modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Mehrfachbeauftragung | 09/2020

Umgestaltung der Martinskirche in Apolda zum soziokulturellen Zentrum

Gewinner / Mit der Realisierung beauftragt

Atelier ST | Gesellschaft von Architekten mbH

Architektur

Erläuterungstext

Die Idee besteht darin, ohne Eingriffe in die tragende Bausubstanz, ein Haus im Haus zu errichten. Eine Architektur als Impulsgeber die mit einer eigenen Strahlkraft dem alten Gemäuer neues Leben einhaucht. Ein eigenständiges Objekt das losgelöst von der Bestandsstruktur seine Funktionen, Konstruktion und Gestalt aus sich selbst generiert. Losgelöst bedeutet, dass bis auf wenige Übergänge, weder Wände noch Decken berührt werden. Auch in den Boden wird nur minimal für die Lastabtragung und die Erschließung des „baulichen Implantats“ eingegriffen. Das Erdgeschoss definiert sich als großer, multifunktionaler Raum, mit einzigartiger Atmosphäre. Darüber schwebt ein zweigeschossiges, helles Volumen, was alle weiteren Räume in sich aufnimmt und Anbindungen an den Bestandsturm schafft. Die Gestalt des Körpers ergibt sich, neben dem Raumprogramm, aus der Umkehrung des Bestehenden. Der momentane Luftraum wird gefüllt und die umgebenden hölzernen Stege und Emporen zurückgebaut.

Beurteilung durch das Preisgericht

Die Jury gelangt nach intensiver Diskussion zu der einstimmig getroffenen Entscheidung, dem Bauherrn die Arbeit des Atelier ST Leipzig zur Realisierung zu empfehlen und das Architekturbüro mit der Planung zu beauftragen.

Der Grundgedanke des Entwurfs ist, den Raum der Kirche von den heute nicht mehr sinnvoll nutzbaren Emporen zu befreien und in diesen Raum ein quasi schwebendes Objekt zu implantieren. Der karge Raum der Kirche bleibt vollkommen erlebbar, gewinnt aber durch das eingesetzte Volumen eine einzigartige und dramatische Qualität, die durch die Führung des Lichts noch einmal unterstrichen wird. Und dieses an sich schon faszinierende Gefüge von elementarer Kraft korrespondiert dann perfekt mit den funktionalen Anforderungen und Qualitäten.

Vor allem entsteht im Erdgeschoss ein offener, für zahlreiche Aktivitäten, Inszenierungen, Ausstellungen frei verfügbarer Raum, der wie eine innenräumliche Piazza funktioniert, der offen ist zum Garten, aber prinzipiell auch offen sein kann zum sonstigen umliegenden Stadtraum, von dem her Aktivitäten aufgenommen, ja in der Kirche konzentriert werden können. Diese Multivalenz und Offenheit ist einem soziokulturellen Zentrum sehr gemäß. Der Raum kann temperiert werden, je nach den Erfordernissen des jeweiligen Gebrauchs. Die Jury regt an, die Beziehung zum Außenraum durch eventuelle bauliche Öffnung zu verstärken.

Der in und über diesem Raum „schwebende“ Körper nimmt eine Reihe von Funktionen der Gemeinde auf, ist kompakt, ganzjährig und permanent nutzbar, weil vollständig beheizbar. Die gewählte Figur des Implantats folgt streng, ja minimalistisch, den funktionalen und statischen Erfordernissen und bezieht auch daraus eine unikale und zeichenhafte Qualität. Der Körper stützt sich einerseits auf die Erschließungselemente der Treppe und des Aufzugs, wodurch die Gemeinderäume barrierefrei erreichbar sind. Er stützt sich andererseits auf eine massive, asymmetrisch im Raum stehende Stütze, eine Art „Fuß“, der den Boden aber nur minimal berührt, sowie einen „Arm“, der als Erschließungs- und Fluchtweg von und zu der außen liegenden Treppe der Kirche dient. Der freischwebende Betonkörper gerät derart in eine nahezu archaisch schöne Wechselbeziehung zum umgebenden alten Mauerwerk der Kirche.

Die Innenräume des „schwebenden“ Körpers sind in zwei Geschossen angeordnet, im unteren Geschoss Toiletten, Abstellraum und Büro, im oberen ein Sitzungsraum für die Gemeinde. An die Geschosse direkt angeschlossen sind ein Kinderraum und ein Jugendraum im Turmbereich der Kirche. Die Jury hält diese Lösungen für sehr angemessen, regt zugleich an, die Zweigeschossigkeit zu Gunsten eines multifunktional nutzbaren Raumes zu überprüfen und gegebenenfalls in eine Galerielösung zu überführen, um das dem tonnenförmig überwölbten Körper innewohnende Potential einer erneut beeindruckenden Raumwirkung zu erschließen. Dies enthielte die zusätzliche Option, die Fenster nicht nur seitlich anzuordnen, sondern nach Art eines Firmaments.

Die Autoren des Projekts heben zurecht die Qualitäten des zur Kirche gehörenden Gartens hervor, erhalten daher auch die Bestandsbäume. Die Einordnung einer Toilette hier sollte vermieden werden.

Insgesamt würdigt die Jury die herausragende räumliche, atmosphärische und symbolische Qualität dieses Entwurfs. Die Belange es soziokulturellen Zentrums sind in diesem Projekt ebenso abgebildet, wie die Erfordernisse der Kirchgemeinde. Zudem schafft die Figur der Lösung ein nahezu einzigartiges Bild, das verspricht, die Martinskirche weithin zu einer Ikone der modernen Kirchenumnutzung werden zu lassen.