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Nichtoffener Wettbewerb | 07/2020

Neubau eines Kinder- und Jugendtheaters für das Theater Ulm

1. Preis

Preisgeld: 50.000 EUR

Max Dudler GmbH

Architektur

PICHLER Ingenieure GmbH

Tragwerksplanung

Erläuterungstext

Grundlegendes Ziel unserer Entwurfsüberlegungen war es, ein Gebäude zu schaffen, das die jeweilige Identität und Autonomie der zwei Theater bestätigt und dabei gleichzeitig die „Sympathie“ und das gemeinsame Engagement der beiden Institutionen im Sinne eines produktiven und lebendigen neuen Theaterviertels in Nachbarschaft des Ulmer Hauptbahnhofs betont.

Städtebau und Kubatur
In unserem Entwurf wird die Kubatur des Neubaus mit ihrer Fügung aus zwei, durch eine Fuge getrennte wie verbundene Volumen zum äußeren Spiegel dieses Verhältnisses. Dabei verstehen wir die Beheimatung der zwei Theater „unter einem Dach“ als eine Art Zweck-WG aus gemeinsamen Interessen heraus – deren Zusammenleben sich als fruchtbar und belebend erweist. Für die Stadt Ulm macht sich die Zusammenlegung der beiden Theater an einen gemeinsamen Standort als kulturelle Bereicherung bemerkbar.
Städtebauliches Ziel ist es, durch die Erweiterung des bestehenden Theaters ein nachhaltig gedachtes, städtisches Ensemble zu schaffen. Die äußere Erscheinung des vorgeschlagenen Baukörpers nimmt Bezug auf die lange bedeutungsvolle Geschichte der einstigen Freien Reichsstadt Ulm. Von dieser Geschichte zeugt das heutige historische Zentrum der Stadt mit seinen verwinkelten Gassen und alten Fachwerkhäusern. Vom Bild dieser ikonographischen Stadtsilhouette ist die Formgebung des neuen Kindertheaters inspiriert. Die abstrakte Linienführung interpretiert jenes Stadtbild auf zeitgenössische Weise. So entsteht Architektur, die an Geschichte und Tradition anknüpft und gleichermaßen zeitlos ist und die Moden überdauert. Auf spannungsvolle Weise knüpft der Entwurf baugeschichtliche Assoziationen, zum mittelalterlichen Bürger-/ Patrizierhaus, dem Kontor, der kleinteiligen Dachlandschaft mittelalterlicher Siedlungsstrukturen. So wird das neue Kindertheater zur respektvollen Ergänzung des gewachsenen Erbes der Stadt und fügt den Ansichten der Stadt ein neues, zeichenhaftes Haus hinzu.

Architektur
Das Volumen des Neubaus entwickelt mit seiner vielschichtigen Dachstruktur, der markanten Fuge und dem deutlichen Wechselspiel geschlossener und offener Fassadenflächen den Charakter einer abstrakten Skulptur mit monolithischer Erscheinung. Erst in der schrittweisen Annäherung an den Bau erschließen sich dem Besucher weitere Erfahrungsebenen der Architektur. Aus der Nähe werden die Ausdruckskraft des Materials und der Reichtum der Fassade erlebbar, deren Details man erst bei genauerer Betrachtung erkennt.
Aus der Fügung des hellen Ziegels entsteht die Fassade als gewobene Oberfläche. Dezente Variationen in der Oberflächenbehandlung und farbliche Nuancierungen betonen den handwerklichen Charakter des Materials und bilden ein zurückhaltendes Muster. Das entstehende Fassadenrelief unterstreicht die skulpturale Wirkung des Baukörpers. In der gewobenen Struktur des Reliefs klingt nicht nur das mittelalterliche Handwerk mit seinen Spinnereien und Webstühlen an, sondern auch der Vorhang als zentrales Element der Bühneninszenierung. Wie ein gleichermaßen verhüllender und offenbarender Schleier öffnet sich die Fassade an unterschiedlichen Stellen als perforierte Mauer, vermittelt so zwischen Innen und Außen und gibt gewählte Einblicke in das Theatergeschehen.
Der prägnant gesetzte Dachgarten, der sich auf der Fuge zwischen den zwei Bauvolumen eröffnet, ist zentraler Ort unseres Entwurfs. Das städtische Gefüge Ulms wird durch die Dachterrasse um einen öffentlichen Ort erweitert. Durch das Vis-à-Vis von Kindertheater und Theater Ulm an dieser Stelle wirkt der Dachgarten als Handreichung beider Institutionen. Beide Theater öffnen sich an dieser Stelle großflächig und machen die architektonisch prägende Fuge zum Raum der Begegnung und der sozialen Interaktion. Die transparente Fassade mit maximaler Durchlässigkeit entfaltet vom Stadtraum aus betrachtet besondere Wirkung als Gegenstück zur konsequent geschlossenen Straßenfassade. Gleichzeitig wird aus diesem Blickwinkel die Dachterrasse selbst zur Bühne, auf der sich – wie auf jedem öffentlichen Platz – das städtische Leben, das bürgerliche Drama abspielt.


Blick hinter die Kulissen
Unser Entwurf gewährt Besuchern des Kindertheaters und der interessierten Öffentlichkeit Einblick hinter die Kulissen des Ulmer Theaters. Es werden Beziehungen zwischen den Aktionen des Theaters und der Stadt aufgebaut. Diese Motive der Inklusion durchziehen den gesamten Entwurf. So öffnen sich Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Theater-Abteilungen und den öffentlichen Bereichen. Visuelle Bezüge bestehen unter anderem zu den Werkstätten von der Zeitblomstraße wie auch vom Foyer des Kindertheaters aus. Vom öffentlichen Dachgarten aus kann man sowohl einen Einblick in die Probebühnen als auch in die Studiobühne bekommen. Die Theaterpädagogik strahlt hingegen mit ihrer zeichenhaften Dachlandschaft in den Stadtraum.

Mitarbeiter:
Han Jun Yi, Jie Tang, Roberta Privitera, Dennis Assaf, Björn Werner, Hye Kwang Shin, Jochen Soydan

Beurteilung durch das Preisgericht

Die historischen Bezüge der Dachformen und deren Gliederung werden verstanden und dem Umfeld zuträglich befunden, auch wenn der zitierte altstädtische Typus am Bauplatz aus denkmalpflegerischer Sicht historisch nicht ableitbar ist.
Die formale Gliederung des Baukörpers durch Anordnung einer Giebelabfolge, die an der Nordseite in ihrer Gesamtheit in Erscheinung tritt, nimmt die Zeilenbebauung entlang der Zeitblomstraße in behutsamer Weise auf. Die Abfolge der Giebel bietet hierzu ein niedriges Element zum Bestand hin, mit dem behutsam an die die vorhandene Zeilenbebauung angeknüpft wird.
An der Ecke Neutor- und Zeitblomstraße wird durch den überhöhten Giebel des Eckrisaliten, der zum repetitiv gestaffelten Dach des kompakten Mittelteils durch einen breiten Zwischenraum abgesetzt ist, eine starke Landmarke geschaffen. Leider nimmt die Eingangssituation des Foyers zu dem Platz zwischen Alt- und Neubau keinen Bezug. Der Zugang liegt auf Traufseite des Bauwerks zur Neutorstraße. Als Vorraum steht hier nur der schmale Bürgersteig zur Verfügung.
Aus denkmalpflegerischer Sicht wird die wohldosierte Anbindung an das Theater-gebäude gewürdigt.
Die Materialität der Fassade schafft eine am Ort eigenständige, der Bauform zuträgliche Anmutung und setzt einen Kontrapunkt zur Materialität des Bestandes. Der Einsatz des Klinkermauerwerks als Textur auch auf den Dachflächen distanziert das Objekt von einer historisierenden Deutung der Baukörper. Das Fehlen von Fenstern zu Gunsten der zum Teil überhöhten Eingänge gibt dem Bauwerk skulpturale Stärke, geht aber zu Lasten der innenräumlichen Qualitäten, vor allem im Bereich der fensterlosen Foyer-Zonen. Positiv empfunden wird die geschickte Anordnung der Fensterflächen hin zum eingeschnittenen Zwischenraum des Dachgartens, die die fensterlosen Außenflächen nicht in Frage stellen. Der Malersaal auf Ebene -1 erhält jedoch die gewünschte Fensterfläche, die hinter gitterartige aufgebrochenem Verblendmauerwerk angeordnet wurde.
Die Verortung des Orchesterprobesaals ermöglicht einen Tageslichtraum, der für die anspruchsvolle Arbeit der Musiker sehr wichtig ist. Hier ist auf eine gute akustische Trennung zwischen der angrenzenden Jugendbühne und dem Orchester-Probesaal zu achten. Dass eine gemeinsame Logistik für das Theater Ulm und die Junge Ulmer Bühne konzipiert wird, ist zweckmäßig. Die Andienung via Neutorstraße erscheint erstaunlich praktikabel. Der Transportweg vom Orchesterproberaum zum Orchester-graben im Bestandsgebäude über eine eigene „Brücke“ kommt den betrieblichen Abläufen entgegen. Problematisch hingegen wird die Situation in den Werkstätten des Theaters bewertet, da es einen „Verkehrsweg“ von Malsaal und Montagehalle zur Schreinerei gibt. Hier entsteht Unruhe und offensichtlich eine Einschränkung des Raumvolumens für die Tischlerei.
Der Fassadenaufbau aus vorgehängten hinterlüfteten Betonfertigteilen mit darauf aufgeklebten Klinkerriemchen korreliert wegen der flächigen Anmutung dieser Bauweise nicht mit dem tiefengestaffelten dreidimensional wirkenden Mauerwerks-verband der Visualisierungen. Die linearen Fugen der Fertigteile würden zudem eine Mauerwerks-fremde Gliederung überlagern.
Die vorgeschlagene flexible Bestuhlung der Jugendbühne mit freier Bühnenordnung und die Empore werden von Nutzerseite günstig bewertet. Die strenge symmetrische Foyerform mit paarweise angeordneten Lufträumen und Treppen korrelieren zur mittigen Lage des Eingangs. Kritisiert wird der fehlende Außenbezug vom Foyer zum Standraum, insbesondere die nicht genutzte Blickbeziehung zum Münster.
Da drei Treppenhäuser vorgehalten werden, erscheint ein Fluchtwegekonzept gut umsetzbar. Zu bedenken ist jedoch, dass die Betriebsteile des Theaters von denen der Jungen Bühne streng getrennt werden sollten.
Das Tragwerk ist in den unteren Geschossen dank der klaren Grundrissgliederung mit einer Folge von Querwänden stringent ausgebildet. In den oberen Geschossen verspringt jedoch die Wandstellung, ohne dass schlüssige Lösungen für den vertikalen Lastabtrag angeboten werden. In diesem Zusammenhang wirft der Vorschlag einer 50cm starken Stahlbeton-Deckenplatte über den Probebühnen Fragen auf und scheint nicht dem bestehenden Bedarf an Lastreduzierung in den verspringenden oberen Grundrissen gerecht zu werden.
Die städtebaulichen Qualitäten und die gut durchdachte innere Organisation werden anerkannt. Diesen Qualitäten stehen die selbst auferlegten formalen Ein-schränkungen, wie die Fensterlosigkeit, die ungünstige Lage des Zugangs oder die nicht abschießend gelöste flächige widersprüchliche Fassadenmaterialität gegenüber.
Der Betrag weist ein überdurchschnittlich hohes Raumvolumen auf. Das vermutlich hohen A/V-Verhältnis kann jedoch auf Grund der Geschlossenheit der Fassaden vermutlich toleriert werden.
Die Gesamtgestaltung bietet einen spannenden Phantasieraum für Kinder und Jugendliche, der sich wohltuend von vielen Klischees abhebt. Gleichsam betritt das junge Publikum eine eigenwillige und ungewöhnliche „Zauberburg“ fern aller all-täglichen Sichtgewohnheiten. Der Bau macht im besten Sinne des Wortes neugierig, also gierig auf Neues und Unerwartbares und steht dadurch für die „Wunderwelt“ Theater. Darüber hinaus bietet die Dachterrasse einen Freiraum, der als Brücke zwischen beiden Kulturinstitutionen bietet.