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Offener Wettbewerb | 09/2021

Städtebauliche Entwicklung Gaswerkareal und Brückenkopf West im neuen Berner Aarequartier (CH)

6. Rang / 4. Preis

Preisgeld: 15.000 CHF

Mulder Zonderland GmbH

Architektur, Landschaftsarchitektur, Stadtplanung / Städtebau

ECHO Urban Design

Immissionsschutzplanung, Landschafts- / Umweltplanung, Verkehrsplanung, Landschaftsarchitektur, Stadtplanung / Städtebau

Beurteilung durch das Preisgericht

Städtebauliche Beurteilung
Trotz der schon verführerisch durchgearbeiteten Visualisierungen handelt es sich beim Vorschlag um eine inspirierende «Vision» im besten Sinne: Sie legt die Chance offen, aus den heterogenen geschichtlichen und landschaftlichen Gegebenheiten dieses einmaligen Ortes im Herzen der Stadt Bern differenzierte und neue Identitäten zu schöpfen. Das «Zusammenspiel von Natur, Industrieebene und urbaner Kultur» manifestiert sich denn auch in seinen massgeblichen Setzungen: Die im Norden inji zierte, unter der Monbijoubrücke hindurch verschränkte Verdichtung wird in spektakulären Kontrast zur Weiträumigkeit und Üppigkeit des südlich und entlang der Aare inszenierten Grünraums gesetzt, in den sich kraftvolle bauliche Konstellationen einnisten. Extremer Dichte und typologischer Vielfalt stehen Weite und Gefasstheit der üppigen Natur im Schwemmland gegenüber. Das «urbane Leben» im aus dem Fabrikbestand erweiterten nördlichen Cluster nährt sich an einer dichten Raumbildung, in der auch die Monbijoubrücke zum massgeblichen Element wird. Nordwestseitig davon fungiert der «Brückenkopf West» mit seinem aufragenden Hochhaus als «Auftakt zum Areal auf Stadtebene», indem er seine vertikale Verbindungsfunktion zum erfahrbaren Thema macht. Im Gegensatz zu diesem engmaschigen Cluster, das mit dem Gaskessel und einem dialogisch dazu gesetzten Kulturhaus zum südlichen Freiraum hin einen markanten Abschluss erhält, versteht sich der dort implantierte Neubaucluster als ein neuartiges System von «ökologischem Wohnen mitten im Grünen, umgeben von Wald und Wasser». Die Teile des Ganzen verhalten sich stets komplementär, indem sie sich gegenseitig ergänzen, anregen und bereichern. Dieser mutigen, schon mit vielen überraschenden Ideen angereicherten und exemplarisch veranschaulichten Vision stehen nun aber einige Aspekte im Wege, die in der Jury intensiv diskutiert wurden. Insbesondere wird das Fehlen eines klaren unteren Ankunftsraumes im Norden vermisst, was die Orientierung im Areal erschwert. Auch erweisen sich die im nördlichen Cluster auf engstem Raum zusammengeführten Bebauungstypen als zu divers und zu heterogen; insbesondere ist das Hochhaus am Park in der vorliegenden Weise undenkbar. Als äusserst kritisch wird auch der allzu forsche Umgang mit den denkmalgeschützten Objekten bewertet. Hinsichtlich der Frequenzen um den Gaskessel erweist sich die Tatsache als schwierig, dass der dort hinsichtlich Lärm zwar sinn fällig positionierte Gewerberiegel im Innern des Clusters ein Wohnen auf Erdgeschossebene erfordert, was unbewältigbare Friktionen zur Folge hätte.

Aussenraum
Die vertiefte Betrachtung des Freiraums und seiner Qua litäten ergibt eine grosse Vielfalt ortsspezifscher Freiräume wie auch Habitate für die weitere Entwicklung der Natur. Das Projekt schlägt ein Areal vor, worin spannende Raumsequenzen eine reizvolle, spezifsche Identität für das Gaswerkareal schaffen. Die Körnung und die Mass stäblichkeit des Projektes sind gut bemessen und schaf fen damit einen Freiraum mit Kraft, der als Kitt des Gesamtareals dient. Auf dem übergeordneten Massstab wird eine Vernetzung mit der Umgebung als zentral betrachtet, um das Areal als soziales Magnet zu sichern. Reizvolle Räume werden vorgeschlagen, welche die besondere Identität des Ortes verstärken, z.B. Bauten und Zwischenräume unterhalb der Brücke. Wesentliche Naturelemente des Ortes wie der Auenwald und Weiher werden verstärkt und gut erlebbar. Die stimmungsvollen Freiräume in Zusammenspiel mit Erdgeschossnutzungen weisen hohe Qualitäten auf und zeigen ansprechende, informelle, gemeinschaftliche Orte auf. Die Adressbildung entlang der Sandrainstrasse durch die spezifschen Nutzungen ist abwechslungsreich und stimmig. Ein ökologisch reichhaltiges Gebiet wird angeboten, worin sich die Natur weiterentwickeln kann.

Naturwerte
Der Fussabdruck der Gebäude und Erschliessungsfächen im Südbereich ist relativ gering, und daher ist hier die Erhaltung vieler Naturwerte, insbesondere auch von Bäumen und Gehölzen möglich. Obwohl die vorgesehenen Teiche eine zentrale Rolle einnehmen, können sie die erforderliche Funktion wegen der Beschattung und Lage nicht erfüllen. Dies ist jedoch grundsätzlich korrigier bar, die Bonitierungspunkte könnten mit Korrektur erfüllt werden.

Sozialraumplanung
Die Verfasser/ innen identifzieren fünf kleinteilige Handlungsbereiche, für die sie unterschiedliche Nutzungen und Themen vorschlagen; gleichzeitig unterteilen sie das Areal in einen nördlichen, urban verdichteten und einen südlichen, «parkartigen» Teil. Der Entwurf sieht eine Nachverdichtung auf den Flächen der Ryff-Fabrik sowie eine kleinteilige Bebauung auch unter der Monbijoubrücke vor mit innovativem Gewerbe, experimentellen Dienstleistungsbetrieben, Kleingewerbe, Atelierräumen und Sportanlagen. Im urbaneren Nord-Baufeld mit teilweise überhohen Sockelgeschossen, Sport-, Kultur- und Wohnnutzungen, lassen die vorgeschlagenen Varianten viele Interpretationen zu. Dieses Teilgebiet soll nach innen gassenartig, lärmfrei, kinderfreundlich und aneigenbar sein. Aus sozialplanerischer Sicht ist kritisch zu prüfen, ob an diesem Ort ein qualitätsvolles gemischtes Wohnquartier für alle Generationen und Familien die richtige Antwort ist. Insbesondere das Erdgeschoss-Wohnen wird jedoch kritisch beurteilt; das Nebeneinander zu vieler Nutzungen im Erdgeschoss (wohnen, arbeiten, Dienstleistung) wird kritisch beurteilt. Im mittleren Teilbereich (Gaskessel) entstehen neben Gastronomie und Hostel im Werkstattgebäude auch grössere neue Kulturnutzungen mit zusätzlichem Publikums und Ausgehverkehr. Diese Ausweitung und Konzentration eher auch lauter (auch nächtlicher) Nutzungen ist sozialräumlich kritisch zu refektieren. Im südlichen Teilperimeter soll eine reine Wohnsiedlung aus drei «Eco-Silos» mit «ökologischem Wohnen» entstehen. Sozialräumlich stehen zwar unterschiedliche Raumangebote, jedoch auch unterschiedlicher Qualitäten zur Verfügung. Die Jury diskutiert kritisch, inwieweit der Entwurf insbesondere im Freiraum funktionell und typologisch ein zu fertiges Bild entwickelt. Sozialräumlich ist zu hinterfragen, ob die vielfältigen Nutzungszuweisungen ausreichend Raum für Aneignungsmöglichkeiten lassen, die in der Regel insbesondere von nutzungsoffenen Be reichen proftieren. Exemplarisch hierfür ist die fehlende kommunikative Mitte zwischen den Punkthäusern im Süden; das vorgeschlagene Stegesystem über das künstlich geschaffene Wasser erschwert Begegnungen und Austausch unter den Bewohnenden sowie mit dem Quartier. Positiv hebt die Jury den vorgeschlagenen neuen Aaresteg zur Stärkung der Vernetzung des Langsamverkehrs auch in Ost-West-Richtung hervor.

Gaskessel
Gemeinsam mit der Ryff-Fabrik soll das Jugendkulturzentrum als Katalysator für Entwicklungsschritte auf dem Areal dienen und der Gaskessel als Herz des Areals funktionieren. Während sich dies in der vorgesehenen Bebauungsstruktur und den neuen Nutzungen bei der Ryff-Fabrik entsprechend manifestiert, wird die Idee des Entwurfsteams rund um den Gaskessel nicht ganz er sichtlich. Für den Gaskessel wird eine zweiseitige Eingangssituation vorgeschlagen, wobei der südseitige Eingang nach wie vor als Haupteingang funktioniert. Die Buswendeschlaufe liegt direkt beim Gaskessel an der Sandrainstrasse, Besuchende können somit auf direktem Weg vom Bus zum Gaskessel geleitet werden. Die nicht klar hierarchisch defnierte Wegführung durch das Quartier ermöglicht es jedoch Besuchenden, die nicht den ÖV benutzen, sich im Quartier zu verlieren, Lärmstörungen sind somit vorprogrammiert. Die beiden nördlich vom Gaskessel situierten Gebäudevolumen und das Werkstattgebäude sind alle drei mit Nicht-Wohnnutzungen belegt, dies wird begrüsst, da es dazu dient, die vom Gaskessel ausgehende Lärmproblematik zu entschärfen. Die Gebäude wirken auf den Gaskessel durch ihre Höhe und Nähe jedoch erdrückend, es gibt keinen gestalteten Übergang und es wird nicht genauer darauf eingegangen, wie die Fläche zwischen den Gebäudevolumen und dem untergeordneten zweiten nördlichen Eingang vom Gaskessel genutzt werden soll. Zur Anlieferung des Gaskessels und der Zufahrt für Blaulichtorganisationen wird keine Aussage gemacht. Der Aussenraum südlich des Gaskessels bleibt teilweise bestehen, die brachenartige Atmosphäre wird durch den planerischen Eingriff jedoch nicht gestärkt. Zusätzlich wird der Aussenraum mit dem neuen Kulturhaus geteilt. Nutzungsmässig bieten sich hier Synergien an, es besteht jedoch die Gefahr, dass das Kulturbiotop durch zu viele Aussenraum-Nutzungen überbelagert wird und diese Situation zu Konfikten führt.

Fazit
Insgesamt handelt es sich aber um einen engagiert aus der Vielfalt des Kontextes hergeleiteten und leidenschaftlich vorgetragenen Beitrag, der zu sehr anregenden Diskussionen hinsichtlich der vielschichtigen Werte des Ortes und seiner Einmaligkeit beigetragen hat.