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Award / Auszeichnung (auch für Studenten) | 11/2020

Heinze ArchitektenAWARD 2020

Neue Stadtmitte Arnstein

Sieger - Nachwuchsarbeiten

Gerburg Brilling

Student*in

Erläuterungstext

Die Epoche der Romantik zeigte schon damals Bilder von Reisenden auf der Suche nach Identität und sich Selbst. Um den Menschen wieder als ursprüngliche Einheit zu sehen, musste er mit der Natur und Gott in Einklang gebracht werden. Ruinen, mit ihrer Ästhetik durch den Verfall und dem Sinnbild des Ursprungs, waren oft inszenierte Bühnenelemente für Theater, Parks oder Gemälde. Die Grenzen von Kunst und Realität wurden aufgehoben und es entstand in den Werken eine „romantische Ironie“. Dieses romantische Bild wirft auch die Burg Arnstein auf.

Etwas abgelegen in Sachsen Anhalt, liegt am Rande des Harzes, die Burgruine Arnstein. Zwischen den zwei kleinen Dörfern Hackerode und Sylda liegt die Burg weit entfernt von der Hauptverkehrsachse der Umgebung, doch ihre Lage ist auf anderen Wegen essenziell wichtig. 2010 wurden aufgrund der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt, zehn Gemeinden als Stadt unter dem neuen Namen Arnstein zusammengefasst. In dieser, wie neu aus dem Boden erhobenen Stadt, liegt diese Hochburg zentral und gilt als neues Wahrzeichen. Mitte des 12Jh. erbaut, wechselte sie oftmals den Besitzer und wurde mehrfach umgebaut, bis sie selber ihren Ursprung verlor und nun von der Gemeinde Hackerode aus, Instand gehalten wird.

Ziel des Entwurfes ist es ein Zentrum für die Stadt Arnstein zu erdenken und eine neue Identität zu schaffen. Dabei muss auf die Gegebenheiten der niedrigen Einwohnerdichte und die Eigenständigkeit der einzelnen Dörfer eingegangen werden. Außerdem darf keine Konkurrenz zur vorhandenen kommerziellen Infrastruktur erzeugt werden. Auch ist darauf zu Achten, dem Tourismus nicht Vorrang gegenüber den Einwohnern zu geben. Die Idee ist es, dass das Zentrum nur dann aktiviert und bespielt wird, wenn sich die Stadt trifft. Dabei ist die Nutzung der Stadt überlassen, Veranstaltungen jeder Art. Von Gottesdiensten, Konzerten, Filmabenden, Theater aber auch Sitzungen finden in unterschiedlichen Größenordnungen, einen Ort auf der alten Burganlage. Ist dieses Zentrum inaktiv, ist es Ziel der Anlage kein Fehlen des Gemeindelebens zu empfinden, sondern die Möglichkeit zu bieten den Ort als Einzelner zu erleben, erkunden und zu nutzen.

Auf der Burganlage befinden sich noch einige Bestandsreste, welche zusammen mit der Topographie, die Aufteilung und Struktur der Anlage aufzeigen. Die Umgebene Mauer ist fast in allen Bereichen noch in ihren Fundamenten auffindbar und umgibt das Gelände. Eingeleitet in die Vorburg wird man durch zwei große Eichen und einem Wachturm. In der Vorburg befindet sich noch ein altes Wirtshaus. Weiter über den noch ersichtlichen Burggraben, gelangt man durch zwei Türme in die Kernburg, wobei einer nur noch durch die Fundament daran erinnert. In der Kernburg befindet sich die Burgruine und Reste der Kapelle.

Um diese Strukturen erlebbarer zu machen wird eine Dramaturgie mit Hilfe leitender Wege erzeugt, welcher mit Interventionen an den Bestandsresten interagiert. Dabei teilt sich diese Dramaturgie in drei Teile. Eingeleitet durch Fundstücken, geht es in den Mittelteil mit Interventionen über und findet sein Finale an der Burg, mit der größten Intervention und neuen Räumlichkeiten, welche im Erdreich zu finden sind. Die Erschließung teilt sich ebenso in drei Teile. Der Hauptweg führt als Straße auf schnellstem Wege zur Burg. Parallel dazu verlaufend sind zwei Nebenwege, die jeweils den Besucher durch die Anlage führen. Dabei bilden die Interventionen die Höhepunkte der Erlebniskurve und laden zum Verweilen ein. Auf dem Weg zu den Interventionen bewegt man sich schneller und zielgerichteter und setzt sich mit der Umgebung auf unterschiedliche Art und Weise auseinander. Die Wege werden fortlaufend bindender. Während man am Anfang die Ruinen rings herum besichtigen kann, wird der Weg zum Ende hin in Stege formuliert und bildet die einzige Möglichkeit das Grundstück zu durchqueren. Dies steht im Verhältnis mit der Grundstücksfläche, welche am Anfang noch weitläufig mit Wiesen und Bäumen gefasst ist und sich am Ende zur Kernburg verdichtet. Auch die Topographie zeigt Übergänge und Grenzen auf. Der Besucher wird zu Interventionen hinauf oder hinab geführt, sodass sie die Einzelnen Höhepunkte aufgreifen. Ausgebildet wird der Weg aus Cortenstahl, sodass er als rötlich schimmerndes Band die Landschaft durchzieht und mit dem Auge weiter verfolgt werde kann. Dabei sind die Nebenwege aus Gitterstruktur gebildet, welche vor und nach den Interventionen wie ein Tuch über den Boden schwebt und an der niedrigsten Spannungskurvenpunkt, sich absenkt und fast mit dem Boden verschmilzt. Nur gelegentlich scheinen massive Brüstungen in der Weitläufigkeit der Landschaft, Richtung zu geben. An der Intervention angelangt, verfestigt der Untergrund und es bilden sich Plattformen aus. Gelegentlich wird durch gitterne Geländer eine Art vertikaler Filter erzeugt, welcher die Verbindung zum Bestand zulässt und ihn trotzdem mit einer Fuge auf Abstand hält. Im alten Wirtshaus wird dieser Filter, durch die Stützen eines in die Ruine eingelassenen Pavillons, generiert. Die Halbbögen aus Cortenstahl werden zu einem Stilmittel in den Interventionen. Die Sitzstufen oder Sitzmöglichkeiten werden jeweils mit Holz belegt. Die Plattformen oder Stützen schaffen die Möglichkeit sich behutsam auf oder in den Bestand zu setzen, mit ihm zu interagieren, aber nie eine komplette Verbindung einzugehen.

Die vordere Burgplattform ist die größte Intervention und bildet den Höhepunkt der Anlage. Die Burg wird dort von ihrer alten Wallmauer umschlossen. Die Zwischenzone wird hier im Untergrund aktiviert. Ein Foyer mit anschließendem Erschließungsumlauf an Seiten der Mauer, bildet die Umgrenzung des Grundrisses, mit ihren Haupträumen und den Nebennutzungen im inneren Zwischenraum. Eine Warmzone für Veranstaltungen wird gebildet, welche zum Einen den Rittersaal als kleinen Veranstaltungssaal mit 80m² beinhaltet. Dieser drückt sich in das Untergeschoss durch und bildet einen zweigeschossigen Saal mit Oberlichtern und erzeugt damit eine Verbindung von Bestand zu Neubau. Jede Nutzung findet oberirdisch ihren Gegenspieler, sodass sich über dem Ritter- ein Freillichtsaal befindet. Ganz vorne am Burgplatzendpunkt sitzt der große Verstaltungssaal mit 450m². Dieser wird von außen ersichtlich und belichtet, indem die Burgplattform sich über die gesamte Fläche leicht anhebt und nach vorne hin hoch wölbt. Oberirdisch bildet diese Bewegung in gleicher Form, Sitzplätze für ein Freilichtheater. Dieses wird von den Nebenwegen umspült und bildet den Endpunkt der Dramaturgie. Der Eingang des Gebäudes wird durch eine Gegenbewegung der Plattform auf Seiten des Hauptweges und Erschließungsrichtung zur Freilichttheater erzeugt. Diesmal lässt das Erdreich den Blick ins Innere zu und die massive Umgebungsmauer senkt sich zum Einlass der Bewohner. Der Erschließungsumlauf ist durch eine Rampe ausgebildet. Begleitet wird dieser durch Cortenstahl-Halbbögen. Die Stützen mit darauf liegender Bodenplatte wirken wie in die umliegende Mauer hineingesetzt und bilden den Filter zwischen Alt und Neu. Die noch im Fundament erhaltene Brunnenreste werden ins Innere extrudiert und bilden das Oberlicht für eine Taufkapelle. Unterirdisch kann dieser neu aktivierte Brunnen als Taufbecken oder Altar genutzt werden.

Wie schon in der Epoche der Romantik wird die Burg zur Schaubühne für die Stadt Arnstein und ihre Bewohner. Sie bietet einen neutralen Ort für eine neue Stadt, welcher allen zugänglich und nutzbar ist.

Beurteilung durch das Preisgericht

Eine Architektur wie ein Tanz, wie ein Dialog einer Theaterinszenierung, die einer geheimnisvollen Dramaturgie folgt. In den Hauptrollen die Burg Arnstein im Harz, die auf die poetisch-architektonischen Interventionen trifft, welche die angehende Architektin Gerburg Brilling von der Universität Braunschweig für diesen besonderen Ort erdacht und in zauberhaften Zeichnungen als Spiel „zwischen Fiktion und Realität“ festgehalten hat. Ihre Dramaturgie entspinnt sich entlang mehrerer leitender Wege, die als Stege und Plattformen den fragmentierten Körper der Burgruine erschließen. Ziel dieser Durchwegung sind mehrere überdachte, aber auch offene Versammlungsorte für verschiedene Anlässe, deren übergeordneter Zweck aber wohl darin besteht, dieser dem Untergang geweihten Kulisse etwas Lebendiges entgegenzusetzen. Alle Stationen dieses poetischen Parcours sind aus rötlich schimmerndem Cortenstahl konstruiert. Es ist gewissermaßen eine Architektur, die ihren Verfall in sich trägt – ganz im Sinne der berühmten Todessehnsucht des romantischen Vorbilds. Soviel Sensibilität, Erfindungsreichtum und Detailseligkeit gegenüber einem Denkmal dokumentiert ein außerordentliches Entwurfstalent. Die Jury vergibt hierfür den Heinze Nachwuchspreis 2020.