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Einladungswettbewerb | 07/2020

Wohnbebauung an der Semmelweissstraße in Leipzig

Blick von der Nationalbibliothek

Blick von der Nationalbibliothek

1. Preis

Preisgeld: 25.000 EUR

Woltereck Fitzner

Architektur

Erläuterungstext

01 STÄDTEBAU
1 / Steinerne Magistrale:
Die Magistrale zwischen Völkerschlachtdenkmal und Neuem Rathaus ist von herausragender historischer und städtebaulicher Bedeutung.
• Die Magistrale wird von öffentlichen Gebäuden mit Natursteinfassaden geprägt, die in ihrer Materialität für Leipzig typisch sind.
• Die neue Wohnbebauung soll an einem wichtigen Knotenpunkt mit der radialen Semmelweisstraße errichtet werden.
• Die Neubauten entstehen als weitere, steinerne Landmarken aus geschliffenem Sandstein und Porphyr.
2 / Fünf Punkthochhäuser:
Der Bayerische Bahnhof bildet den nordwestlichen Auftakt zur Straße des 18. Oktober.
• Der stadträumliche Abschluss auf der Südostseite wird durch eine Folge von fünf Punkthochhäusern definiert, die wie auf einer „Perlenschnur“ aufgereiht angeordnet sind und das Quartier städtebaulich und architektonisch abschließen.
• Die bogenförmige Arrondierung reagiert auf die quer zur Straße des 18. Oktober verlaufende Semmelweisstraße mit einer räumlichen Geste, die weithin sichtbar ist.
3 / Zwei Zwillingstürme:
Die 11-geschossigen Wohnscheiben werden in einer regelmäßigen Taktung durch 16-geschossige Punkthäuser gegliedert. In markanten Bereichen sind die Punkthäuser paarweise angeordnet.
• Im Sinne der qualitätvollen Nachverdichtung wird die lokale Bautypologie mit einer weiteren Paarung aus zwei Punkthochhäusern fortgeschrieben.
• Die beiden Zwillingspaare bilden gemeinsam eine städtebauliche Torsituation aus.
• Das 17-geschossige Punkthaus verläuft parallel zur Hauptachse und übernimmt eine formale Führungsposition. Das 15-geschossige Gebäude vermittelt durch seine parallele Anordnung und seine reduzierte Geschossigkeit zu den 11-geschossigen Wohnscheiben.
4 / Räumliche Verknüpfung:
Der vorhandene komplexe Wohnungsbau mit seinen Wohnfolge- und Gemeinschaftsbedarfseinrichtungen steht für ein hohes Maß an öffentlich nutzbarem Stadtraum.
• Konsequenterweise mündet die Allee mit ihren weitläufigen Vorbereichen im Bereich der
neuen Zwillingstürme in einen öffentlich nutzbaren Platz mit einem angemessenen Angebot an Ladenflächen.
• Die Platzanlage und der sich anschließende Spielplatz können von außen über mehrere
Wege her erschlossen und genutzt werden. Die Außenanlagen werden somit zum integralen Bestandteil der Straße des 18. Oktober.

02 AUßENANLAGEN
1 / Verbindendes Grünband:
Urbane Baumachsen und weitläufig angelegte Vorbereiche unterstreichen die axiale Ausrichtung des Quartiers und dessen übergeordnete, symbolhafte Bedeutung.
• Die vorhandenen Freiflächen hinter den Baumachsen werden großzügig mit lokal beheimateten Bäumen bepflanzt. Entlang der Semmelweisstraße kann so ein dichtes Band aus Bäumen entstehen, welches stadträumlich bis an den Friedenspark heranreicht.
• Der schwebende Verbund aus Baumkronen lädt zum Wandeln und Spazieren ein. Gleichzeitig bilden die dicht gepflanzten Bäume einen akustischen Puffer zum Schutz gegen die Lärmemissionen aus der Semmelweisstraße.
• Spielplätze und öffentliche Aufenthaltsbereiche innerhalb des neuen Grünbandes werden
als orthogonale Lichtungen aus diesem „Baumteppich“ ausgespart.

03 VERKEHRSKONZEPT
1 / Ruhender Verkehr:
Die verkehrliche Erschließung für Kfz erfolgt über den bestehenden Wohnweg, der die Straße des 18. Oktober mit dem Dösner Weg verbindet.
• In der Tiefgarage können insgesamt 119 Kfz-Stellplätze untergebracht werden. 6 Stellplätze werden als barrierefreie Stellplätze gem. DIN 18040 in unmittelbarer Nähe der Treppenhauskerne eingerichtet.
• Für 25% der Pkw-Stellplätze wird ein ausreichender Elektroanschluss zur Installation einer Lademöglichkeit für Elektrofahrzeuge vorgerichtet.
• Die Integration von Car-Sharing-Stellplätzen ist problemlos möglich und kann in Verbindung mit „Serviced-Living“ nach Bedarf erweitert werden.
• Es können insgesamt mindestens 597 Fahrradstellplätze untergebracht werden. 552 Stellplätze sind nach den Planungsvorgaben des ADFC innerhalb räumlich separierter Bereiche der Tiefgarage mit entsprechenden Sicherheitsmerkmalen untergebracht.
• Die Tiefgarage ist in zwei Brandabschnitte unterteilt. Von jeder Stelle der Tiefgarage kann
eine notwendige Treppe ins Freie in einer Entfernung von bis zu 30 m erreicht werden. Die
Lüftungsschächte sind untereinander in einem Abstand von weniger als 20 m angeordnet.
Auf dem Platz sind diese zum Teil in die Platzmöblierung (z.B. Bänke) integriert.

04 ARCHITEKTUR
1 / Architektur und Typologie
Die Wohnanlage an der Straße des 18. Oktober wurde in den 60er- und 70er Jahren als funktioneller Wohnkomplex in industrieller Bauweise und unter Beachtung eines strengen formalen Kanons entwickelt und ausgeführt.
• Die beiden Neubauten folgen dem vorhandenen architektonischen Duktus der bestehenden Anlage und fügen dessen baulicher DNA gleichermaßen neue Elemente hinzu:
o eine sinnlich erlebbare, steinerne Materialität,
o eine gesteigerte Plastizität der Baukörper durch Vor- und Rücksprünge,
o eine umlaufend begrünte Fassade,
o individuell zugeschnittene Wohnungen auf der Grundlage eines modularen Systems,
o die Integration öffentlicher Räume in die Erdgeschosszone.
2 / Wirtschaftlichkeit und Modularität
Die Neubebauung soll nicht nur effizient, qualitätvoll und nachhaltig sein, sondern auch den wohnungswirtschaftlichen Vorstellungen des Auslobers entsprechen.
• Beide Gebäude verfügen über einem kompakten inneren Erschließungskern.
• Alle Grundrisse beruhen auf einem modularen System, welches Flexibilität und Schaltbarkeit der Wohnflächen ermöglicht. Der vorgegebene Wohnungsschlüssel kann optimal erfüllt und bei Bedarf veränderten marktspezifischen Anforderungen angepasst werden.
• Durch die kompakten Baukörper kann ein optimiertes Verhältnis von Bruttogrund- zu Wohnflächen sowie ein wirtschaftliches A/V-Verhältnis nachgewiesen werden.
3 / Tragsystem
Bei der Planung soll auf die Durchgängigkeit der tragenden Elemente durch die einzelnen Geschosse sowie auf wirtschaftlich effiziente Spannweiten von Decken und Stürzen geachtet werden.
• Das Tragsystem besteht aus einem aussteifenden Kern und umlaufenden Stützen (Raster 3,90 m).
• Spannbeton-Fertigdecken werden mit integrierten Stahlträgern kombiniert (Slim-Floor-Deckensystem) und ermöglichen so unterzugsfreie Decken, wirtschaftliche Spannweiten und ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit in der Grundrissplanung.
• Die zuverlässige und kostengünstige Verbindung von Fertigbauteilen ermöglicht geringe
Bauhöhen, Feuerbeständigkeit und eine schnelle Montage aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades.
4 / Bauphysik, Brandschutz und Technik
• Alle Fenster erhalten eine zusätzliche äußere Schallschutzverglasung.
• Zwischen Schallschutzverglasung und Dreifach-Verglasung der Fenster befinden sich motorisch betriebene, windunabhängige Sonnenschutzelemente.
• Beide Gebäude unterschreiten die Höhenvorgabe von 60 m, da sie an der Oberkante der Solarpaneele eine maximale Höhe von 49,60 m und 55,80 m erreichen.
Die Rettungswege für die Feuerwehr werden nachgewiesen (siehe EG-Grundriss).
• Die Fassade ist als klassische Lochfassade konzipiert. Der massive Bereich zwischen den Fensteröffnungen beträgt 1,43 m.
• Beide Gebäude verfügen jeweils über ein Sicherheitstreppenhaus und einen Feuerwehraufzug.
• Die Technikflächen befinden sich im Untergeschoss.

Beurteilung durch das Preisgericht

Den Verfassern der Arbeit gelingt es auf nahezu selbstverständliche Weise den Städtebau der Wohnsiedlung der 1970er Jahre aufzugreifen und an der Kreuzung Semmelweisstraße zu komplettieren. Im Duktus und Geist der historischen Komposition werden zwei Hochhäuser, geschickt gegeneinander verdreht, als Auftakt und Endpunkt der Gesamtanlage platziert.

An der Straße des 18. Oktober entsteht so folgerichtig eine Torsituation im Zusammenspiel mit dem vorhandenen, bauzeitlichen Hochhaus. Die Reduktion bzw. Verdichtung der Baumassen bestätigt darüber hinaus den städtebaulich notwendigen Freiraum für großzügige Erschließungsflächen und weitläufige Grünanlagen im Sinne der Gesamtanlage. Eine weiterführende Ausdifferenzierung dieser Flächen wäre jedoch wünschenswert.

Die Grundrissgestaltung und Erschließungsstruktur beider Hochhäuser erscheint hocheffizient und die Wohnungsgrundrisse sehr gut angelegt, wenn auch die Konstruktion mit Spannbetondecken kritisch gesehen wird. Ebenso stößt Naturstein als vorgeschlagenes Fassadenmaterial auf weitgehendes Unverständnis im Zusammenspiel mit den eher bescheiden anmutenden Bestandsobjekten. Die Wertigkeit der Architektur gründet vielmehr in der städtebaulichen Anordnung und inneren Struktur. Porphyr und Sandstein werden hier als überzogen prätentiös empfunden. Kontrovers diskutiert wird auch die geplante Fassadenbegrünung, deren Anordnung, Konstruktion und Unterhaltsaufwand weitgehend ungeklärt erscheint.

Insgesamt wird mit der kompakten Ausbildung zweier Hochhäuser ein wirtschaftlicher Entwurf vorgelegt, wenn auch die Gesamtkosten im oberen Bereich liegen. Darüber hinaus werden seitens des Auslobers das Gesamtinvestment und die Mietpreisgestaltung aufgrund der erhöhten Aufwendungen bei Ausführung zweier Hochhäuser gegenüber einem Hochhaus in Kombination mit einem niedrigeren Gebäude allerdings kritisch gesehen.

Die Arbeit besticht jedoch durch ihr Gespür für die historische, bis heute ungelöste städtebauliche Situation und zeigt eine hochsensible Ergänzung ohne falsch verstandene oder historisierende Anleihen an die gegenüberliegende Blockrandstruktur. Der Beitrag stellt mit der selbstbewussten Geste der Zwillingshochhäuser einen hervorragenden, zeitgemäßen Lösungsansatz zur gestellten Aufgabe dar.
Blick vom Kohlrabizirkus

Blick vom Kohlrabizirkus

Lageplan

Lageplan

Detailausbildung Fassade

Detailausbildung Fassade