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Projektwettbewerb | 11/2020

Neubau der Schulanlage Saatlen in ZĂĽrich-Schwamendingen (CH)

4. Rang / Ankauf

BESSIRE WINTER GmbH

Architektur

DU Studio

Architektur

Caretta+Weidmann Baumanagement AG

Architektur

Erläuterungstext

Entgegen der Wettbewerbsauslobung, wird der Ersatzneubau der Schulanlage Saatlen neu verortet und an den Stadtraum der Autobahneinhausung Schwamendingen gerückt. Auf der städtischen Parzelle SW6036 wird das Wettbewerbsprogramm mit den bestehenden Stadtwohnungen und weiteren öffentlichen Nutzungen kombiniert und in einem hybriden Gebäude als neue Zentralität gebündelt. Das ehemalige Schulareal Saatlen wird von sämtlichen Hochbauten befreit und zum weitläufigen Quartierspark rückgebaut. «Where there’s nothing, everything is possible [...]»

In Anbetracht der fortschreitenden baulichen Verdichtung sowie der beiden gigantischen öffentlichen Investitionen (Einhausung Kostenvoranschlag CHF445Mio, Schulanlage Saatlen Kostenannahme CHF156Mio) ist eine grundsätzliche Evaluation des öffentlichen Raumes, bzw. der Grün- und Aussenräume in der ehemaligen Gartenstadt Schwamendingen nötig.

Figur/Grund
Die ursprüngliche Gartenstadt weist im Vergleich zur typischen Kernstadt ein umgekehrtes Figur-Grund-Verhältnis auf. Solid und Void, Voll und Leer, stehen in gegensätzlicher Beziehung. In der Kernstadt erscheint der Freiraum als Negativraum seiner Bebauung, in der Gartenstadt als Positivraum. Grossmassstäbliche Grünflächen, einzig durch radial verlaufende Strassenzüge unterbrochen, bildeten gemäss dem Steinerplan von 1948 die grüne Leinwand auf welche die zeilenförmigen Bauten von geringer Dichte projiziert wurden.
Dieses für die Gartenstadt so charakteristische Verhältnis zwischen dem Haus und seiner Parzelle gerät durch die deutlich höhere Be- bauungsdichte unter Druck. Die grüne Leinwand wird zunehmend zum schmalen (Rest-)Raum zwischen den Häusern. Die Bestandaufnahme der aktuellen Neubauten widerspiegelt den aussichtslosen Versuch, mittels Manipulation und Camouflage viel zu grosser Baukörper, die einheitlich lockere Bebauung Schwamendinges zu wahren und zu reproduzieren. Diese Operationen sitzen dem Missverständnis auf, trotz widersprüchlicher Anforderungen an Gebäudegrösse und Ausnutzung, die Qualität der Gartenstadt in der einzelnen Parzelle zu lösen.

FreiraumgerĂĽst
Als mögliche Alternative muss eine neue Gartenstadt ihre begriffliche Entsprechung (und räumliche Übersetzung) unter dem zunehmenden Druck der Verdichtung nicht im Einzelnen lösen, sondern in der Betrachtung als Ganzes.
Durch die Beschreibung eines übergeordneten Systems von Grün- und Aussenräumen verbinden sich die einzelnen Lücken zur Freiraumfigur. Diese konzentriert, schützt und erweitert die Eigenschaften der ursprünglichen Gartenstadt Steiners und stellt sich als Leerraum gegen den gebauten Kompromiss, gegen die fortschreitende Zäsur dieser weitläufigen, öffentlichen Qualitäten durch zu grosse, zwitterhafte Baukörper, welche weder städtisch noch suburban sind und daher eigenschaftslos die autonom gedachte Parzelle besetzen.

Als Kippbild eröffnet die neue Gartenstadt ein alternatives Verhältnis der zwei entgegengesetzten Lesarten von Voll und Leer. Die Ambivalenz dieser gegensätzlichen Räume wird zum Motor der Entwicklung Schwamendingens: Je spekulativer die Bebauung, desto stärker entfaltet der Freiraum seine Wirkung. Als formloser central park wird die Gartenstadt zur öffentlichen Infrastruktur, welche den gesamten Ort erschliesst und zusammenhält. Vernetzte Grünräume als System von Leerräumen definieren diese neu.
Einhausung
Mit 1km Länge, 30m Breite und 8m Höhe wird die Einhausung Schwamendingen zu einer der grössten Hochbauten der Schweiz, verbunden mit entsprechenden Baukosten sowie Material- und Energieaufwand. Als städtebauliches Pflaster soll es die offene Wunde schliessen, die die heroische Ver- kehrsplanung der 1970er durch den Steinerplan geschnitten hat. Die Diskrepanz von Aufwand und Ertrag sind evident: Die Lärm- und Abgasemissionen werden als Symptome lokal, aber mit enormem Aufwand behandelt; der Patient Verkehrskollaps bleibt allerdings krank. Umso drängender ist die Frage nach anderen Potenzialen.

Bislang beschränkt sich die städtebauliche Ambition darauf, das Betonbauwerk als haushohe Hecke in die «Gartenstadt» einzubinden bzw. zu kaschieren und damit den bisherigen angrenzenden Autobahn-Leidtragenden eine akute Verbesserung zu bieten. Andererseits soll die als Überlandpark betitelte Dachfläche die bestehenden Grünzüge durch Schwamendingen fortsetzen, was in der Draufsicht und im Situationsplan eine Verwischung der Grenzen verspricht: als Ein-Park-ung.

Stadtraum
Im Schnitt allerdings bleibt die trennende Wirkung der Autobahn aufgrund der Höhe der neuen Schutzhülle für die Quartierhälften bestehen und verschärft sich morphologisch, wie im Schwarzplan ersichtlich. Nüchtern betrachtet schiebt sich ein acht Meter hohes Bollwerk durch den Stadtteil.
Anstelle einer nachgereichten Camouflage soll der Höhenunterschied als Potenzial verstanden werden, hinauf zu einem höherliegenden, spezifisch programmierten Stadtraum. Im Sinne einer linearen Zentra- lität entsteht ein erhöhtes, städtisches Niveau, welches als öffentliches Datum über dem generischen Wohnungsbau liegt und dem durchgrünten Aussenraum auf Erdgeschosshöhe überlagert ist. Die Einhausung wird zum Stadtraum – als angemessene Reaktion auf die bauliche Verdichtung von Schwamendingen.

24H Ă–ffentlickeit
Entgegen der Gestaltungsplanung sollen öffentliche Nutzungen an die bislang als begrünter Transitraum unternutzte Ebene herangeführt werden und mit dem Einhausungsdeck verbunden werden.
Mit der Schulanlage Saatlen sowie dem erweiterten Programm Studiowohnungen, Kino- und Veranstaltungsräumen, Sport- und Schwimmhalle, sowie Musiksäalen verspannt sich in der Mitte der Einhausung ein öffentliches Gebäude zwischen den unterschiedlichen Höhen und aktiviert die Höhendifferenz der Einhausung programmatisch. Gemeinsam mit der integrierten Station Schörlistrasse wird die Schulanlage zum 24h Knoten auf der Entwicklungsachse Irchel – Schwamendingen – Seebach.

Strip
Mit der bestehenden Gestaltungsplanung einher geht eine deutliche Aufzonung der angrenzenden Bebauung. Die monumentale Infrastruktur liegt bislang wie ein lebloser Fels zwischen den Wohnbauten, die mit Passerellen andocken dürfen. Mittels einer Pergola und linearer Beleuchtung auf die gesamte Länge wird die städtebauliche Hierarchie zu Gunsten des öffentlichen Raumes geklärt – unabhängig von der Qualität der Randbebauung. So entsteht ein spezifischer Strip, der seine grosszügige Morphologie von der Verkehrslogik der Autobahn erhält.
Analog zu den auslaufenden Autobahnrampen wird das Portal und der Tunneleintritt der Einhausung mit den Bewegungsflüssen von Schwamendingen verwoben, wodurch das Bauwerk nicht mehr als extrudierter Schnitt mit beliebiger Länge im Quartier schwimmt, sondern an seinen Enden organisch auf die topographischen und funktionalen Begebenheiten reagiert.

Versiegelung
Im Kontext der Verdichtung hat ein haushälterischer Umgang mit unversiegeltem innerstädtischem Boden Priorität.
Die partielle Eindeckung mit Humussubstrat für Begrünung sowie die punktuelle Anbindung mit Rampen und Treppen stehen nicht im Verhältnis mit der Grosszügigkeit und Weite des neuen Einhausungsbauwerks. Als bereits versiegelte Fläche soll auf dem Dach kein Grünraum simuliert werden, sondern städtischer Raum entstehen.
Mit knapp 33’000m2 bereits überstellter Fläche ist die Einhausung prädestiniert für sämtliche Sportfunktionalen und harten Beläge im Quartier. Ziel ist eine Ballung dieser Programme auf der Einhausung und eine weitestgehende Entsiegelung auf Bodenniveau.
Für die Schule wird die Einhausung zum Pausenraum, erweiterten Foyer, Veloparkour, Festplatz, Flohmarktareal etc. Die Beschaffenheit der Fläche ist weitestgehend Neutral gehalten, damit eine Vielzahl von Aktivitäten informell stattfinden kann. Verschattungen und lokale Vegetationen sind Teil der Fläche und der Pergola.

Der angrenzende neue Park und Schulgarten präsentiert sich wiederum im Sinne von Luigi Snozzi’s Aphorsimus: «Eine echte Wiese reicht bis zum Mittelpunkt der Erde!»

Beurteilung durch das Preisgericht

Dem Projekt PARZELLE SW 6036 liegen sehr wertvolle übergeordnete Überlegungen zur zukünftigen räumlichen Entwicklung der Gartenstadt Schwamendingen zugrunde. Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Verdichtung und zwei beträchtlichen Investitionen der öffentlichen Hand, der Einhausung der Autobahn und dem Ersatzneubau der Schulanlage Saatlen, stellen die Verfassenden den vorgegebenen Ort dieses Wettbewerbsverfahrens infrage. Sie weisen mit Berechtigung darauf hin, dass die Einhausung der Autobahn zwar die Lärmbelastung aufhebt, dafür als räumliche Zäsur das Quartier wie ein Bollwerk zweiteilt und so ein neues Problem schafft. Den Vorschlag, das vorliegende Programm der Schulen kombiniert mit einer Wohnnutzung als Kompensation der zu ersetzenden alten Wohnbauten sowie weiteren öffentlichen Nutzungen wie Kinos und Musiksälen als grossmassstäbliche Struktur aktivierend auf eine Parzelle der Stadt Zürich an die Einhausung zu rücken, kann die Jury sehr gut nachvollziehen. Sie erkennt darin einen wertvollen Beitrag, den Druck der Verdichtung auf diesen Stadtteil jeweils nicht im Einzelnen, sondern in einer gesamtheitlichen Betrachtung zu lösen. Der vorgeschlagene Ansatz zeigt beispielhaft auf, wie ein städtebaulicher Umgang mit der problematischen Zäsur der Einhausung gefunden werden kann. Gleichzeitig ermöglicht er, das heutige Schulareal als grossen Erholungsraum für die Quartierbevölkerung frei zu spielen und in einem akribischen Verfahren in einer Art Rückbau und Transformation des aktuellen Bestandes eine Vielzahl von spezifischen Orten mit hoher Aufent- haltsqualität auszubilden. Mit Ausnahme des Kindergartens könnten die Neubaufunktionen so ausgelagert werden. Der stattdessen auf der Parzelle entstehende grosszügige Freiraum würde sicher einen grossen Mehrwert für das ganze Quartier darstellen. Der Leerraum wird mit einem Baumdach besetzt. Die Standorte der ehemaligen Gebäudeabdrücke werden, wie Ruinen im neuen Park, als sogenannte Follies bespielt und erinnern an Elemente des emotionalen Landschaftsparks im 19. Jahrhundert. Durch das Weglassen von Baumpflanzungen werden diese Bereiche als Lichtungen inszeniert, so dass man sich den Freiraum insgesamt sehr stimmungsvoll vorstellen kann. Leider schmälert das dichte Baumraster auch die Wahrnehmung der räumlichen Weite und die Abwechslung zwischen Leere und Grünvolumen, wesentliche Elemente der Gartenstadt. Der Vorschlag, die Allwetterplätze auf der Einhausung zu integrieren, ist infolge des fortgeschrittenen Projektstands des Bauvorhabens nicht realistisch. Nötige Elemente wie Ballfangnetze würden ausserdem das Volumen der Einhausung, das die Projektverfassenden ja eigentlich kritisieren, zusätzlich erhöhen. So überzeugend der städtebauliche Ansatz des Projekts auch ist, stellen sich in Bezug auf die betriebliche Tauglichkeit der vorgeschlagenen Schule für kleine Kinder insbesondere in den Unterrichtsbereichen auch Fragen. Die ein- bis zweibündige Organisation der Klassengeschosse weist äusserst straffe und knapp gehaltene Erschliessungsräume auf, die den hohen Anforderungen an Begegnungs- und Aufenthaltsbereiche nicht zu entsprechen vermögen. Auch wird eine angestrebte Cluster-Bildung von jeweils drei bis vier Klassen im vorgeschlagenen Typus nicht möglich sein. Die Ausrichtung der Mehrheit der Unterrichtsräume auf die schmalen und teilweise eher knapp belichteten Räume zwischen den Gebäudetrakten führt grundsätzlich zu sehr beengten Verhältnissen und schmälert dadurch die Qualität der Klassenräume für kleine Kinder beträchtlich. Es ist zudem bezeichnend, dass unter anderem die geforderten Kindergärten im Projekt gar nicht ausgewiesen werden. Diese vorgebrachten betrieblichen Defizite erstaunen in Anbetracht der kohärenten und sorgfältig ausformulierten räumlich-strukturellen Durchbildung des Projektes.
PARZELLE SW6036 vermag den spezifischen Anforderungen einer Schule für Kinder dieser Altersstufe nicht wirklich gerecht zu werden. Der Beitrag zeugt jedoch als eine Art Manifest insbesondere auf städtebaulicher Ebene von einer intensiven und fundierten Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung, und es ist den Verfassern hoch anzurechnen, die Vorgaben des Wettbewerbsprogramms kritisch zu hinterfragen und einen vielversprechenden Weg für eine zukünftige Stadtentwicklung in diesem Gebiet von Zürich aufzuzeigen. Die vorgeschlagene Perspektive sollte deshalb in einem geeigneteren Rahmen eingehender geprüft und weiterverfolgt werden.