modgnikehtotsyek
ALLE WETTBEWERBSERGEBNISSE, AUSSCHREIBUNGEN UND JOBS Jetzt Newsletter abonnieren

Nichtoffener Wettbewerb | 10/2020

Umbau und Sanierung des Fruchtkastens in Herrenberg

1. Preis

Preisgeld: 32.000 EUR

ATELIER BRÜCKNER GmbH

Architektur

Erläuterungstext

Ziel des Wettbewerbs ist die Schaffung eines unverwechselbaren, identitätsstiftenden Ortes in der Gemeinde Herrenberg. Mit der Sanierung und Neuausrichtung des Ausstellungshauses im Fruchtkasten soll ein weit hin sichtbares Zeichen entstehen, das Bewohnern und Besuchern Herrenbergs einen prägenden Eindruck der Stadt und seiner Geschichte vermittelt. Gebäude und Umfeld sollen die Grundlagen für ein gutes Veranstaltungsangebot schaffen sowie das Gemeinwohl von Bürgern und Besuchern der Gemeinde stärken. Das Ausstellunghaus, das sich sowohl durch ein großes Maß an Funktionalität und prägende außen- und innenräumlichen Qualitäten auszeichnet, soll sich als zukunfts-fähige bauliche und funktionale sowie wirtschaftliche Lösung in das Gesamtumfeld Herrenbergs integrieren. Über die Entwicklung eines multifunktionalen Gebäudes hinaus, setzt die Sanierung bewusst eigene Akzente und unterstreicht damit den öffentlichen und kommunikativen Charakter des Gebäudes.

Städtebauliches Konzept und Erschließung
Eingebunden in die historische Altstadt Herrenbergs richtet sich der Fruchtkasten mit seiner nördlichen Giebelfassade der Tübinger Straße aus und wird damit angebunden an den Marktplatz und die Fußgängerzone. Dorthin öffnet sich der Baukörper mit einer großzügigen Erdgeschosshalle, wie er bereits vor 1810 das Straßenbild prägte. Über die neu geöffnete Nordfassade erfolgt auch der Zugang zum Gebäude in einer offenen Geste, die seine Besucher willkommen heißt. Auf der Südseite des Fruchtkastens entsteht ein intimer Platz, vornehmlich für die Bewohner der Altstadt.

Entwurfskonzept – Kubus und Himmelsleiter
Über alle Geschosse des Fruchtkastens hinweg wird ein eingestellter Kubus ausgebildet,
welcher die dienenden Funktionen des neuen Ausstellungshauses beinhaltet. Dies ermöglicht einen freien Raum und Umlauf entlang der Außenwände. Begleitet wird der Kubus von einer Himmelsleiter, die als Haupterschließung, die den Besucher auf geradem Weg von Geschossebene zu Geschossebene führt. Im diagonalen Durchschreiten des Gebäudes wird die beeindruckende und abwechslungsreiche Holzkonstruktion erlebbar, die den Fruchtkasten seit Jahrhunderten prägt. Die offenen Ebenen bleiben erhalten.

Funktionen
Eine offene Erdgeschosshalle empfängt den Besucher und gibt einen Blick auf die Außenwände des romanischen Steinhauses und die Stadtmauer frei. Die teilweise zweigeschossige Halle, schafft einen angemessenen Raum für das Café, die Tourismusinformation und den Regionalmarkt. Die Andienung des Gebäudes zur Ver- und Entsorgung erfolgt über das Kasten- winkele auf der Westseite. Im 1. Obergeschoss befinden sich die Café-Galerie und der Veranstaltungssaal. Im 2. Obergeschoss sind Multifunktionsraum, der Raum für Kulturvermittlung und die Sonderausstellung verortet. Vorbereiche auf beiden Geschossen laden den Besucher zum Ankommen und Aufenthalt ein. Die Himmelsleiter führt den Besucher weiter in die Dauerausstellung, die sich im 1. Dachgeschoss befindet. Das 2. Dachgeschoss bietet den Kulturschaffenden Räume für Verwaltung, Werkstatt und Lagerung, sowie für Rückzug. Auf der obersten Ebene des Dachgeschosses unter dem Dachspitz befindet sich die Haustechnik. Über Abstände zu den Dachflächen und mit Einhausungen technischer Geräte zur Vermeidung von Lärmemission wird auch dem Vogelschutz Rechnung getragen.

Außenanlagen
Das Freianlagenkonzept zeichnet sich durch eine klare und reduzierte Gestaltung aus, das sich in die Gestaltung der Fußgängerzone integriert. Es wird vorgeschlagen, die Fußgängerzone über den Fruchtkasten hinweg, bis zur Wilhelmstraße zu verlängern.

Konstruktion und Materialität
Die prägende Holzkonstruktion mit ihren historischen Bodendielen in ihrer Untersicht soll dem zukunftsorientieren Gebäude in hoher Qualität seinen bleibenden Eindruck verschaffen. Der neue Bodenaufbau aus Estrich und Holzdielen ergänzen das Gesamtbild. Ebenso tragen der Naturstein der historischen Stadtmauer, sowie die Fachwerkkonstruktion der Außenwände dazu bei, das Gebäude und seine Geschichte zu erleben und zu verstehen. Die Ausriegelungen der Aussenwände werden mit einem Dämmputz versehen, um den heutigen Energiestandards zu entsprechen. Der eingestellte Kubus wird in Massivbauweise ausgeführt und erfüllt dadurch die notwendigen Brand- und
Feuerschutzanforderungen. Die neuen Elemente, wie der Kubus oder die Himmels- leiter,
werden in gezundertem schwarzem Stahl ausgeführt. Natürliche und haptische Materialien
prägen das Ausstellungsgebäude. Reduktion und Materialehrlichkeit sind ein wesentliches
Gestaltungskriterium.

Ausstellungskonzept
Die Himmelsleiter führt entlang des Kubus durch alle Geschosse. Die Besucher finden auf ihrem Weg durch den Fruchtkasten auf jeder Ebene einen Teil der Ausstellung. Der Highlight-Raum in der baulichen Urzelle des Gebäudes – dem Steinbau aus dem 13. Jahrhundert fungiert als Einführung in die Geschichte des Gebäudes, und in die gesamte Ausstellung. Anhand des Stadtmodells und den umliegenden Wänden wird die Geschichte Herrenbergs medial in einer filmischen Raumbespielung zum Leben erweckt. Der Kubus selbst wird zum Ausstellungsträger und zeigt in integrierten Vitrinen die circa 800-jährige Geschichte des Fruchtkastens. Auf Ebene 2 befindet sich die Sonderausstellung und auf Ebene 3 die neue Präsenzausstellung. Beide Ausstellungen haben durch die Fenster bzw. Gauben Bezug zum Außenraum und sind als Tageslichträume konzipiert. Die Präsenzausstellung gliedert sich in drei thematische Bereiche zwischen denen
sich die Geschichte Herrenbergs, der Stadt, des Landes aber auch der ganzen Welt aufspannt.
Insgesamt entsteht ein spannungsreiches Ausstellungshaus, welches die Geschichte des
Fruchtkastens mit der Geschichte der Stadt verbindet.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Fruchtkasten öffnet sich mit großzügige Erdgeschosshalle und einer neuen Gestaltung der zweigeschossigen Nordfassade zur Tübinger-Straße. Mit einer neuen Konstruktion und vertikalen Holzlamellen wird der Blick ins Gebäudeinnere gefiltert und gelenkt. Der Eingang wird selbstverständlich in der flächigen Nordfassade integriert. Die zeitgenössische Gestaltung nimmt das Farbkonzept der bestehenden Fachwerkfassade auf und interpretiert den Gebäudesockel neu. Die Sitzplätze im Außenbereich werden begrüßt, auch wenn die Bestuhlung der engen Gasse auf der Westseite als nicht sinnvoll erachtet wird. Es wird im Rahmen des Entwurfs vorgeschlagen die Fußgängerzone bis zur Wilhelmgasse zu verlängern, um den Fruchtkasten noch stärker einzubinden. Der Platz auf der Südseite soll dagegen in seiner Intimität erhalten bleiben, weshalb in diesem Entwurf im Süden keine baulichen Eingriffe und kein Bezug von Innen- und Außenbereich hergestellt werden. Die Eingangshalle im Erdgeschoss ist zum Teil zweigeschossig und lenkt den Blick auf das romanische Steinhaus und die Stadtmauer. Café, Touristeninformation und Regionalmarkt sind in einem offenen Raumkonzept verbunden. Integriert in den Steinraum des 13. Jahrhundert wird Stadtmodell und seine digitale Inszenierung der Höhepunkt der Raumsequenz. Die barrierefreie Erschließung ist im Erdgeschoss noch nicht gegeben und im Detailschnitt der Ausstellungsdidaktik ist die dargestellte Raumhöhe und die Decke über dem EG zu überprüfen. Das vorgeschlagene Nutzungskonzept für die Obergeschosse mit Veranstaltungssaal im 1.OG, Multifunktionsraum, Kulturvermittlung und Sonderausstellung im Obergeschoss sind gut nachvollziehbar. Das Café im 1.OG wird allerdings in erster Linie als Cateringangebot für Veranstaltungen zu verstehen sein. Die Dauerausstellung im 3.OG ist für die Öffentlichkeit lohnendes Ziel am Ende, zumal der Dachstuhl mit den Gauben die frei eingestellten Exponate inszeniert. Im 2. DG sind Räume für Verwaltung, Lagerung und Rückzug untergebracht. Es gibt kleinere Abweichungen vom Raumprogramm und in der Zuordnung von Nebenräumen, die es zu überprüfen gilt. Gleiches gilt für die geringe Tageslichtversorgung. Der Entwurf überrascht durch die strenge Setzung eines eingestellten Baukörpers, der begleitet wird von einer einläufigen Treppe, die das Gebäude in seiner Tiefe erschließt und die unterschiedlichen Ebenen der beeindruckenden Holzkonstruktion erlebbar macht. Es entsteht ein strenger rechteckiger Einbau, der dienende Funktionen aufnimmt, und mit der freien Treppe an seiner Seite kommuniziert. Über die unterschiedlichen Geschossebenen hinweg werden damit zum einen die Räume in ihren Nutzungsmöglichkeiten freigespielt. Zum anderen werden die Außenwände und die spitzen Winkel des polygonen Gebäudes durch den freien Umlauf erfahrbar. Das Raumerlebnis erfordert allerdings auch Zugeständnisse des Denkmalschutzes, da die Balkenlagen zum Teil getrennt werden müssen. Das Tragwerk ist im vorliegenden Entwurf nicht vollständig erkennbar. Die Abfangung des Kernbereiches ist nachzuweisen. Der eingestellte Kubus wird in Massivbauweise vorgeschlagen, doch aus Sicht des Preisgerichts ist eine leichte Konstruktion mit entsprechenden brandschutztechnischen Maßnahmen vorzuziehen. Es ist zu beabsichtigt eine automatische Löschanlage einzubauen. Wo diese dafür notwendigen technischen Anlagen vorgesehen sind, ist nicht zu erkennen. Das Steinhaus im EG wird als Highlight-Raum medial bespielt und führt mit Stadtmodell und Aufprojektionen in die Stadtgeschichte ein. Der Raum ist barrierefrei zugänglich und schafft mit einer großzügigen Sitztreppe einen attraktiven und ausreichend großen Ort für Schulklassen und Touristengruppen. Die Narration des Highlight-Raums ist bereits anhand der Stadtentwicklung und der baulichen Entwicklung des Fruchtkastens detailliert ausgearbeitet. Die Dauerausstellung im 1. Dachgeschoss steht frei im Raum, durch den eingestellten Kubus wird eine offene und eine eher intime Zone geschaffen. Die Verfasser definieren drei thematische Bereiche aus gegenwärtiger Perspektive, die partizipativ angelegt sind: Die Stadt der Bewohner – hier könne Besucher eigene Geschichten und Bilder beitragen; die Stadt des Mitmachens, die aktuelle städtische Projekte zur Diskussion stellt; die Stadt der Natur, hier geht es um das geforderte Thema Streuobstwiesen. Zwischen diesen drei Bereichen wird die Ausstellung chronologisch in gläsernen Vitrinenmöbeln angeordnet, die einerseits das Gebäude durchscheinen lassen und zum zweiten jeweils filmisch eine Person als Zeitzeugen der Epoche vorstellen. Die Konzeption ist bereits relativ weit ausgearbeitet. Einziger Nachteil ist, dass die Dauerausstellung relativ weit oben im Gebäude angeordnet ist. Technisch ist zu bemerken, dass die Notwendigkeit einer Sprinkleranlage aus museumsfachlicher Sicht nicht wünschenswert ist. Alle Objekte müssen in Vitrinen, um ggf. vor dem Sprinklerwasser geschützt zu werden. Auch der Sonderausstellungsraum im 2. OG ist weit oben, aber in Verbindung mit Kulturvermittlungsraum und Multifunktionsraum funktional sinnvoll angeordnet. Er sollte abschließbar und als eigener Sicherungsbereich gestaltet werden. Die zusätzlichen Ausstellungsmöglichkeiten zum Fruchtkasten sind positiv zu bewerten Der Entwurf bietet ein typologisches Konzept an, das spannendes Raumerlebnisse mit einer hohen Flexibilität in seine Nutzung verspricht. Das Gebäude selbst ist Ausstellungsträger und verbindet seine eigene Geschichte gewinnend mit dem neuen Ausstellungskonzept und einer neuen Adresse zum öffentlichen Raum.