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Nichtoffener Wettbewerb | 12/2023

Quartiersentwicklung Reichenhalden in Empfingen

2. Preis

Preisgeld: 30.000 EUR

Baldauf Architekten und Stadtplaner GmbH

Stadtplanung / Städtebau

König + Partner l Freie Landschaftsarchitekten

Landschaftsarchitektur

Erläuterungstext

1. Städtebauliches Konzept – Maßstäbliche Wohnhöfe für dörfliche Nachbarschaften
Die städtebauliche Neuordnung im Bereich Reichenhalden stellt für Empfingen eine Jahrhundertchance dar. Der Südwesthang, von dem aus alle wichtigen Einrichtungen der Gemeinde in wenigen Gehminuten erreichbar sind, ist prädestiniert für qualitätvolles Wohnen. Die hohe Dichte des neuen Quartiers soll aus unserer Sicht aber auch mit einer städtebaulichen Struktur einhergehen, welche die Charakteristiken des ländlichen Raums aufnimmt, eine gewisse Individualität gewährleisten kann und neue Qualitäten durch eine Verzahnung in die vorhandenen Grünstrukturen schafft. Das Konzept sieht eine Aufteilung des Areals in sechs maßstäbliche Wohnhöfe mit unterschiedlicher Charakteristik vor: Eingerahmt von einem grünen Saum, der bestehende Grünstrukturen des Südwesthangs aufnimmt, gruppieren sich die drei nordwestlichen Baufelder entlang einer verkehrsarmen, dörflichen Promenade. Um den Bezug zum Bestandsquartier herzustellen, ist hier unter anderem auch Wohnen auf dem eigenen Grundstück möglich. Drei grüne Fugen gliedern die Bebauung und bilden an den Verzahnungen mit der Promenade kleine Platzsituationen aus, die für die Funktionalität des Quartiers eine große Bedeutung haben. Die drei südöstlichen Baufelder gestalten sich auch aufgrund ihrer Nähe zum Gewerbegebiet, dem Festplatz und der zukünftigen Ortsumfahrung deutlich urbaner. Sie gruppieren sich um eine neue Quartiersmitte herum und bilden an der Haigerlocher Straße einen neuen Quartiersauftakt aus. Eingerahmt wird die Bebauung im östlichen Bereich durch die geschützte Mähwiese. Die Bebauung besteht aus offenen Blockstrukturen mit überwiegend III-IV geschossigen Wohngebäuden unterschiedlichster Typologie, die sich locker um die Innenhöfe gruppieren. An markanten Punkten wie der Quartiersmitte und dem Quartiersauftakt an der Haigerlocher Str. sind einzelne Punktgebäude bewusst platziert, um eine gewisse Adressbildung zu schaffen und sinnvolle Sondernutzungen in den Erdgeschossen zu ermöglichen.

2. Freiräume – Durchgrünter Ortsteil mit vielfältigen Bezügen zur Natur
Die Bezüge des dicht bebauten Quartiers mit den hochwertigen Naturräumen der Umgebung sind vielfältig. Grundsätzlich soll ein Großteil des bewaldeten Saums rings um das Quartier erhalten bleiben. Hauptziel des Konzeptes ist jedoch die Schaffung neuer Qualitäten innerhalb des Areals. Wichtigster Freiraum ist die neue Quartiersmitte, wo ein versiegelter Platz mit Wasserfontänen und Außengastronomie direkt an die Ausläufer der naturrechtlich geschützten Mähwiese angrenzt und so die Natur erlebbar macht. Zur logischen Arrondierung der Baufelder ist ein geringfügiger Eingriff in die FFH-Mähwiese (Baufelder B4 & B6) notwendig, der allerdings direkt angrenzend mit Faktor 1,5 ausgeglichen werden kann. Die geschützte Wiese wirkt direkt am Quartierseingang Haigerlocher Str. und nördlich der Quartiersmitte in das Gebiet hinein. Den Übergang bildet hier eine Gemeinschaftswiese, wo die Natur durch einen großen Vogelturm erlebbar wird. Weitere Details zur Codierung einzelner Grün- und Freiflächen können den erläuternden Skizzen zum Freiraumkonzept entnommen werden.

3. Erschließung | Mobilität – Autoarmes Wohnquartier mit dörflicher Spielstraße und zentralen Quartierspark- & energiehäusern
Das gesamte Mobilitätskonzept zielt auf ein autoarmes Wohnquartier ab. Sämtliche Einfahrten zu den Quartierspark- und energiehäusern und Tiefgaragen sind möglichst nahe an den Eingängen ins Areal platziert. Die dörfliche Promenade basiert als Spielstraße nicht auf einem festlegten Regelquerschnitt, sondern kann durch eine Abfolge von Gassen und Plätzen mit unterschiedlicher Nutzung den Charakter eines reinen Verkehrsraums vermeiden. Außerdem sind an geeigneten Stellen Sharing Points mit Ladesäulen, Fahrrädern und Packstationen vorgesehen. All dies wird dafür sorgen, den Durchgangsverkehr (auch von Paketlieferanten) zu den nördlichen Wohnquartieren auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Der neue Bushalt ist von allen Wohnhöfen fußläufig in wenigen Gehminuten mithilfe der neuen Fuß- und Radwegeverbindung in Richtung Festplatz erreichbar. Insgesamt wird dem privaten und öffentlichen Wegenetz als Streifraum für Kinder eine sehr hohe Bedeutung zugemessen. Optimierte Radverbindungen entlang der Haigerlocher Straße sowie von und ins Quartier sind ebenfalls wichtiger Bestandteil des Konzeptes.

4. Typologie | Nutzungen – Typologische Vielfalt durch ein diversifiziertes Wohnungsangebot
Damit ein zukunftsfähiges Wohnquartier auch sozial nachhaltig sein kann, muss es aus unserer Sicht eine Bewohnerstruktur aufweisen, die durch ihre demografische Mischung langfristig Tendenzen von Segregation, Gentrifizierung oder Überalterung entgegenwirkt. Neben einer gesteigerten Wohnqualität hat dies z.B. auch eine höhere Wertstabilität der Gebäude und Wohnungen zufolge. Neben unterschiedlichen Eigentumsformen und Grundstücksgrößen, welche im Punkt „Bauabschnitte | Vergabe“ erläutert werden, ist die zentrale Stellschraube hierfür ein diversifizierter Wohnungs- und Gebäudemix. Verschiedene Alters- und Nutzergruppen benötigen verschiedene Wohnformen. Daher setzt sich jeder einzelne Wohnhof aus einen breiten Mix aus unterschiedlichen Gebäudetypen zusammen, die verschiedene Grundrisse und Wohnungsgrößen ermöglichen. Vor allem im Bereich der Quartiersmitte streben wir eine möglichst belebte Erdgeschosszone an. Verschiedene Nutzungen wie kleinteiliges Gewerbe, Nachbarschaftsräume, Büro- und Co-Working-Flächen, Bäcker/Cafe mit Außengastronomie sowie ein Bürgerprojekt „share and repair“ können hier Platz finden.

5. Umgang mit Topografie – Ausgeglichenes Erdmassenmanagement & Niveauüberwindung innerhalb der Gebäude
Durch die ca. 25 m Höhenunterschied auf dem Areal ergeben sich für ein Wohnquartier mit der geforderten städtebaulichen Dichte erhebliche topographische Herausforderungen. Die attraktive Lage am Südwesthang bietet aber auch große Chancen. Das Konzept sieht vor, die Geländesprünge innerhalb der Gebäude durch unterschiedlich genutzte Sockelgeschosse zu überwinden. Sowohl die zentrale Spielstraße, als auch die Innenhöfe sind hingegen möglichst ebenerdig und somit barrierefrei und gut nutzbar. Ziel ist ein ausgeglichenes Erdmassenmanagement auf dem Areal, bei dem sämtlicher (unbelasteter) Erdaushub an anderer Stelle gebietsintern wieder aufgetragen werden kann. Im Sinne einer nachhaltigen Quartiersentwicklung kann so CO2-intensives Ab- oder Zufahren von Material reduziert werden. Außerdem arbeitet das Entwässerungskonzept mit einer Abfolge von Retentionskaskaden, die sich den steilen Südwesthang für die Regenrückhaltung zunutze machen. An verschiedenen Bereichen im Gebiet sorgen Panoramatreppen für spannende Ausblicke in Richtung bewaldeter Ausläufer des kleinen Heubergs. Am nördlichen Gebietsteil wird der Höhensprung zum tiefergelegenen Pflegehaus und der Täleseehalle durch kleine Serpentinen überwunden.

6. Bauabschnitte & Vergabe – Durchmischtes Wohnquartier durch bauabschnittsweise Vergabe
Das nördliche Quartierspark- und Energiehaus bildet den Auftakt zum ersten Bauabschnitt. Dieses wird vom Ankernutzer (Baufeld B1) errichtet und an die Baugruppen und privaten Bauherren der Baufelder 2 und 3 vermietet. Alle notwendigen Stellplätze dieses Bauabschnitts können hier untergebracht werden. Im nördlichen Gebietsteil wird die Erschließung mit der Spielstraße neu strukturiert, die Entwässerung wird über den neuen Fuß- und Radweg zur Haigerlocher Str. gewährleistet. Die bestehende Wohnstraße Reichenhalden und die anliegenden Bestandsgebäude können im südlichen Bereich auf etwa. 200m Länge erhalten bleiben. Im zweiten Bauabschnitt kann das Quartier vollständig aufgesiedelt werden. Die drei großen Baufelder B4-B6 können je an einen Bauträger/Investor vergeben werden. Im Zuge einer Konzeptvergabe können hier auch gestalterische Vorgaben gemacht werden. Alle notwendigen Stellplätze können je Baufeld in den Quartierspark- und energiehäusern sowie in einer Tiefgarage (nur Baufeld B4) untergebracht werden. Die gesamte Wohnstraße wird umgebaut und um die neue Quartiersmitte herum völlig neu strukturiert. Der letzte Bauabschnitt ist als flexible Zukunftsvision zu verstehen. Dieses langfristige Szenario geht von einer tiefgreifenden Mobilitätswende aus, bei der ein Großteil der Bewohner auf ein eigenes Privat-PKW verzichten kann und stattdessen diverse Sharing-Angebote nutzt. Bei einem Stellplatzschlüssel von 0,2 Stp./We ist ein vollständiger Rückbau der Obergeschosse der Quartiersparkhäuser möglich. Erhalten werden lediglich die Untergeschosse dieser Gebäude (Heizzentrale, verbleibende Stellplätze und Rampe). Oberirdisch können zusätzliche Wohngebäude zur Arrondierung der Wohnhöfe verwirklicht werden.

7. Klimaneutrale Quartiersenergie – Erneuerbare Wärmequellen und effiziente Versorgung durch kaltes Nahwärmenetz
Alle Baufelder des Quartiers werden durch ein kaltes Nahwärmenetz, welches aus verschiedenen Umweltwärmequellen gespeist wird, möglichst effizient und klimaneutral mit Wärme versorgt. Als Wärmequellen werden hauptsächlich Grundwasserbrunnen und Erdwärmesonden eingesetzt. Mögliche Standorte für diese Sonden sind im Plan eingezeichnet. Je nach Ergebnis der Bohrungen kann auch zusätzlich solare Strahlungswärme durch Kollektoren auf den Quartierspark- und energiehäusern zum Einsatz kommen. Rohre, die gleichzeitig als Erdwärmekollektor fungieren, bringen die Umweltwärme zu den vier großen Heizzentralen. Diese Heizzentralen befinden sich in den Untergeschossen der Quartierspark- und energiehäuser und bestehen aus Wärmetauscher, Wärmepumpe und Pufferspeicher. Die Wärmepumpe sowie eine Vielzahl an E-Ladesäulen werden von großen PV-Anlagen auf den Dachflächen mit Energie versorgt. Innerhalb der Baufelder werden die einzelnen Gebäude mit einer Heizwärme von ca. 45 °C versorgt (warmes Netz). Dies ist auch die Quelle für Warmwasser, welches durch zusätzliche Booster-Wärmepumpen in den Gebäuden bereitgestellt wird. An heißen Sommern kann das kalte Nahwärmenetz durch die Quellentemperatur der Erdwärmesonden und Grundwasserquellen zur Kühlung verwendet werden. Somit kann auf energieintensive Klimaanlagen verzichtet werden.

8. Entwässerungskonzept – Oberflächennahe Entwässerung mit Retentionskaskaden
Empfingen besitzt mit dem Tälesee und dem Hochwasserrückhaltebecken & -damm Häselgraben bereits aufwendigen Hochwasserschutz. Wir streben eine wassersensible Quartiersentwicklung an, die trotz steigender Versiegelung im Bereich Reichenhalden eine zusätzliche Beanspruchung dieser Infrastruktur und somit auch ein zusätzliches Risiko für tiefer liegende Ortschaften im Mühlbachtal möglichst vermeidet. Auch im Sinne der Klimaanpassung ist es unser Hauptziel, das Quartier gut auf Starkregenereignisse vorzubereiten. Das Entwässerungskonzept berücksichtigt sowohl das bestehende Becken zwischen Robert-Bosch-Str. und A81 mit dem dazugehörigen Regenwasserkanal zum Tälesee, als auch das geplante Regenrückhaltebecken nördlich des Areals. Innerhalb des Gebietes schlagen wir ein System aus begehbaren Retentionskaskaden vor, das sich die steilen Südwesthänge zunutze macht. Diese begrünten Mauerabfolgen haben auch eine gestalterische Komponente und können als multifunktionale Flächen einen hohen Freizeitwert aufweisen. Pflasterrinnen im Straßenraum leiten das Regenwasser hin zu den vier Kaskadenbereichen. Ein weiteres Regenrückhaltebecken am tiefsten Punkt des Areals sorgt für zusätzliche Speicherung und verzögerte Ableitung des anfallenden Regenwassers in Richtung Tälesee. Viele Straßenbäume können durch die Rigolen zum Auffangen des Niederschlagswassers ebenfalls beitragen. Sämtliche Bauplätze und Baufelder werden darüber hinaus je nach Grundstücksgröße mit bereits eingebauter und entsprechend dimensionierter Zisterne verkauft. Alle Gebäude besitzen ein Flachdach und sollten durch die Kombination von PV und extensiver Dachbegrünung zur Verdunstung beitragen.


Beurteilung durch das Preisgericht

Die Verfasser:innen schlagen mit ihrem Beitrag vor, große Teile des Areals mit kleinformatigen Gebäuden unterschiedlicher Typologien zu bebauen. Den Auftakt zum Gebiet bilden im Nordwesten und Südosten zwei Platzräume, deren östlicher die neue Quartiersmitte bildet. Zwischen den Plätzen verläuft eine mäandernde Spielstraße, die als Haupterschließung des Gebietes fungiert. Einzelne Gebäude sind in die Straße eingerückt, was sicherlich zur Differenzierung des Straßenraumes beiträgt aber zugleich auch problematisch für die Privatheit der Wohngebäude in unteren Geschossen sein dürfte. Von der Spielstraße gelangen die Bewohner auf direktem Weg zur straßenbegleitenden Bebauung und über ein verzweigtes und auch recht unübersichtliches Wegenetz zu den Häusern in zweiter und dritter Reihe. Fraglich ist, ob die Wege senkrecht zum Hang eine barrierefreie Erschließung gewährleisten.

Positiv gewürdigt wird der Ansatz, eine größere Anzahl unterschiedlicher Gebäudetypologien anzubieten und damit ein breites Angebot unterschiedlicher Wohnformen und Bauherrschaften zu ermöglichen. Die hohe Dichte des Entwurfsansatzes wird jedoch kritisch bewertet. Die Gebäudeabstände erscheinen als zu knapp bemessen. Der Ansatz, Grünflächen fast ausschließlich der privaten Nutzung zuzuschlagen, beschränkt zudem den gemeinschaftlich nutzbaren Freiraum auf die befestigten Flächen. Die Lage des Quartiersplatzes am östlichen Rand des Gebietes wird ebenfalls kritisch gesehen. Zu nahe liegt der Verkehrskreisel im Süden, zu entfernt die Bebauung im Osten.

Der ruhende Verkehr wird zu einem größeren Teil in Quartiersparkhäusern untergebracht, die an den Zugängen zum Areal liegen. Der für die künftige Entwicklung des Mobilitätsverhaltens flexible Ansatz wird positiv gewürdigt, die prominente Lage und Adressbildung durch die Parkhäuser jedoch hinterfragt. Es ist weiterhin nicht sicher, ob das gegenüber der nördlich anschließenden Bebauung zu großmaßstäblichem Parkhaus im Nordwesten tatsächlich von den angrenzenden Reihen- und Doppelhausbewohnern akzeptiert wird.

Insgesamt formuliert die Arbeit einen wertvollen Beitrag. Die vorgeschlagene Körnung passt zu Empfingen. Eine große Bandbreite an Gebäudetypologien ermöglicht eine große Vielfalt unterschiedlicher Wohnformen. Aufgrund seiner hohen Dichte und der daraus resultierenden Gleichförmigkeit und Unübersichtlichkeit der Stadträume kann er leider nicht gänzlich überzeugen.