modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Award / Auszeichnung | 11/2021

Aus­zeich­nung Vor­bild­licher Bauten im Land Hessen 2020

Pop-Up-Biergarten Erbach Brücke 7

DE-64711 Erbach, Brückenstraße 7

Auszeichnung | Freiraum­planung / Landschaftsplanung

liquid architekten

Architektur

Nelson Gameiro & Nuno Gameiro GbR

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Landschaft und Freiraum, Tourismus, Gastronomie

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2020

Projektbeschreibung

Wie entwickelt der ländliche Raum ein eigenes Profil, wie gestaltet sich der Umgang mit Leerstand in Dörfern und Kleinstädten, wie das zukünftige Zusammenleben und welche Programme und Konzepte sind dazu notwendig? Das sind derzeit wesentliche Fragen, die die struktur- und bevölkerungsärmeren Regionen umtreiben.
Mitten in Erbach, an der Schnittstelle zwischen Alt- und Neustadt und an der Mümling gelegen, wird eine wichtige Potenzialfläche in den Stadtkreislauf zurückgeführt. Über viele Jahrzehnte war das in Teilen denkmalgeschützte Gebäudeensemble Gaststätte und Pension, Viehstall und Schlachthaus, Schreinerei und Wäscherei, Buch- und Schreibwarenhandel, Wohn- oder erster Anlaufort für Zugezogene und Durchreisende, schließlich mehr als 30 Jahre Vereinsheim für die portugiesische Gemeinde in Erbach. Für die Familie der heutigen Eigentümer, die Anfang der 1970er Jahre aus Portugal in den Odenwald gekommen waren, wurde es aber vor allem zum Lebensmittelpunkt in der neuen - anderen - Heimat.
Gemeinsam mit den Bauherren und den Betreibern wurde ein Bild eines offenen Treffpunkts am Wasser in Form eines temporären, saisonalen Biergartens entwickelt. Der Biergarten soll zu einem neuen Blick auf die Stadt und das Land verhelfen, und das Urbane mit dem Ländlichen, das Traditionelle mit dem Modernen und das Lokale mit dem Regionalen, die Erbacher Bevölkerung mit dem Fluss, der Mümling verbinden.
Der bewusst installative Charakter der Architektursprache ist im Ausdruck stark an strukturelle, mediterrane Bauelemente wie Pergolen, Schattendächer oder Lauben, aber auch an Fachwerkstrukturen angelehnt. Hierbei wurden mehrere Schwerpunkte gesetzt:

1. Geschichte neu erzählen
2. Den historischen Bestand respektieren und weiterbauen
3. Wasser erleben

Mit einfachsten Mitteln - Holzstäben - wurde die eine neue Hülle, die Schatten spendet, vor Regen schützt oder als Rankgerüst dient, in den Bestand integriert und setzt die alten Mauern in eine neue Beziehung. Einzelne Raumelemente sind Sitzstufen am Wasser, eine große, zentrale Sitztribüne und Holzdecks, die Sandkuhlen für Kinder und Liegebänke beinhalten. In den ehemaligen Ställen sind „Cabins“ eingerichtet, die die atmosphärischen Elemente wie Tröge oder alte Fensterklappen spielerisch einbeziehen. Bewusst wurde auf ein Überstreichen dieser erzählerischen Strukturen verzichtet und die Material- und Strukturvielfalt durch den Kontrast von Alt- und Neu besonders inszeniert. Auch die alten Hopfenstauden wurden über die Bauzeit geschützt und durch weitere Stauden ergänzt. Herz der Anlage ist eine kleine Bar mit regionaler Küche, die in dem ehemaligen Schlachthaus verortet ist und Menschen aller Generationen eine neue GastStätte sein soll.
Die weitere Entwicklung des Areals ist bewusst prozesshaft angelegt. Als narratives Mittel ist eine begleitende Ausstellung in Vorbereitung.

Projektbeteiligte:
Bauherren
Nelson und Nuno Gameiro
Architekten: Prof. Dipl. Ing. Kerstin Schultz BDA und Werner Schulz, liquid Architekten, Laudenau
Statik: Wagner Zeitter, Wiesbaden

Beurteilung durch das Preisgericht

Das Projekt wurde ursprünglich in der Kategorie Stadtentwicklung eingereicht und von der Jury in die Kategorie Freiraum verschoben. Mit dieser Verschiebung sollte auf die enge Beziehung und das Zusammenwirken von Freiraum und Städtebau im Sinne einer nach­haltigen und zukunftsweisenden Entwicklung verwiesen werden.

Die Jury würdigte nicht nur die Art der Aufwertung des Platzes durch eine behutsame und qualitätsvolle einfache Sanierung, sondern insbesondere die Bewahrung eines wichtigen Ortes in der Stadt Erbach an der Schnittstelle zwischen Alt- und Neustadt. Das Projekt nutzt die Potenziale eines vergessenen Ortes und ist in diesem Sinne in seiner Gesamtheit nachhaltig.

Das Projekt Pop-Up-Biergarten ist auch vor dem Hintergrund der Inwertsetzung des Flusses Mümling im urbanen Raum und im Bewusstsein der Erbacher Bevölkerung zu würdigen. Auch die Qualität der Bauweise wird als vorbildlich empfunden. Die luftige expressive Architektur integriert den Bestand in eine zukunfts­orientierte neue Nutzung auf kluge Weise: durch die Umkehrung eines Innenraums in einen Außenraum, was wiederum als „Innenraum“ der Stadt zu verstehen ist. Auch die Bestandsvegetation wurde berücksichtigt und klug ergänzt.

Die langfristige Weiter­entwicklung des Projekts mit der Fortsetzung der Zusammen­arbeit aller beteiligten Partner wäre zu begrüßen. Die Frage, wie der Fluss langfristig wieder für die Bevölkerung geöffnet werden und wie ein qualitätvolles Gastronomiekonzept dort gedeihen kann, verdient in der Sicht der Jury weiterverfolgt zu werden.