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Award / Auszeichnung | 11/2010

Architekturpreis Beton 2011

Museum für Naturkunde Berlin, Neubau des Ostflügels

DE-10115 Berlin, Invalidenstraße 43

Preis

Diener & Diener Architekten

Architektur

Humboldt-Universität zu Berlin

Bauherren

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Museen, Ausstellungsbauten

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Baubeginn: 01/2008
    Fertigstellung: 09/2010

Projektbeschreibung

Die Vielfalt der Massnahmen zur Renovierung des Museums geht nicht nur auf den Reichtum der architektonischen Form dieses Baudenkmals zurück, sondern auf den vielfältigen Gebrauch des Bauwerks. Immer weitergehend haben sich das Naturkundemuseum und sein wissenschaftlicher Betrieb eigenständig entwickelt und nach einer spezifischen Erneuerung und Ertüchtigung ihrer Räume verlangt. Die Bedingungen für die Forscher und Kuratoren sollten endlich den aktuellen Bedürfnissen entsprechen und die Ausstellung über das Leben, seine Entstehung und Entwicklung so gestaltet werden können, dass sie die Sinne der Besucher anspricht. Der Besuch des Museums für Naturkunde, so die Herausforderung, sollte zu einer sensationellen Erfahrung werden.

In jüngster Zeit gewähren Museen den Besuchern auch Einsicht in die Welt der Forschung, die im gleichen Haus geleistet wird. An der Invalidenstrasse gibt es seit langer Zeit eine solche Spur. Periodische Führungen durch das Gebäude und seine wissenschaftlichen Sammlungen ausserhalb der Öffnungszeiten haben das Museum für Interessierte in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der gegenwärtigen Forschung im Hause gesetzt.

Die Erfahrung dieser aussergewöhnlichen Museumsbesuche haben wir in das Konzept für die Restrukturierung des Museums einbezogen. Das Besondere liegt dabei nicht im Einzelnen. Nicht im Angesicht der grossartigen Humboldt’schen Sammlungen und auch nicht in den spannenden Aspekten zeitgenössischer Forschung, mit denen sich die Forscher im Hause befassen oder gar in einem Dialog zwischen den Forschern und Besuchern. Das Aussergewöhnliche liegt für uns in der direkten Beziehung, die das Museum zwischen seiner wissenschaftsgeschichtlichen Sammlung und ihrer Aktualisierung als zeitgenössischer Forschungsgegenstand darzustellen vermag. Das Haus und seine Sammlung stehen als architektonisches und wissenschaftsgeschichtliches Denkmal für ihre aufregende Aktualität. Der Wiederaufbau des kriegszerstörten Ostflügels des Museums, zwischen 1885 und 1889 nach Plänen von August Tiede errichtet, ist ebenso eine sammlungsgeschichtliche wie eine architektonische Aufgabe. Das Eine erklärt sich in dem Entwurf nur durch das Andere.

Im Zentrum der zoologischen Sammlung mit weltberühmtem Ruf stehen die lichtempfindlichen Tierpräparate, die in 276‘000 Gläsern nass, d.h. in Alkohol konserviert sind. Der neue Ostflügel nimmt diese Präparate geschlossen auf. Sie sind im Erdgeschoss in ein transparentes Regal eingestellt, um das die Besucher herumgeführt werden, um von allen Seiten Einsicht auf die Gefässe zu gewähren. Die Luft und die Feuchtigkeit für die Lagerung der äusserst wertvollen Präparate werden endlich ideal konditioniert und die Sammlung kann in einer Art organisiert werden, die für die wissenschaftliche Arbeit effiziente Voraussetzungen schafft. Erstmals wird so die Nasssammlung für das Museumspublikum sichtbar und bleibt zugleich für die Wissenschaftler nutzbar. Der sie umgebende Bau dient als ein hoch installiertes, fensterloses Archiv mit den darüber gelegenen Arbeitsplätzen für die Forschung. In dieser radikalen Konzentration entfaltet der neu aufgebaute Ostflügel erneut die ursprüngliche Wirkung des Museums als eine Struktur, in der Sammlung, Forschung und Museum untrennbar miteinander verknüpft sind.

Erst die Spannung zwischen den wissenschaftlichen Bedingungen, die an das Programm des Ostflügels geknüpft werden, und dem städtebaulichen und architektonischen Wunsch, die Leerstelle in der Gebäudestruktur dieses Baudenkmals wieder zu ergänzen, hat für uns die besondere Form ergeben.

Die in Kunststein gegossene historische Fassade, die das Relief der Fenster in der Mauer einschliesst, wird die Sehgewohnheiten der Betrachter irritieren. Die Reproduktion in Beton soll für sich stehen und die ganze Fassade wieder vergegenwärtigen wie in der Restaurierung des während eines Feuers beschädigten Gemäldes «Tierschicksale» von Franz Marc, in der Klee die zerstörten Formen unbunt ergänzte.*

Diese Inszenierung der Rekonstruktion konfrontiert radikal die beiden widersprüchlichen Ansprüche von Museum und Forschung. Ergebnis ist ein Bauwerk, dessen Oberflächen die Modulation der Architektur, das Ziegelmauerwerk, die Fugen, den Sandstein, den Steinschnitt, und die Gewände mit Genauigkeit aufnimmt und weiter trägt, ein Bauwerk aber auch, mit einer homogenen Hülle ohne eine Fensteröffnung aus Kunststein. Dazu wurden von den originalen Fassaden Silikonabdrücke abgenommen, die ausgegossen wurden. Die so entstandenen Betonfertigteile sind an die Stelle der nicht mehr vorhandenen Fassadenbestandteile getreten. Die alten Fenster wurden zugemauert, die neuen sind durch das Kunststeinelement verschlossen. Die Fragmente der weitgehend zerstörten Gebäudehülle und die Ergänzungen in Beton sind zusammen die neue Fassade. Das Gesamtbild des wieder aufgebauten Flügels bleibt von der Geschichte gezeichnet, seiner Zerstörung und seiner Erneuerung.

Der Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München von Hans Döllgast ist das leuchtende Beispiel für eine Rekonstruktion zerstörter Gebäude. Es ist die Ergänzung als eine elementare Grundfassung des Bauwerks, die auf die wesentlichen Teile der Konstruktion und der Hülle beschränkt bleibt, nur im Notwendigen verharrt, um wieder verwendet werden zu können. Die besondere Qualität liegt nicht nur in der strukturell gefassten Umsetzung der Idee, die Ergänzungen von den erhaltenen Teilen zu unterscheiden und damit die Geschichte des Bauwerks nicht aufzulösen, grandios ist auch die elementar anmutende Fassung der neuen Teile, die durch diesen Kunstgriff innerhalb des Denkmalbestands nicht jenes enttäuschende Vis-à-vis ergeben, das sich im Allgemeinen durch die fehlende Patina der rekonstruierten Teile einstellt.

Diese Wirkung der neuen Teile haben wir bei dem Wiederaufbau des Ostflügels des Naturkundemuseums in Berlin auch angestrebt. Darüber hinaus gibt es jedoch Unterschiede, ja sogar gegensätzliche Vorstellungen. Döllgast lässt die neuen Teile in ihrem rohen, unvollendeten Zustand verharren. Dieser ist ein schmerzhafter Ausdruck einer Verantwortung, die Geschichte nicht zu überformen, die in den Zerstörungen des Bauwerks Niederschlag gefunden hat. Die Geste des Verzichts, den Wiederaufbau zu Ende zu führen, schliesst die Möglichkeit der Vollendung ein. An diesem Punkt unterscheidet sich der Wiederaufbau des Museums in Berlin. Trotz der archaisch anmutenden Fassung der in Beton gegossenen Fassade geht es nicht um einen unvollendet belassenen Zustand der früheren Fassung des Bauwerks. Das neue Bauwerk handelt vielmehr von dem alten Bauwerk an gleicher Stelle, indem es dieses bis zu den profilierten Holzstäben in Beton nachzeichnet. Es verweigert die Rekonstruktion des früheren Bauwerks nicht, es schliesst sie aus. Deshalb ist die Wirkung auch sehr unterschiedlich. In München führt der Blick in die Konstruktion. Die roh belassenen Wände aus Ziegel, obgleich einfacher, scheinen weniger abstrakt als das originale, streng klassizistische Gefüge. Es ist auch ein Interesse an einer ungeschminkt vorgetragenen, naturhaften Materialität des Bauwerks jenseits von aufgesetzter Dekoration.

In der aus Beton gegossenen Wand ist die Konstruktion des Bauwerks, seine ursprüngliche Materialität und Fügung, bedeutungslos geworden. Deshalb wohl die leise verstörende Wirkung der neuen Fassade. Sie erinnert an surrealistische Verfahren in der bildenden Kunst, beispielsweise an Frottages von Max Ernst, Zeichnungen auf Papier, die durchgerieben sind und so die Kanten des darunter gelegenen Gegenstands abbilden. Tatsächlich haben wir als Architekten für einmal keine Fassaden entworfen, allein das Verfahren hat die Gestalt des neu aufgebauten Ostflügels ergeben.

Das gegossene Relief lässt die eigentliche Fassade durchscheinen, ohne sie wiederholen zu können, als hätte sich etwas darüber gelegt, nicht in einem schnellen, industriellen Akt, sondern über einen langen Zeitraum. Der Alterswert (Alois Riegl, 1903), die Erfahrung des Denkmals und seiner Geschichte über die Zeit, welche die Rekonstruktion in einen sinnlichen Widerspruch zum Denkmalbestand treten lässt, scheint in der rohen, archaischen Gestalt des Betonreliefs in einer anderen Form aufbewahrt und mit dem Baudenkmal synchronisiert.



* Die Tierschicksale (Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern), malte Franz Marc 1913. Paul Klee restaurierte es 1919, nachdem das Bild seines Freundes, der im Krieg gefallen war, in der rechten Bildhälfte durch Löschwasser zerstört worden war. Es befindet sich seit 1939 in der Sammlung Kunstmuseum Basel.
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