In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Sweco Gruppe mit Geschäftssitz in Schweden über hundert Ingenieursfirmen und Architekturbüros gekauft, zuletzt Talboom in Belgien, KANT Arkitekter in Dänemark und IMP in Deutschland, eine Beratungsfirma mit 380 Angestellten. 2019 fand die Fusion mit dem renommierten Frankfurter Büro Jo Franzke Generalplaner statt.

Seit der Fusion mit dem niederländischen Grontmij-Konzern 2015 ist die Sweco Gruppe Europas größtes Architektur- und Ingenieurunternehmen, im World Architecture 100 Ranking 2019 des britischen Magazins Building Design belegt es den 6. Platz und gehört damit auch weltweit zu den zehn größten Architekturbüros. Das Unternehmen ist börsennotiert und hat nach eigenen Angaben in 2019 1,9 Milliarden Euro umgesetzt.

Åsa Bergman ist seit April 2018 Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende der Sweco Gruppe und damit in der Führungsverantwortung für über 17.000 Angestellte. Sie gilt als die derzeit einflussreichste Person in der schwedischen Wirtschaft, wurde von der Management-Organisation Leaders 2012 zum „Leader of the Year“ ernannt, vom Weltwirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung mit dem Leading Women Award 2017 ausgezeichnet und 2019 zum Mitglied des Nationalen Innovationsrates ernannt. Das Interview mit Åsa Bergman haben wir telefonisch geführt.

Frau Bergman, erlauben Sie zunächst eine etwas persönlichere Frage: Hätten Sie sich schon als Kind vorstellen können, einmal so viel Verantwortung in Ihren Händen zu halten?

Ehrlich gesagt schon. Meine Eltern haben mir und meinen Schwestern von klein auf beigebracht, dass wir alles erreichen können, was wir uns vornehmen. Sie haben uns von Anfang an unglaublich stark ermutigt und unterstützt.

Wann wussten Sie, dass Sie im Bereich Führung und Management arbeiten wollen?

Im Grunde begann das schon während der Schulzeit. Intensiver habe ich mich dann während meines Studiums der Ingenieurswissenschaft am Royal Institute for Technology in Stockholm auf Management spezialisiert und war fasziniert, was gute Führung bewirken kann, wie gezielt man sie als Instrument einsetzen kann. Mit diesem Profil kam ich dann gleich zu Beginn meiner Berufslaufbahn mit dem Thema intensiver in Kontakt – und lernte Kolleg*innen kennen, bei denen ich viel darüber erfahren durfte, wie man es am besten macht.

Ingenieurin mit großem Führungstalent: Åsa Bergman leitet die Sweco Gruppe seit 2018.

Ingenieurin mit großem Führungstalent: Åsa Bergman leitet die Sweco Gruppe seit 2018.

Gibt es eine Person, die Sie besonders inspiriert hat auf Ihrem Weg? 

Nein, diese eine besondere Person gibt es nicht. Ich bin beruflich jetzt fast 29 Jahre im Kontext von Sweco tätig und war dort von vielen sehr guten Führungskräften umgeben. Von ihnen konnte ich mir einzelne Elemente und Verhaltensweisen abschauen, die gut funktionieren, und habe sie nach und nach in meinen Werkzeugkasten aufgenommen. Ich habe immer versucht, Wertvolles einzusammeln, und auch von schlechten Beispielen viel gelernt und mir gesagt: So will ich niemals handeln. Das hat mich geformt.

Was sind Ihre wichtigsten Werkzeuge bei der Führung von Menschen?

Vertrauen, Klarheit, Vielfalt.

Können Sie uns das kurz erläutern?

Sehr gern. Das wichtigste Führungsinstrument überhaupt ist Vertrauen. Wenn Sie eine Umgebung schaffen, in der sich Menschen sicher fühlen, beginnen Ihre Mitarbeiter*innen damit, innovativ zu werden. Sie trauen sich, das Tempo zu steigern, sich neue Ziele zu setzen. Vertrauen macht starke Teams aus. Wenn die Basis stimmt, kann man beginnen, Mitarbeiter*innen zu fördern, ihre Performance zu verbessern, und sie zur Kooperation untereinander ermutigen. Das gegenteilige Machtinstrument, Furcht, oder autoritäres Auftreten führen dagegen niemals zum gewünschten Ergebnis.

Klarheit als zweiter Punkt sorgt dafür, dass jeder versteht, welche Ziele das Unternehmen verfolgt, und sie in der täglichen Arbeit optimal umsetzen kann. Dafür verwende ich sehr gern meine Zeit: Ich bin oft und gern bei Meetings dabei, höre aufmerksam zu und stehe für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. Es lohnt sich immer.

Vielfalt zu fördern und Teams zu schaffen, die sich aus verschiedenen Backgrounds zusammensetzen, ist schließlich eine ebenso wichtige Führungsaufgabe. Denn es ist bei jedem Thema und Arbeitsfeld gut, sie mit verschiedenen Stilen, Perspektiven und Erfahrungshintergründen zu betrachten. Vielfalt umfasst dabei übrigens ganz unterschiedliche Bereiche wie Bildungshintergrund, Herkunft, Kultur, Religion, Gender, Alter.

Ist Vielfalt in einem Team genauso wichtig wie Exzellenz?

Ja, Vielfalt ist tatsächlich noch etwas entscheidender. Wenn man zu einseitig auf Exzellenz achtet, ist die Gefahr sehr groß, am Ende bei sehr einförmigen Teamsettings zu landen und mit vielen Menschen eines Typs zusammenzuarbeiten. Aus Erfahrung weiß ich: Man ist immer erfolgreicher, wenn sich unterschiedliche Skillsets rund um den Arbeitstisch sammeln, um eine Lösung oder eine Idee zu entwickeln. Wenn man unterschiedliche Kompetenzen und unterschiedliche Blickwinkel auf die Situation hat, die es ermöglichen, die Sache aus der 360-Grad-Perspektive zu betrachten, fallen einfach die besseren Entscheidungen.

Zum Thema Lösungen und Ideen: Da Sie als großes Unternehmen sehr stark mitgestalten, wie unsere Zukunft aussehen wird: In welcher Welt werden wir in 20 Jahren leben?

In fast allen unseren über 70.000 laufenden Projekten bei Sweco geht es um eine nachhaltige Entwicklung der städtischen Lebensgebiete. Bereits heute lebt die Hälfte aller Menschen weltweit in Städten, und in 2050 könnten es bis zu 70 Prozent aller Menschen sein. Dafür brauchen wir unbedingt neue und nachhaltige Lösungen. Natürlich beeinflussen auch die Auftraggeber und die unterschiedlichen Regionen, in denen wir arbeiten, die jeweiligen Schwerpunkte, aber Nachhaltigkeit und Klimaneutralität haben inzwischen weltweit eine hohe Priorität. Wir tragen zum Beispiel mit diversen Lösungen dazu bei, Kreislaufwirtschaft und die Vermeidung von Abfall an ganz verschiedenen Orten zu ermöglichen.

Ein weiterer Punkt ist die Digitalisierung, die einen sehr starken Einfluss haben wird. Derzeitig ist zum Beispiel die überwiegende Zahl unserer 17.000 Mitarbeiter*innen bei Sweco im Homeoffice. Wir reisen nicht, aber wir können arbeiten und unsere Kunden betreuen. Diese Erfahrung, die wir jetzt alle gerade machen, wird der Digitalisierung noch einmal einen enormen Schub geben. Digitalisierung wird außerdem ein wichtiges Element der nachhaltigen Stadtentwicklung sein: Das beginnt bei der App für die Parkplatzsuche und die optimale Nutzung des öffentlichen Nahverkehrsnetzes und führt bis zu smarten Lösungen im Energiemanagement und natürlich all den Chancen, die im Sharing von Ressourcen stecken.

Die Unternehmenszentrale der Sweco in Stockholm, Schweden

Die Unternehmenszentrale der Sweco in Stockholm, Schweden

Über 60 Prozent der Führungskräfte von Sweco sind weiblich. Das ist vorbildlich für eine immer noch sehr von Männern geprägte Branche. Durch die aktuelle Krise befürchten nun hier in Deutschland gerade viele, dass Frauen wieder verstärkt in traditionelle Rollen zurückgedrängt werden. Könnte das aus Ihrer Sicht tatsächlich langfristige Rückschläge mit sich bringen?

Was die aktuelle Lage betrifft, hängt vieles natürlich stark von den Strukturen in der Gesellschaft ab und wie zum Beispiel die Kinderbetreuung im jeweiligen Land geregelt ist. Sicher ist es gerade vielerorts schwierig, und es bleibt viel zu tun. Dennoch würde ich generell sagen: Wir sind in Europa auf dem richtigen Weg. Was Sweco betrifft: Gleichberechtigung ist für uns seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema. Ich habe vorhin gesagt, wir sind am erfolgreichsten, wenn wir ein möglichst gemischtes Team haben. Genau deshalb unterstützen wir alle, die sich entwickeln möchten, Männer wie Frauen. Daran wird sich auch in der Zukunft nichts ändern.

Welche Strategie steckt genau hinter Ihren zahlreichen Zukäufen in den vergangenen zwei Jahrzehnten?

Unsere langfristige Strategie ist organisches Wachstum, ergänzt durch den Zukauf der zu uns passenden Unternehmen. Wir investieren sehr viel Zeit, um die richtigen Unternehmen in den verschiedenen Marktsegmenten zu finden, Firmen, die vom Kompetenzprofil und kulturell zu uns passen. Und dann versuchen wir, sie zu kaufen und sie möglichst optimal in unser Unternehmen zu integrieren.

Universitätsklinikum Bonn Neubau Biomedizin

Universitätsklinikum Bonn Neubau Biomedizin

Seit 2015 sind Sie Europas größtes Architektur- und Ingenieursunternehmen. War das von Anfang an so geplant?

Ja, wir wollen Marktführer sein. Wir wollen die erste Wahl sein, für Auftraggeber*innen, aber auch für Architekt*innen und Ingenieur*innen. Dafür entwickeln wir eine starke Marke, die über die größte Kompetenz, die intensivsten Kundenbeziehungen und die höchste Attraktivität für die besten Arbeitskräfte verfügt.

Zu den Vorteilen eines großen Unternehmens wie wir gehört natürlich der Zugriff auf die gesamten Ressourcen und Kompetenzen, die ein riesiges internationales Netzwerk bietet. Wenn wir zum Beispiel in Frankfurt ganz spezielle Kompetenzen brauchen, können wir jederzeit auch unsere Expert*innen in Norwegen, Schweden oder einem anderen Land einbinden. Gleichzeitig arbeiten wir sehr dezentral, mit vielen Büros vor Ort, die zuständig sind, die die Kunden betreuen und die Anforderungen des lokalen Marktes genau kennen. Wir verbinden also die Vorteile des großen Unternehmens mit kleineren passgenauen Strukturen vor Ort, die jederzeit auf das große Unternehmen im Hintergrund zurückgreifen können.

Wie sehr bleiben die Büros, die Sie erwerben, selbstständige unternehmerische Einheiten?

Die wesentlichen Verantwortlichkeiten liegen vor Ort, das Team dort hat das Mandat und bearbeitet die Projekte eigenständig, pflegt die Kundenbeziehungen und kümmert sich um die Finanzen. Architektur ist immer noch sehr stark ein Vorortgeschäft: Du musst die Situation gut kennen, die Regeln vor Ort, die lokale Kultur, um die beste Architektur und die beste Ingenieursleistung vor Ort entwickeln zu können.

Wie gelingt die Herausforderung, diese verschiedenen Büros als eine unternehmerische Einheit zu präsentieren? Gerade wenn Sie markenstarke inhabergeführte Büros wie Ludes Generalplaner oder Jo. Franzke Generalplaner kaufen, ist dieser Spagat sicher nicht einfach.

Die Diskussion über dieses Thema begleitet uns von Anfang an. Das erste Mal, als wir eine Verbindung von Architektur- und Ingenieurbüro geschaffen haben, 1997 in Schweden, stand bereits die Frage im Raum: Wie behalten wir trotzdem unsere schönen Marken? So war es auch, als wir in Dänemark die ersten Büros kauften, und die gleiche Diskussion gibt es jetzt auch in Deutschland. Klar ist: Wenn wir gute und starke Architekturfirmen aufkaufen, müssen wir auch sehr sorgfältig damit umgehen. Natürlich möchten wir das besondere Gefühl und den Inhalt der architektonischen Marke auch im neuen Kontext erhalten. Andererseits streben wir nach einer wachsenden Sichtbarkeit der Marke Sweco Architects als langfristige Entwicklungsperspektive. Wie wir jeweils vorgehen, hängt auch davon ab, wie sehr es uns bereits gelungen ist, die Marke Sweco in den verschiedenen Ländern zu etablieren.

Was denken Sie, wird für die Branche der bedeutendste Corona-Effekt sein? Wird die ökonomische Krise zu zusätzlichen Konzentrationen führen?

Das lässt sich derzeit schwer voraussagen. Wir werden in jedem Fall unserer langfristigen Strategie folgen, organisches Wachstum, ergänzt durch den Zukauf der zu uns passenden Unternehmen. Und damit werden wir unserer Überzeugung nach auch zukünftig erfolgreich sein.

Wie groß wollen Sie in den nächsten Jahren noch werden?

Dafür gibt es keinen festen Plan. Was ich sagen kann: Unser gesamtes Wachstum betrug in der Vergangenheit etwa zehn bis 15 Prozent pro Jahr. Was Wachstum durch Zukäufe betrifft, sind die jährlichen Schwankungen größer. Sehr vieles hängt hier von den richtigen Gelegenheiten ab.

Was meinen Sie: Wird es zukünftig noch möglich sein, als unabhängiges, inhabergeführtes Architekturbüro zu überleben?

Wir haben in anderen Ländern, besonders in Nordeuropa, in den letzten Jahren beobachtet, dass die Zahl der kleinen und mittleren Büros sichtlich kleiner geworden ist. Es gibt sie noch. Aber dann vor allem als Spezialisten.

Frau Bergman, vielen Dank für das Gespräch.

Der Artikel erschien erstmals am 15. Juni 2020 auf competitionline.com.