modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Award / Auszeichnung | 09/2018

Beispielhaftes Bauen Landkreis Konstanz 2011-2018

Gestaltung des Synagogenplatzes

DE-78244 Gottmadingen-Randegg, Otto-Dix-Straße

Auszeichnung

Siegenführ Gassner Architekten

Architektur

Gemeinde Gottmadingen

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2014

Projektbeschreibung

Die Geschichte des Synagogenplatzes beginnt mit der Zerstörung der um 1810 erbauten Synagoge der jüdischen Gemeinde Randegg in der Reichspogromnacht 1938 durch die Nationalsozialisten. Ein Teil der alten Außenmauer entlang der Otto-Dix-Straße verbarg lange Jahre die mit Erde überdeckten und mit Gras und Bäumen bewachsenen Mauerreste. In den 1950er Jahren wurde ein Gedenkstein mit einer Aufschrift in einer hinteren Ecke des Platzes aufgestellt.
Im Laufe der Jahre wurde der Platz anonymer: für Außenstehende, Vorbeifahrende und Unwissende nicht erklärbar, eine Lücke in der sonst zusammenhängenden Bebauung entlang der Straße. Nur Eingeweihte und die Zeitzeugen wussten um die Bedeutung des Ortes. 2007 begann mit dem Impuls von Dieter Fleischman, einem Kenner der jüdischen Geschichte Randeggs, die Suche nach Ideen für die Neugestaltung des Platzes mit einem Wettbewerb, offen für alle Interessierten.

Dies war der Zeitpunkt, an dem unsere Überlegungen zur Gestaltung des Synagogenplatzes Randegg begannen. Aufgabe, Zweck, Ziel und Ort waren klar, es ging darum „zur Erinnerung“ zu bauen. Erinnerung an die Juden, die hier in Randegg zu Hause waren. Erinnerung daran, dass es hier über Jahrhunderte ein jüdisches Gemeindeleben gab. Erinnerung an die Synagoge, die hier stand.
Es ging darum, so etwas Abstraktes zu gestalten wie einen gebauten Impuls, einen Umriss für ein Gedankengebäude das beim Betrachten entstehen kann, durch das die Synagoge und das Leben der Menschen darin mit der Kraft der Gedanken wieder oder neu vor dem eigenen Auge entstehen kann, je nachdem wieviel der Betrachter darüber weiß, nachgelesen hat oder sich vorstellen will.

Erste Idee dazu war eine Mauerkrone, ein massiver, grell roter, aus Beton gegossener Balken, mit eingeprägten Namen, irritierendes und auffälliges Zeichen am Straßenrand, in Augenhöhe, ein Stahlband auf der Wiese als Umriss der ehemaligen Synagoge. Als 2013 dann die notwendigen Gelder zur Verfügung standen, alle Gedanken zu Ende gedacht und ausgetauscht waren, passierte in „letzter Sekunde“ etwas ungeheuer Aufregendes, im ersten Moment Schockierendes: Die Mauer war baufällig geworden und mußte abgebrochen werden! Die Krone hatte keine Mauer mehr.

Nach einem kurzen Moment der Wehmut stellte sich ganz schnell das sichere Gefühl ein, dass sich damit eine weitere Chance für unsere Aufgabe auftut, eine mit der die Präsenz des Ortes plötzlich vervielfachbar war. In unserer Vorstellung entstanden zwei schiefe Ebenen, ineinander gelegt, die sich auf verschiedenen Höhen den beiden Strassen zuneigen auf einen Nullpunkt an der Straßenkreuzung zu. Die Grundstücksebene als oberste Ebene etwa so wie vorgefunden, den Umriss der Synagoge mit einer zweiten schiefen Ebene aus dieser Kontur herausgeschnitten und höhenversetzt, die Namen auf einen langen Balken geschrieben, in die Synagogenkontur gelegt, überkragend in den Straßenraum … das war die Idee.

Jetzt war es möglich, die ganze Grundstücksfläche, die Elemente darauf, völlig zum Ort zu öffnen, das Blickfeld bis in den letzten Winkel zu erweitern, noch mehr Betrachter, selbst im Vorbeifahren en passant erreichen, die Leere, das was nicht mehr da ist, was fehlt, noch deutlicher machen. Das hat uns angetrieben, den Gedanken-Prozess mit allen Beteiligen nochmals und ausführlich zu führen und noch mehr zu entdecken.

Im Zuge der Baugenehmigung zum Abbruch der maroden Mauer wurde eine archäologische Untersuchung möglich. Die Kreisarchäologie unter Leitung von Dr. Jürgen Hald legte alle Mauerreste frei, erforschte den Grundriss, entdeckte die Mikwe, das rituelle Bad der jüdischen Gemeinde und erarbeitete eine ausführliche Dokumentation. Die Gemeinde Gottmadingen stellt ausführliche Informationen auf ihrer homepage, www.gottmadingen.de, bereit. Vor Ort sind diese mittels QR-Code abrufbar.
Die Mikwe und Teile der Mauern sind geschützt in der Erde konserviert, immer noch existierender Teil dieses Ortes.

Zu all dem Vorgefundenen haben wir Vertrauen in das Eisenmetall Stahl gefasst, ein einfaches sehr altes Material, dessen Bestandteile und Herstellungsweise über viele Jahrhunderte entwickelt und verändert wurde, ein Material, dass mehr als ein beständiger Baustoff ist. Es ist formbar, schmiedbar, es ist ambivalent, es ist bescheiden, es passt sich an, es ist im positiven Sinne widersprüchlich, es hat einen eigenen Ausdruck nimmt sich aber vor Wichtigem zurück, er vereint Schwere und Leichtigkeit zugleich.

Mit dünnem Stahl konnten wir die Gebäudekontur fast wie die Linie auf dem Zeichenpapier exakt umreißen, in der Höhe versetzen, so die dritte Dimension des Hauses zeichenhaft andeuten, die Grundfläche der Synagoge als Leere, als etwas Fehlendes, eingrenzen.
Wir konnten den Balken mit den Namen als etwas Schweres und zugleich Leichtes, und etwas in sich ruhendes denken und aus geraden Stücken exakt auf den Ort dimensionieren, in die gewollte Form bringen und auf die richtige Länge zuschneiden.
Aus dem dünnen Stahl konnten wir netzartig ganz nahe beisammen die Namen ausschneiden, die Namen der Juden, die hier zu Hause waren und der Nationalsozialistischen Gewalt zum Opfer fielen. Wir konnten eine vielfältige Wahrnehmung erzeugen,
abhängig vom Standpunkt des Betrachters, abhängig vom Lichtspiel der Tageszeiten, vom Sonnenschein, der manchmal die Namen auf die umgebenden Flächen projiziert und sie verdoppelt. Ein Element mit einer ganz eigenen wechselnden Präsenz, selbst nachts begegnet er dem Vorbeifahrenden plötzlich als drohendes langes schwarzes Etwas am Wegrand.

„Wir“ sind alle, die auf der Reise der Entstehung dieses Ortes mit unterwegs waren, sich eingesetzt haben, ihr Wissen und ihre Ideen eingebracht, kontrovers mit uns diskutiert haben, an die Ideen geglaubt haben, sich erinnert haben an die nationalsozialistische Zeit, die Synagoge und die Menschen, die sie noch kannten und uns ihre persönlichen Geschichten hier an diesem Ort erzählt haben, handwerkliche Arbeit geleistet haben: Initiatoren, Bürger, Bauherr, Archäologen, Mitarbeiter der Bauverwaltung und des Bauhofs, Handwerker, Architekten.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die durch die Zerstörung der Randegger Synagoge klaffende Leerstelle mitten im Dorf ist behutsam als grüner Raum geschlossen worden. Die Neugestaltung des Synagogenplatzes als Mahnzeichen – mit Raumbegrenzungen und markanter Namensleiste – zeugt von vorbildlichem bürgerschaftlichem Engagement, vom Mut zur Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten und vom Willen, auch mitten im Dorf an die zeitlos bestehende Gefährdung von Recht und Freiheit zu erinnern. Das Projekt ist landschaftsarchitektonisch herausragend, weil in raumgestalterisch zurückhaltender und doch eindringlicher Weise und mit einfachen Mitteln ein würdiger Ort des Gedenkens geschaffen wurde.