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Award / Auszeichnung | 06/2008

Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau 2008

Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes in Gotha

Anerkennung

Osterwold°Schmidt EXP!ANDER Architekten BDA PartGmbB

Architektur

Planungsbüro Artz

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

Ausgangsbedingungen und Aufgabenstellung
Zur Neugestaltung des zentralen Umsteigepunktes auf dem Bahnhofsvorplatz Gotha wurde 2001 ein Realisierungswettbewerb zum Neubau eines ÖPNV-Terminal ausgelobt, aus dem unser Büro siegreich hervorgegangen ist. Auf der Grundlage eines 1995 durchgeführten Wettbewerbes zur Neugestaltung des Bahnhofgebäudes und der Neuordnung des gesamten Bahnhofsumfeldes wurden zuvor die städtebaulichen und verkehrstechnischen Rahmenbedingungen in mehreren Workshops entwickelt. Kernstück dieser Arbeit bildet ein neuer Bahnhofsvorplatz, der die historischen Achsen der Verbindung zwischen Altstadt, Schloßpark und Bahnhofsgebäude aufnimmt.
Aufgrund der aktuellen demografischen Entwicklung und wirtschaftlichen Situation in der Region ist die zeitnahe Bebauung der nördlichen und östlichen Baufelder am Platz kaum zu erwarten. Auch die Anschlußbebauung der Bahnhofstraße weist erhebliche Lücken auf (ehemaliges Bahnhofshotel), deren Schließung sicher erst längerfristig geschehen wird. Somit kommt dem ÖPNV-Terminal, als einzigem hochbaulichen Thema neben der Umgestaltung des Bahnhofsgebäudes eine zentrale Bedeutung in stadträumlicher, funktionaler und gestalterischer Hinsicht zu, da von diesem Gebäude Impulse für die weitere Entwicklung des Gesamtareals erwartet werden.
Das Verkehrskonzept sieht acht überdachte Rendevouz-Haltestellen vor, als Umsteigebeziehung von Bus auf Straßenbahn und Thüringer Waldbahn, eine ortsübergreifende Straßenbahn für Nah- und Ferntourismus im Thüringer Wald. Die notwendigen räumlichen Funktionen wie WC, Imbiss usw. sollten modulartig entwickelt werden, um eine abschnittweise Realisierung oder Umnutzung zu erlauben.
Die Idee
Den fehlenden Raumkanten, der verlorenen Identität und Aufenthaltsqualität des Ortes und dem zu geringen Raumprogramm für ein mögliches Gebäude antworten wir mit einer zusammenhängenden Dachfläche von ca. 50 m x 50 m ,um zuerst die städtebauliche Dimension zu sichern. Innerhalb dieser Fläche wechseln entsprechend der funktionalen Organisation:
Bahnsteig - Fahrbahn, Gebäudemodul - Freifläche schachbrettartig offene und überdachte Abschnitte, die über einen 75 cm hohen Fries umrahmt werden.
Säuleneichen geben eine vertikale Akzentuierung, die über die offenen Dachsegmente hinaus mit der höheren Nachbarbebauung korrespondieren und als Referenz für den Thüringer Wald stehen. Sämtliche Dächer funktionieren unterseitig als Lichtdecken,die tagsüber natürlich belichteten, offenen Dachfeldern wechseln in den Abend- und Nachtstunden mit den beleuchteten Deckenfeldern.
Der platz- und bahnseitig angeordnete, hinterleuchtete Schriftfries „ ...denn man reist doch wahrlich nicht, um an jeder Station einerlei zu sehen und zu hören“ zitiert den Fernreisenden Goethe als regionalen Bezug. Vier Module von 5 x 12 m nehmen unterschiedliche Funktionen und Nutzer auf: Blumenladen, Imbiss, Information und Verkauf und öffentliche WC‘s und sichern über die Haltestellenfunktion einen wirtschaftlichen Betrieb für die Stadt über vermietbare Einheiten.
Direkt zugeordnete, geschützte Freiräume mit Sitzmobiliar auf Holzterrassen gleich einem „städtischen Wohnzimmer“ bieten über die reine Wartefunktion hinaus eine besondere Aufenthaltsqualität an der Schnittstelle zum Bahnhofsvorplatz .
Konstruktion, Material, Aspekte der Nachhaltigkeit
Dem Gebäude liegt das Konstruktionsraster von 5,87 x 5,87 m entsprechend der Gleisachsen der Straßenbahn zugrunde. Das Stahl-Dachtragwerk liegt auf 6 m hohen mit elektropoliertem Edelstahl verkleideten Stahlrohrstützen. Die Fassade und Dachverkleidung des Terminals besteht aus PVDF-beschichteten Aluminium-Vorhangfassaden-Elementen, die räumlichen Module sind mit amethystfarbenem, doppelschaligem wärmegedämmten Profilbauglas allseitig begrenzt.
Die Funktion des Gebäudes als Dach erfordert eine große Fläche bei geringem Raumprogramm, d.h. durch den Wechsel von geschlossenen und offenen Flächen wird der reduzierte Umgang mit konstruktiven Elementen unter Beibehaltung der Idee „alles unter einem Dach“ ermöglicht. Diesem Prinzip folgend kommt eine allseitige beschichtete Aluminium- Fassaden- und Dachbekleidung zum Einsatz, die sowohl funktional und gestalterisch den Übergang zwischen aufgehender Fassade und Dach „verschwinden“ läßt.
Die verwendeten Konstruktions- und Fassadenmaterialien sichern eine robuste und verschleißarme Funktion der Bauteile über einen langen Zeitraum. Bei der Auswahl der Fassadenmaterialien wurde neben den konstruktiv-gestalterischen Eigenschaften auf die Minimierung des Gewichtes großer Wert gelegt, um einen sparsamen Einsatz der Werkstoffe zu erreichen.
Als Beispiel hierfür steht der Einsatz von transluzenter 0,03 mm starker PVC-Folie als Licht-Spanndecke, die mit ca. 900 qm Fläche weniger als 100 kg Gesamtgewicht bedeuten.
Die verwendeten Einzelrahmen von ca. 2 m x 3 m gewährleisten eine einfache Wartung und Austausch einzelner Elemente, ohne das gewünschte „fugenlose“ Gesamterscheinungsbild der Lichtdecke aufzugeben.
Die besonderen Eigenschaften der verwendeten PVDF - beschichteten Aluminium Fassaden- und Dachpaneele (UV-Beständigkeit, Umweltneutralität, schmutzabweisende Wirkung, usw.) halten der besonderen Beanspruchung in unmittelbarer Nähe zur Bahn (Flugrost Schienenabrieb, Staubbelastung) stand.
Gleichzeitig erlaubt das Aluminium- Fassadenmaterial eine Ausführung der Attika mit ausgestanzten, hinterleuchteten Buchstaben auf einfache, aber wirkungsvolle Art als Beleuchtung und Information über den Fassaden-/ Dachfries. Die eingesetzte Lichtdeckenfolie ist zu 100 % recyclebar. Die transparente Dämmung der zweischaligen Profilglaswände auf Zellulosebasis verbessert den U-Wert der lichtdurchlässigen Aussenwände der Gebäudemodule um 0,7 Punkte.
Lichtkonzeption und Energiebedarf
In Zusammenarbeit mit dem Lichtplaner Torsten Braun wurde frühzeitig eine Lichtkonzeption für den Betrieb des Terminals entwickelt, wo neben den gestalterischen und lichttechnischen Qualitäten auch die Verbesserung des Sicherheitsempfindens im öffentlichen Raum durch eine gezielte Lichtplanung betrachtet wurde.
Die Idee, die ca. 900 qm Unterdecken als komplette Lichtdecke auszubilden, erhöht die Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Sicherheit im gesamten, vergleichsweise spärlich beleuchteten Umfeld in den Abend- und Nachtstunden. Um die im Vergleich zu den Minimalanforderungen erhöhten Betriebskosten für die Stadt als Betreiber des Terminals zu senken, haben wir vorgeschlagen, die ca. 1.000 qm große Dachfläche mit Kunststoffabdichtung mittels integrierter Photovoltaikanlage auszustatten. Die Planung der Dachgeometrie wurde daraufhin angepaßt.
Die Untersuchungen haben ergeben, daß beim Einbau der ca. 600 qm großen Fläche an integrierten Modulen die Energieerzeugung über Photovoltaik über dem Energieverbauch der Lichtdecken liegen, d.h. darüber hinaus eine Einspeisung ins Netz erfolgen kann. Die Investitionskosten werden unter der Vorausetzung anteiliger Förderung nach ca. 5 Jahren refinanziert sein.
Der ressourcensparende Materialeinsatz, die Möglichkeit der aktiven Nutzung der Sonnenenergie über eine dachintegrierte Photovoltaikanlage, die Speicherung der Dachwässer in einer Zisterne zum Bewässern der Säuleneichen im Terminal und die Flexibiltät der Gebäudemodule und Kompensation der unterschiedlichen Nutzungen verstehen wir als Beitrag im fortschreitenden Stadtumbauprozeß.