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Award / Auszeichnung | 11/2017

Heinze ArchitektenAWARD 2017

Gemeinschaftshaus Flüchtlingsunterkunft Spinelli Barracks

DE-68259 Mannheim, Am Aubuckel

Sieger Kategorie „Nachwuchsarbeiten“

Land Baden-Württemberg

Bauherren

Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)

Universitäten / Hochschulen

Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU)

Architektur, Universitäten / Hochschulen

graf ingenieure

Tragwerksplanung

Studierendengruppe Atelier U20

Universitäten / Hochschulen, Student*in Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Groß- und Einzelhandel; Kultur-, Veranstaltungsgebäude, Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    250m² (geschätzt)

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 08/2016
    Fertigstellung: 11/2016

Projektbeschreibung

Zusammen Bauen - von einander Lernen: ein partizipatives Realisierungsprojekt von Studierenden und Geflüchteten in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Spinelli Barracks in Kooperation mit der Stadt Mannheim, dem Land Baden-Württemberg und der TU Kaiserslautern

Im Sommer 2016 errichteten 18 Studierende des Fachbereichs Architektur der TU Kaiserslautern gemeinsam mit 25 Geflüchteten ein Gemeinschaftshaus in der Landeserstaufnahmeeinrichtung Spinelli in Mannheim, nachdem sie ein Semester lang Entwurfs-, Ausführungs- und Werkplanung entwickelt hatten.

Flüchtlinge sind nach ihrer Ankunft in Deutschland durch bürokratische Abläufe zu einer langen Zeit der Passivität verurteilt. In der Landeserstaufnahmeeinrichtung auf der Konversionsfläche der ehemaligen amerikanischen Kaserne Spinelli Barracks in Mannheim sind sie mit dem Nötigsten gut versorgt, die unmittelbare Umgebung ist jedoch recht trostlos und bietet kaum Räume mit Aufenthaltsqualität. In dieser Situation setzt das Projekt an: 18 Studierende des Fachbereichs Architektur der TU Kaiserslautern bauten zusammen mit 25 Flüchtlingen und lokalen Baufirmen ein Gemeinschaftshaus. Mit dem Bau erhielten die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung Gelegenheit, ihr Umfeld aktiv mitzugestalten und sich einen qualitätvollen Ort für die gemeinsame oder individuelle Nutzung zu schaffen. Die Flüchtlinge verbesserten ihre Deutschkenntnisse, lernten Gegebenheiten und Arbeitsanspruch in Deutschland kennen und eigneten sich neue handwerkliche Fähigkeiten an, die ihnen nützen, selbst wenn sie keine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland haben. Die Architekturstudenten nutzten die Möglichkeit, einen tatkräftigen und positiven Beitrag im Rahmen der Flüchtlingskrise zu erbringen. Sie entwickelten Entwürfe für die Umsetzung und konnten erstmals einen eigenen Entwurf realisieren. Als angehende Architekten brachten sie Fähigkeiten ein, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung zunächst als Luxus erscheinen, bei genauerer Betrachtung aber umso wichtiger sind: Schöne Orte und qualitätvolle Architektur zu schaffen. Sie lernten dabei, ihre Ideen mit sehr konkreten Notwendigkeiten abzugleichen und ihre abstrakte Planung in der Umsetzung zu reflektieren. Digitale Zeichnungen materialisierten sich innerhalb weniger Wochen auf der Baustelle.

Teamarbeit
Zunächst wurden gemeinsam mit Flüchtlingen Raumprogramm und Rahmenbedingungen erarbeitet. Unter Leitung der Fachgebiete Tektonik im Holzbau, Tragwerk und Material und Digitale Werkzeuge entwickelten die Studierenden daraufhin in Einzelarbeit Entwürfe, aus denen fünf zur vertieften Bearbeitung in Gruppen ausgewählt wurden. Zwei Monate nach Semesterbeginn wurden diese Arbeiten einer Jury aus Vertretern der Bauherrschaft und der betreuenden Fachgebiete präsentiert und der auszuführende Entwurf bestimmt.

In einem äusserst intensiven restlichen Sommersemester wurden dann von der gesamten Gruppe Genehmigungs- und Ausführungsplanung, Tragwerkswerksplanung, Visualisierungen, Massen-, Termin- und Kostenplanung erarbeitet. Nur durch das besondere Engagement der Dezernate 4 und 5 der Stadt Mannheim, insbesondere des Baukompetenzzentrums vertreten durch Frau Tatjana Dürr, konnten die notwendigen baurechtlichen Genehmigungen und öffentlichen Auftragsvergaben in kürzester Zeit durchgeführt werden, so dass die Baustelle Mitte August beginnen konnte. Bis Ende Oktober bauten, assen und wohnten die Studierenden zusammen mit den Flüchtlingen in den Spinelli Barracks. So entstand eine intensive Arbeitsatmosphäre und eine äusserst positive Gruppenydnamik im Bauteam. Die Flüchtlinge fühlten sich in ihrer Situation ernst genommen und wertgeschätzt.

Während die Architekturstudentinnen und -studenten zusammen mit den Freiwillige aus den Reihen der Flüchtlinge den Holzbau für das etwa 500 Quadratmeter grosse Gebäudeensemble unter Leitung der Arbeitsgemeinschaft Krötsch Graf Kretzer Architekten und Ingenieure erstellten, wurden die Erd- und Dachabdichtungsarbeiten durch lokale Baufirmen erstellt.

Entwurf
Dem ausgewählten Entwurf von Sandra Gressung, Sascha Ritschel und Tobias Vogel gelingt es, die städtebaulich schwierige Situation zu klären und den zukünftigen Nutzern die selbstverständliche Identifikation mit dem Gebäude zu ermöglichen. Die Innen- und die Aussenräume sind in sorgfältig komponierter Abfolge voneinander abgegrenzt oder gehen fliessend in einander über. Die Wände des Hauptgebäudes setzen sich nach Norden in den Aussenraum fort und lassen zwei Höfe von sehr unterschiedlichem Charakter entstehen. Ein allseits umschlossener Hof mit überdachten Sitznischen nach Osten und Süden dient als Garten, Rückzugsbereich und Ort der Stille. Nach Süden und Westen orientierte Sitzbereiche fassen einen grossen Veranstaltungshof, der sich einladend nach Westen zu einer Allee hin öffnet, die die wichtigste Wegeverbindung im Quartier darstellt. Ein Gemeinschaftsraum ist zu diesem Hof hin orientiert, so dass er als Bühne für Veranstaltungen dienen kann. Zwei unterschiedlich grosse Lagerräume könnten auch als Kiosk und als Werkstatt genutzt werden. Nach Süden öffnet sich ein besonnter und überdachter Sitzbereich. Auf kleinstem Raum entsteht also eine Vielfalt von Aufenthaltsqualitäten, die es den Nutzern erlaubt, sich das Gebäude auf sehr individuelle Weise anzueignen. Im Gebäude und in den umbauten Freibreichen wird das triste Umfeld ausgeblendet und der Ausblick nach Westen auf die baumbestandene Allee fokussiert. Tragwerk und Oberflächen sind aus unbehandeltem Holz, dessen vertraute Wärme, Ästhetik und Haptik zur Benutzung der Architektur einladen.

Konstruktion und Bauablauf
Um sämtliche Tragwerksteile wie Wände und Dächer in nur sechs Wochen erstellen zu können, wurden grossformatige Bauteile in einer ungenutzten Halle der ehemaligen Kaserne witterungsgeschützt vorgefertigt und in kürzester Zeit mit hoher Präzision auf der Baustelle montiert. Das geringe Eigengewicht von Holz erlaubt den Transport grosser Teile mit sehr einfachen Mitteln. Dazu entwickelten die Studierenden Transportwägen aus Holz, mit denen eine einfache und unfallsichere Montage grosser Wandelemente möglich ist und die sich um 90° gedreht als Baugerüste nutzen lassen. Die geschlossenen Wände sind Holz-Rahmenbauelemente aus KVH und Beplankungen aus Fichte-Dreischichtplatten, die aussenseitig (Werkstatt / Kiosk) oder beidseitig (Ruheraum / Gemeinschaftsraum) mit einer hinterlüfteten Brettschalung aus witterungsbeständigem Douglasienholz bekleidet sind. Die Dachkonstruktion ist eine Balkendecke aus KVH und Dreischichtplatten. Die Leichtigkeit der Wandelemente erlaubte eine Reduzierung der Gründung auf wenige Einzelfundamente (1,0m x 0,50m) im Raster von ca. 3,50m, indem die vier Meter hohen Wände als Träger wirken. Dadurch konnten nicht nur entscheidend Kosten gespart werden, sondern die Menge des ökologisch nachteiligen Betons verringert werden. An der 22m langen Nordwand ist diese Einsparung der Fundamentierung auf die Spitze getrieben. In die Wand integrierte Sitznischen sind durch eine zwei Meter breite Überdachung und Trennwände zwischen den Nischen regengeschützt. Die Trennwände benötigen jedoch kein Fundament. Die Wand mit einseitiger Dachauskragung und Trennwänden ist ausschliesslich entlang der Wand gelagert und fällt nur deshalb nicht um, weil die mit Schrauben schubfest miteinander verbundenen Dreischichtplatten der Dachfläche als horizontaler Träger wirken. Zusammen mit der vertikalen Wand sowie den an beiden Wandenden befindlichen, gelagerten Querschotten entsteht ein räumlich wirkendes und aussteifendes Tragwerk.

Gittertragwerk
Um Baukosten zu reduzieren und die vielen verfügbaren helfenden Hände effektiv einsetzen zu können, wurde auf den Einsatz von Grossgeräten wie Kräne oder Transportfahrzeuge verzichtet. Dadurch kamen Konstruktionen und Bauprozesse zum Einsatz, die einfach und materialsparend, aber arbeitsintensiv sind. Sinnbildlich dafür sind die Gitterwände und -träger, die aus fünf Lagen vertikal und diagonal angeordneter Douglasien-Latten von 3 auf 5 cm zu einem hoch leistungsfähigen Tragwerk verschraubt sind. Der anisotrope Werkstoff Holz erlaubt aufgrund seiner geringen Querzugfestigkeit und der damit verbundenen Spaltgefahr in den Schraubverbindungen der Latten untereinander nur geringe Kraftübertragungen. Die Gitterwände kompensieren dieses holztypische Phänomen durch die Vielzahl tragender Latten und durch die Tatsache, dass eine Kraftweiterleitung von einer Latte auf die nächste nicht erforderlich ist.

Im Gegensatz zu den Gitterwänden ist das Tragverhalten der beiden Gitterträger von 7 beziehungsweise 14,5 Meter komplex. Während bei den Wänden vertikale Lasten in direkter vertikaler Wirkungslinie abgetragen werden konnten, müssen vertikale Beanspruchungen vom Inneren des Trägers zum Auflager geführt werden. Dieser Kraftfluss führt zur Aufsummierung der Kräfte zum Auflager hin, so dass die in den Verbindungen wenig tragfähigen Latten grosse Kräfte zu übertragen hätten. Die Konstruktion des kleinen Gitterträgers bedient sich deshalb leicht stärkerer Druckdiagonalen von 4 auf 5 cm, die mit Ober- und Untergurt durch Stirnversätze verbunden sind. Das liessen die wesentlich höheren Kräfte des grossen Trägers nicht mehr zu. Um das architektonische Erscheinungsbild von Gitterträger und Gitterwand dennoch einheitlich zu gestalten, wurden filigrane Fachwerkkonstruktionen in die Gitterträger integriert. Materialgerecht wurden Druckdiagonalen von 8 auf 20 cm aus Holz eingesetzt, die durch Stirnversätze über einfache Kontaktpressung hohe Kräfte übertragen können. Für die zur Vervollständigung der Fachwerkkonstruktion notwendigen vertikalen Zugstäbe wurden filigrane Gewindestangen verwendet, die im Gitterwerk der verkleideten Träger fast nicht mehr in Erscheinung treten. Die Gitterkonstruktionen verleihen dem Gebäude aber auch seinen einzigartigen architektonischen Ausdruck. Das ornamentale Geflecht mit seinem vielfältigen Lichtspiel wird von den Flüchtlingen als Anleihe an orientalischen Ornamenten und als einladende Geste zur Identifikation an einem fremden Ort verstanden.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt „Flüchtlingsunterkunft Spinelli“ von 18 Studenten der TU Kaiserslautern des Fachbereichs Architektur bereichert die bisher recht triste Umgebung der ehemaligen amerikanischen Kaserne Spinelli Baracks in Mannheim. Gemeinsam mit 25 Flüchtlingen und örtlichen Baufirmen entwickelten die Studenten Raumprogramme und ermöglichten den Bewohnern der Erstaufnahmeeinrichtung somit ihr Umfeld aktiv mitzugestalten und dabei ihre Sprachkompetenzen zu erhöhen und erste Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln. Der ausgewählte Entwurf von Sandra Gressung, Sascha Ritschel und Tobias Vogel zeichnet sich besonders durch die vielseitige und lebenswerte Verteilung der Aufenthaltsbereiche aus. Er kombiniert Rückzugsorte, Gemeinschaftsräume und Lagerflächen die später zu Werkstätten und Kiosken umfunktioniert werden können. Durch das Engagement und die Unterstützung der Flüchtlinge in der Planungs- und Realisierungsphase wird eine von den Bewohnern wertgeschätzte Atmosphäre geschaffen. Die Zusammenarbeit von Studenten, Flüchtlingen und Freiwilligen ist in diesem Projekt bestens gelungen und somit ein Vorzeigebeispiel für einen gelungenen gesellschaftlichen Beitrag infolge der Flüchtlingskrise.
Visualisierung Gitterwand

Visualisierung Gitterwand

Visualisierung Hof

Visualisierung Hof

Visualisierung Schnittperspektive

Visualisierung Schnittperspektive

Lageplan

Lageplan

Grundriss

Grundriss

Isometrie Baustelle

Isometrie Baustelle

Isometrie Grosser Träger

Isometrie Grosser Träger

Isometrie Kleiner Träger

Isometrie Kleiner Träger