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Mehrfachbeauftragung | 02/2021

Städtebauliche Entwicklung des „Maute-Areals“ in Bisingen

1. Rang / Zur Realisierung empfohlen

citiplan

Stadtplanung / Städtebau

RIEHLE KOETH

Stadtplanung / Städtebau

Erläuterungstext

GESCHICHTE SCHAFFT IDENTITÄT
Die Leitidee dieser Arbeit basiert auf der Überzeugung, dass Identität durch die Auseinandersetzung mit der speziellen Geschichte eines Ortes entsteht. Daher soll der städtebauliche Fußabdruck der industriellen Vornutzung dieses Areals erlebbar bleiben – und zwar unabhängig davon, ob einzelne Gebäude ganz oder teilweise erhalten werden können oder komplett ersetzt werden. Die Würdigung des industriellen Fußabdrucks im Stadtbild verschafft somit eine gewisse Flexibilität, den Erhalt einzelner Gebäudeteile erneut zu prüfen.
Die Auseinandersetzung mit dem Fußabdruck des Gebäudebestands führt gleichsam automatisch zu einer Ablesbarkeit dieser neuen Ortsmitte im Ortsgrundriss, da einer eher dörflich geprägten Umgebung eine starke geometrische Ordnung mit etwas höherer Dichte gegenübergestellt wird.

Städtebau und Freiraum
Der südliche Teil des Plangebiets ist der Leitidee folgend stark geometrisch geordnet, während sich der nördliche Teil eher organisch-dörflich an den Bestand anfügt. Dadurch entsteht ganz selbstverständlich eine Fuge als verbindender Quartiersplatz. Das neue Rathaus sitzt repräsentativ zwischen Quartiersplatz und Rathausplatz und erfüllt gleichzeitig eine wichtige Umlenkfunktion der Achse Marktplatz – Bahnhof über die Eichgasse. Im Anschluss an den Rathausneubau kann ein neuer Kindergarten entstehen, der Teile der Fassade der Magazin-Halle aufnimmt und dadurch ein identitätsstarkes soziales Herz für das neue Quartier bildet.
Wohnkonzepte und Nutzungen
Es wird ein breites Spektrum an zeitgemäßen und innovativen Wohnformen angeboten – vom Reihen- und Doppelhaus über Geschosswohnungen und Loft-Wohnen im (etwaigen) Bestandsgebäude bis hin zum Mehrgenerationenhaus als Baugemeinschaft oder Genossenschaft in der Nachbarschaft des Kindergartens. Gerade diese altersgerechten und altersgemischten Wohnformen bieten ein großes Potenzial, in zentraler Lage Angebote zu schaffen, durch die Einfamilienhäuser in den umliegenden Siedlungen für die nächste Generation freigemacht werden können.
Ergänzende Nutzungen sind Büros, Dienstleistungen und Praxen (oder ggf. auch Beherbergungsgewerbe) entlang der Bahnhofstraße.
Erschließung und Mobilität
Das Quartier ist im Innern weitgehend autofrei vorgesehen und bietet dadurch vielfältige Aufenthaltsqualitäten und Wegevernetzungen für Füßgänger*innen und Radfahrer*innen. Die vorgesehenen Tiefgaragen sind von den Rändern des Quartiers aus erreichbar, ebenso die öffentlichen Stellplätze, so dass das Quartiersinnere von ruhendem Verkehr entlastet wird. Es wird vorgeschlagen, hierzu auch die Parkierung für Reihen- und Doppelhäuser über die Tiefgaragen abzuwickeln.
Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit
Der Entwurf berücksichtigt unterschiedliche Aspekte der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit: Neue Erschließungsstraßen werden weitgehend vermieden, Möglichkeiten zur Nutzung grauer Energie aufgezeigt. Darüber hinaus bietet er eine angemessene Dichte in zentraler Lage an, kompakte Baukörper, PV-freundliche und begrünbare Dachflächen sowie – durch die Reduktion der Kfz-Flächen gute Voraussetzungen für wasserdurchlässige Bodenbeläge. So schafft der Entwurf Identität durch die Befassung mit der Geschichte des Ortes – und weist doch in die Zukunft.
Bauabschnitte
Die einzelnen Bauabschnitte ersetzen immer mehr den Bestand des Maute-Areals. Bauabschnitt 1 ergänzt die bestehende Wohnbebauung in ihrem dörflichen Charakter und bildet ein harmonisches Gesamtgebilde. Bauabschnitt 2 erweitert das Quartier im Süden durch nachbarschaftliche Hofsituationen. Das Quartier wird mit öffentlichen Nutzungen wie Kita und Rathaus belebt. Der 3. Bauabschnitt vervollständigt das Quartier durch die Bebauung der noch privaten Grundstücke entlang der Raichbergstraße womit die Durchwegung vom Ortskern zum Bahnhof vollends definiert wird. Der südliche Quartierseingang wird durch einen prägnanten Sonderbau ergänzt.

Beurteilung durch das Preisgericht

Der Leitgedanke der Arbeit 1001, dass Identität durch die Auseinandersetzung mit der speziellen Geschichte eines Ortes entsteht, wird durch die Verfasser konsequent in eine neue städtebauliche Struktur übersetzt. Der Entwurf nimmt bestehende Gebäudestrukturen wie das Kesselhaus auf und vervollständigt sie durch wohlproportionierte und stimmig orientierte Gebäudesetzungen, zu gut dimensionierten Nutzungszonen. Durch die vorgeschlagene Reminiszenz wird so immer ein Stück Geschichte erlebbar bleiben, die ggf. auch in der Freiraumgestaltung weiter thematisiert werden könnte.
Die gewählte städtebauliche Körnung und Dichte fügt sich einerseits gut in die Umgebung ein, andererseits erhält sie die charakteristische, kräftige Struktur des früheren Industrieareals, ohne, dass die Vermittlung zwischen dem neuen Quartier und der umgebenden Bestandsstruktur leiden würde. Der Übergang zur Nachbarschaft im Südosten gelingt durch eine zweigeschossige Zeilenbebauung gut. Ob dies wirklich eine Reihenhausnutzung sein wird, welche sich zur Zollerstraße hin mit Privatgärten orientiert, oder doch lieber eine Mehrfamilienhaustypologie darstellt, um so auch ein kräftigeres Eckgebäude an der Kreuzung Zollerstraße / Raichbergstraße bilden zu können, wird zur Diskussion gestellt.
Geschickt nimmt der Entwurf die Verbindungsachse Eichgasse aus der Ortsmitte auf und führt sie direkt auf den Rathausplatz, welcher unmittelbar von der Bahnhofstraße zum Rathausgebäude einleitet.
Die öffentliche Freiraumfuge zwischen dem dichten und orthogonal ausgerichtetem Quartier im Süden und der nördlichen arrondierten Bestandsbebauung ist richtig gesetzt und vernetzt das neue „Maute-Areal“ konsequent mit der Umgebung. Entlang dieser Quartiersfuge sind alle öffentlichen und gewerblichen Nutzungen folgerichtig platziert. Allerdings wird die Nutzung Kita und Jugendzentrum kritisch gesehen, da diese Nutzungen im Ort an anderer Stelle gesehen werden. Aussagen zu den Übergängen der Erdgeschosszonen zu den gemeinschaftlichen und öffentlichen Freiräumen sind im Entwurf nicht ausreichend behandelt.
Auch die Verbindung zum Bahnhof aus den beiden Quartiersachsen gelingt den Verfassern sehr gut, wenn auch die vorgeschlagenen PKW-Stellplätze entlang der Bahnhofstraße die Verknüpfung etwas stören.
Kritisch gesehen wird, dass vom Rathausplatz nicht flüssig in den Quartiersplatz übergeleitet wird. Die beiden Plätze bauen eine Konkurrenz zueinander auf, die durch die nahezu identische Gestaltung noch verstärkt wird. Hier wäre zu prüfen, ob sich der nördliche Winkel des Rathauses nicht etwas zurücknehmen könnte, oder die Charaktere der beiden Platzzonen sich nicht voneinander abheben sollten. Die gestalterischen Aussagen zu den Platzzonen bleiben leider schematisch und unter den Möglichkeiten für die Ausbildung eines attraktiven Freiraums. Vermisst werden Aussagen zur Möblierung und öffentlichen Nutzungen. Mit der vergleichsweise schematischen Setzung der Baumgruppen bleibt der Entwurf an dieser Stelle hinter seinen Potenzialen zurück.
Der spitz zulaufende Solitär im Kreuzungsbereich Bahnhofstraße/Raichbergstraße bildet zweifelsohne den Auftakt in das Quartier im Westen, wird aber aufgrund seiner spezifischen, fast schon unbeholfenen Form, kontrovers diskutiert.
Die ausgewiesenen Wohnsituationen bilden schöne grüne Hofsituationen, die eine klare Zuordnung von privaten Freiräumen schaffen. Auch die einfassenden Mehrfamilienhäuser im Norden des Quartiers schaffen es die vorhandene anschließende Wohnbebau zu einer Einheit zusammenzuführen.
Die verkehrliche Erschließung erfolgt unproblematisch, das Quartier wird von Verkehr freigehalten, die vorgeschlagenen Tiefgaragen im Süden und Westen sind richtig platziert. Hinterfragt wird die Notwendigkeit der Tiefgarage unter den nördlich situierten Reihenhäusern und kleineren Mehrfamilienhäusern.
Aus wirtschaftlicher Sicht sollte diese noch einmal überprüft werden. Die Lage der Eingänge der Gebäude sind gut gewählt und gut auffindbar. Allerdings wird die Lage der Zugänglichkeit der Polizei und des Rathauses über die Hofsituation vom Rathausplatz aus hinterfragt. Die Gesamtgebäudestruktur Rathaus, öffentliche Nutzungen, Polizei und Wohnen wird gebäude- und nutzungstypologisch als suboptimal gesehen. Insbesondere das Wohnen in Kombination mit der Polizei lässt Spannungen vermuten.
Die Verfasser schlagen eine gute Mischung und eine vernünftige Wohnungsanzahl von zeitgemäßen, verschiedenen Wohnformen vor, die eine gewisse Flexibilität für zukünftige Investoren bietet.
Trotz der angesprochenen Kritikpunkte liegt insgesamt eine Arbeit vor, die die gestellte Aufgabe sehr gut umsetzt, insbesondere das historische Erbe in die Zukunft transportieren vermag und eine gute wirtschaftliche Umsetzung mit dennoch gut proportionierten Freiräumen für die Allgemeinheit ermöglicht.