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Kooperatives Verfahren mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren | 06/2019

Standortentwicklung der Freien Waldorfschule Berlin-Mitte

2. Preis

Preisgeld: 6.500 EUR

JOTT architecture and urbanism

Architektur

Erläuterungstext

“Urban Moments”
“Most blocks must be short; (…) opportunities to turn corners must be frequent.”
Jane Jacobs – The death and life of great American cities (1961)

Unser Vorschlag für die Neugestaltung des Schulcampus der Waldorfschule beruht auf einem Konzept von „Urban Moments“: Räumlichen Situationen, Überraschungsmomenten und Möglichkeitsräumen. Die verschiedenen Momente lassen sich als strategische Orte, geheime Gärten, besondere Orte und Nachbarschaftsorte identifizieren. Eine Vielzahl dieser Orte gibt es bereits auf dem bestehenden Campus und seinem direkten Umfeld. Sie zeichnen sich durch ihre individuelle Qualität, Atmosphäre und Charakter aus. Unser Konzept sieht vor, diese vorhandenen Orte und Qualitäten zu stärken und durch neue Orte zu ergänzen. Dies geschieht nicht durch eine große Geste, sondern auf dem menschlichen Maßstab durch kleine, gezielte Eingriffe.

Grüne Oase/ Vermittler zwischen Schule und Stadt
Durch die genauere Betrachtung der bestehenden Stadtstruktur wurde deutlich, dass sich der Schulcampus der Waldorfschule wie eine grüne Oase in der Stadt befindet. Die vorhandene Qualität soll erhalten und ausgebaut werden, gleichzeitig soll die Vermittlerrolle zwischen Schule und dem angrenzenden Quartier verstärkt werden. Die Grüne Oase ist im Moment durch den Hauptschulhof gekennzeichnet, aber auch die Haupteingänge sollen diese Identität wiederspiegeln. Die Gestaltung des Übergangs zwischen Schule und Weinmeisterstraße bzw. Gormannstraße nimmt eine Vermittlerrolle ein und bietet neue Möglichkeitsräume.

Hierarchie von Öffentlich und Privat
Die Aufteilung der Außenräume in einzelne „Momente“ ermöglicht einen behutsamen und kontrollierten Umgang mit der Abstufung von öffentlichen und weniger öffentlichen Räumen: beginnend mit den drei Eingangsvorplätzen, die alle einen sehr offenen und öffentlich zugänglichen Charakter haben, über den halböffentlichen Hof des Lehrerseminars, der gegebenenfalls auch abgeschlossen werden kann. Die einzelnen Höfe des Horts unterscheiden sich auf natürliche Weise durch die angrenzenden Funktionen. Die Hierarchie reicht von dem öffentlicheren Eingangshof bis zu den eher privateren Spielhöfen und dem Kinderbauernhof. Der Schulhof und die Sportanlagen werden weiterhin öffentlich zugänglich bleiben und der beschützende Charakter der „Grüne Oase“ wird durch die Lückenschließung entlang der Steinstraße verstärkt.


Die räumlichen Qualitäten der einzelnen „Momente“

Hort: Kleinere Höfe, jeder mit eigenem Charakter und Nutzung, wie Spielhof, Eingangshof, Kinderbauernhof, bilden intime grüne Orte, die durch die Gartenaktivitäten der Kinder weiterentwickelt werden können. Weiche Grenzen zwischen Innen- und Außenräumen werden durch große, direkte Öffnungen zu den Gruppenräumen gebildet und eine durchlaufende Pergola vor den Räumen dient als verbindendes Element.

Sommerpavillion: Der Sommerpavillion zeichnet sich durch seine großzügige Raumhöhe aus, ist offen zu allen Seiten und angrenzenden Funktionen und bietet Platz für große Veranstaltungen. Hier befindet sich auch die Sommerküche und der Ofen.

Lehrerseminar: Das Lehrerseminar bildet einen städtischen Hof in der Tradition der Spandauer Vorstadt aus mit einer harten Oberfläche und Potential für Begrünung. Dieser Hof dient als Treffpunkt für die verschiedenen Funktionen und Gruppen. Das Gebäude öffnet sich von allen Seiten zum Hof es entsteht ein fließender Übergang zwischen Innen- und Außenräumen und eine direkte Verbindung zwischen Cafe, Ateliers, dem Foyer des Lehreseminars und den studentischen Aufenthaltsräumen.

Vermittler: Dem Lehrerseminar kommt eine Vermittlerrolle zwischen Schulcampus und Stadtquartier zu. Im Erdgeschoss entlang der Gormannstraße befinden sich Funktionen, die sich zur Straße öffnen und Ein- und Ausblicke gewährleisten.

Vorplatz und Adressbildung: Ein grüner und ruhiger Ort, der die Identität der Schule als grüne Oase in der Stadt wiederspiegelt. Der Eingangshof erlaubt Blicke von der Straße, die offene Tragstruktur mit integrierten Fahrradabstellmöglichkeiten generiert einen eigenständigen Ort. Das Innere des Eingangshofes wird von Bauten freigelassen.


Flexibilität/ Baubarkeit
Die Gebäudeformen erlauben eine maximale Flexibilität für zukünftige Nutzungsweisen. Große, natürlich belichtete und gut proportionierte Räume können vielfältige Funktionen aufnehmen. Einzelne Gebäude, wie z.B. der Hort, sind mit einer direkten Erschließung von der außenliegenden Pergola geplant. Da diese Flächen nicht zu der BGFr gehören, ist der Faktor BGFr/ NUF besonders effizient. Die Abstandsflächen zu den Nachbargebäuden werden von allen neuen Gebäuden eingehalten.
Wir sind der Meinung, dass die Schule eine pragmatische Herangehensweise an die Weiterentwicklung ihrer Gebäude haben sollte, wobei die Flächen, die am einfachsten bebaut werden können, auch zuerst bebaut werden sollten. Schwierigere Flächen, die das Schließen von Fenstern in der Brandwand beinhalten, sollten erst in den späteren Phasen angegangen werden. Der Bau der Schulerweiterung, des Horts und des Lehrerseminars sind auf alle Fälle zum jetzigen Zeitpunkt möglich ohne das Schließen der Fenster. Jedoch wären für eine spätere Erweiterung des Lehrerseminars und den Bau der Kita ein teilweises Schließen der Fenster notwendig. Dadurch erhält sich die Waldorfschule ihre Flexibilität bauliche Veränderungen, die die unmittelbaren Nachbarn betreffen, zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden.

Erschließung
Der Haupteingang zum Schulcampus an der Weinmeisterstraße bleibt in seiner Form erhalten, wird jedoch durch die Ausgestaltung eines Eingangshofs verstärkt. Dieser Hof verbindet die einzelnen Identitäten von Lehrerseminar, Schule und Ausstellungsraum miteinander.
Die Zugänge der Schule für die Schüler geschieht über die drei bereits vorhandenen Zugänge, die jeweils durch einen eigenen Vorplatz gekennzeichnet sind und direkt an die großzügigen Treppenhäuser anschließen. Auch der Hort wird über einen kleinen Zugangshof von der Steinstraße aus erschlossen. Die Eingänge und Garderoben befinden sich in den einzelnen Gebäuden, sind jedoch über die umschließende Pergola miteinander verbunden.
Die Fahrradparkplätze werden am Rande der einzelnen Vorplätze integriert. Die sechs Parkplätze werden in unmittelbarer Nähe zu ihrer jetzigen Lage erhalten.

Umgang mit dem Baudenkmal
Unser Entwurf respektiert nicht nur die historische Struktur und Morphologie der Spandauer Vorstadt, sondern auch das denkmalgeschützte Gebäudeensemble der Waldorfschule aus dem Jahr 1949, welches sich gut in seine Umgebung einpasst. Alle neuen Erweiterungsgebäude versuchen auf die historische Struktur zu reagieren, durch eine Schießung des Blockrandes mit intimeren Räumen dahinter. Gleichzeitig wird ausreichend Platz für das denkmalgeschützte Schulgebäude gelassen, um seine eigene Identität zu bewahren.
Direkte Anbauten an das historische Schulgebäude werden auf ein Minimum reduziert und sind generell nur einstöckige Bauten. Die komplexeste und herausforderndste Situation ist der Umgang mit der Straßenecke der Gormann- und Weinmeisterstraße. Als Referenz für die Antwort, soll der Portikus der Schinkelschen Alten Nationalgalerie dienen, welcher aufzeigt, dass ein klassisches Portal nicht unbedingt am Ende einer offenen Achse platziert werden muss. Das Portal wird verstärkt durch einen klar definierten Außenraum.

Nachhaltigkeit
Es soll ein nachhaltiger Schulcampus entstehen, der sich aufgrund seiner robusten Struktur für die kommenden Jahrzehnte nutzbar ist und sich anpassen kann an die moderne Waldorfpädagogik. Dabei spielt die verbesserte Verbindung zwischen dem grünen Außenraum und den Lehrnutzungen im Innenraum eine besondere Bedeutung.
Alle neuen Gebäude entsprechen einem hohen Nachhaltigkeitsstandard. Alle Räume, auch die Flure, zeichnen sich durch eine natürliche Belichtung aus. Alle Dächer können begrünt werden, die Verwendung natürlicher Materialien wird bevorzugt und die Anordnung der verschiedenen Nutzungen erlaubt eine effiziente Konstruktion.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der vorliegende Entwurf antwortet mit seinem Konzept der „urbanen Momente“ mit einem schlüssigen städtebaulichen Ansatz zur Schulerweiterung und Einfügung der Hortbauten an der Steinstraße. Durch Aufnahme der Gebäudehöhe und Fassadengliederung wird die bestehende Ergänzung folgerichtig fortgeführt, ohne die Lesbarkeit des Blockrandes und Eigenständigkeit des Schulbaus zu beeinträchtigen.

Besonders würdigt das Preisgericht die städtebauliche Setzung der rückwärtigen hofständigen Hortbauten, welche sich aus der Lückenschließung entwickeln. Mit Ihrer Platzierung und Maßstäblichkeit wird einerseits auf die Typologie der umgebenden Hofbebauung, anderseits beispielhaft auf das umzusetzende pädagogische Konzept eingegangen. Der Wechsel von Haus und Freiraum bietet eine gute Vernetzung von Innen- und Außenraum aller Hortfunktionen. Das zusätzliche Element der Pergola verbindet alle Häuser zu einem Ganzen; somit entsteht ein Hof-Ensemble. Differenzierte Freiräume mit unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten lassen eine hohe Aufenthaltsqualität vermuten.
Kritisch wird in Teilbereichen die Abstandsfläche zur Nachbarschaft bewertet; die Art der Anbindung an den denkmalgeschützten Bestand wird kontrovers diskutiert.

An der Gormannstraße reagiert der Entwurf mit einer Hof-Typologie mit differenzierten Gebäudehöhen. Trotz einer Reduzierung der Geschossigkeit zur denkmalgeschützten Bestandsschule, erscheint der bauliche Abstand und Freiraum beengt. Die Platzierung der Kita als eingeschossiger Baukörper an der nördlichen Grundstücksgrenze ist im Bezug zu den Abstandsflächen und der Qualität der benötigten Freiflächen im Hof kritisch zu bewerten.

Der städtische Vorplatz als Schuladresse wird durch eine Pergola mit einem Ausstellungspavillon vom Stadtraum abgegrenzt. Diese Lösung wird kontrovers diskutiert. In Bezug auf die gewünschte Präsenz und Offenheit erscheint dieses vom Hofbereich wiederkehrende Element nicht notwendig. Die Lage des Ausstellungspavillons ist auf Grund seiner Dichte zum Bestand zu hinterfragen.

Durch das städtebauliche Konzept im Bereich der Steinstraße, insbesondere mit der ausformulierten hofseitigen Gebäude- und Freiraumtypologie, stellt der Entwurf einen guten Beitrag zur Umsetzung des pädagogischen Konzeptes der Waldorfschule dar.