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Einladungswettbewerb | 09/2015

Dorfzentrum Wiesing

3. Rang / Preis

Gsottbauer architektur.werkstatt

Architektur

Erläuterungstext

Was braucht ein Dorf?
„Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspülung, Haustorschlüssel, Luftheizung, Warmwasserleitung. Gemütlich bin ich selbst.“ Karl Kraus

Wir würden meinen ein Dorf braucht in erster Linie eine vitale Infrastruktur, Versorgungseinrichtungen für den täglichen Bedarf. Einen Bäcker, einen Nahversorgungsladen, ein Wirtshaus, ein Cafe, eine Kirche, ein Gemeindeamt, eine Feuerwehr, Proberäume für Musikanten, natürlich Wohnungen, einen Friseur, eine Bank,...
Aber wovon Karl Kraus nicht schreibt und von dem die Qualität nur schwer beschreibbar, doch für uns essentiell ist, sind Ortsräume, Platzräume zur Begegnung, zum Verweilen, für die Feste.

Der Ort – die Gestalt
Das Projekt nimmt die Chance auf, für die Gemeinde Wiesing die Dorfmitte, den Dorfkern neu zu ordnen und damit neu zu gestalten. Es wird kein Stadtplatz vorgeschlagen – wie in der Ausschreibung gewünscht. Vielmehr werden überschaubare und gut dimensionierte und damit auch maßstäbliche Ortsräume konzipiert, verschiedenwertige Außenräume wie Dorfplatz, „Kirchplatzl“, „Bäckerplatzl“ sowie der Vorplatz beim Gemeindesaal. Drei Baukörper, die sich an den Nachbarbauten orientieren und maßstäblich eingefügt werden, beherbergen die geforderten Funktionen. Durch die Platzierung der Gebäude bzw. deren Zwischenräume werden Sichtbezüge und Verknüpfungen vom Dorfplatz zur Landesstraße und umgekehrt sowie auch zur Kirche hergestellt. Mit dem Bäckerhaus wird der Straßenraum bei der Landesstraße punktuell verengt, einerseits um die Geschwindigkeit des motorisierten Verkehrs zu reduzieren, anderseits um raumbildend wirksam zu sein. Angelpunkt des neuen Dorfkerns ist der Kreuzungsbereich der Landesstraße mit der „Kirchgasse“. Mit Bäcker- und Wirtshaus wird das „Bäckerplatzl“ geformt. Mit dem Flugdach, das den Straßenraum schließt, wird ein sublimer „Zwischenraum“ geformt, eine Laube, die einen witterungsgeschützten Bereich zur Verfügung stellt. Ein Brunnen und eine Holzsitzbank, neben den Cafetischen des Bäckercafes, laden zum Verweilen und zur Kommunikation. Von dort führt eine Treppe zum höher liegenden Dorfplatz. Der Lift des Bäckerhauses ist öffentlich zugänglich, die Treppe ebenso. Diese bietet einen witterungsgeschützten Aufgang vom Garagenniveau zum Dorfplatz. Die wichtigsten Einrichtungen, wie Gemeindeamt, Nahversorger, Wirtshaus, Geschäfte, Zugang zum Betreuten Wohnen sind um diesen angeordnet. Der Dorfplatz ist als neutraler Platzraum gedacht, der für alle möglichen Anlässe und vor Allem zur alltäglichen Nutzung zur Verfügung steht für alle Altersschichten. Neben dem einheitlichen Bodenmaterial werden nur ganz wenige Gestaltungmittel eingesetzt: präzise situierte und schattenspendende Bäume, eine lange Holzbank zum Verweilen und auch für die Kommunikation, ein plätschernder Brunnen für alle Sinne. Der Dorfbrunnen könnte dort neu aufgestellt werden. Das Wirtshaus hat ein Dach mit First und „schaut“ damit auf den Dorfplatz. Zusammen mit der Kirche und den nördlichen Nachbargebäuden wird das „Kirchplatzl“ gerahmt. Vier Laubbäume geben ihm einen markanten, ruhigen Charakter. Kurzum es werden Platzräume geschaffen, die eine hohe Aufenthaltsqualität versprechen.

Die Organisation – der Verkehr
Die Pulsader ist naturgemäß die Landesstraße mit einem (noch) hohen Anteil an Durchzugsverkehr. Die Hauptverkehrsanbindung zum oberen Dorf erfolgt in erster Linie über die „Kirchgasse“. Kirch- und Dorfplatz sind weitgehend verkehrsberuhigt. Das Konzept lässt jede Dosierung des Verkehrs in diesem Bereich zu. Zwischen Gemeindeamt und Bäckerhaus ist eine Zufahrt möglich, hat aber untergeordnete Bedeutung. Vor dem EZEB-Laden sind vier PKW-Stellplätze vorgesehen. In der sehr offen wirkenden Garage auf Landesstraßenniveau gibt es 19 Stellplätze, in der ein Geschoß tiefer liegenden Bewohnergarage 42 bzw. mit einer einfachen Erweiterung 55 PKW-Stellplätze. Auf Landesstraßenniveau ist eine gewünschte Erweiterung nach Norden möglich. Südöstlich von Friedhof bzw. Widum werden 28 oberirdische PKW-Stellplätze geschaffen, die großzügig begrünt sind, um die Oberflächenwässer in Mulden versickern zu lassen. Eine Anzahl von Bäumen strukturiert den Parkplatz und spendet Schatten. Bodenständige Bäume begleiten auch die Landesstraße im Planungsbereich. Ebenso werden am Platz vor dem Gemeindesaal Bäume gepflanzt. Dort ist temporäres Parken (beispielsweise bei Einsätzen der Feuerwehr) denkbar. Der Zugang zum Gemeindesaal erfolgt nun anstelle der Stufen über eine breite Rampe. Die Bushaltestelle wird an der derzeitigen Stelle belassen, da die Behörde sie im Kreuzungsbereich nicht genehmigen wird.
Der Verkehr gesamten Planungsbereich ist ganz im Sinne von „Shared-Space“ konzipiert, wo sich alle Verkehrsteilnehmer auf Augenhöhe begegnen. Die neuen Straßen- bzw. Platzräume sind als Begegnungszone weitgehend niveaugleich gehalten – somit barrierefrei – und mit einem einheitlichen, hochwertigen Bodenbelag ausgeführt. Mit dem Wechsel vom Asphaltbelag auf den farblich abgesetzten Platzbelag und der Verengung des Straßenraumes geht erfahrungsgemäß auch eine Reduktion der Fahrgeschwindigkeit einher.

Das Material – die Bepflanzung
Die drei Häuser geben sich in ihrer Erscheinung unterschiedlich. Das Bäcker- und Geschäftshaus wird im Sockelbereich mit Beton und Glas ausgeführt, die oberen Geschoße mit dem Betreuten Wohnen sind in Holz gedacht, orientiert an den benachbarten Holzbauten im Dorf. Analog ist das Musikhaus konzipiert, nur mit einem geneigten Dach, das sich vom gewünschten Profil des Proberaumes ableitet. Im Gegensatz dazu ist das Wirtshaus mit einer hellen Putzfassade geplant.

Als Bodenmaterial wird ein sogenannter „halbstarrer Belag“ vorgeschlagen, auch bekannt als Confalt oder Fortifalt. Ausgehend davon, dass der Bereich der Landesstraße mit einem „straßentauglichen“ Bodenbelag zu versehen ist, kommt dieses Material besonders gelegen, da es die Eigenschaften von Stein und Asphalt nicht nur in der Widerstandsfähigkeit, sondern auch in der optischen Erscheinung vereint. Dieser Belag wird in ein Netz, gebildet von Natursteinlisenen, eingebracht und überzieht die gesamten Platzräume – auch quer über die Landesstraße hinweg – und gibt ihm, neben den konstruktiven Feldern, auch eine einzigartige, gegliederte Erscheinung. Dieses Netz ist neben der maßstabsgebenden Wirkung so gelegt, dass es die Verkehrsflüsse (Fußgänger, Sehbehinderte, Fahrzeuge, ...) optisch wie auch haptisch leitet. In der Umsetzung ist an ein naturfarbenes, geschliffenes Erscheinungsbild gedacht.
Bei den Holzbänken ist in der Materialisierung eine witterungsbeständige Akazie vorgesehen. Die Platzbeleuchtung erfolgt über ausgeblendete, optisch schlichte Mastleuchten. Für die Baumbepflanzung werden u.a. Bergahornbäume vorgeschlagen, die straßenraumtauglich sind, eine stattliche Krone entwickeln und eine schöne Herbstfärbung versprechen. Im Bereich der Baumkronen ist eine versickerungsoffene Oberflächengestaltung vorgesehen.

Beurteilung durch das Preisgericht

3. Rang