertet die rückbezügliche Bindung um und hält die dabei offenbar werdenden Gegensätze offen.

Bau als Ort
Hinter den Innenräumen der Stadt und vor dem Außenraum der maritimen Landschaft sind die Pavillons der Länder innerhalb der Giardini di Castello als loser Haufen angeordnet. Breite Wege lenken unter großen Bäumen zu vereinzelten Bauten, laufen vorbei, führen herum. Das romantische Konzept leidet unter dem dichten Gefüge, Korrespondenz und Komposition erscheinen über weite Teile der Anlage unbestimmt. Deshalb umfasst der Entwurf nichts anderes als den Bau selbst. Allein der Bau ist hier Ort.

Entbundene Form
Neue Wände nehmen den Ort in Besitz, frieden den Pavillon im Äußeren und Inneren ein. Alte Böden werden abgedeckt, überkommene Wände abgebrochen oder in neuen Wänden begraben. Infolge der geometrischen Dekomposition hebt der Entwurf die Mittelachse auf, dreht die Orientierung, formt Elemente um, räumt das Innere auf und etabliert eine komplementäre Morphologie der Räume. Der so ins Innere versetzte Altbau entbindet seine äußere Form und verliert mit den Außenansichten auch seine eindringliche Wirkung. Rechnete der alte Bau mit dem Pathos seiner äußeren Form, so setzt der Umbau auf den inneren Raum. Die Einverleibung des Altbaus sorgt für die Umwidmung des Ortes.

Innere Ruine
Hier und da, dort wo das Alte im Inneren als Ruine bestehen bleibt, zeigt sich das Neue unfertig. Offengelassene Wände stellen ursprüngliche Mauerreste aus, Bruchstücke liegen herum, einige frühere Raumkompartimente sind erschlossen, andere vermauert. In den unzugänglichen Zwickeln wachsen Zypressen. Ein Umgang führt durch die innere Ruine und setzt Baugeschichte als Dauerausstellung in Szene. Der Entwurf stellt Geschichte dar. Der Zeitlichkeit des Alten tritt er mit der Zeitlosigkeit des Neuen entgegen.

Forum vs. Villa
Beruhte der alte Pavillon auf dem Typus der Villa, so weist der Umbau mit Kernraum und Anräumen auf den Hof hin, im übertragenen Sinn also auf den städtischen Kontext eines Forums. Dass den Raum ein Gewölbe abdeckt, ändert an dieser typologischen Zuweisung nichts. Mit der gewandelten Hierarchie der Räume geht die neue Widmung des Pavillons als Raum der Begegnung und Veranstaltung einher.

Material als Maßstab
Die neuen Wände und Böden sind ganz mit Backsteinen gemauert und gepflastert. Aus diesem Grunde treten über Öffnungen Bögen auf und an Stelle von Decken Gewölbe. Das Material schreibt die Konstruktion vor. Es gibt dem Umbau eine handwerkliche Maßstäblichkeit, die vom Altbau abweicht. Über den Backstein weisen Geometrie und Proportion auf die Anthropometrie des Ziegelbaus hin, der Raum und Räume bestimmt.

Weißer Kern
Der innere Raum ist - seiner Widmung als Ausstellungs- und Veranstaltungsort entsprechend - ganz in weiß engobierten Backsteinen vorgesehen. Licht wird über die Obergadenfenster und die Öffnungen des kassettierten Tonnengewölbes ins Innere geführt. Nach außen hin wechselt der engobierte Wasserstrichziegel zu einer gedeckten Vielfarbigkeit, die von unten nach oben unregelmäßig von Ockergelb über Rot und Blau zu Schwarzbraun verläuft. Vor dem Grün der Giardini zeigen sich die Wände des umgebauten Pavillons in einer vermischten schillernden Farbigkeit.

Offene Frage
Nach dem Entwurf bleibt die anfängliche Frage nach dem Zweck programmatisch offen. Der Pavillon hält den gedeckten weißen Hof für wechselnde Ausstellungen vor; auf inneren Wegen, in Zwickeln und Nischen, in Wänden und Böden, weist er beharrlich auf die Baugeschichte des Ortes hin. Die Herangehensweise führt zu einer Reihe von Gegensätzen, ohne dass der Entwurf die Widersprüche nach der einen oder anderen Seite vollständig auflösen würde; zwischen Innen und Außen, Form und Raum, Konstruktion und Material, Ein- und Vielfarbigkeit, Proportion und Maßstab, Anpassung und Aneignung, Bindung und Widmung, Villa und Forum, zwischen Zerfallenem und Unfertigem, Zeitlichem und Zeitlosem, Altem und Neuem. Der sehenden und gehenden, denkenden und empfindenden Aneignung bleibt er überlassen: Quid pro quo.