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Award / Auszeichnung | 02/2021

Deutscher Städtebaupreis 2020

Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge

DE-93047 Regensburg

AUSZEICHNUNG IM STÄDTEBAUPREIS

Jüdische Gemeinde Regensburg

Bauherren

Staab Architekten

Architektur

Dr. Gollwitzer Dr. Linse und Partner Ingenieure mbB

Tragwerksplanung

Ingenieurbüro für Statik und Baukonstruktion | BAUMRUCK + OSWALD

Tragwerksplanung

Projektdaten

  • Gebäudetyp:

    Kultur-, Veranstaltungsgebäude, Sakralbauten

  • Projektgröße:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2019

Projektbeschreibung

Doppelt gekrümmtes Brettsperrholz für die Dachschale

Die Kuppel der Synagoge ruht auf vier Eckstützen aus Stahl. Ihre Form entspricht einem Kugelausschnitt mit einem Radius von 25 Metern und einem Stich von etwa 1,64 Metern, der an den Kanten eines einbeschriebenen Quadrats mit einer Seitenlänge von 13 Meter vertikal abgeschnitten wurde. Die Schale besteht aus 20 doppelt gekrümmten Einzelsegmenten aus 12,6 Zentimeter dickem Brettsperrholz, die in der Grundrissprojektion dreiecksförmig sind und im höchsten Punkt der Kuppel wie "Orangenschnitze" zusammentreffen. Es gibt fünf unterschiedlich geformte Segment-Typen, die jeweils einen Kuppel-Quadranten ausbilden. Um sie transportieren zu können, sind ihre Außenmaße auf 9 Meter Länge und 2,35 Meter Breite begrenzt – die Ecksegmente etwa erreichen diese Größe.

Alle Dachsegmente bzw. -elemente bestehen aus sieben kreuzweise verklebten Brettlagen. Da konstant breite Brettstreifen auf einer doppelt gekrümmten Oberfläche nicht parallel zueinander verlaufen können, ergeben sich – ungewollt, aber zwangsweise – klaffende Fugen. Die Kuppelinnenseite erhielt daher zur optischen Glättung zusätzlich eine aufgeleimte, 15 Millimeter dünne, weiß lasierte Fineline-Furnierschicht aus hochkant und damit leicht formbaren Furnierlagen.

Eingerahmt wird die Kuppel von vier bogenförmigen Stahlprofilen (HEB 160), die in den Ecken von eingespannten Stützen aus Stahlrundrohr gehalten werden. Die etwa 5,5 Meter langen Stützen stehen auf der Synagogenempore. Horizontal sind sie zusätzlich am Betonflachdach gehalten, so dass sie statisch als 2,5 Meter lange Kragarme mit einer Einspannlänge von 3 Metern wirken. Als einzige horizontale Halterung der Kuppelschale wären sie jedoch zu weich gewesen, das heißt eine dünne Schale mit einer Schlankheit h/L von 100 und einem solch flachen Stich lässt sich nicht alleine durch die auskragenden Stützen stabilisieren. Daher wurden knapp unterhalb der Stützenköpfe umlaufend Zugstäbe angeordnet, die das Gesamtsystem zusammenspannen, die Stützenköpfe in ihrer Lage halten und den allseitigen Horizontalschub aus der Kuppel aufnehmen. So lagert die Holzschale für den Betrachter unsichtbar auf eingelassenen Stahlträgern (R = 23,90 Meter). Die Zugstäbe dagegen konnten die Architekten geschickt hinter der Glasfassade verstecken.

Dreidimensionale Modellierung für perfekte Passgenauigkeit

Zur Herstellung der Brettsperrholz-Elemente erarbeitete man für die Werkstattplanung ein 3D-CAD-Modell der Dachkonstruktion. Nicht nur lieferte es deren exakte Abmessungen bzw. Geometrien samt Verschraubungen, Bohrungen, Falze und sonstiger Bearbeitungen für den CNC-Abbund (Maschinenzuschnitt), sondern auch alle anderen Eingangsgrößen für die Fertigung bzw. den Schablonenbau zur Fertigung. Das Computer-Modell enthielt außerdem alle Informationen zum Stahlbau. Nur so ließ sich sicherstellen, dass Stahlkonstruktion und Holzschale auf der Baustelle auch perfekt ineinandergreifen.

In zwei Wochen vor Ort montiert

Die Fertigung der doppelt gekrümmten Brettsperrholz-Segmente erfolgte im Werk von ZÜBLIN Timber in Aichach, bei dem zum Zeitpunkt der Planung einzigen Hersteller mit allgemeiner bauaufsichtlicher Zulassung für gekrümmtes Brettsperrholz. Dabei wurden die sieben Schichten von je 1,8 Zentimeter Dicke auf einem Leergerüst kreuzweise miteinander verklebt, mit Vakuumdruck verpresst und mit einem 3D-Roboter zugeschnitten. Auf der Baustelle hat man die Einzelsegmente dann mithilfe eines zentralen Gerüstturms in den zuvor montierten Stahlrahmen eingepasst, das heißt sukzessive aneinandergereiht und durch den vorgefertigten Auflagerschlitz am Randträger passgenau positioniert. Eine besondere Formgebung des letzten Elements ermöglichte das formschlüssige Einfügen, dann folgte der zentrische “Schlussstein” von oben. Die Ringzugkräfte der Dachschale werden am Schalenrand über lange Vollgewindeschrauben im Hirnholz annähernd ihrer Wirkungsrichtung unter einem Winkel von 45 Grad im Randträger verankert. Die an den Längsstößen (im Grundriss sternförmig) stumpf gestoßenen Elemente sind mit kreuzweise angeordneten Doppelgewindeschrauben unter einem 30-Grad-Winkel miteinander “vernäht”. Diese Verschraubungen nehmen auch die Membranzug-, die Scheibenschub- und die Plattenschubkräfte auf. Die Doppelgewinde der Schrauben erzeugen außerdem eine gewisse konstruktive Vorspannung und überdrücken den Stoß. Dies ist erforderlich, um der „Scharniergelenk“-Wirkung der Stöße und damit einem Ausbeulen bzw. einer Faltung der Dachschale entgegenzuwirken. Als zusätzliche Stabilisierung dienen die quer dazu angeordneten, ebenfalls radial gekrümmten Dämmsparren.

Ausgesteift wird die montierte Kuppel durch zwei Rauschalungslagen von je 2 Zentimeter; Fugen zwischen den Einzelbrettern sind auf der Kugeloberfläche unvermeidlich, aber zulässig und wurden genutzt, um Beleuchtungskabel darin zu verlegen. Die Schalungslagen übernehmen zusätzlich einen Teil der Membrankräfte. Die rechnerisch maximal vertikale Verformung der Schale lag bei 30 mm, was einem L/400 entspricht, und zwar ohne die aussteifende Schalung mitanzusetzen. Nach dem Entfernen des Montagegerüsts baute sich der planmäßige Spannungszustand auf und die Schale trägt sich selbst. Alles in allem betrug die Montagezeit zwei Wochen.

Dr. Thomas Gollwitzer, Susanne Jacob-Freitag


Objekt
Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge
Standort
Regensburg
Bauzeit
8/2016–2/2019
Bauherr
Jüdische Gemeinde Regensburg (K. d. ö. R.)
Architekten + Ingenieure
Tragwerksplaner Holz-Dachschale: Dr. Gollwitzer – Dr. Linse Ingenieure, München
Tragwerksplaner Massivbau: Ing.-Büro Drexler + Baumruck, Straubing
Architekten: Staab Architekten, Berlin
Bauleitung: Ernst2 Arch
Haustechnik: WBP Winkels Behrens Pospich, Münster, und Melzl Planung GmbH, Pentling
Brandschutz: ASW Wolf + Partner Architekten mbH, Regensburg
Wärmeschutznachweis, Raum- und Bauakustik: ARUP Deutschland GmbH, Berlin
BAUSAUSFÜHRUNG
Fertigung Brettsperrholz-Elemente: ZÜBLIN Timber GmbH, Aichach
Ausführung/Montage Holz-Dachschale: Ihr Tischler, Harth-Pöllnitz
Werkstattplanung Holz-Dachschale: Imagine Computation GmbH, Frankfurt a. M.

Beurteilung durch das Preisgericht

Mit dem neuen Jüdischen Gemeindezentrum und der Synagoge ist ein hochkarätiger neuer Stadtbaustein im Herzen der 2006 zum UNESCO Welterbe ernannten Altstadt von Regensburg entstanden. In Verbindung mit dem historischen Gemeindehaus am ursprünglichen Standort, der 1938 zerstörten Synagoge, wurde ein neues Gemeindezentrum mit Bibliothek und dazugehöriger Synagoge als räumlich differenziertes Volumen in die bestehende Stadtstruktur eingepasst. Der öffentliche Raum wird mittels eines kleinen Eingangshofes und großzügiger Fensteröffnungen mit einbezogen und vermittelt so die Überzeugung der Jüdischen Gemeinde, Teil der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens zu sein.

Die Entwicklung des Konzeptes vom Wettbewerb bis zur Realisierung wurde mit intensiver Beteiligung der Bürgerschaft, des Fördervereins Neue Regensburger Synagoge sowie durch das Engagement des Regensburger Stadtrates und der beiden christlichen Kirchen von Anfang an begleitet und finanziell unterstützt. Der Neubau von Staab Architekten versteht es meisterhaft, mit zeitgenössischer Architektursprache eine eigenständige Gestaltung für den anspruchsvollen Gebäudekomplex zu finden. Die Anordnung der Volumen mit Bezug zur Dachlandschaft der Regensburger Altstadt und das Einpassen der Kuppel der Synagoge an der Süd-Ost-Ecke des Grundstücks bewirken sowohl hinsichtlich der stadträumlichen Bezüge als auch in der inneren Stimmung des Sakralraumes ein Raumwunder, das bestaunt werden darf. Die Materialwahl aus stehend vermauerten Sichtziegeln hebt das Gebäude gestalterisch als kulturellen Sonderbau hervor, ohne mit dem existierenden Altbau, der raue Putzflächen aufweist, zu brechen. So entsteht ein Dialog zwischen alt und neu, der sich auch im Inneren fortsetzt. Das Projekt stellt einen beeindruckenden Beitrag zum Thema „Neues Bauen in historischer Umgebung“ dar. Es zeigt in herausragender Qualität, wie ausgehend vom räumlichen Kontext der Regensburger Altstadt und dem historischen Ort, auf dem schon die ehemalige Synagoge stand, ein moderner Entwurfsansatz hohe ästhetische Qualitäten entfalten und dabei gleichzeitig den vielfältigen Nutzeransprüchen gerecht werden kann. Die Entscheidung, sich der Kontinuität des Ortes zu stellen, den bestehenden Gemeindebau zu integrieren und damit auch die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte lebendig zu halten, kann nur begrüßt werden. Hervorzuheben ist eine besonders engagierte und mutige Bauherrenschaft, die dieses Projekt mit großer Leidenschaft und Überzeugung verwirklicht hat.

Für die Stadt Regensburg darf es als ein Glücksfall gewertet werden, dass das sakrale Dreieck aus katholischem Dom, protestantischer Neupfarrkirche und Synagoge nach 80 Jahren wieder das religiöse Leben in der Regensburger Altstadt widerspiegelt. Dass dies in so klarer wie zeitlos eleganter Architektur und räumlicher Qualität geschieht, ist der zweite Glücksfall in der sich die offene Programmatik und Haltung der jüdischen Gemeinde spiegelt.
Kuppel

Kuppel

Baufortschritt

Baufortschritt

Baufortschritt

Baufortschritt

Baufortschritt

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