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Award / Auszeichnung | 09/2008

Landesbaupreis Mecklenburg-Vorpommern 2008

Ansicht von Süden

Ansicht von Süden

Kategorie bis 500.000 €, Wiederaufbau der Dorfkirche in Barkow

Landesbaupreis

STADT+HAUS Architekten und Ingenieure GmbH & Co. KG

Architektur

Erläuterungstext

Wiederaufbau Dorfkirche Barkow nach Einsturz 2004
Die Gemeinde Barkow liegt an der Elde ca. 7 km westlich der mecklenburgischen Kurstadt Plau am See. Der Ort hat ca. 200 Einwohner. Der Friedhof ist ca. 4000 m² groß. Von den 406 Grabbreiten sind zur Zeit 285 Grabbreiten mit 146 Grabstätten belegt. Die Kirchgemeinde Barkow hat zur Zeit ca. 320 Mitglieder.

Zur Baugeschichte der Kirche gibt es folgende Angaben:
1274 Barkow erwähnt
1320 Erwähnung einer Kirche, ein Vorgängerbau
14. Jh. Glocke Holzturm
1. H 17. Jh. Kanzel
1785 eine zweite Glocke wurde in Rostock gegossen
1786 Erneuerung des Turmes als Fachwerkbau
1828 Renovierungsarbeiten
19. Jh. neogotisches Gestühl
1884 Friese III Orgel (eventuell auch 1887)
1952 Renovierungsarbeiten
1995 Abbruch der Außentreppe neben der Sakristei
Die Außentreppe führte zur ehemaligen Gutsherrenempore
3.4.2004 Einsturz des Dachstuhls

Idee:
Die Verfasser gingen beim Vorschlag zum Wiederaufbau von der Baugeschichte des Gebäudes aus.
Ursprung des Gebäudes ist das Feldsteinmauerwerk des Kirchenraumes. Der Kirchenraum wurde 1786 mit Fachwerkwänden offensichtlich zusammen mit dem Bau des Fachwerkturmes erweitert. Durch den Einsturz 2004 waren Dachstuhl und Decke zerstört. Der Fachwerkbau war beschädigt.
Vorstellbar ist, dass der Feldsteinbau davor nur mit einem steilen Satteldach gedeckt war und damit ein sehr klarer Baukörper war. Dieser Ursprungsbau mit den Ergänzungen von 1786 und 2005 soll ablesbar sein.

Funktion:
Ein neuer Hauptzugang erfolgt über den eingeschobenen Baukörper nunmehr von Süden. Dieser ist behindertengerecht und ausreichend breit für Bestattungen. In diesem neuen Eingangsbereich ist auch Stellfläche für kleinere Ausstellungen vorhanden.
Die Orgel steht auf einer neuen Empore. Die Empore kann bis zu 15 Chorsänger aufnehmen und wird über eine Wendeltreppe im Turm erschlossen.
Die Raumakustik wurde verbessert, da die Orgel nicht mehr im oberen Bereich eingehaust ist.
Der südliche Eingang über den kleinen Anbau wird als solcher nicht mehr benötigt und als Sakristei genutzt.
Im Turmbereich sind eine Teeküche, ein haustechnischer Raum für Heizung und Nebengelass und ein WC eingeordnet. Diese drei Einheiten sind als hineingestellte Körper erkennbar. Damit werden bauphysikalische Probleme und das beheizbare Volumen (Frostfreiheit) reduziert.
Die Beheizung erfolgt durch eine Luft-Wärmepumpe. Der Außenverdampfer ist auf dem Glockenstuhl untergebracht. Die vorhandene Glocke wurde saniert und mit zwei neuen Glocken ergänzt.

Konstruktion:
Der abgesackte Fußboden wurde mit einer Stahlbetonplatte mit Fußbodenheizung erneuert. Das Ziegelmaterial als Bodenbelag war in ähnlicher Weise vorhanden. Da es sehr stark beschädigt war, wurde historisches Ersatzmaterial verwendet.
Der neue Dachstuhl ermöglicht, dass Dachstuhl und Dachdeckung wartungsfreundlich sind.
Die Tragwerksplanung zum Dachstuhl ist anspruchsvoll, um mit einem einzigen Zugband die Horizontalkräfte aufnehmen zu können.
Der Fachwerkturm wurde saniert.
Die abgebrochenen Fachwerkwände des Kirchenraumes sind durch Stahlbetonrahmen mit ausgemauerten Feldern und innenseitigem Kratzputz ersetzt.
Der Kirchenraum erhielt eine Stahlbetonempore mit eingespannter Verglasung.
Die Dachfläche des neuen Zwischenbaus ist ein Weichdach mit Bekiesung. Das Dach entwässert über einen Speier nach Norden.

Gestaltung:
Fachwerkturm und Feldsteinmauerwerk mit Bedachung sind gemäß ihrem historischen Bild erhalten und wiederhergestellt worden.
Folgendes sollte sichtbar sein:
Der Urbau der Kirche als viereckige Feldsteinkirche mit Steildach.
Die Erweiterung des Gebäudes mit einem Fachwerkturm um 1786.
Der Einsturz als Bruch in der Baugeschichte mit einem eingeschobenen neuen Baukörper aus Stahl.
Die Farbigkeit des Gebäudes in erdigen bis rotbraunen Tönen ist erhalten. Starke Farbakzente wurden außer am Ostfenster vermieden.
Im Kirchenraum wurde ein mittelalterlicher Engelsfries und weitere Ausmalung gefunden. Von den sehr bruchstückhaften Befunden wurden zwei Engel restauriert. Ansonsten wurden die Befunde mit einem hellen Farbton abgedeckt.
Der Altar wurde nach einem Entwurf der Verfasser als Tischaltar aus Stahl errichtet.
Orgel und Kanzel sind erhalten und restauriert.
Vom Gestühl blieben 4 Bänke erhalten. Ansonsten wurde eine flexible Bestuhlung gewählt.
Die Stufe zum Altar wurde so versetzt, dass sich die erhöhte Fläche vergrößert.
Auf Wunsch des Bauherrn wurde der Anteil des Tageslichtes über Schlitze im neuen Zwischenbau vergrößert. Geborgenheit mit Blicken in die Außenwelt sind ein entscheidendes Motiv des Entwurfes.
In sehr enger Zusammenarbeit mit den Verfassern wurden von dem Künstler Thomas Kuzio neue Verglasungen für die neuen Stahlfenster des Kirchenraumes entworfen.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Aufgabe bestand in der Wiederherrichtung der durch Baufälligkeit teilweise eingestürzten Dorfkirche mit einem mittelalterlichen Kernbau aus Feldsteinmauerwerk. Das Objekt liegt inmitten eines durch alten Baumbestand und liebevoll gepfl egte Hausgärten geprägten Ortskerns. Es ist von mehreren Seiten über den außerordentlich großzügig und stilvoll angelegten Friedhof zugänglich. Von
dem durchfahrenden Verkehrsteilnehmer gut einsehbar, liegt es auf einer leichten Anhöhe. Diese städtebaulichen Rahmenbedingungen haben die Architekten aufgegriff en, indem sie die entstandene Baulücke zwischen Kernbau und Fachwerkturm mit einer kräftigen Kubatur geschlossen haben. Dieses Zeichen wird dadurch sinnfällig, weil hier nicht nur ein zweiter Eingang angelegt wurde, sondern auch der ehemalige Fachwerkzwischenbau neu interpretiert wird. Der äußeren Form wird durch das Fassadenmaterial aus Corteenstahl eine zeitgenössische Prägung verliehen, die durch den leicht changierenden, warmen Braunton jedoch mit der von natürlichen Materialien geprägten Umgebung gut harmoniert. So wird aus einem riskanten Unterfangen Altes und Neues zusammenzubringen ein überraschend unaufdringliches aber unverwechselbares Ensemble. Im Inneren ergibt der neue Zwischenbau Raum für die alte Orgel auf einer Empore, deren seitlicher Ausläufer für die Chorsänger den alten und neuen Teil zusammen bindet. Das Motiv der Einheitlichkeit des Kirchenraumes wird durch eine identische Farbgebung von alten und neuen Putzfl ächen erzielt, ohne dass der Neubau verleugnet wird, denn die neuen Wände sind deutlich rau strukturiert, was auch der Akustik zugute kommt. An der Nahtstelle von Alt und Neu sind zusätzliche Tageslichtöff nungen angeordnet, die den Zwischenbau auch innen auf sinnfällige Weise deutlich machen, ohne dass der Gesamtraum zerbricht. Der völlig off ene neue Dachstuhl über dem alten Kernbau ist im guten Sinn schlicht ausgeführt. Die Tragwerksplanung hat hier auf denkbare Kräftedarstellungen spektakulärer Ausformung verzichtet. So findet sich hier ein Beispiel dafür, dass durchaus komplizierte Aufgaben einfach gelöst werden können, umso mehr die Konzentration auf den eigentlichen Zweck des Raumes die zentrale Aufgabe darstellt. Den Verfassern ist dies mit einer eindrucksvollen Gestaltung des Altarbereiches gelungen, in dem sich das Stahlmaterial der Außenhaut in den Kultgegenständen wieder findet, deren Ausformung ihre große Stilsicherheit verrät. In eindrucksvoller Leichtigkeit sind auch die neuen farbigen Fenster entworfen worden. Mit dem Neu- und Umbau der Dorfkirche Barkow hat sich die dörfliche Gemeinschaft ein neues sozial-geistiges Zentrum geschaff-en, von dem die Jury hofft, dass sich daraus nachhaltige Anreize für die Attraktivität des ländlichen Lebens ergeben.
Ansicht Turm

Ansicht Turm

Blick zur Empore

Blick zur Empore

Detail Eingang

Detail Eingang

Detail Fenster

Detail Fenster

Detail Cortenstahlfassade

Detail Cortenstahlfassade