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Award / Auszeichnung | 11/2023

Architekturpreis Vest Recklinghausen und Gelsenkirchen 2023

Seniorenwohnungen am Rathausplatz in Oer-Erkenschwick

DE-45739 Oer-Erkenschwick, Rathausplatz

Anerkennung

Lecke & Partner Architekten mbB

Architektur

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Wohnungsbau

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2023

Projektbeschreibung

Das Wohn- und Geschäftshaus liegt in zentraler Lage von Oer-Erkenschwick, direkt gegenüber vom Rathaus. In direkter Umgebung gibt es Arztpraxen, Apotheken, Kaufhäuser, Wochenmarkt, Fußgängerzone und den Stadtpark. Städtebaulich vermittelt das Gebäude zwischen dem hohen Kaufhaus* an der Westseite und dem niedrigen Wohnhaus an der Ostseite. Mit seinem Flachdach passt es sich zudem in den umgebenden Kontext mit zahlreichen Flachdächern ein. Das Gebäude schließt zudem eine Jahrzehnte alte Baulücke in der Innenstadt. (*Aufstockung in Planung) Die Fassade aus Klinker ist widerstandsfähig und langlebig. Die drei unterschiedlichen Klinker- Sortierungen brechen das großformatige Gebäude auf, die hellen Rollschichten nehmen Bezug auf die Balkonplatten in Sichtbeton. Die Fallrohre der Balkone sind im Erdgeschoss hinter der Fassade geführt. Alle Blech- und Stahlteile sind einheitlich in schwarz gehalten, alle Fenster und Türen in Nussbraun. Alle Wohn-Fenster sind zudem außermittig geteilt und alternierend angeordnet. Eine bezahlbare Gestaltung auch bei kleinem Budget. Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit ziehen sich durch den gesamten Entwurf. Die Dachterrasse und sogar der Carport wurden als Gründach ausgeführt. Bodenbeläge wurden ohne Kleber verlegt, Fenster und Türen wurden rückbaubar ohne Schaum und Kleber montiert. Alle Fenster in den Obergeschossen sind von Hand zu öffnen und damit einfach zu reinigen. Gemäß dem Nachhaltigkeits-Prinzip der Suffizienz konnte durch eine Wärmeschutzverglasung mit G-Wert 0,4 in den geförderten Wohnungen auf außenliegenden Sonnenschutz verzichtet werden. Dank einfachen Fenster-Falz-Lüftern ist eine separate Lüftungsanlage nicht notwendig. Die Klinkerfassade sorgt mit ihrer Langlebigkeit für wenig Folgekosten über den gesamten Lebenszyklus.

Der Rücksprung im Erdgeschoss macht aus zwei Hauseingängen eine Adresse. Dieser Effekt wird durch verbindende Downlights zusätzlich verstärkt. Auf der Hofseite des Gebäudes gibt es Balkon- Loggien mit großzügiger Eckverglasung und eine Gemeinschaftsterrasse für alle Hausbewohner. Ebenso gibt es zahlreiche Stellplätze mit Elektro-Ladestationen und einen großzügigen Carport mit Gründach. Das Problem was es in dem Entwurf zu lösen galt: Wenn ein älteres Paar in einer 70 qm Wohnung lebt und einer der beiden verstirbt, muss der verbliebene Partner die Wohnung ebenfalls verlassen,
weil der Wohnberechtigungsschein in NRW für 1 Person nur Wohnungen bis 55 qm zulässt! Um dieses Problem nachhaltig zu lösen, wurden kompakte aber großzügig wirkende 2-Zimmer- Wohnungen bis max. 55 qm entwickelt. Zudem wurden die Bedürfnisse der Senioren als Nutzergruppe in besonderem Maße berücksichtigt. Zum Beispiel durch die Nutzung von zwei Liegend-Transport-Aufzügen, großzügigen Eingängen und Hausfluren für Rollatoren und liegend angeordneten Briefkästen zur barrierefreien Benutzung. Von den insgesamt 27 Wohnungen sind 24 geförderte Wohnungen, was einer Förderquote von knapp 90% entspricht. Alle 2-Zi-Wohnungen sind mit 55 qm sehr kompakt und bezahlbar. Bei Bedarf können die Wohnungen in Zukunft zu 4-Zi-Wohnungen zusammengelegt werden. Das Erdgeschoss wurde als flexible Gewerbefläche geplant mit Büros für den örtlichen Caritasverband, einem kleinen Café und einem Gemeinschaftsraum für alle Bewohner. Auch diese Flächen sind in Zukunft ebenfalls umnutzbar zu Wohnungen. Weitere Qualitäten am Gebäude sind die bodentiefen Fenster mit ihren breit gemauerten Laibungen und die großzügigen Eck-Verglasungen in den Loggien mit durchgängigen Stahlgeländern. Alle Penthäuser haben zudem Bäder und Flure mit Oberlichtern zur natürlichen Belichtung und grünen Dachterrassen mit einem Blick über die gesamte Stadt. Das Gebäude ist ein Vorbild für nachhaltiges Bauen im geförderten Wohnungsbau trotz kleinem Budget. Es wird in repräsentativer Lage gegenüber vom Rathaus den Standort mit seiner Qualität und Architektur auf viele Jahre prägen. Auch dadurch leistet das Projekt langfristig einen wichtigen Beitrag zur Baukultur.

Beurteilung durch das Preisgericht

Das seniorengerecht entwickelte Wohn- und Geschäftshaus schließt in ansprechender, anregender und nachhaltiger Weise divers klaffende Lücken ganz unterschiedlicher Provenienz: zuvorderst und ortsspezifisch die langjährige Baulücke im Stadtkern von Oer-Erkenschwick vis-a-vis des Rathauses, die sich mit dieser städtebaulichen Setzung gestalterisch ansehnlich und bautechnisch hochwertig füllt. Damit im Gleichschritt schließt sich erfreulich auch eine weitere der leider allzu reichlichen Leerstellen im Reigen gesellschaftlich relevanter Wohnungsbauten für Senioren und ihrer altersbedingten Ansprüche an flexible Grundrisse, barrierefreien Aktionsradius, Naturzugang und sozial lebenswertem Umfeld. Das Team um Frank Lecke und Sebastian Sehr macht hier einfach einen sehr soliden Job.

Und nährt somit die Hoffnung, dass öffentlich geförderter Wohnungsbau der Zukunft, 24 der insgesamt 27 Wohnungen bedienen dieses Segment, auch bei schmalen Budget einen mächtig guten Aufschlag machen kann. Die umlaufend hochwertige Materialfassung der Fassade, bodennahe Fenster, Loggien, Balkone, die Penthousebegrünung im Dachbereich wie die öffentliche Nutzung der strassenseitigen Erdgeschosse eröffnen schon im Aussenraum die Ahnung hoher Wohnqualität. Im Inneren überzeugen die großzügig bemessenen und lichten Treppenhäuser und relativieren im Sinne ihrer alten- und behindertengerechten Nutzbarkeit die tendenziell sterile Anmutung der Hausflurbereiche.

Aber da seien die Bewohner*innen selbst vor, die nach unangekündigt spontansten Klingelbesuchen der Jury dankenswerterweise Einblicke in ihren privaten Wohnraum gewährten und durchgängig von der Qualität des Wohnens authentisches und immer hochzufriedenes Zeugnis ablegten. Ob als Alleinstehende oder als Ehepaar bewohnt, ob sozial gefördert oder nicht, die flexiblen Grundrisslösungen, die angemessenen Zuschnitte, die lichtfluchtete Atmosphäre der Räumlichkeiten, und seien sie auf 55 qm beschränkt, rundeten das Bild einer gelebten und geliebten Heimat in den eigenen vier Wänden.

Text: Marion Taube