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Mehrfachbeauftragung | 06/2022

Ideenstudie Areal Wankdorffeldstrasse in Bern (CH)

Erdgeschoss

Erdgeschoss

1. Rang / Zur Überarbeitung aufgefordert

jungheim Architekten GmbH SIA

Stadtplanung / Städtebau, Architektur

Samuel Métraux Architektur

Stadtplanung / Städtebau, Architektur

DUO Architectes paysagistes / Landschaftsarchitekten Sarl

Stadtplanung / Städtebau

rundum mobil GmbH

Verkehrsplanung

psarch Peter Sägesser

sonstige Fachplanung

wolf&spürhund Beratung Denkmalpflege

sonstige Fachplanung

Beurteilung durch das Preisgericht

Als starke Vision für das gesamte Gebiet entlang der Wankdorffeldstrasse gelingt es dem Projekt «WIWA» (als ortsspezifische Adaption des Wortes «Viva»), die Transformation des Ortes nicht nur zu planen und zu erläutern, sondern aktiv zu inszenieren zu einem identitätsstiftenden, zukunftsfähigen Quartier in Bern. Wahrhaftig aus dem Standort gedacht, nutzt das Projekt die Zäsuren des Ortes, die vorgefundenen Elemente und vielfältige bauliche und freiräumliche Typologien als entwurfsgenerierendes Momentum. Dabei wird das Projekt getragen vom Verständnis der Stadt als dialoghaften Prozess der steten Aushandlung, getragen vom Grundgerüst und Regelwerk.

Auf Basis einer prozessorientierten Entwurfsmethode gelingt der Spagat zwischen einer regelhaften Beschreibung der Anforderungen, konkreten Rahmenbedingungen und maximaler Offenheit für eine dynamische Entwicklung. Als Collage auf Basis des Vorgefundenen entfaltet sich ein Zukunftsbild, das sich aus dem Kontext direkt entwickelt und dem Bestand eine Bedeutung beimisst, die über die bauliche Struktur und die gebundene Graue Energie hinaus geht. Dabei liegt die Bedeutung der Bestandsobjekte nicht zwingend in einer wertvollen Substanz, sondern in deren Funktion als Katalysatoren der Entwicklung. Dadurch werden diese ebenso prägend für eine ortsspezifische Bebauungsstruktur wie für mögliche Erinnerungsorte und vermögen, als nicht abschliessend ausformulierte Orte auch eine eigenständige ästhetische Kraft zu entwickeln.

Der Entwurf wagt eine sozialräumliche Vierteilung des neuen Quartiers, die er aus der überörtlichen Einbettung der Wankdorffeldstrasse ableitet. So gedacht entsteht eine erste sozialräumliche Option zum Wyler, eine weitere zwischen dem «Park» und der «Quartiermitte», eine dritte bei der «Quartiermitte» und eine vierte von dort bis zum Bahnhof.

Im Wissen, dass sich das Wachstum von Quartieren nicht ausschliesslich nach den Vorgaben von Planenden richtet, hält sich der Entwurf stark zurück, wenn es um die Beschreibung von Sozialräumen geht. Das Projekt drückt dabei die notwendige Zurückhaltung aus, die Sozialräume als sich konstituierende Prozesse zu verstehen. Diese Lesart ist auch deshalb plausibel, weil sich der Entwurf aktiv darum bemüht, mit drei markanten Hochbauten Platz zur Aneignung auf Stadtniveau zu schaffen und dieses aktiv gestaltet; sei es in grosszügigen Freiflächen («Quartierplatz»), durch die in Wert gesetzten Strukturen als Überreste der Bestandsgebäude oder die Einbindung der Brücke zur gegenüberliegenden Gleisseite.

Die relevanten Baukörper sind umsichtig platziert, historisch gewachsene Bezüge und Wegeverbindungen werden für die Orientierung und die Gewichtung genutzt. Über ein starkes Narrativ der Freiräume, die sich als Naturraum, Begegnungsraum und Erlebnisraum überlagern und die differenziert programmiert und atmosphärisch beschrieben werden, skizziert das Projekt eine insbesondere aus Freiraumsicht interessante, doch in der Plandarstellung anspruchsvolle Lösung eines wandelbaren stadträumlichen Gerüsts. Es krempelt den Perimeter nicht komplett um, sondern stützt sich auch im Freiraum stark auf den Bestand – Räume, Bäume, Materialien. Damit verspricht es nicht nur ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit, sondern ermöglicht auch eine sehr selbstverständliche Einbindung in das Umfeld.

Rückgrat des neuen Stadtbausteins ist der stark begrünte Boulevard an der Wankdorffeldstrasse. Interessant ist hier der Vorschlag, den zentralen Teil des Boulevards als Platz zu gestalten, der vom Innern des Perimeters über die Strasse hinweggreift. Dieser Platz ist Dreh- und Angelpunkt des Entwurfs, er verbindet die Quartiere, schenkt dem Areal eine grosszügige gemeinschaftliche Mitte und organisiert dabei die Verkehrsströme neu: Die Wankdorffeldstrasse wird von der Durchfahrts- zur Zufahrtsstrasse.

Zwischen Boulevard und Gleisfeld entsteht eine innere Gasse, das «Gleisband ». Diese neue Wegführung orientiert sich am Verlauf des bestehenden Gleises und bricht mit seinem Knick geschickt die starre Längsausrichtung des Perimeters auf. Dass diese innere Achse an einer Stelle unter einem aufgeständerten Gebäude hindurchführt, beeinträchtigt aber die Wahrnehmung des Gleisbands als öffentliche Gasse.

Das Gleisband erschliesst drei stadträumliche Zonen: den «publikumsorientierten Bereich», der beim Bahnhofsplatz beginnt, den «quartierdienlichen » Bereich mit zentralem Platz und den «gemeinschaftlichen Bereich» im westlichen Drittel des Perimeters.

Der Standort der Schule wird allerdings kontrovers diskutiert. Obschon ein aus Sicht Lärmschutz und Quartierbezug interessanter Beitrag, werden die baulichen Abhängigkeiten und Nutzungspotenziale zugunsten des Quartiers kritisch gesehen. Insbesondere dominieren die Schulnutzungen auch den Freiraum, der gemeinschaftliche Gedanke wird hier in der Folge noch nicht ganz überzeugend umgesetzt.

Der Park als westlicher Abschluss oder Ankunftsort und als Freiraum des vorgesehenen Hochhauses leitet zwar gut zur angrenzend vorgesehenen durchgrünten Zone über, ist aber in diesem Umfeld nicht die richtige Typologie.

Der Beitrag wagt einen Ausblick auf einen möglichen Umgang mit der Mobilität der Zukunft. Der Ansatz wird stringent ins Gesamtkonzept eingebunden und lässt erkennen, dass die Entwicklung integral erfolgt ist. Die Palette der Mobilitätsangebote ist breit, in der Zielsetzung aber stets auf autoarmes/autofreies Wohnen fokussiert. Die in Freiraum und Städtebau aufgezeigte Flexibilität bezüglich Etappierung und Entwicklung über das gesamte Gebiet ist im Bereich Mobilität aber nicht vorhanden. Die bestehende Einstellhalle wird als Quartiereinstellhalle umgenutzt und mit einzelnen oberirdischen, dispers verteilten Parkfeldern ergänzt. Die Vorgabe einer baufeldunabhängigen Lösung bezüglich Erschliessung und Parkierung ist somit nicht gegeben.

Im sorgfältig aus dem Bestand heraus entwickelten Entwurf findet in jeder Hinsicht eine gründliche, differenzierte und mustergültige Auseinandersetzung mit dem Thema des klimagerechten Städtebaus statt. Dies beginnt mit dem Ansatz der minimalen Bodenversiegelung und reicht von der Berücksichtigung der Luftaustauschprozesse an richtig gesetzten Stellen über differenzierte Freiraumtypologien, dem Erhalt und der Neupflanzung zahlreicher Bäume bis zur Integration der Dachlandschaften in das Gesamtkonzept des klimaaktiven Systems. Auf das Gesamtprinzip kann im weiteren Verfahren sehr gut aufgebaut werden.

Wenngleich in der feineren räumlichen Abstimmung nicht alle Teilbereiche gleichermassen zu überzeugen vermögen, zeigt die Arbeit prototypisch auf, was zukunftsfähige Städte ausmacht: Lebendige Orte von hoher Dichte. Einer Dichte, die nicht nur quantitativ, sondern – auch und vor allem – programmatisch und qualitativ verstanden wird. Die einzelnen Gebäude tragen denn auch immer wieder die sozialräumlichen Grundgedanken (Dachflächen, 2. und 3. Stadtebene in den Gebäuden, Sockelgeschosse) in sich, von denen aus Nachbarschaften und heterogenes soziales Kapital zu bilden möglich ist. Jedes vorgeschlagene Gebäude wird über die spätere Materialisierung dieser Grundgedanken zu einem Unikat und damit auch zu einem sozialräumlichen Ankerpunkt.

Der Schwerpunkt des Entwurfs liegt auf der Definition von Absichten, Qualitäten und Ansprüchen, die die Wandelbarkeit der Stadt sichern und Wert legen auf einen vielfältigen Stadtkörper, der sich für Aneignung und Adaption eignet. Dabei ist die Beschreibung der Absichten und inhaltlichen Ziele je baulicher oder freiräumlicher Typologie wichtiger als die früh- oder vorzeitige Entwicklung exakter Bilder. Schliesslich überzeugt der Vorschlag in allen Bereichen mit spezifischen Freiräumen, die fünf Grundtypologien angehören: Strasse, Platz, Gasse, Gleispark und Ruderalband. In konsequenter Umsetzung der Grundprinzipien – Stadt als Prozess und Weiterbauen des Bestands – entstehen so einzigartige Orte mit Identifikationspotenzial: beispielsweise der Geleishof, der Geleisgarten oder die Pergolagasse, die das Gerüst der alten Industriehalle als Rankgerüst nutzt.

Die Entstehung dieses Stadtstücks erfordert aber einen kontinuierlichen Transformationsprozess, im Zuge dessen die Sicherung all der beschriebenen Qualitäten anspruchsvoll bleibt und während aller Phasen nachzuweisen ist. Obschon der Zeithorizont eines komplexen Prozessdesigns zur Transformation von der Geschwindigkeit der Realität überholt zu werden droht, bestätigt dieses, dass nebst den baulichen Massnahmen auch das Leben vor Ort und die Dynamik stets Thema bleiben: die Menschen, die bereits dort wohnen, die Gewerbetreibenden, die bereits dort aktiv sind und alle diejenigen, die Inkubatoren der Transformation aktivieren können (z.B. Soziokultur) – sie alle verkörpern den Charakter und das Potenzial des Standorts.

So bleibt das Projekt «WIWA» in Teilen für eine direkte Umsetzung zwar zu vage, verspricht aber auf Grund seiner Haltung eine starke Wiedererkennbarkeit und Identitätsbildung. Es zeigt eine überzeugende, städtebauliche Richtung auf, die zwar noch nicht in allen Detailpunkten geklärt ist, aber gerade deswegen eine Grundlage und ein wichtiges Instrument bildet, auf das aufgebaut werden kann.
Dachlandschaft

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Baufeld 01

Baufeld 01

Baufeld 02.1

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