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Nichtoffener Wettbewerb | 05/2020

Umgestaltung des Gebäudes Salzburger Vorstadt 15 in Braunau am Inn (AT)

Sonderpreis / im Rahmen einer Anerkennung

Springer Architekten GmbH

Architektur

KABE Architekten ZT GmbH

Architektur

Mag. Michael Hartisch GmbH

Brandschutzplanung

Erläuterungstext

Text von Prof. Jörg Springer

Einige Gedanken

Sich nicht zu erinnern ist nicht denkbar.

Die historische Bindung dieses Ortes in Braunau an Adolf Hitlers Geburt ist nicht aufzulösen. Selbst der Versuch zu vergessen, würde hier zum Zeichen. Jede Intervention und ebenso jede Unterlassung gewänne an dieser Stelle eine symbolische Bedeutung. Handeln wie Nicht-Handeln und das dann sichtbare Ergebnis sind ohne Bezug zum historischen Ereignis schlicht nicht vorstellbar. Selbst die ostentative Enthaltung von jedem erkennbaren Verweis auf die Geschichte würde hier zu einer Aussage.


Die Bestimmung dieses Ortes kann allein nur das mahnende Erinnern sein.

Adolf Hitlers Geburtsort ist kein Tatort nationalsozialistischer Verbrechen. Hier ist es uns nicht möglich, die Perspektive der Opfer einzunehmen, hier können wir uns nicht auf die Empathie mit den Opfern zurückzuziehen. Dieser Ort wirft uns auf uns selbst zurück. Die kaum erträgliche Spannung zwischen der Unschuld der Geburt und der unermeßlichen Dimension der von Menschen begangenen Verbrechen machen das Erinnern hier zu einer Mahnung an jeden Einzelnen. In jedem von uns ist auch die Möglichkeit unvorstellbarer Taten angelegt. Hitlers Geburtsort kann daher künftig nur eines sein: ein Ort des uns selbst mahnenden Erinnerns.


Ein gewöhnlicher Gebrauch des Ortes ist uns Heutigen nicht mehr möglich.

Dieser Bedeutungswandel aber ist durch eine neue Nutzung des Hauses nicht zu leisten. Jeder neue Gebrauch des Hauses träte ein in ein enges, nicht aufzulösendes Verhältnis zu dessen bekannter Geschichte, er würde selbst zum Zeichen. Die Last dieser Bedeutung aber vermag eine neue Nutzung allein nicht zu tragen. Vielleicht muß man sogar zugeben, daß ein weiterer, gewöhnlicher Gebrauch des Hauses Menschen nicht zuzumuten ist. Nicht eine neue Nutzung, die Erinnerung selbst muß diesen Ort besetzen.


Die Aura des Ortes darf einem Führerkult keinen Anhalt geben.

Eine kaum zu überschätzende Schwierigkeit liegt in einer auratischen Qualität, die bis heute immer wieder unerwünschte, verehrende Aneignungen provoziert. Diese ‚Eigenschaft des Ortes‘ ist nicht gebunden an die Echtheit der überkommenen Bauteile (wie schon der Umbau von 1938-43 zeigt, der ja fast alle Oberflächen der historischen Substanz zu Gunsten einer verehrenden Neu-Inszenierung aufgegeben hatte), sondern sie bedarf allein einer gewissen Glaubwürdigkeit des Bildes. Die Intervention am Bauwerk zielt auf diese Bildwirkung, auf ein anderes, ein positives Symbol. Sie setzt ein gegensätzliches Zeichen.


Ein Zeichen des Lebens.

Als ein Zeichen des Lebens nimmt künftig eine kleine Gruppe von frei wachsenden Bäumen mit ihren Wurzeln und mit der Erde, in der sie wachsen, das alte Haus ein – vollständig. Sichtbar werden nur die über die Traufe des alten Hauses hinausragenden Kronen der Bäume sein. Daß diese Bäume im Haus selbst wurzeln, erschließt sich erst über die eigene Vorstellungskraft. Das alte Haus selbst hat seine Nutzung offensichtlich verloren; verschlossen und seiner Fassade beraubt steht es merkwürdig fremd zwischen seinen Nachbarn. Allein die Bäume besetzen jetzt den Ort der Erinnerung, der selber für die Menschen vollkommen unzugänglich bleibt.


Zur Umsetzung

In einem ersten Schritt werden sämtliche Hinzufügungen des Umbaus von 1938-43 entfernt, das sind insbesondere der Dachstuhl mit der Eindeckung, der gesamte Außenputz einschließlich aller gliedernden Gesimse, Gewände und dergleichen sowie sämtliche inneren Oberflächen, also Decken, Böden und Putze. Erhalten bleibt so nur noch die aus der Zeit vor 1938 überkommene Substanz des Rohbaus.

In einem zweiten Schritt werden die technischen Voraussetzungen für das ‚Besetzen‘ des Hauses geschaffen. Die Außenwände werden durch eine zusätzliche Betonwand verstärkt, die sämtliche äußeren Tür- und Fensteröffnungen verschließt und die zugleich den Erddruck der späteren Verfüllung aufnimmt. Im straßenseitigen Erdgeschoß ersetzt die Betonwand die Pfeiler und Fenster aus der Zeit von 1938-43 vollständig. Einfache Wandvorlagen stützen hier die Außenwand der oberen Geschosse. Eine lichtgraue, neutrale Schlämme egalisiert die Oberflächen und wirkt einer ‚ruinenhaften‘ Erscheinung entgegen.

In einem dritten Schritt wird das Haus von den Kellerräumen bis zum 2. Obergeschoß vollständig zunächst mit dem angefallenen Bauschutt, dann mit Erdreich verfüllt, so daß der Boden ungefähr mit der Decke über diesem Geschoß abschließt. In freier Anordnung wird hier eine kleine Gruppe teilweise immergrüner Bäume gepflanzt. Allein zu Pflegezwecken ist das kleine Wäldchen über eine schmale Wartungsstiege aus dem Untergeschoß des Nachbarhauses zugänglich.

Beurteilung durch das Preisgericht

Dieses Projekt wurde intensiv und besonders kontrovers diskutiert! Das Projekt schlägt einen radikalen Ansatz der Umformung des Bestandsgebäudes und einen autonom gestellten Neubau im Osten vor. Die Projektverfasser schlagen vor die Fassung der Bestandsfassade abzunehmen und die rohen Ziegel mit einer grauen Schlämme zu überziehen. Die gesamte Baumasse soll mit einer innenliegenden Stahlbeton-Stützkonstruktion erhalten bleiben die mit Erdreich gefüllt und oben mit Bäumen bepflanzt wird. Die Intention der Schaffung eines Denkmals wird einerseits verstanden doch kann die Jury im Rahmen der Auslobung dem Vorschlag nicht folgen. Das Amtsgebäude in vorgeschlagener, positiv bemerkter, Holzbauweise als Rasterbau weist intern funktionale Mängel auf. Die Setzung im Stadtraum wirkt beliebig und nimmt wenig Bezug zur Umgebung auf. Für den radikalen Ansatz der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Bestand zeichnet die Jury dieses Projekt mit einem Sonderpreis (im Rahmen einer Anerkennung) aus.