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Nichtoffener Wettbewerb | 09/2020

Konzeption eines Besucherzentrums sowie die landschaftsplanerische Aufwertung des Alten Friedhofs Judensand in Mainz

3. Preis

Preisgeld: 4.200 EUR

koeber Landschaftsarchitektur GmbH

Landschaftsarchitektur

VON M GmbH

Architektur

Erläuterungstext

- der Weg
Die Auseinandersetzung mit dem Ort und die Wahrnehmung des Orts hängen mit zwei Faktoren zusammen: mit dem Weg und der Zeit. Sie ergeben hier nicht das Produkt Geschwindigkeit, sondern das Erlebnis dieses außergewöhnlichen Orts aus unterschiedlichsten Perspektiven. Die Eindrücke des Orts und die späteren Erinnerungen daran können nicht auf eine endliche Strecke projiziert werden, sondern eher auf die Form eines Kreises oder einer endlosen Spirale. Beide Formen waren daher Ausgangspunkt für die Formenfindung des Gebäudes, der Einfriedungen und der Wegeführung. Bei der Wegeführung, die sich in unterschiedliche Abschnitte gliedert, galt es, die Attraktivität zu verbessern und eine zumindest schwellenlose Verbindung herzustellen. Darüber hinaus fand der Aspekt der Akustik Berücksichtigung.

Die Wegeabschnitte kennzeichnen sich durch differenzierte Möglichkeiten der Wahrnehmung. Werden die Friedhofsteile zu Beginn über den spiralförmigen Weg zuerst fast aus der Vogelperspektive wahrgenommen, erlaubt die Einfriedung durch wechselnde Transparenzen offenere und geschlossenere Einsichten auf dem Weg von außen. Am Zugang von der Mombacher Straße formuliert der zum Friedhofsinnern gerichtete ´Torbogen´ eine öffnende Geste und eine halböffentliche Zone. Bei geöffnetem Tor entsteht eine empfangende Geste, die sich wiederum einseitig in der Eibenhecke vor dem Sockel der Brandmauer des Gebäudes Mombacher Straße Nr. 61 abbildet. Entlang der Brandmauer wird die Hecke in Wellenform geschnitten und kaschiert im weiteren Verlauf die blaue Kunststoffplane im Grenzzaun.

Die im Eingangsbereich in der Erde lagernden Spolien werden am Ende des Weges am Wendekreis in der Böschung zur Mombacher Straße platziert. Dafür wird die Rasenböschung so profiliert, dass drei horizontale Rasenbermen entstehen. Die Spolienteile werden entsprechend ihrer ursprünglichen Lage von unten nach oben angeordnet. Die Säulenschäfte stehen unten. Darüber liegen die Säulenkapitelle, die auf der obersten Ebene mit Teilen des Frieses abgeschlossen werden. Von der Straße aus betrachtet können sich die Teile aus einer bestimmten Perspektive zu einem Ganzen zusammensetzen, ohne das der Versuch einer unter Umständen falschen Rekonstruktion unternommen wird. Zumal auch nicht der Eindruck entstehen darf, dass hier der Standort der alten Synagoge war. Zum Schutz der Spolien stehen diese auf Fundamentplatten, die Ihrem Footprint entsprechen.

- das Zentrum
Das Besucherzentrum tritt als Gebäude beim Ankommen mit dem Bus nicht in den Vordergrund. Der Friedhof bleibt im Blickpunkt. Beim Betreten der Rampe, die wie ein Filter wirkt, schreitet der Besucher zunächst nach oben, erhält so langsam einen Überblick über das gesamte Gelände und erfährt eine Trennung zwischen Alltag und Friedhof. Nachdem der Höhepunkt passiert ist, bewegt sich der Besucher nach unten und erreicht das Zentrum mit dem Ausstellungsraum aus Holz, der sich von der massiven Rampe abhebt. Die Rampe umfasst den hölzernen Kern und legt sich schützend um ihn. Die geschlossene Holzfassade öffnet sich und lädt in den Innenbereich der Ausstellung ein. Der Vorbereich ist bei Regen durch die Rampe, die hier als Vordach wirkt, geschützt. Die senkrechten Holzlamellen rotieren und stellen sich an den Fensteröffnungen vertikal, um Licht und Blicke durchzulassen. Dieses Prinzip, wird auch auf die Einfriedung übertragen. Der Innenraum wird über das zentrale Oberlicht gleichmäßig beleuchtet. Die Wirkung der Sonne kann über eine Verdunklung gemindert werden, ansonsten kann das im Tagesverlauf wandernde Licht in ein Ausstellungskonzept einbezogen werden. Das Büro wird am Ende der Rampe als

Zugangskontrolle situiert und ist somit auch direkt dem Zugang zum Denkmalfriedhof zugeordnet. Die Toiletten sind wie der Seminarraum auch von außen zugänglich.

Die Rampen werden massiv ausgebildet und können so im Eingangsbereich stützenfrei ausgeführt werden. Im erdberühren Teil schützen sie den Holzkern vor Feuchtigkeit. Der innere Kern samt Nebenräumen wird in Holzleichtbauweise geplant Somit ist eine Vorelementierung und verkürzte Bauzeit möglich. Die Stützen werden im hinteren Bereich eingespannt und tragen damit den inneren Ring stützenfrei, auf dem zentral das Oberlicht liegt. Die Heizung erfolgt über den Fußboden.

- die Anmutung
Die Anmutung des Orts steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wahl der Oberflächen und Materialien. Eisen und Stahl wirken hier eher martialisch und scheiden insbesondere für die Einfriedung des Friedhofes aus. Ein unbehandeltes und nachhaltiges Holz verändert sich hingegen und wirkt dem entgegen. Die spiralförmige Anordnung der Holzlatten schafft den Wechsel zwischen transparenten und sehr transparenten Bereichen. Zudem erhält die Einfriedung entlang der Mombacher Straße in der Betrachtung von der Seite her ein leichtes Relief in Form einer stetigen Welle.

Die Wegebefestigung im Kontext des Zentrums wird ein Ortbetonbelag ohne Einfassung. Die Behandlung der Oberfläche durch Auswaschung lässt den Zuschlagsstoff aus feinem Mainkieseln in Erscheinung treten. Der Weg im Friedhof selbst nimmt darauf Bezug, indem wiederum Mainkies jedoch in gröberer Form in der Körnung 63/200 mm mit gespaltenen Steinen, gesteckt ausgeführt wird. Im Randbereich werden ungespaltene und noch gröbere Steine gesteckt. Sie markieren Trittunsicherheit und Vorsicht gegenüber dem Betreten der Gräber. Die vorhandene Hohlwegform wird deutlicher herausgearbeitet und vermittelt den Besuchern, den Weg beizubehalten. Ein subtiler Hinweis zu den auf jüdischen Grabsteinen lagernden Steinen kann herausgelesen werden.

Neupflanzungen von Bäumen reduzieren sich aufgrund des Grabungsverbots innerhalb der Friedhofsflächen auf die Umgebung des neuen Besucherzentrums. Bei der Auswahl der Baumarten werden blühende und fruchtende Bäume, die den jahreszeitlichen Verlauf und damit die Vergänglichkeit abbilden, ausgewählt. Obstbaumsolitäre und Obstbaumgruppen sind auf der Westseite des Hauses vorgesehen. Im Bereich des Flurstücks 38, auf dem Gelände der ehemaligen Landwirtschaftsschule, soll die Ausbreitung des Silikattrockenrasens durch gezielte Pflegemaßnahmen (Mahd und Nährstoffentzug) auf die Grünlandbrache ausgedehnt werden. Durch die Mahd entstehen wiederum Bilder des Werdens und Vergehens.