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Award / Auszeichnung | 10/2019

Brandenburgischer Baukulturpreis 2019

KleinsthĂ€user an der Kyritzer Stadtmauer - „tiny houses“ aus dem 18. und 19. Jahrhundert

DE-16866 Kyritz

Brandenburgischer Baukulturpreis 2019

Preisgeld: 9.000 EUR

Stadt Kyritz

Bauherren

Kannenberg Architekten

Architektur, Tragwerksplanung

k1 Landschaftsarchitekten - Kuhn Klapka GmbH

Landschaftsarchitektur

IngenieurbĂŒro Walther & Partner GmbH

TGA-Fachplanung

IngenieurbĂŒro fĂŒr Elektroplanung A. Marquardt

TGA-Fachplanung

Projektdaten

  • GebĂ€udetyp:

    Wohnungsbau

  • ProjektgrĂ¶ĂŸe:

    keine Angabe

  • Status:

    Realisiert

  • Termine:

    Fertigstellung: 01/2018

Projektbeschreibung

Am nordwestlichen Rand der Kyritzer Altstadt befindet sich in unmittelbarer NĂ€he zum ehem. Franziskanerkloster eine Gruppe von KleinsthĂ€usern. Wie Aktenfunde bestĂ€tigten, war an dieser Stelle seit dem 18. Jahrhundert die Innenseite der mittelalterlichen Stadtmauer mit sogenannten Buden von 20 bis 30 Quadratmeter GrundflĂ€che bebaut, die von Tagelöhnern bewohnt waren. Der heute ĂŒberlieferte Bestand stammt ĂŒberwiegend aus der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts und war zum Teil bis in die 1990er Jahre bewohnt. Mit ihrer geringen GrundrissgrĂ¶ĂŸe, historisch zunĂ€chst ohne eigenen Außenbereich, und teilweise mit der historischen Stadtmauer „im RĂŒcken“ besitzt die Stadt Kyritz Vertreter eines Bautypus, der in vielen KleinstĂ€dten im Zuge der Auflösung der Stadtgrenzen verlorengegangen ist.

Nach einer Notsicherung der verfallenden GebĂ€ude wurde mit der Stadt Kyritz als EigentĂŒmerin ein Sanierungskonzept fĂŒr die KleinsthĂ€user erarbeitet. Mit der Nutzung als FerienhĂ€user bzw. fĂŒr „Wohnen auf Zeit“ können die GebĂ€ude ihre charakteristischen Besonderheiten und damit auch ihren Wert fĂŒr die Altstadt erhalten. Die Nutzung von Dachgalerien als Schlafgeschoss, eine zusĂ€tzliche Belichtungsebene im Traufbereich und kleine Austritte nach Westen machen sie fĂŒr die Nutzung auch bei heutigen AnsprĂŒchen attraktiv. Teil des Konzeptes ist auch auch eine Neuordnung der hinter der Mauer anschließenden FlĂ€chen, die die Grenze der Altstadt markieren und den historischen Wall erlebbar machen.

2015/16 wurde ein erster Bauabschnitt von vier KleinsthĂ€usern und vier NebengebĂ€uden baulich realisiert, 2017/18 folgte unmittelbar der in etwa gleichgroße zweite Bauabschnitt und schloss die Maßnahme ab. Mittlerweile werden alle GebĂ€ude als Ferienwohnungen vermietet.

Der Brandenburgische Baukulturpreis 2019 fĂŒr dieses Projekt wird laut Jury "an die Menschen hinter den Kyritzer KleinsthĂ€usern verliehen, deren Mut und Begeisterung diese außerordentliche Neuinterpretation eines fast verlorenen Zeugnisses der Geschichte ermöglicht haben und die gezeigt haben, dass auch scheinbar kleine Bauaufgaben eine Positionierung zu den großen Fragen unserer Zeit ermöglichen."

Beurteilung durch das Preisgericht

„Es gibt eine höchste Lebensform, und diese höchste Lebensform heißt: in Freiheit zu dienen.“ Theodor Fontane

Die ehemalige Hansestadt Kyritz mit ihrem Franziskanerkloster liegt am Pilgerweg Wilsnack- Berlin und hat nach der Reformation viel ihrer ehemaligen Bedeutung verloren. Die mittelalterliche Stadtmauer verlor durch die modernen GeschĂŒtze des dreißigjĂ€hrigen Krieges ihre Funktion. Erst mit den preußischen Reformen Ende des 18. Jahrhunderts setzte in Kyritz wieder ein langsames Wachstum ein. Die ‚BudenhĂ€user‘ an der Kyritzer Stadtmauer sind Zeugen dieser Zeit. Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit und die Selbstverwaltung der StĂ€dte ermöglichten eine bescheidene neue Perspektive und stellten eine Alternative zur Ungewissheit des Abenteuers einer Auswanderung dar. Die Bedeutung des Begriffes Freiheit hat in dieser Zeit eine neue PrĂ€gung erhalten und umfasste ganz wesentlich auch die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes, besseres Leben. Die Erlaubnis der Stadt Kyritz zum Bau der BudenhĂ€user in und an der obsolet gewordenen Stadtmauer ist ein Dokument dieses Aufbruchs: so sind die HĂ€user, in denen auf dreißig Quadratmetern bis zu zehn Tagelöhner und Handwerker gelebt haben, natĂŒrlich ein Dokument einfachster – um nicht zu sagen: Ă€rmster – VerhĂ€ltnisse und noch heute gewinnt man einen Eindruck davon, wie diese rĂ€umliche Situation ihre damaligen Bewohner belastet haben muss. Aber zugleich sind sie auch Zeugnisse der Hoffnung, eine Zwischenstation fĂŒr diejenigen, die ihre ersten Schritte gehen in eine unabhĂ€ngigere, freiere Zukunft und sicher mehr als nur ein Motiv, um diesen VerhĂ€ltnissen entfliehen zu können. Materiell handelt es sich bei den BudenhĂ€usern um einfache Konstruktionen aus lokalen Materialien (Ziegel und Putz fĂŒr die WĂ€nde, Holz und Ziegel fĂŒr die DĂ€cher), ohne AnsprĂŒche, aber gut gebaut. StĂ€dtebaulich markieren sie die Raumkante zwischen Altstadt und Umland.

Die BudenhĂ€user waren bis in die Mitte der 1980er Jahre bewohnt, was angesichts des ruinösen Zustandes in 2015 kaum noch vorstellbar war. Nicht wenige dĂŒrften skeptisch den Kopf geschĂŒttelt haben, als die Architekten ihre Arbeit aufnahmen und in dem Haufen verrotteter Dachbalken und maroder WĂ€nde einen Zeugniswert fĂŒr die Geschichte der Stadt erkannt haben. Dennoch gelang es, die Stadt als Bauherrin zu gewinnen und einen Kyritzer Hotelier fĂŒr ein Nutzungskonzept zu begeistern, in dessen Kontext ein Erhalt dieser Zeitzeugen auch mit einer wirtschaftlichen Perspektive verknĂŒpft werden konnte. Tiny houses, KleinsthĂ€user, waren in dieser Zeit Gegenstand einer Ausstellung am Bauhaus Campus in Berlin, die nicht nur in Fachkreisen Aufmerksamkeit erregt hat und eine weltweite Bewegung illustriert. Die Bewohner der tiny houses leben eine neue Freiheit, die durch Reduktion und bewusstes Hinterfragen von weit verbreiteten Konsumgewohnheiten eine Konzentration auf Wesentliches ermöglicht. WĂ€hrend die durchschnittliche WohnflĂ€che pro Einwohner immer noch steigt und zunehmend ökonomische AbhĂ€ngigkeiten provoziert, versuchen die Besitzer von tiny houses diese AbhĂ€ngigkeiten zu vermeiden. In Kyritz ist es nun möglich, die Rahmenbedingungen dieses VerstĂ€ndnisses ganz bewusst auf Zeit auszuprobieren – oder aber ganz einfach, in einer außergewöhnlichen Unterkunft zu ĂŒbernachten. Mit dem Umbaukonzept wurde versucht, die Eigenarten der EinzelgebĂ€ude und die Originalsubstanz möglichst weitgehend zu erhalten. Der individuelle Innenausbau stellt eine nachhaltige Nutzung der extrem kleinen Grundrisse sicher und zeigt sich insgesamt als Zugabe der heutigen Zeit.

So treffen sich in der Idee der tiny houses von Kyritz Geschichte und Gegenwart in einem völlig unterschiedlichen VerstĂ€ndnis von Freiheit. Aus dem Dokument einer kargen, notwendigen GenĂŒgsamkeit ist ein Ort geworden, der zum Nachdenken ĂŒber das Thema Suffizienz in unserer Zeit anregt. In diesem Sinne reprĂ€sentieren sie Baukultur im allgemeinsten Sinne des Wortes.

Der Brandenburgische Baukulturpreis 2019 wird an die Menschen hinter den Kyritzer KleinsthĂ€usern verliehen, deren Mut und Begeisterung diese außerordentliche Neuinterpretation eines fast verlorenen Zeugnisses der Geschichte ermöglicht haben und die gezeigt haben, dass auch scheinbar kleine Bauaufgaben eine Positionierung zu den großen Fragen unserer Zeit ermöglichen.