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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2022

Neukonzeption, Sanierung und Erweiterung des Museums für Sepulkralkultur in Kassel

Perspektive

Perspektive

2. Preis

Preisgeld: 16.000 EUR

Osterwold°Schmidt EXP!ANDER Architekten BDA PartGmbB

Architektur

HKL Ingenieurgesellschaft mbH

TGA-Fachplanung

Erläuterungstext

Erschließung | Funktionsverteilung | Organisation
Das Torbogenportal an der Weinbergstraße wird zum Haupteingang des Sepulkralmuseums.
In der Konsequenz gelangt man hindurchschreitend in die Empfangshalle, die nun ein großzügiges Entrée und Auftakt zum Museum bildet. Im Zentrum der historischen Remise bietet die Halle zum einen Raum für Besucherservice und Orientierung für Einzelgäste und Gruppen sowie zum anderen unmittelbaren Kontakt zur reizvollen Aussicht über die Rondellterrasse.
In diesem Sinne werden im Zentrum der Halle Empfangstresen und Kasse positioniert. Eine breite Treppe eröffnet hier direkt und neu den Zugang zum Museumsrundgang beginnend in der Säulenhalle. Gleichberechtigt dient der neue Aufzug die Ebene an.
Um die Empfangshalle, die also die Fläche des vormaligen Hofes einnimmt, lagern sich u-förmig die dienenden Funktionen an. In Verlängerung zum Haupteingang und in Verbindung zur Terrasse befindet sich nun die Gastronomie, die gleichermaßen Innen- und Außenraum bespielen kann. Seminar- und Besprechungsraum belegen paritätisch die schönen Südräume im Erdgeschoss des Bestandsgebäudes und profitieren so sowohl von der direkten Versorgung als auch Terrassenanbindung.
Besondere Ausstellungsobjekte können in der Halle erste Akzente setzen und Neugier wecken während die Ausstellung über die Säulenhalle betreten wird, im Gartengeschoss Verbindung in den Kückert-Bau schafft und dort alle Ausstellungsebenen erschließt. Im Erdgeschoss der gläsernen Fuge werden die Besucher - den Museumsshop tangierend - zur Halle zurück geführt. Die Räume der Museumspädagogik werden in unmittelbarer Verbindung zu Ausstellung und Freiraum im Gartengeschoss angeordnet.
Das Prinzip einer zentralen Funktion und u-förmigen Umrundung wird in den weiteren Obergeschossen fortgesetzt, indem ein dreigeschossiger Neubau in den früheren Hof gestellt wird. Säulen und Bestandswände bilden die Basis des neuen leichten Holzbaus im Kern der alten Remise.
Im 1. Obergeschoss wird zentral die Bibliothek eingerichtet. Der Flur zum Hof umrundet nun die Bibliothek, die Fenster schaffen interessante Blickbeziehungen hinein. Arbeitsplätze in der Bibliothek liegen an der attraktiven Südfassade während im Kern das Archiv eingeordnet werden kann. Mit Bezug zu allen weiteren Außenfassaden werden die wesentlichen Verwaltungsräume ebenengleich angeordnet. Schnittstelle zur Museumsseite bildet die interne Bibliothek. Zugunsten einer effizienten Raumausnutzung wird die Verschiebung der Brückenverbindung vorgeschlagen.
Im 2. Obergeschoss überragt der Neubau das historische U pavillonartig. Das in den 1990er Jahren neu hinzu gefügte Dach wird komplett zurückgebaut und auf den Nachkriegszustand zurückgeführt. Der Multifunktionsraum im Dachgeschoss erhält dadurch eine allseitige Außenfassade mit phänomenaler Aussicht. Seine Besonderheit wird überhöht durch den neu generierten umlaufenden Freiraum auf Dachebene - dem Himmelsgarten. Das flache, nach Süden terrassierte Dach ist intensiv begrünt und mit schlanken bzw. lichtkronigen Bäumen bestanden.
Neben den neuen Erschließungselementen Aufzug und Treppe (zwei- und dreiläufig) in den Norderkern erschließen die Spindeltreppen alle Ebenen unabhängig und rettungsweggebend. Unabhängig kann dadurch auch der Himmelsgarten erreicht werden. Generell taugen die vertikalen Erschließungselemente und die u-förmige Raumorganisation zur separaten Funktionsweise von Veranstaltungen und Museum.

Erscheinungsbild | Konstruktion | Materialität
Alle Zeitschichten des Museums werden bewahrt und gefügt. Der Ergänzungsbau der 1990er Jahre wird respektiert - er korresponiert mit der denkmalgeschützten Remise mit typischen wie besonderen Elementen seiner Entstehungszeit. Die gläserne Fuge wird nun zum räumlichen Bindeglied statt Haupteingang. Als transparentes Element verbleibt auch der ideelle Eidechsengang und Durchblick zur Weinbergterrasse. Eröffnet wird ein Schaufenster zum Museum, das beispielsweise für Sonderausstellungen werben kann.
Die neueste Ergänzung im Kern der Remise tritt architektonisch zunächst zurück. Der leichte Holzbau - konstruktiv pragmatisch aus Stützen, Deckenkassetten und wenigen Wandpaneelen im Obergeschoss aufgebaut - stellt sich allseits gestaffelt von der denkmalgeschützten Fassade dar. Einzig die Südseite offenbart den klaren dreigeschossigen Einbau über der Rotunde - auch hier wiederum zurückgesetzt von den Seitenflügeln des historischen Bestandes.
Die grüne Krone des Museums spielt die Hauptrolle und verschafft dem Sepulkralmuseum einen Aufmerksamkeitsfaktor, den ein neuer Eingang allein nicht zu bewerkstelligen vermag. Das neue Alleinstellungsmerkmal des Museums ist darüber hinaus ein mehrfach codiertes Signal: Es setzt ein Zeichen für das Besinnen auf das ökologische Gleichgewicht, d.h. der Bau konzentriert sich auf einen reduzierten „Fußabdruck“ und schafft Platz für Grünraum als Kompensationsmaßnahme der Flächenversiegelung. Er bewirkt eine Verbesserung des Stadtklimas und des Regenwassermanagements und setzt gleichermaßen einen symbolischen Kontrapunkt zur globalen, städtischen und hauseigenen Klimaproblematik. Nicht zuletzt jedoch knüpfen Himmelsgarten und baumbestandene Rotundenterrasse an thematische Bezüge des Museums an - Orte der Ruhe, der Ruhestätten, Besinnung und Erinnerung im Grünen.
Der Dachgarten mit Baumhain auf Ost- und Westflügel der früheren Remise kann ideell mit Orient und Occident Anstoss geben für die neue Museografie.  
Die Materialwahl und -fügung ermöglichen das Prinzip des „urban Mining“, so dass eingesetzte Baustoffe für eine spätere Wiederverwendbarkeit im Verständnis eines langfristigen „Materiallagers“ für die fernere Zukunft denkbar werden.
Als windstabile Verschattungselemente werden Faltscherenläden eingesetzt. Filigrane vertikale Rahmenelemente mit Metallgewebe fügen sich im Öffnungszustand unauffällig in Laibungen und Wandvorsprünge. Bei Sonneneinstrahlung vor große Verglasungen verfahren schützen sie die Innenräume vor Überhitzung und ermöglichen trotzdem eine Aussicht von innen. Die reduzierte Schienenführung erlaubt eine Nutzung bei Windstärken in dieser exponierten Lage und gleichzeitig eine unauffällige Anwendung für Bestand und Neubau (in farblicher Verwandtschaft messing/silbrig zu den jeweiligen Bauteilen).

Freianlagen
Der Vorgarten wird vom abriegelnden hohen schmiedeeisernen Zaun befreit. Ein Wiedereinbau desselben wird am Südhang gegen die eher unattraktive aufgeständerte Straße vorgeschlagen. Dieser Freibereich kann somit als geheimer und intimer Garten mit Ausstellungsstücken der Sepulkralkultur gestaltet werden während der Vorbereich klar und großzügig auf das Museum vorbereitet und Aufenthalt wie Besinnung und Sammlung unter der solitären Kastanie ermöglicht. Ein exeptionelles Ausstellungsstück auf dem Wiesenstück vor dem Kücker-Bau ist gut ohne Konkurrenz zum Schaufenster vorstellbar.

Energiekonzept | Haustechnik
Energiekonzept und Baukonstruktionen sollen künftig im musealen Bau auch unter ökologischen Ansprüchen miteinander agieren und konzeptioniert werden. Daher wird ein Mix aus passiven baulichen und aktiven technischen Maßnahmen vorgeschlagen. Die Optimierung der raumklimatischen Zustände beginnt an der baulichen Hülle. Hier sind leichte und ungedämmte Konstruktionen zu ertüchtigen und transparente Flächen in Ausstellungsbereichen vor Sonneneinstrahlung zu schützen. Hygroskopische Oberflächenputze werden zur Stabilisierung der Raumluftfeuchte vorgeschlagen. Eine Zonierung der Ausstellungsbereiche sollte nach klimatischen Anforderungen stattfinden.
Die Grundbeheizung des Gebäudes sollte mit sauber erzeugter Fernwärme erfolgen. Die Wärme wird unter Nutzung baulicher Speichermassen wie Wand, Fußboden- und Deckenheizung behaglich und mit geringen Amplituden an die Räume abgegeben, sodass das Raumklima nur langsamen Änderungen unterliegt. Über die gleichen Systeme werden die Räume unter Einsatz von aktiver Kältetechnik auch in den warmen Jahreszeiten temperiert. Diese Technik wird ideal mit Photovoltaik als Stromlieferant auf Dächern ergänzt. Zu diesem Zweck werden PV-Elemente auf dem neuen Dach aufgesetzt und im geneigten Dach des 1990er-Jahre-Baus bündig flächig und unauffällig integriert.
Die stellenweise engen Toleranzgrenzen der relativen Luftfeuchte in musealen Bauten erfordern ggf. eine ganzjährige Regulierung durch raumlufttechnische Anlagen. Da dies am Standort aus diversen Gründen nicht möglich ist, werden dezentrale Lösungen empfohlen.
Bereiche mit Anforderungen an die Raumluftfeuchte über 20% oder unter 40 % sowie mit engen Feuchtegrenzen benötigen eine geregelte Feuchtebeeinflussung. Eine Befeuchtung kann, alternativ zu Zentral-Klimageräten mit Vernebelung von Wasser durch Düsen direkt im Raum erfolgen. Eine Entfeuchtung ist mit dezentralen Umluftkühlgeräten realisierbar, welche neben der Feuchtebeeinflussung auch zur Spitzenlast-Kühlung und Heizung eingesetzt werden können. Diese können unscheinbar in Trockenbau-Wand- und Deckenkonstruktionen integriert werden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Entwurf besticht durch die Idee, sich durch eine komprimierte Hofüberbauung mit insgesamt drei Geschossen ‚Luft‘ für eine auf das Minimum reduzierte Dachaufstockung zu verschaffen. Das Ergebnis ist ein – entgegen dem ursprünglichen Wunsch des Auslobers – prominent auf dem Dach platzierter Multifunktionsbereich mit großzügiger Dachterrasse, die mit ihrem Fernblick zu einem besonderen Ort in Kassel werden würde. Die gewünschte unmittelbare Anbindung an Shop, Café etc. wird dabei bewusst aufgegeben. Das präsentierte, durchaus ansprechende Bild der üppigen, mediterran anmutenden Gebäudebegrünung transportiert die Entwurfsidee, wird sich aber in der Realität technisch so nicht umsetzen lassen. Auch werden die Kübelpflanzen im (unteren) Terrassenbereich vermutlich eher stören. Eine extensive Dachbegrünung als Alternative wäre letztlich zu prüfen.

Die Errichtung der hölzernen ‚Regalkonstruktion‘ im Innenhof wird als einfach zu realisierende und kluge Weiterentwicklung des Baubestandes gewürdigt, die auch im Denkmalsinne eine Fortschreibung der Baugeschichte darstellt. Kontrovers wird jedoch die Raumqualität angesichts der Belichtungssituation in den vergleichsweisen tiefen Grundrissen diskutiert.
Auch der Vorschlag, die Tordurchfahrt zum Haupteingang umzufunktionieren ist im Entwurf gut gelöst. Die Qualität der großzügigen Eingangshalle wird jedoch durch (?) die mittige Anordnung des Kassenbereiches und der neuen Treppe konterkariert. Letztere stört auch den zusammenhängenden Ausstellungsbereich im Untergeschoss.

Die Anordnung der Bibliothek im 1. Obergeschoss ist aufgrund ihrer Nähe zur Verwaltung und der Blickbeziehung zum Neubau ein funktional schlüssiger Vorschlag. Auch die Anordnung der Museumspädagogik ist überzeugend, da Verbindung zur Sonderausstellung und ein direkter Zugang nach außen bestehen.

Insgesamt sind die übrigen Interventionen im Neubau plausibel, die Vorschläge zum Sonnenschutz werden jedoch in Bezug auf Verortung (nicht in den Eckbereichen) und Materialität (Metallgitter) kritisch gesehen.

Ein großzügigeres Angebot im Außenraum, als Auftakt zur Eingangssituation wäre erstrebenswert gewesen. Die alleinige Entfernung des historischen Zauns reicht hierzu nicht aus. Auch wären Aussagen zum südlichen Museumsgarten wünschenswert.

Die Wirtschaftlichkeit des Entwurfes ist im mittleren Bereich zu sehen.

Insgesamt können die Eingriffe und Ergänzungen auf überzeugende Weise eine neue Einheit bilden und dabei den Schwerpunkt auf den Dachaufbau der Remise nutzen. Der kritische Bereich bleibt in der gestörten Raumfolge im Erdgeschoss der Remise und deren fehlenden Tageslichtausstattung.
Blatt 1

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Blatt 2

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Modell

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