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Award / Auszeichnung | 01/2021

Fritz-Höger-Preis 2020 für Backstein-Architektur

Wohnhaus Schifffahrter Damm

DE-48145 Münster, Schifffahrter Damm 82/84

Winner Gold Sanierung

Reinhard Martin Architekt

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Wohnungsbau

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2018
    Fertigstellung: 01/2020

Projektbeschreibung

Das Haus ist in dritter Generation im Familienbesitz. Die 21 Kleinst­ wohnungen und der kleine Laden entsprachen nicht mehr den heuti­ gen Wohn­ und Nutzungsbedürfnissen. Auf der Suche nach geeigneten Wegen der Transformation war die Vorgabe, die vorhandene Bausub­ stanz weitgehend zu erhalten. Was handwerklich solide ist und graue Energie bindet, sollte nicht abgerissen und mit hohem Energieaufwand noch einmal gebaut werden. 420 m2 Ziegelmauerwerk und 390 m2 solide Holzbalkendecken wurden weiterverwendet. Ziel war, den Alt­ bau durch Erweiterungen weiterzudenken, das Haus zukunftsfähig zu machen und – so gut wir es heute wissen – fit zu machen für die ökologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der nächs­ten Generation.

Es entstanden 16 Wohnungen von 62 m2 bis 86 m2 Wohnfläche für Singles, Paare und Kleinfamilien aller Altersklassen. Wir experimen­tierten zunächst mit einem schmalen Anbau über die ganze Länge der Westfassade als „Schild“ gegen den Lärm der vielbefahrenen Straße. Zur geschützten Hofseite erhielt jede Wohnung eine Loggia als intimen Freiraum. Der mehrfach umgebaute Dachstuhl sollte entfernt und durch 4 Maisonetten in Holzrahmenbauweise ersetzt werden. Die Modellstudien zeigen Varianten dieser Wohnungen, für die jeweils geschützte Dachterrassen und nach Süden geneigte Dach­ flächen zur Installation von Solarthermie angedacht waren. Der gesetz­liche Rahmen des § 34 BauGB und die aufwendige Lastabtragung lie­ ßen uns diesen Weg nicht weiterverfolgen. In der weiteren Bearbeitung wurde der als „Schild“ gedachte Anbau zur Straßenseite auf Raumtiefe erweitert. Die klare Großform der neuen Ziegelfassade und das ruhige Zusammenspiel von Fläche und Öffnung zitieren die zurückhaltend qualtitätvollen Fassaden der Nachbarn gegenüber, sind aber selbstbe­ wusst und erkennbar zeitgenössisch formuliert. Das Staffelgeschoss in Holzrahmenbauweise und unbehandelter Lärchenfassade bildet übergreifend die Klammer zwischen Altbau und Anbau.

Durch das Zusammenwirken und Sichtbarmachen der Bausteine aus Altbau und Erweiterungen entsteht ein Wohnhaus mit ganz eigenstän­ diger Qualität im Kontext der Nachbarschaft. Alle Wohnungen sind nach einem ähnlichen Prinzip organisiert: Der große Raum im Anbau zur Straße ist der Multifunktionsraum für Kochen und Essen. Die sicht­ bar belassene Backsteinwand des Altbaus wird hier zur Innenwand.
Die Räume zur ruhigen Hof­ / Gartenseite sind in ihrer Nutzung nicht definiert. Die BewohnerInnen können ihre Wohn­ und Schlafbereiche nach eigenen Bedürfnissen gestalten. Alle Räume zur Hofseite verbin­ den sich durch Fenstertüren mit der großzügigen Loggia, die einen wettergeschützten Außenraum bietet. Die vier Wohnungen im EG ha­ ben eine direkte Verbindung mit ihrem privaten kleinen Garten. Nach dem Prinzip des „Durchwohnens“ besteht eine Sichtverbindung über fast 15 Meter vom Multifunktionsraum über den offenen Mittelbereich bis in die Loggien an der Ostseite. Dies lässt die Wohnungen hell und großzügig erscheinen. Alle Wohnungen sind barrierefrei. Es ist dem Bauherrn ein Anliegen, dass optional lebenslanges Wohnen möglich ist. Die vier Wohnungen im EG haben eine direkte Verbindung mit ihrem privaten kleinen Garten.

in ehrgeiziges Energiekonzept mit dem Standard KfW­Effizienzhaus 70 wurde umgesetzt, obwohl die Gesamtkubatur zu etwa 65 % aus der Altbau­ und nur zu etwa 35 % aus der Neubausubstanz besteht. Dies wurde erreicht durch die folgenden wichtigen Bausteine: Die hochwär­ megedämmte Gebäudehülle – im Altbau durch die Innendämmung aus 10 cm Kalziumsilikat, im Anbau durch 14 cm Mineralwolledäm­ mung – und die sehr gute Wärmedämmung der Kellerdecke und des Holzrahmenbaus. Die Beheizung und Warmwasserbereitung erfolgt ausschließlich über Wärmepumpen / Geothermie. Die massiven sichtbar belassenen Backsteinwände des Altbaus, die jetzt in Teilen Innenwände der Wohnungen sind, regulieren mit ihrer speicherfähi­ gen Masse das Raumklima.

Aus dem robusten und etwas düsteren Altbau ist durch Transformation und Weiterbauen ein komplexes Gebäude entstanden, dessen einzelne Bauglieder durch Material und Bauzeit klar ablesbar sind. Das schöne Backsteinmauerwerk des Altbaus, der etwas hellere Backstein des Anbaus aus einer kleinen westfälischen Ziegelei, das wie eine Klammer wirkende Staffelgeschoss und die Loggien – verputzt wie der Sockel des Altbaus und als eigenständiges Bauwerk vor die Backsteinfassa­ de gestellt – erscheinen wie aus einem Baukasten zusammengefügt. Im Ergebnis erscheint das Gebäude trotz größerem Volumen differen­ zierter, weniger massig und einladender als der Ursprungsbau.

Beurteilung durch das Preisgericht

ZEITGEMÄSS SANIEREN STATT ABREISSEN

„Das Wohnhaus Schifffahrter Damm in Münster zeigt in herausragen­ der Weise, wie sich die Bestände, die es in vielen Städten noch gibt, aktualisieren und heutigen Bedürfnissen anpassen lassen, ohne die „graue Energie“ zu verlieren, die in ihnen steckt. Das Besondere hier: Die 90 Jahre alten Backsteinfassaden wurden erhalten und fügen sich in ein modernes Ensemble mit vollkommen eigenständiger Qualität, dessen Material in den einzelnen Gliedern die Bauzeit ablesbar macht.

Zwischen dem Altbau in dunklerem und dem Anbau in hellerem Backstein bildet das Staffelgeschoss mit seiner Holzfassade eine Art Klammer. Das Zusammenwirken dieser Bausteine lässt das Gebäude weniger massiv erscheinen und fügt sich in den Kontext der Nachbar­ schaft wie eine Brücke zwischen Gestern und Morgen.“