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Offener Wettbewerb | 06/2011

Neubau Pflegezentrum Oberengadin

1. Rang

Baumann Roserens Architekten

Architektur

Erläuterungstext

Die beachtliche Grösse des Raumprogramms für das neue Pflegezentrum ermöglicht typologischen den Vergleich mit den grossartigen Oberengadiner Hotelbauten vom Ende des 19. Jahrhunderts. Neben dem imposanten Bauvolumen, welches sich jeweils präzise als künstliche Baute in der Landschaft manifestiert und dem Bezug zu einer aussergewönlichen vorzüglichen Aussicht ist auch die Erschliessung und die inszenierte Annäherung an das Gebäude für diese Bauten von entscheidender Bedeutung.

Ähnlich wie diese historischen Beispiele soll das neue Pflegezentrum Oberengadin zu seinen stattlichen Dimensionen stehen und sich selbstbewusst als Teil der Kulturlandschaft in der weiten Ebene des Inntals verstehen. Die Bedingungen des Ortes - der steile Hang und die rückwärtige Situation hinter den Spitalgebäuden - erfordern im Zusammenhang mit einer adäquaten Adressbildung und einfacher betrieblicher Verbindungen eine ganz spezifische Lösung.

Der Vorschlag sieht vor, die Eingangshalle des Pflegezentrums über die vorgelagerte Firstlinie des alten Spitals emporzuheben. Eine attraktive, besonnte Aussichtsterrasse mit Aussensitzplätzen ist öffentlich zugänglich und funktioniert als soziales Scharnier zur Bevölkerung.

Eine neue, leicht geneigte Fahrstrasse führt zu einer gedeckten Vorfahrt, von wo man mit zwei Aufzügen schnell zur Eingangsebene fahren kann. Alternativ steht für den rüstigen Fussgänger ein Serpentinenweg mit Sitzbänken für den Aufstieg zur Verfügung.

Auf dem Eingangsgeschoss befinden sich sämtliche Gemeinschaftseinrichtungen und die zentralen Dienste des Pflegezentrums. Zentraler Treffpunkt für das Haus bildet die Empfangstheke mit Cafe-Bar, Kiosk und einem grosszügigen Aufenthaltsbereich. Die Mehrzweck- und Therapieräume im Westflügel können über ein flexibles Trennwandsystem je nach Nutzung in ganz verschieden grosse Einheiten zusammengeschlossen werden. Die Verwaltungsräume sind im Ostflügel angrenzend an die Empfangstheke angeordet.

Eine zweite Liftanlage in der Mitte der beiden Flügel verbindet die auf sechs Obergeschossen verteilten 12 Pflegegruppen. Sämtliche Zimmer sind so orientiert, dass die alle von der vorzüglichen Aussicht profitieren können.

Die beiden Abteilungen für demenzerkrankte Heimbewohnende ist auf dem 1. Obergeschoss angeordnet und ist seitlich über einen terrassierten Gartenbereich mit dem geschützten Rundlaufbereich verbunden. Durch eine spezielle Anordnung der Nebenräume wird zudem auch in der kalten Jahreszeit eine Möglichkeit für einen geführten Rundgang durch die Abteilung geschaffen.

In den oberen Stationen sind die 24 Zimmer pro Geschoss entlang einem vielfältig gestalteten Erschliessungsraum organisiert. Differenzierte Ausblicke auf der Berg- und Talseite machen das Wandeln durch den Korridor zu einem abwechslungsreichen Erlebnis. Die teilweise zweigeschossig ausformulierten Gemeinschaftswohnräume mit intimen Essbereichen sind über gezielt gesetzte Fensteröffnungen auch vom oberen Geschoss her einsichtig. Diese geschossübergreifenden Räume schaffen einerseits unerwartete Aussichten aus den rückwärtigen Korridoren in die Bergwelt, vernetzten andererseits auch die einzelnen Wohngruppen über die Geschosse miteinander und fördern so die Kommunikation. Am Ende des mäandrierenden Erschliessungskorridors öffnet sich der Gang zu einem sekundären, kleineren Aufenthaltsbereich mit daran anschliessenden Balkonen.

Die Personalräume mit Garderoben und Aufenthaltsbereiche, die Technikzentralen und diverse Lager befinden sich im Sockelbereich im Bauvolumen unter der Eingangshalle. Eine Einstellhalle ist über kurze Rampen halbgeschossig versetzt konzipiert und verfügt auf 4 Geschossen insgesamt über 53 Parkplätze.

Das Gebäude ist im Grundsatz als Massivbau in Schottenbauweise konzipiert, wobei die nichttragende Fassade aus verputzten, vorfarbrizierten Holzelementen besteht. Die Fenster sowie sämtliche Holzböden und Schreinarbeiten im Innern sind in geölten Lärchenhölzern gefertigt. Die Sockelpartie sowie die erdberührten Fassadenteile sind in sandgestrahltem und lasiertem Beton ausgeführt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Wo wird das neue Pflegezentrum Oberengadin stehen? „Hinter dem Spital“, wie die Standortgegner meinen, „neben dem Spital“ oder „über dem Spital“, wie die Befürworter überzeugt sind? Um eine angemessene Adresse zu erhalten und um Synergien mit dem Spitalbetrieb zu nutzen, muss das neue Zentrum tatsächlich hinter dem Spital liegen. Um zu attraktiver Aussicht und Besonnung zu gelangen, muss das Haus dagegen über dem Spital liegen. Die Reibung zwischen diesen so gegensätzlichen Ansprüchen verunmöglichte verschiedene Heim-Konzepte, die andernorts erfolgreich sind, setzte aber bei anderen gleichsam produktive Reibungswärme frei und führte dann zu sehr spezifischen Lösungen. Zur letzteren Sorte gehört der Vorschlag ‚Farkas’, der das Raumprogramm in einen mächtigen, bis zum Hangfuss vorstossenden Sockelbau und einen darauf thronenden Baukörper auf- teilt. Diese Zweiteilung führt indes nicht zum Bruch; denn indem der tragende und der getragene Baukörper immer wieder miteinander verschliffen werden, entsteht ein Ganzes, das nachgiebig genug ist, das mächtige Gesamtvolumen ortsbaulich verträglich zu gliedern.
Der vorkragende Sockel orientiert sich an der Höhe der bestehenden Spitalbauten. Gemeinsam mit ihnen bildet er eine Gruppe und schliesst diese zum Hang hin ab, so dass dem An- kommenden der Eingang zum Pflegezentrum klar signalisiert wird. Eine sanft ansteigende Zufahrt führt zu diesem unteren Eingang, der als eigentlicher Haupteingang wohl etwas gar direkt und knapp geraten ist.
Die markante Spitze des Sockelbaus erweist sich im Grundriss als Lift- und Treppenbatterie, welche die gesamte Ver- und Entsorgung des Pflegezentrums übernimmt. Hat man das oberste Geschoss des Sockels erreicht, betritt man eine elegant gestaltete Lobby mit Empfang, Cafeteria und Räumen für das Pflegeangebot. Weitere Gemeinschaftsräume schliessen gut auffindbar im Westflügel an, Verwaltungsräume im Ostflügel. Der eigentliche Weg führt in dieser ‚Vermittler-Etage’ weiter in die Tiefe, hin zu Liftblock und Treppe, welche die Zimmergeschosse darüber erschliessen.
Diese sind zweibündig entlang eines langen, aber vielgestaltigen Korridors organisiert. Alle Zimmer blicken Richtung Ausblick und Sonne, alle Nebenräume Richtung Hang, wodurch auch Pflegeräume und Stationszimmer natürlich belichtet werden. Die Wege des Personals zwischen Zimmern und Diensträumen fallen durch die Vis-à-Vis-Anordnung kurz aus.
Die beiden Enden der Erschliessungszone sind als zusätzliche Aufenthaltsbereiche ange- legt. Dieser grundsätzlich attraktive Vorschlag müsst auf seine feuerpolizeiliche Bewilligungsfähigkeit hin kritisch geprüft werden (Fluchtweg aus den äussersten Bewohnerzimmern?). Im untersten Zimmer-Geschoss, das die beiden Dementen-Wohngruppen aufnimmt, schliessen an den beiden Gebäude-Enden die Aussenbereiche folgerichtig an. Vielleicht liesse sich auch die ungestaltete, nackte Dachfläche des Sockelbaus als begehbarer Aussenbereich aktivieren? In der Etage für dementiell erkrankte Bewohner wird auf pragmatische Art auch ein Rundlauf nachgewiesen, indem die Schicht dienender Räume partiell von der Rückfassade gelöst und zum freistehenden Block geformt wird.
Eine Besonderheit stellen die partiell doppelgeschossigen Gruppenwohnräume dar, welche Blickbezüge über zwei Etagen eröffnen und auch den Gangbereichen einen gewissen Bezug zur Aussicht gewähren. Gut gelöst ist die Anordnung der Personal-Erholungsräume im zweitobersten Sockelgeschoss, denen hier der nötige Abstand zu den Bewohner-Räumen gewährt wird. Weil der Sockelbau als künstlicher Sporn weit vor den Hang hervortritt, muss die Einstellhalle darin nicht allzu tief in den Berg getrieben werden, und auch der unterirdische Verbindungsgang zum Spital fällt besonders kurz aus.
Der Vorschlag ‚Farkas’ liegt im Volumenvergleich im Mittel der Wettbewerbsbeiträge, und hinsichtlich der Fläche leicht darüber. Zu bedenken ist aber, dass dieses Volumen mit vergleichsweise wenig Interventionen ins Terrain und mit geringem Erschliessungsaufwand erreicht wird.
Der Beitrag ‚Farkas’ wird auf höchst selbstverständliche Weise den komplexen Ansprüchen des Ortes und des Betriebs gerecht. In der Konzeption ist viel typologische Kenntnis spür- bar, aber auch atmosphärische Einfühlung und Vertrautheit mit den betrieblichen Abläufen.