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Award / Auszeichnung | 06/2013

Beispielhaftes Bauen: Schwarzwald-Baar-Kreis 2004-2013

Abt-Gaisser-Haus

DE-78050 Villingen-Schwenningen, Schulgasse 23

Auszeichnung

Flöß Architekten

Architektur

Spitalfonds Villingen

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Kultur-, Veranstaltungsgebäude

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2010

Projektbeschreibung

Dokumentation zur Sanierung des Abt-Gaisser-Hauses, Schulgasse 23 in Villingen

von Andreas Flöß,
Architekt und Bauleitung
Villingen im September 2010

Das Abt-Gaisser-Haus ist am Tag seiner feierlichen Eröffnung ein Gebäude, bei welchem es selbst mir als Architekt aus heutiger Sicht schwerfällt, es mit den üblichen technischen, wirtschaftlichen und funktionalen Aspekten zu beschreiben.

Stattdessen erleben Sie hier ein Gebäude, welches voller Emotionen, Geschichten und wertvollen Details auf eine lange Vergangenheit zurückblicken kann.
Eine Vergangenheit, die seit ca. 1200 n.Chr. untrennbar mit der Villinger Stadtgeschichte verwoben ist - denn bereits beim Bau der Villinger Stadt-mauer wurde der "Grundstein" für das Abt-Gaisser-Haus gelegt. Besser gesagt waren es gleich mehrere Grundsteine, die hier als Basis für das Gebäude rund dreißig Jahre später, im Jahre 1233/34, als Nordfassade dienen sollten.
Heute sind diese bis zu zwei Meter dicken Wände freigelegt und Sie können sehen und erahnen, wie not-wendig dieses solide Fundament war, um die Jahrhunderte wechselvoller Geschichte, wenn auch stark angegriffen, zu überstehen.

1. Vorgeschichte
Seit 1981 haben zahlreiche bauhistorische Untersuchungen nur allmählich die lange Historie des Abt-Gaisser-Hauses rekonstruieren können. Fest steht, dass es als eines der ältesten Häuser unserer Stadt, erst als St. Georgener Pfleghof ("Niederlassung" des Klosters St. Georgen) und als Amtssitz / Wohnung der Äbte des in Villingen ansässigen Benediktiner-konventes, genutzt wurde (von 1538 bis 1806).

Als Zeugen dieser glanzvollen Zeit sind uns unter anderem Renaissance-Malereien erhalten geblieben, die 1981 unter mehreren Tapeten und Gipsputzschichten gefunden wurden.

Diese fragmentarischen Wand- und Deckenbemalungen, die man an verschiedenen Stellen im Haus entdeckte, waren es auch, die zu Beginn der 80er Jahre das Gebäude davor bewahrten, durch Zweckumbauten völlig entstellt zu werden.
Weiteren Ausbaumaßnahmen konnte somit Einhalt geboten werden - dem allmählich fortschreitenden Verfall der Bausubstanz allerdings nicht. Denn was sich als wertvolle und bauhistorisch schützenswerte Besonderheit herausstellte, führte zugleich zu einem Stillstand in allen Instanzen.

Alle Umbauarbeiten wurden sofort eingestellt und mit dem Wissen, hier ein Juwel der Stadt Villingen wieder-entdeckt zu haben, begann eine jahrzehntelange Kosten-Nutzen-Diskussion, die das Gebäude in einen wahren "Dornröschenschlaf" versetz-te. Eine dicke Staubschicht legte sich über die verwinkelten und herunter-gekommenen Räumlichkeiten, die zuvor jahrzehntelang als Einfach-wohnungen gedient hatten.

2. Planung
2008 kam mit der Entwurfsvorplanung für die Unterbringung der Stiftungsverwaltung des Spitalfonds und diversen Räumlichkeiten für die Seniorenbetreuung die ersten Ansätze der heute vollendeten Sanierung ins Gespräch.
Durch den Kauf des Abt-Gaisser-Hauses und die damit verbundenen Sanierungsabsichten durch den Spitalfonds Villingen wurde die Hoffnung geweckt, den zunehmenden Verfall des Gebäudes endlich aufhalten zu können.

Die vorgefundene Bausubstanz befand sich in einem äußerst schlechten Zustand.
Unschwer war zu erkennen, dass die Räume durch Umbaumaßnahmen mit mehreren übereinander aufgebrach-ten Bodenbelägen und vielschichtigen Wand- und Deckenverkleidungen in ihrer ursprünglichen Anordnung kaum noch nachvollziehbar waren.
Mit den Jahren war der Bausubstanz ausschließlich hinzugefügt worden - wodurch die Räume kleiner, verwinkelter und niedriger geworden waren.

Auf den zweiten Blick wurde ersichtlich, dass das tragende Gebälk dem Zahn der Zeit nicht hatte standhalten können und "nachgegeben" hatte.

Obwohl für die neue Nutzung die minimalste Verkehrslast angesetzt wurde, war schnell klar, dass dieses Gebäude von Grund auf stabilisiert werden musste. Innen senkten sich Decken und Fußböden von den Außenwänden ins Gebäudeinnere um bis zu 70 cm ab.
Sämtliche Räume und die Treppenhäuser waren mit Höhenunterschieden und Absätzen von bis zu 100 cm verbaut.

Die neue Umbauplanung beinhaltete als wichtigsten Punkt den Erhalt sämtlicher historischer Bausubstanzen. Hierbei handelte es sich nicht nur um die Wände mit Wandmalereien und die Räume mit Holzdecken, sondern um sämtliche noch ver-wendbaren oder restaurierbaren Bauteile im gesamten Haus. Durch eine konsequente Verwendung gleichartiger, hochwertiger und naturbelassener Baustoffe sollte es gelingen, die alte Bausubstanz zu erhalten um sie ihrer Einmaligkeit herauszuheben. Das Konzept sah vor, die neuen Bau-teile als Kontrast im historischen Baukern zu betrachten.

Um nach der Sanierung eine sinnvolle Nutzung möglich zu machen, wurde durch bauhistorische Untersuchungen im Bereich des 1536/37 angebauten Ostbaus bestätigt, dass die Reduzierung der Raumstruktur zugunsten eines Saales vertretbar ist.

Die Entwurfsplanung der zukünftigen Räume sieht in den weniger gut belichteten Nordbereichen Funktionsräume und Erschließungszonen vor. Die Büroräume und der Saal befinden sich in den ausreichend gut belichteten Südzonen des Gebäudes.

Nach der umfangreichen Planungsphase und der Vorlage eines stimmigen, in enger Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege ausgearbeiteten Nutzungskonzeptes, wurde Ende Mai 2009 die Baugenehmigung durch die Stadt erteilt.

3. Baubeginn
Die Sanierung des Abt-Gaisser-Hauses wurde in der folgenden 13-monatigen Bauzeit zu einem ständigen Balanceakt zwischen der Bewahrung dieser bis zu 770 Jahre alten Gebäudesubstanz und den realen Anforderungen der Gegenwart.

Es galt, Aspekte wie z.B. Brandschutz, Technik oder Schalldämmung mit den Anforderungen des Denkmalschutzes in Einklang zu bringen. Die Barrierefreiheit des Gebäudes erforderte beispielsweise einen Aufzug und einen zentralen Zugangsbereich, der durch einen modernen Anbau aus Sichtbeton und Glas realisiert werden konnte.

Eine weitere große Herausforderung stellte das notwendige statische Konzept des gesamten Gebäudes dar. Eine optimale Lastverteilung sieht normalerweise die direkte Lastabtragung in die Fundamente vor. Bei der vorherrschenden Raumstruktur im Abt-Gaisser-Haus saß - mit Ausnahme der Außenwände - keine Wand auf der anderen.
Dieser Umstand erforderte teilweise hochkomplizierte statische Antworten, welche heute im Gebäude bewusst sichtbar und erlebbar gemacht wurden.

So mussten die Deckenbalken mit jeweils unterschiedlichen statischen Maßnahmen gesichert werden. Für nahezu jeden einzelnen der insgesamt über 100 Balken wurde ein eigenes Trag- und Stützkorsett entwickelt und angewendet.

Zur Stabilisierung der sich absenkenden Innenbereiche wurden zusätzliche Stahlträger in die Decken eingelassen und verankert. Das bestehende Holzgebälk wurde ebenfalls durch Stahlträger und neue Unterkonstruktionen aus Holz verstärkt.

Nach der Sanierung verdeckt, liegen beispielsweise in der Geschossdecke des 2. Obergeschosses 12 Stahlträger mit einer Bauteillänge von je 11 m,welche über den Dachstuhl in die entkernte Decke eingelassen wurden.

Sichtbar bleiben diese Maßnahmen hingegen im Saal und in den angrenzenden Räumen im 1. Obergeschoss: die stabilisierenden Stahlträger verlaufen längs unter den historischen Unterzügen und passen sich diesen an.

4. Freilegung der Bausubstanz
Im Inneren des Gebäudes galt es, die jüngere Bausubstanz des Gebäudes Schicht für Schicht freizulegen.

So wurde beispielsweise im Gewölbe des 2. Obergeschosses unter drei Schichten verschiedenster Bodenbeläge ein aus dem 13. Jahrhundert stammender Sandsteinboden freigelegt und für die heutige Nutzung teilweise ergänzt.
Im 1. Obergeschoss wurden auf die gleiche Art und Weise Teile des alten Dielenbodens aus dem 16. Jahrhundert sichtbar.

Anschließend galt es, die alten Böden, Türen, Treppen, Decken und Wandvertäfelungen zu sanieren und das neue Gebäudekonzept behutsam daran anzulehnen. Der Gedanke, die alten Elemente in ihrer Ursprünglichkeit zu bewahren, war das ständige Motiv aller Maßnahmen und Umbauten. Jetzt, nach der Sanierung, wird dieser Leitgedanke überall im Gebäude sichtbar.

Gänzlich unsichtbar hingegen ist die neue Heizungsverteilung, die in der teilweise abgehängten Decke verlegt wurde.
Die Elektro- und Datenleitungen befinden sich in Bodenkanälen und sind über bodenbündige Verteilerdosen erreichbar. Die Lichtschalter wurden, von den Wänden abgelöst, auf Edelstahlstelen montiert.
Diese Maßnahmen waren notwendig, um die Wände in ihrer historischen Struktur zu belassen und Eingriffe in die alte Bausubstanz zu vermeiden.

Diesem Prinzip folgen auch die neuen Decken- bzw. Fußbodenkonstruktionen, indem sie abgesetzt von den alten Wänden nicht direkt an historische Wandtäferungen und Lamperien angrenzen. Die neu eingebrachten Decken wurden bewusst als leichte Elemente in die Räume eingehängt und scheinen zu "schweben".

Der glückliche Umstand, dass die Wandvertäferungen in vielen Räumen in ihrer ursprünglichen Lage, Höhe und Proportion erhalten werden konnten, führte auch dazu, dass die neuen Böden nie bündig an die Wand angrenzen.

Bei der Decke wurde bewusst mit Abstand gearbeitet, so dass der neue Bodenbelag einerseits Raum bietet, um Versorgungsleitungen aufzunehmen und andererseits nicht an die Vertäferungen anstößt.

Die im Gebäude neu verbauten Innentüren sind in ihren Maßen an die alten Türstürze angepasst.
Die neuen, unlackierten Zargenver-kleidungen aus Kiefernholz geben den ursprünglichen Türrahmen eine neue Einfassung. Die drei markanten Außentüren wurden von einem Restaurator komplett überarbeitet und an ursprünglicher Stelle wieder verbaut.

Die bauhistorisch dagegen wenig bedeutsamen Fenster und Fensterläden des dreigeschossigen Massivbaus wurden komplett ersetzt. Eine Sanierung erschien weder aus denkmalpflegerischer, noch aus ökonomischer Sicht sinnvoll.

5. Gewölbe im 2. OG
Das unter einer Putzschicht verborgene Gewölbe im 2. Obergeschoss, welches direkt an die Stadtmauer angrenzt, konnte aufwendig freigelegt und gesichert werden. In einem zweiten Schritt wurde es teilweise mit einer originalen Gewölbeschalung neu aufgemauert.

Nachdem ein historischer Durchgang zum Gewölbe wieder freigelegt wurde und eine weitere Zwischenetage bereinigt werden konnte, wurde das gesamte 2. Obergeschoss wieder als eine Ebene begehbar gemacht.

6. Dachstuhl und Dachhaut
Der Dachstuhl wurde 1840 neu abgezimmert und auf die bestehenden Außenwände aufgesetzt.
Es waren umfangreiche Sicherungsmaßnahmen vorwiegend an den Bundbalken notwendig. Auf der gesamten Nordseite waren die Schwellen, Balken und Sparrenköpfe abgefault und mussten ersetzt werden.

Der sanierte Dachstuhl wurde mit einem Futterdach neu versehen und mit alten handgestrichenen Biberschwanzziegeln gedeckt. Hierbei konnten rund 2.000 Ziegel der alten Deckung wiederverwendet werden (dies entspricht 15% der alten Deckung). Die Ergänzungsziegel entstammen der Stadtkirche in Meßkirch. Aufgrund der einfachen statischen Ausführung des Dachstuhls war aus Gewichtsgründen eine übliche Doppeldeckung nicht möglich. Die neuen "alten" Ziegel wurden deshalb in einfacher Deckung mit Kupferschindeln verlegt.

Um eine bessere Belichtung des Dachstuhls zu erreichen, wurden die beiden Dachflächen mit neuen Schleppgauben versehen. Die Gauben wurden komplett in Lärchenholz, ohne Lasur oder Anstrich gefertigt.

7. Fassade und Außenbereich
Auf der Fassade des Gebäudes befanden sich mehreren Putzschichten. Bei der restauratorischen Untersuchung der Außenputze wurden keine Merkmale auf Außenwandmalereien entdeckt. Zudem waren die im letzten Jahrhundert aufgebrachten Putze, insbesondere im Nordbereich, durch ständige Durchnässung stark beschädigt. In Folge dessen fiel die Entscheidung, die bestehenden Putz-schichten bis auf das Bruchsteinmau-erwerk abzunehmen und mit einem komplett neuen hochdiffusionsoffe-nen, reinen Kalkputz neu aufzubauen. Der Anstrich wurde als reiner Silikatanstrich ohne Zusatz von Lösungsmitteln aufgetragen.

Die Sandsteinleibungen, Stürze und Fensterbänke waren ebenfalls stark beschädigt und morsch. In mehreren unterschiedlichen Verfahren wurden diese Bauteile behutsam restauriert. Lediglich an vier Stellen musste die Altsubstanz durch Neuteile ersetzt werden.

Der Vorplatz wurde komplett umgestaltet, um die Barrierefreiheit zu erreichen. Die bestehenden Bordsteine wurden abgesenkt, der neue Pflasterbelag fügt sich nun direkt an das Gebäude an.

8. Fazit
Die Sanierung des Abt-Gaisser-Hauses hatte immer das Ziel, sowohl der Geschichte als auch der Gegenwart gerecht zu werden. Heute gleicht in dem Gebäude kein Raum dem anderen und überall hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen.
Es ist gelungen, diese Spuren zu bewahren und gleichzeitig eine Nutzung für die Öffentlichkeit zu schaffen.

Als "Sichtfenster in sieben Jahrhunderte Baugeschichte" werden einige Bodenöffnungen im Inneren des Gebäudes in ihrem Originalzustand bestehen bleiben und die Blicke der Besucher auf sich ziehen.
Gemeinsam mit den Renaissance-Wandmalereien und unzähligen Details im gesamten Gebäude zeugen sie heute von einer wechselvollen Vergangenheit, die seit über 770 Jahren untrennbar mit der Villinger Stadtgeschichte verwoben ist - und es dank dieser Sanierung auch in Zukunft bleiben wird.